„Bei Stuttgart 21 haben
wir unglaublich viel gelernt!“

TPH - Spezialanwendungen für den Tief- und Tunnelbau

Spezialanwendungen für den Tief- und Tunnelbau prägen das Kerngeschäft der TPH Bausysteme GmbH aus Norderstedt. THIS sprach mit Götz Tintelnot, dem
geschäftsführenden Gesellschafter.

THIS: Herr Tintelnot, würden Sie für unsere Leser bitte das Produktportfolio der TPH Bausysteme für den Tief- und für den Tunnelbau schildern?

Götz Tintelnot: Die wesentlichen Schwerpunkte liegen bei TPH – neben dem Thema der Bauwerksanierungen und der Fugenabdichtung – derzeit in der Entwicklung von Systemen, um Tunnel- und Tiefbauinjektionen in Bezug auf deren Stabilität weiter zu verbessern. Hier möchten wir nicht nur neue Systeme entwickeln, sondern auch bestehende Systeme kontinuierlich weiter verbessern. Dies war nicht immer im Fokus des Unternehmens. Mein Großvater hat 1965 ein Unternehmen für die Herstellung zementöser Abdichtungen gegründet. Unternehmenszweck war damals die Herstellung mineralischer Dichtungssysteme sowie von bituminösen Dichtungssystemen – also Bitumenbahnen, Bitumenanstriche usw. In den 1970er Jahren sind wir dann mit Produkten für die Weiße Wanne gestartet. Gegen Mitte/Ende der 1970er Jahre begannen wir mit der Entwicklung erster Injektionsstoffe zum Verfüllen von Rissen im Stahlbeton. Darauf folgten innen liegende Abdichtungssysteme. Heute würde man sagen nach WU-Richtlinie. Diese Produkte bildeten den Grundstein für Anwendungsbereiche im Tiefbau. Hier liegen unsere Schwerpunkte heute auf dem Verfestigen und Verfüllen geologischer Formationen, von Wassereinbrüchen sowie auf der Erhöhung von Tragfähigkeiten.

THIS: Und im Tunnelbau?

Götz Tintelnot: Im Tunnelbau kommen noch weitere Dichtungssysteme hinzu, die für den Bereich Tübbing-Innenschale einzusetzen sind, wie zum Beispiel Kleberanschlusssysteme. Es gibt seit einigen Jahren die Möglichkeit geprüft Dichtungsbahnen, Dichtungssysteme, also Tunneldichtungsbahnen durch Verkleben anzuschließen. Da diese Verklebungen natürlich genauso druckwasserdicht sein müssen wie die Bahn selber, können die Systeme, die wir ursprünglich zum Abkleben von Arbeitsfugen entwickelt haben, hier auch eingesetzt werden. Solche Systeme kommen als Anschluss für die Tunneldichtungsbahnen zunehmend ins Gespräch. Hier entstehen ganz neue Möglichkeiten in der Anwendung. In Deutschland laufen derzeit relativ viele Tunnelbauvorhaben im klassischen bergmännischen Vortrieb, die mit Dichtungsbahnen abgedichtet werden. Darüber hinaus bieten wir die Injektionsschläuche mit an sowie Fugenbandsysteme. Hinzu kommen noch klassische Produkte für die Betondichtung, also auch wieder Fugenbänder, Fugenbleche, Quellbänder usw.

THIS: All das hört sich nach einer sehr intensiven Forschungs- und Entwicklungsarbeit an.

Götz Tintelnot: Ja, eine kontinuierliche Forschungs- und Entwicklungsarbeit ist für TPH eine Art von Lebensformel. An dieser Stelle pflegen wir auch enge Kooperationen mit Universitäten und Hochschulen, um baustofftechnologische Entwicklungen im Tief- und Tunnelbau entscheidend mit voranzutreiben. Ich denke hier etwa – wie schon eingangs erwähnt – an die Herstellung von tragfähigen Körpern im Boden durch Injektionsverfahren, Legungsverfahren oder Dichtungsverfahren. Diese werden oftmals bislang mit Zementinjektionen, Wasserglasinjektionen oder auch mit Vereisung hergestellt, können heute aber auch durch effizientere und auch umweltfreundlichere Verfahren ersetzt werden.

