Puzzle aus Architekturbeton-Fertigteilen
Fassade der Gerätturnhalle in PotsdamDie Universität Potsdam hat ihren Sportcampus um eine neue Gerätturnhalle erweitert, die durch die polygonale Lochstruktur ihrer Fassade zu einer besonderen Architektur und Landmarke wurde. Eine Herausforderung bei der Herstellung und Montage der Betonfertigteile war die unregelmäßige äußere Form der Elemente, bei denen es keine gerade durchlaufenden Kanten und Fugen gibt.
Die Gerätturnhalle der Universität Potsdam präsentiert sich mit ihrer besonderen Fassade als individuelle Architektur mit hohem Wiedererkennungswert. Oder etwas weniger streng formuliert: Es ist ein prägnanter Hingucker entstanden
© Andreas Schwarz
Die Fassade des Neubaus am alten Luftschiffhafen in Potsdam lässt Raum für sehr verschiedene Assoziationen: Manche denken an das Fell einer Giraffe, andere sehen eher Glasscherben oder auch Teile eines überdimensionalen Puzzles. Doch wofür auch immer man sich entscheidet, die Vielfalt der Möglichkeiten beweist, dass die neue Gerätturnhalle der Universität Potsdam ein markantes Bauwerk mit hohem Wiedererkennungswert geworden ist, das zur inhaltlichen und ästhetischen Auseinandersetzung einlädt.
Die Expressivität der Gebäudehülle entsteht nicht nur durch die polygonale Lochstruktur, sondern auch durch das bewusst gewählte unregelmäßige Plattenformat
© Andreas Schwarz
Genau dies entspricht auch der Intention des Leipziger Architekten Anuschah Behzadi, der für die Sport-ausbildung der Lehramtsstudiengänge eine architektonisch „eigenständige Adresse“ auf dem schon seit 1924 als Sportpark dienenden Gelände schaffen wollte. Die expressive Fassade, mit dem teils nur angedeuteten, teils aber auch vollständig „durchgestanzten“ Lochbild, setzte die GBJ Geithner Betonmanufaktur Joachimsthal GmbH mit Betonfertigteilen um. Das auf Architekturbeton- und Sichtbeton-Fertigteile spezialisierte Werk im brandenburgischen Ziethen verwirklichte dabei nicht nur die Idee der Aussparungen und Einprägungen innerhalb der Fläche, sondern auch die sehr konkreten Vorstellungen des Architekten zur äußeren Form der Elemente. Es handelt sich nicht um klassisch-rechteckige Fassadenplatten, sondern um ein ungewöhnliches Zick-Zack-Muster sowohl in den vertikalen als auch in den horizontalen Fugen. Zur Herausforderung wurde dadurch die Anordnung der Befestigungspunkte, aber auch die Montage der Fertigteile. Sie konnten nicht wie gewohnt von oben eingeschwenkt werden, sondern wurden von vorn in ihre Position geschoben – was dann tatsächlich an ein Puzzle erinnert.
Fassade mit lichttechnischer Funktion
Die Gerätturnhalle entstand auf einer unregelmäßigen Grundfläche mit maximalen Abmessungen von rund 62 x 53 Metern. Auf 3324 Quadratmetern Bruttogeschossfläche befinden sich heute die namensgebende Haupthalle für den Gerätesportbereich sowie zwei kleinere sogenannte Mattenhallen für die Gymnastik. Ein Anbau an die leicht gegeneinander versetzt angeordneten Hauptbaukörper bildet die Eingangssituation und nimmt darüber hinaus den Kraftsportbereich, Büros sowie die Dusch-, Umkleide- und Technikräume auf. Während der Anbau vom großzügig verglasten Foyer und tragenden Stahlbeton-Außenwänden geprägt ist, wurden die Hallen als Skelettkonstruktion aus Stahlbeton-Kragstützen und Stahl-Fachwerkbindern errichtet. Der Raum zwischen den Stützen ist im Sockelbereich mit Kalksandstein-Mauerwerk ausgefacht. In den Hauptflächen befindet sich jedoch vertikal orientiertes Profilbauglas, welches in Kombination mit den Lichtbändern im Dach für eine weitgehend natürliche Belichtung der Turnhallen sorgt.
