Digitale Zwillinge in der Brückenwartung
Von statischen Bauwerken zu dynamischen SystemenDie deutsche Verkehrsinfrastruktur leidet seit Jahren unter einem Sanierungsstau: 16.000 Brücken gelten bundesweit als baufällig. Als zukunftsfähiger Lösungsansatz gelten digitale Zwillinge – virtuelle Simulationen –, die dazu beitragen können, die Brückeninstandhaltung flexibler, sicherer und langfristig effizienter zu gestalten.
Viele der heute maroden Brücken im Bundesfernstraßennetz stammen aus den 1960er- bis 1980er-Jahren und wurden für deutlich geringere Verkehrsaufkommen konzipiert. Steigende Belastungen durch immer mehr Schwerlastverkehr, witterungsbedingte Einflüsse und Materialalterung verschärfen die Problematik spürbar. Das traditionelle Konzept exakt festgelegter Wartungszyklen stößt dabei an seine Grenzen. Helfen sollen fortan digitale Zwillinge.
Sensorik an der Brücke liefert die Datenbasis
Herzstück der digitalen Zwillinge – in Industrie und Fertigung seit Jahren in bewährtem Einsatz – ist ein engmaschiges Netz aus Sensoren. Faseroptische Sensoren, Dehnungsmessstreifen, Inklinometer für Neigungsmessungen und Schlauchwaagen erfassen kontinuierlich Belastungs-, Temperatur- und Bewegungsdaten. Ergänzt durch Wetterstationen, die Luftfeuchtigkeit, Niederschläge und Sonneneinstrahlung erfassen, entsteht ein umfassendes Bild der strukturellen und klimatischen Einflüsse auf das Bauwerk.
Diese Daten bilden das Fundament des digitalen Zwillings: ein virtuelles Abbild der realen Brücke, das ihren Zustand kontinuierlich aktualisiert. Die Messwerte werden lokal an der Brücke aggregiert, anschließend gelangen sie kabelgebunden oder per Funk an zentrale Sammelstellen. Von dort werden sie an hochleistungsfähige Rechenzentren weitergeleitet, wo sie verarbeitet, archiviert und in eine Kubernetes-basierte Infrastruktur eingebettet werden.
Im Aufbau: KI-basierte Analyse
Die digitale Abbildung allein genügt aber nicht – entscheidend ist ihre intelligente Auswertung, um Schäden voraussagen und Wartungsstrategien entwickeln zu können. Künftig sollen Modelle, die mit künstlicher Intelligenz (KI) arbeiten, Muster in den Messdaten erkennen und daraus präzise Wartungsempfehlungen ableiten. Dazu zählen:
Früherkennung struktureller Veränderungen
Prognosen über Verschleißentwicklungen
Zeitliche Planung von Inspektionsintervallen
Aktuell steckt diese KI-basierte Technologie noch in der Entwicklung, insbesondere, was die große Menge an notwendigen Trainingsdaten betrifft. Erste Ergebnisse sind jedoch vielversprechend und zeigen das enorme Potenzial für präventive Wartungskonzepte auf.
Die praktische Umsetzung des Brückenmonitorings mithilfe digitaler Zwillinge ist bereits erprobt: Das Forschungsprojekt RISK.twin, gefördert durch das dtec.bw-Innovationsprogramm, verknüpft die Expertise der Universität der Bundeswehr München, des Fraunhofer IESE und von NetApp miteinander. An einer Testbrücke über die Isen bei Schwindegg in Oberbayern simulieren digitale Zwillinge reale Belastungsszenarien. Das Ziel: aus den kontinuierlich erfassten Daten zu Verkehrslasten, Dehnung und Temperatur robuste Prognosemodelle abzuleiten, die im realen Betrieb einsetzbar sind. Die technologische Grundlage dafür ist die Open-Source-Plattform Eclipse BaSyx: Als Middleware zwischen digitalen Zwillingen und der physischen Infrastruktur stellt sie sicher, dass die virtuellen Abbilder langfristig verfügbar sind und sich bei Bedarf erweitern lassen, sie verlängert also den Lebenszyklus.
Mehrwert über den gesamten Lebenszyklus
Digitale Zwillinge bieten nicht nur im Betrieb, sondern bereits in der Planungsphase messbaren Mehrwert. Über sogenannte Common Data Environments (CDE) lassen sich alle relevanten Informationen zentral speichern und miteinander verknüpfen – vom ersten Entwurf bis zum Rückbau. Ingenieure können auf der Basis realer Daten belastungsgerechte Konstruktionen entwickeln, Materialwahl und Bauverfahren präziser anpassen und kritische Faktoren frühzeitig einplanen.
Die Integration in digitale Planungsprozesse nach dem Prinzip des Building Information Modeling (BIM) sorgt dabei für konsistente Datenflüsse, reduziert Fehler und beschleunigt Prozesse. Im Betrieb werden Instandhaltungen besser planbar und alle baurelevanten Informationen sind einfacher abrufbar – etwa bei plötzlich auftretenden Schäden oder bei Genehmigungsverfahren. So werden aus statischen Brücken-Bauwerken datengetriebene Systeme – transparent über ihren Lebenszyklus hinweg.
Potenzial für nachhaltiges Infrastrukturmanagement
Digitale Zwillinge transformieren das Monitoring von Brücken zu einem proaktiven, datengestützten Prozess. Sie erlauben, den Bauwerkszustand in Echtzeit objektiv einzuschätzen, und priorisieren Wartungen nach Dringlichkeit statt nach starren Plänen. Damit tragen sie zur besseren Ressourcenverteilung bei, können langfristig Kosten durch präzisere Eingriffe senken und die Infrastruktur verfügbar und betriebssicher machen.
Digitale Zwillinge haben großes Potenzial in der Brückenwartung, ihr flächendeckender Einsatz hängt allerdings noch von verschiedenen Faktoren ab: der Standardisierung, der Skalierbarkeit der Sensorik sowie der Weiterentwicklung KI-basierter Auswertungsverfahren. Perspektivisch werden automatisierte Wartungsempfehlungen entstehen, die kontinuierlich mit den Betriebsdaten der Bauwerke mitlernen. Brücken entwickeln sich so von statischen, passiven Bauwerken zu aktiven und dynamischen Systemen, die ihren eigenen Zustand kontinuierlich aktualisieren und melden – ein wichtiger Schritt hin zu einer resilienten und redundanten Verkehrsinfrastruktur.
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