THIS: Noch effizienter, aber auch umweltfreundlicher – sind das die beiden wichtigsten Faktoren? Götz Tintelnot: Beides spielt – neben weiteren Faktoren – eine sehr wichtige Rolle. Umweltfreundlichkeit ist gerade für die Bauchemie ein wichtiger Aspekt. Chemie befindet sich per se immer unter dem Verdacht, nicht allzu umweltfreundlich zu sein. Insofern müssen wir also immer auch aus eigenem Interesse den Beweis mitführen, dass unsere Produkte einen nur sehr geringen oder gar keinen Einfluss auf die umgebende Umwelt haben oder sogar tatsächlich umweltfreundlicher sind als die bisherigen Zementverfahren. Hier denke ich z.B. beim Zement an den direkten Kontakt mit Grundwasser. Oder bei Wassergläsern kennt man den Effekt eines sehr hohen Eintrags von pH-Werten, was zum Lösen und zum Mobilisieren von Schwermetallen im Boden führt, die dort – je nach Vorgeschichte des Bodens – biogen vorhanden sind. Bei der Beurteilung der Umweltverträglichkeit von Baustoffen und Verfahren sind noch weitere ökologische Faktoren mit in das Gesamtbild einzubeziehen: nehmen Sie den Energieeintrag bei der Herstellung von Zement sowie den Transport- und Logistikaufwand, wenn große Mengen Zement in enge Innenstadtlagen transportiert werden müssen. In vielen großen Städten wird derzeit jede verfügbare Baulücke geschlossen. In solchen Lagen werden die Bedingungen für die Erstellung einer Baugrube umweltrechtlich, grundwasserrechtlich und auch unter statischen Gesichtspunkten zunehmend komplexer. Hier stoßen konventionelle Verfahren doch immer wieder an ihre natürlichen Grenzen.

THIS: Ist die Interaktion mit dem Markt bei TPH die wichtigste Grundlage für neue Baustofflösungen?

Götz Tintelnot: Es gibt faktisch nur die Möglichkeit mit dem Markt in Interaktion zu treten und Systemlösungen dann auf der Grundlage dieses fachlichen Austauschs zu entwickeln. Vielleicht funktioniert es im Hochbau, einfach ein Produkt herzustellen und dieses dem Markt dann zur Verfügung zu stellen. Im Tief- und im Tunnelbau sieht die Welt ganz anders aus. Hier sind die Gegebenheiten oftmals zunächst unklar und viel zu komplex. Somit ist es dringend notwendig, dass unsere Anwendungstechnik beratend vor Ort aktiv ist, um gemeinsam mit dem bauausführenden Unternehmen zunächst die Bausituation seriös zu analysieren, um gemeinsam Lösungsvorschläge zu finden und konkret umzusetzen.

THIS: Wie wichtig ist es ein ganzes Produktsystem anzubieten, um einen gesamten Problemkomplex lösen zu können?

Götz Tintelnot: Ja. Das ist sehr wichtig. Besonders im Tunnelbau und im Spezialtiefbau ist es aufgrund der gerade beschriebenen Komplexität solcher Baumaßnahmen entscheidend, über ein gesamtes Baustoffsystem zu verfügen. Wir befinden uns hier stets vor der Herausforderung, aus mehreren – teilweise unbekannten  Variablen – eine sinnvolle Gleichung zu erstellen. Dies erfolgt in Interaktion mit dem Planer, dem Gutachter und allen an der Baumaßnahme Beteiligten. Hier sind wir als Hersteller in der Pflicht, mit unserem Baustoffsystem den Lösungs- und Verarbeitungsprozess ganzheitlich zu begleiten. Hierzu gehört es auch oftmals, die benötigten Pumpen, Ersatzteile, Schläuche, Lanzen und das gesamte Equipment bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen.