Die Eingangssituation der Geräteturnhalle mit dem großzügig verglasten Foyer rechts und dem links anschließenden Anbau mit den Funktionsräumen
© Andreas Schwarz
Das eingesetzte Profilbauglas zeichnet sich durch seine transluzente Durchsichtscharakteristik aus, die eine direkte Sonneneinstrahlung wirksam abschirmt und damit unerwünschte Blendwirkungen innerhalb der Halle unterbindet. Gerade beim Geräteturnen ist eine gleichmäßige, kontrastarme Lichtverteilung essenziell, um irritierende Lichtwirkungen zu vermeiden. Nur so können Athletinnen und Athleten Distanzen und Positionen etwa zu Holmen oder Reckstangen jederzeit zuverlässig und sicher wahrnehmen.
Das spezifische Lochmuster der Betonfassade vor der Verglasung reduziert die direkte Sonneneinstrahlung in den Hallen zusätzlich. Dies ist sowohl ästhetisch als auch funktional vorteilhaft. Es handelt sich also nicht nur um eine architektonische Idee, sondern auch um eine technische Funktionalität, die eine präzise Verteilung und Intensität des Tageslichts ermöglicht.
Schalungsglatte Oberflächen mit sorgfältiger Farbabstimmung
Die architektonisch und funktional anspruchsvoll gestalteten Fertigteile der Fassade erforderten eine intensive konzeptionelle und gestalterische Vorbereitung. Ein erheblicher Teil der rund zweijährigen Projektdauer, von der Auftragserteilung bis zum Abschluss der Montage, entfiel auf die detaillierte Planung, präzise Abstimmung und vielschichtige Musterentwicklung, die in enger Zusammenarbeit zwischen Bauherr, Architekt, Denkmalpflege und der Geithner Betonmanufaktur erfolgten.
Die Nahansicht aus schrägem Blickwinkel zeigt, dass es sich tatsächlich um schalungsglatten Beton mit gewissen Unregelmäßigkeiten handelt. Bei normalem Betrachtungsabstand ergibt sich jedoch ein sehr hochwertiges und homogenes Bild
© Andreas Schwarz
Ein zentrales Thema war dabei die Farbgebung der Fassade: Während zunächst ein heller Weißbeton vorgesehen war, sprach sich die Denkmalpflege aufgrund der in Sichtweite befindlichen, historischen Villa Carlshagen für eine zurückhaltendere, dunklere Tonalität aus, um eine visuelle Dominanz des Neubaus zu vermeiden. In einem intensiven Prozess kristallisierte sich schließlich ein beigegrauer Farbton mit einem dezenten rötlichen Akzent als tragfähiger Kompromiss heraus.
Auf Basis dieser Rezeptur fertigte die Geithner Betonmanufaktur ein Musterelement, welches über seine Bemusterungsfunktion hinaus in das Bauwerk übernommen wurde. Gemeinsam entschieden sich die Beteiligten für eine Oberflächengestaltung in schalungsglatter Ausführung, konsequent ohne nachträgliche Bearbeitung.
In der Nahansicht und insbesondere bei schrägem Betrachtungswinkel lassen sich leichte Farbabweichungen erkennen, die auf die jeweiligen Witterungsbedingungen beim Betonieren und Ausschalen zurückzuführen sind. Die Fassade erhält dadurch eine ehrliche und lebendige Anmutung. Bereits aus kurzer Distanz und im normalen Betrachtungsabstand überzeugt der Beton durch eine gewollt homogene und weitgehend geschlossenen Oberflächenansicht.