THIS: Wie intensiv sind Sie bereits in den Planungsprozess involviert?

Götz Tintelnot: Oftmals leider zu wenig. Wir würden gerne früher einsteigen, weil ein rechtzeitiges Eingreifen vielfach kostengünstigere und bessere Lösungen bietet. Denn das Eingreifen zum Zeitpunkt einer Havarie ist sehr teuer und aufwändig. Hier entstehen hohe Kosten, die bei sorgfältiger Planung hätten vermieden werden können. Wir befinden uns derzeit mit der Österreichischen Bahn in einer sehr konstruktiven Diskussion, in der es darum geht, Ausschreibungen so zu gestalten, dass der gesamte Themenkomplex von Injektionen im geologischen Bereich im Vorfeld adäquat berücksichtigt wird. Hier sollten sich Planer zumindest ausreichend beraten lassen. Ausschreibungen aber beschreiben vielfach einen standardisierten Bauprozess. Damit gehen sie nicht auf die individuellen Gegebenheiten aller relevanten Rahmenbedingungen ein. Oftmals handelt es sich hierbei auch um eine Frage der Vergütung. Bei einer Standardvergütung wird auch nur Standard ausgeschrieben. Dies führt zu Problemen, da dringend notwendige Risikoabsicherungen nicht vorgenommen werden.

THIS: Ich hätte vermutet, dass die Kommunikation zwischen den entscheidenden Schnittstellen hier besser funktioniert.

Götz Tintelnot: Das gesamte Feld und die Leistungsfähigkeit der Injektionstechnologie ist vielen am Bau Beteiligten nicht in ausreichendem Maße bekannt. Hier spreche ich von Injektionen aller Art, also von Injektionen mit herkömmlichen Produkten wie Zementen oder Vereisungen, Wassergläser oder eben chemische Injektion. Gerade bei chemischen Injektionen geht man vielfach davon aus, dass diese Technologie sehr teuer ist und erst einmal nicht benötigt wird. Dass aber das vorauseilende Planen solcher Maßnahmen durchaus sehr sinnvoll sein kann, erlebt man bei sehr vielen Bauvorhaben. Kein Hersteller von Maschinen- und Gerätetechnik im Vortrieb und auch kein Planer könnte ernsthaft behaupten, dass er diese Technologie noch nie benötigt hätte. Bodengutachten und geologische Gutachten erfassen zumeist nicht den kompletten Tunnelquerschnitt. Die detektierten Bereiche erlauben zumeist keine Aussage über die geologische Gesamtsituation. Es geht an dieser Stelle aber darum, Hinweise bereits im Vorfeld so genau zu berücksichtigen, um ggfs planerische Eingriffe in Bezug auf eine vorauseilende Verfestigung vorzunehmen, um eine spätere Havarie schon in der Planungsphase auszuschließen. Wenn wir im Havarie-Fall ganz schnell anrücken müssen, wird das zumeist teuer. Leider ist die Interaktion zwischen Gutachtern, Planern, ausschreibenden Stellen, Bauherren, ob behördlich oder privat, und letztlich den Bauunternehmern am Ende des Tages nicht so gut, wie sie sein könnte.

THIS: Könnte BIM diese Interaktion verbessern? Wie beurteilen Sie den Nutzen von BIM für den Tief- und Tunnelbau?

Götz Tintelnot: Das Bildverfahren ist tatsächlich hochgradig interessant. Das halte ich für ein absolut zukunftsträchtiges Thema. Aber, wie bei allen Dingen; die plötzlich als großer Hype erscheinen, muss man vielleicht etwas mehr in die Tiefe schauen. BIM bietet Möglichkeiten und Chancen, hat meines Erachtens aber auch gewisse Grenzen. Hier zum Beispiel bei der Beschreibung eines Tunnels. Der Tunnel wird in der Modulation als eine lange Röhre dargestellt. BIM wird mir aber eine geologische Störung nicht unbedingt voraussagen, sondern BIM wird mir die Abläufe im Hochbau oder im Baufortschritt zeigen und wird meine Koordinationsfehler aufzeigen sowie Versäumnisse und Mängel aufdecken: Ich glaube nicht, dass der Tunnelbau schon so weit ist, dass das BIM-Verfahren als generelle Lösung angesehen werden kann. Als Zusatzinformation sicherlich sehr spannend. Und einen weiteren Aspekt halte ich noch für entscheidend: BIM ist nur dann interessant, wenn ich das gesamte Gefüge der Baustelle, der Ausschreibung, auch der Vergabe und auch der VOB nach BIM anpasse. Wenn ich aber die deutsche VOB oder die deutsche Vergabepraxis betrachte, dann sehe ich eine gewisse Interessenkollision mit BIM, da BIM schonungslos alles offenlegt. Durch BIM entsteht an dieser Stelle dann auch eine monetäre Transparenz, die vielleicht – blickt man auf das ein oder andere bundesdeutsche Großprojekt – in der Form gar nicht politisch gewollt ist. Hinzu kommt noch: wenn ein Bauunternehmen ein Angebot in Form einer BIM-Modulation abgibt, ist somit das letzte Instrument der Bauunternehmen, Geld zu verdienen, nämlich der Nachtrag, gestorben. Wenn ich also ein so spannendes Werkzeug wie BIM in der Hand habe, müssen auch die richtigen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden.

THIS: Wie setzen Sie sich als Unternehmer mit dem gesamten Thema der Digitalisierung auseinander?

Götz Tintelnot: Hier können wir nur Schritt halten, wenn wir unsere Produkte so weit digitalisieren, dass wir sie auch in ein BIM-System implementieren können. Das heißt, das System muss unsere Produkte und deren genaue Einstufung und Beschreibung erkennen können. Diese Informationen müssen als Dateien digital zur Verfügung stehen, damit der BIM-Planer diese sichtbar machen kann. Diesen Schritt können wir einfach umsetzten. Hierbei ist dann aber wieder die Beratung des Planers oder der ausschreibenden Stelle entscheidend, denn mit dem Produkt als solchem kann er wenig anfangen. Er muss ja wissen, in welcher Menge und wo diese Produkte platziert sind. BIM hat viele Vorteile, aber die Beratung wird eher intensiver. Für den gesamten Bereich der Digitalisierung 4.0 stelle ich stets die Frage, wo sind die – wie man so schön sagt – Essentials? Was ist hilfreich und was kann ich verwerten und was ist für mich eher hinderlich? Aber natürlich müssen wir uns mit diesen neuen Technologien beschäftigen, es wäre töricht es nicht zu tun. Digitalisierung ist kein Trend, Digitalisierung ist eine Tatsache.

THIS: Wie viele Mitarbeiter hat TPH weltweit?

Götz Tintelnot: Wir liegen mit allen Mitarbeitern und Assoziierten bei rund 100 Mitarbeitern. Etwas mehr, vielleicht 105.

THIS: Wo liegt der Jahresumsatz?

Götz Tintelnot: Im Bereich der Bauchemie bei 12 Millionen Euro.

THIS: In welchen Märkten ist TPH aktiv?

Götz Tintelnot: Wir haben eine ganz spannende Mischung von Märkten. Der europäische Binnenmarkt ist eines unserer Hauptziele. Aber auch das außereuropäische Ausland bietet sehr spannende Märkte für uns, z.B. Russland. Ein sehr schwieriger Markt, der aber durchaus hohes Potential bietet. Neben Russland ist der Nahe Osten für uns sehr interessant – und hier nicht nur Dubai. Der Markt in Dubai hat seine Glanzzeiten erlebt und lebt derzeit eher von der Sanierung als vom Neubau. Auch Saudi-Arabien, der Oman, der Jemen, Katar oder der Iran und der Irak bieten als Märkte ein sehr hohes Potential. Immer schon. Was haben wir noch? In Nordafrika sind wir tätig. Und wir haben ein zunehmendes Geschäft in Nord- und Südamerika, das sich in den letzten ein, zwei Jahren gut entwickelt hat.