Herausforderung für den Bewehrungs- und Formenbau
Parallel zu den externen Abstimmungen zwischen Denkmalschutz und Architekturbüro fanden bei der Geithner Betonmanufaktur im Werk intensive Vorbereitungen für den Bewehrungs- und Formenbau statt. Die zickzackförmige Außenkontur und polygonale Geometrie der Platten stellten eine besondere Herausforderung dar, da sie kaum über gerade Kanten verfügten. Dies bedeutete nicht nur einen hohen Aufwand im Schalungsbau, sondern auch beim präzisen Einmessen von beispielsweise Aussparungen und Einbauteilen. Für den Bewehrungsbau wurde eigens für dieses Projekt eine Laserprojektionsanlage installiert, die die Geometrie der Fertigteile direkt aus den digitalen Planungsdaten auf die Arbeitsfläche projizierte. So konnten sowohl die Außenkonturen als auch die Positionen der polygonalen Vertiefungen und Öffnungen präzise und eindeutig nachvollzogen werden. Eine besondere Herausforderung bestand in der gezielten Ableitung der Lasten durch die verbleibenden filigranen Stege zu den vorgesehenen Aufhängepunkten. Diese konstruktive Aufgabe wurde durch den Einsatz einer durchgehenden Bügelbewehrung gelöst, die eine sichere und kontinuierliche Lastabtragung gewährleistet.
Die Fassadenplattenanker konnten nur dort gesetzt werden, wo die Zick-Zack-Linie der Plattenkante deckungsgleich mit den dahinterstehenden geraden Stützen verläuft
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Während der Bewehrungsbau noch mit der Vorbereitung der notwendigen Öffnungen beschäftigt war, bereitete der Formenbau diese vor. Da jedes Betonfertigteil liegend und negativ, also mit der Außenseite nach unten, gefertigt wurde, ließen sich die Vertiefungen durch eine Aufdopplung der Schalung realisieren. Die Aussparungen wurden mit Stahlformteilen und einer leichten Phase mit einem Radius von nur 3 Millimetern an den Kanten erstellt. Die präzise und scharfkantige Optik des Gebäudes ist maßgeblich auf diese Technik zurückzuführen. Sie trägt in entscheidendem Maße zum architektonischen Eindruck bei. Verglichen mit dem aufwändigen Schalungs- und Formenbau verlief das spätere Betonieren der Fertigteile routiniert. Die Geithner Betonmanufaktur verfügt über jahrzehntelange Erfahrung in der Herstellung von hochwertigen Oberflächen im Bereich Architektur und Sichtbeton. Das Unternehmen bietet sowohl schalungsglatte als auch nachbehandelte Oberflächen in herausragender Qualität an.
Individuelle Architektur mit Serienfaktor
Insgesamt wurden für das Projekt „Gerätturnhalle Potsdam“ 320 Betonelemente gefertigt. Die anspruchsvolle Form und speziell die Aussparungen prädestinierten in technischer Hinsicht eindeutig die Fertigteilbauweise. Trotz der sehr abwechslungsreichen und mit jedem Blickwinkel immer wieder neuen Ansicht der Fassade gibt es bestimmte, sich wiederholende Motive im Lochbild, wodurch die mehrfache Verwendung von einmal gebauten Schalungen möglich wurde. Die Elemente der Hauptfassade mit und ohne polygonaler Lochstruktur weisen eine Stärke von 12 Zentimetern auf, sind im Standardmaß 6 Meter breit und 3,60 Meter hoch. Die oberste Reihe erreicht aufgrund der bereits angeformten Attika eine Höhe von 3,80 Metern.
Die Aussparungen entstanden mit Stahlformteilen und bilden trotz leichter Phase ein präzises und scharfkantiges Lochbild
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Während die Elementgewichte von bis zu 5,5 Tonnen keine besondere Herausforderung darstellten, verhielt es sich mit der Logistik der polygonalen Fertigteile gänzlich anders. Um eine stabile Lagerung und einen sicheren Transport zu gewährleisten und Beschädigungen der Fertigteile zu vermeiden, mussten speziell auf die Kubatur angepasste Unter- und Auflagerungskonstruktionen gefertigt werden. Der Transport der Fertigteile erfolgte mithilfe sogenannter Innenladerfahrzeuge.