THIS: Ich würde gerne nochmal auf das ein oder andere Leuchtturm-Projekt zu sprechen kommen.

Götz Tintelnot: Wie viel Zeit haben wir? Eines meiner Lieblingsprojekte ist in der Tat Stuttgart 21. Da haben wir sehr viel Vorarbeit geleistet, aber auch bisher sehr schöne Erfolge in Form von Verkäufen erzielt. Wir haben hier viele Injektionsstoffe zur vorauseilenden Abdichtung und Verfestigung geliefert, auch bei der Erstellung von Dammringen waren unsere Produkte im Einsatz. Dieses Projekt ist in der Tat hoch komplex. Das liegt nicht zuletzt auch an der großen Vielzahl von Experten, die an dem Projekt beteiligt sind – Gutachter, Planer, Bauherren. Und auch der Baugrund ist hoch problematisch. Und zwar mehr als man sich das vorstellen kann. Hier ist es in jedem Fall die Interaktion mit allen am Bau Beteiligten, die uns dort einen gewissen Erfolg beschert hat. Das reine Anbieten und Liefern von Kanistern hätte so niemals funktioniert.

THIS: Sie konnten hier mit dem kompletten Know-how von TPH und einem guten Netzwerk tätig werden?

Götz Tintelnot: Wir konnten unsere Produkte speziell auf die Anforderungen der Baustelle abstimmen und konnten über entsprechende Prüfungen und Zulassungen die Tauglichkeit dieser Produkte zweifelsfrei nachweisen. Das war die halbe Miete. Darüber hinaus verfügen wir über ein sehr gutes Netzwerk im Unternehmen. Das hat uns ebenfalls sehr geholfen. Das Beste an Stuttgart 21 ist vielleicht, dass wir bei diesem Projekt auch unglaublich viel gelernt haben, was uns in Zukunft weitere Türen zu großen Projekten öffnen wird.

THIS: Was genau meinen Sie damit, dass Sie viel gelernt haben?

Götz Tintelnot: Nehmen wir zum Beispiel das Thema der Anwendungstechnik. Wir sind noch nie mit unserer Anwendungstechnik so tief in ein Bauvorhaben eingestiegen und haben so intensiv beraten und unterstützt. Und über dieses hervorragende Beratungs-Know-how verfügen wir jetzt nicht zuletzt deshalb, weil wir es da machen mussten. Weil es gefordert war. Insofern ist es eine enorme Lernkurve, die wir dadurch gefahren haben. Und was dazu kommt: man muss an einem solchen Projekt ständig nacharbeiten. Das Ganze hört erst auf, wenn das Projekt abgeschlossen ist, vorher nicht. Im Rahmen solcher Projekte sind eine jahrelange Vorarbeit sowie eine jahrelange begleitende Bauberatung notwendig. Wir kriegen fast täglich Anforderungen, Anfragen, Unterstützungsanfragen für diese Baulose bei S 21 – das hört nie auf. Bis alle Bahnen fahren wird es nicht aufhören. Deswegen auch diese Lernkurve. Dieses Projekt ist für die Weiterentwicklung des Unternehmens in den nächsten fünf bis zehn Jahren ganz ausschlaggebend.

THIS: Konnten Sie das mit dem vorhandenen Personal

stemmen?

Götz Tintelnot: Wir mussten unsere Firma personell so verstärken, damit wir in der Lage waren, all das abzuarbeiten. Denn der normale Betrieb läuft ja weiter. Tatsächlich wären wir vor zehn Jahren nicht in der Lage gewesen, ein Projekt wie Stuttgart 21 zu stemmen. Heute sind wir dazu in der Lage, auch mehrere solcher Projekte gleichzeitig zu bearbeiten. Das tun wir ja auch. In Karlsruhe arbeiten wir derzeit an dem Druckluftvortrieb. Auch dieses Projekt ist eine sehr große Herausforderung. So viel ich weiß, hat man bislang noch nie einen Druckluftvortrieb mit Acrylatgel stabilisiert und abgeichtet. Dieses Thema verfolgen wir bei TPH mit großer Intensität: die Nutzung von Acrylatgel als Injektionsmaterial im Grund und Boden. Die hier vorhandenen Möglichkeiten sind bislang noch weitestgehend nicht ausgeschöpft. Man kann mit diesem Stoff – anders als mit Zement – noch viel mehr machen, weil es sich besser einstellen lässt auf die Gegebenheiten vor Ort. Von sehr weich und abdichtend bis sehr fest und stabilisierend ist das System Acrylatgel sehr variabel. Das ist auch ein großes Thema für unsere Entwicklungsabteilung.