Gezackte Elemente in geraden Stützen verankert
Neben der unregelmäßigen Geometrie der Fertigteile wirkte sich auch die Ausführung des Rohbaus als Skelettkonstruktion auf die Durchbildung der Befestigungslösung aus. Zum einen standen ausschließlich die schlanken Stahlbetonstützen der Hallenkonstruktion als Verankerungsgrund zur Verfügung, zum anderen konnten Befestigungspunkte nur dort angeordnet werden, wo das jeweilige Fertigteil mit seiner unregelmäßigen Plattenkante die Stahlbetonstütze ausreichend überdeckte.
Am Ende des Prozesses musste zudem das bereits erwähnte Puzzle-Problem gelöst werden, da sich die Fassadenelemente aufgrund ihrer Verzahnung nicht wie bei einer Vorhangfassade üblich, vertikal von oben mit dem Kran einbringen ließen. Stattdessen mussten sie horizontal von vorn in ihre Einbaulage verbracht werden, was speziell an den Innenecken der Fassade eher einer feinmechanischen Arbeit als einer Betonfertigteilmontage glich. Aufgrund dieses Umstandes war es nicht möglich, die Fertigteile miteinander zu verstiften. Jedes Element ist in Folge so konzipiert, dass es vollständig eigenständig vor der Konstruktion hängt. Die Fugen blieben offen.
Die Fertigteile wurden bei der Montage von vorn eingeschoben, was speziell an den Innenecken viel Präzision und Fingerspitzengefühl erforderte
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Schlanke Lösung für den Anbau
Der Anbau mit seinen tragenden Stahlbetonwänden wurde mit einer farblich abgestimmten Vorhangfassade aus dünnwandigen, textilfaserbewehrten Betonfertigteilen verkleidet.
Im Hinblick auf den Fertigteilbau war dies eine eher einfache Übung, bei der die Geithner Betonmanufaktur jedoch einen anderen Aspekt ihrer speziellen Kompetenz unter Beweis stellte.
Denn die Elemente der Vorhangfassade sind lediglich 40 Millimeter dick und öffnen mit dieser geringen Dimension Architekten Wege zu sehr schlanken Wandaufbauten in Verbindung mit einer Betonvorhangfassade. Möglich wird die geringe Elementdicke durch die korrosionsbeständige, textile Bewehrung der Fertigteile und den vollständigen Verzicht auf Stahl – wodurch die sonst erforderliche Betonüberdeckung des Bewehrungstahls entfällt. Diese innovative Detaillösung ist dem fertigen Gebäude jedoch kaum anzusehen. Blickfang der Gerätturnhalle bleibt die Hauptfassade mit der polygonalen Lochstruktur, die neben ihrer ästhetischen Qualität und der lichttechnischen Funktion für das Geräteturnen im Inneren auch nach außen Lichteffekte hervorruft. Denn bei Dunkelheit und eingeschalteter Hallenbeleuchtung entsteht für die Vorbeigehenden eine sehr individuelle und ausdrucksstarke Lichtskulptur. Selbst nachts bildet das Gebäude also die vom Architekten angestrebte „eigenständige Adresse“ auf dem Campus am alten Luftschiffhafen.
Rechts im Bild schließt der Anbau an den Hauptbaukörper an. Er erhielt eine farbgleiche Vorhangfassade aus nur 4 Zentimeter dicken textilbewehrten Fertigteilen
© Andreas Schwarz
GBJ Geithner Betonmanufaktur Joachimsthal GmbH
Projekt: Neubau einer Geräteturnhalle für die Universität Potsdam
Gesamtbauzeit: 09/2017 bis 09/2020
Architektur: Behzadi + Partner Architekten BDA, Leipzig; www.behzadiarchitekten.de
Betonfertigteile: GBJ Geithner Betonmanufaktur Joachimsthal GmbH, Ziethen; www.geithnerbau.de/architekturbeton