THIS: Was sind weitere Entwicklungsschwerpunkte bei TPH? 

Götz Tintelnot: Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit dem Ersatz von Wasserglassystemen. Es wird tatsächlich an dem Ersatz von Wasserglas – im Prinzip Silikagel – gearbeitet, weil wir der Meinung sind, dass der pH-Wert auch der modernen Systeme zu hoch ist.

THIS: Im Bereich der Baugrubenabdichtung?

Götz Tintelnot: Ja, genau. Die klassische Weichgelsohle ist wieder zunehmend ein Thema. Sie lag einige Jahre ein bisschen danieder. Lange Zeit hat man verstärkt mit dem Düsenstrahlverfahren gearbeitet – also zementös – wobei das eine gewisse Umweltproblematik birgt. Hier bringt man direktverflüssigten Zement mit recht hoher Alkalität in den Bau ein. Das ist noch viel umweltproblematischer als die Weichgelsohle. Aber die Weichgelsohle kommt eben auch wegen des besseren Handlings wieder deutlich in Mode und wird bei allen großen Tiefbauern im Moment nachgefragt und entwickelt. Ich bin der Meinung, dass es an der Zeit ist, ein Alternativsystem zu entwickeln, das über einen neutralen pH-Wert verfügt. Gerade im Bereich der zunehmenden Innenstadtbebauung müssen wir dringend den ph-Wert solcher Systeme senken. Das gilt in gleicher Weise für mineralische Systeme. Das ist ein wichtiges Zukunftsthema, dem wir uns als Baustoffindustrie dringend stellen müssen.

THIS: Wie reagiert eine eher konservative Branche auf so hochinnovative Ideen?

Götz Tintelnot: Mit freundlichem Interesse, aber großer Zurückhaltung. Chemische Systeme werden eh immer etwas kritisch beäugt, da sie zunächst teurer erscheinen als zementöse Systeme. Aber chemische System bergen sehr viele Möglichkeiten. Sie können immer dann punkten, wenn nicht einfach Kanisterware geliefert wird – hier kommt wieder die Interaktion ins Spiel – sondern komplette Systeme geliefert werden, die so weit erkundet sind, dass sie als geprüftes Gesamtsystem gelten können und auch numerisch und statisch berechenbar sind. Dann werden Ingenieurbüros chemische Systeme freiwillig ausschreiben, da ihr technischer Nutzen in Bezug auf die Kosten, die Umweltverträglichkeit und das Handling auf der Baustelle klar erkennbar ist. Dann wird auch klar, dass sie effektiver sind als herkömmliche Systeme. Es geht darum, schnelle Bauweisen umzusetzen, die möglichst logistikfreundlich und umweltschonend realisiert werden können. Dann kann ich mit Chemie tatsächlich Punkten.

THIS: Wie sieht es mit der Langzeitbetrachtung und Dauerhaftigkeit chemischer Baustoffsysteme aus?  

Götz Tintelnot: Ja, Dauerhaftigkeit ist ein sehr wichtiger Punkt. Gerade im Verkehrswegebau sind 100 Jahre Lebensdauer von Bauwerken Standard. In Österreich wird sogar seitens der österreichischen Bahn mittlerweile von 120 Jahren gesprochen. Wir haben bereits sehr früh – 1989 – damit begonnen, uns zu diesem Thema Gedanken zu machen. Damals haben wir beim MFPA Leipzig Produktproben im Erdreich eingelagert, ein sogenannter Auslagerungsversuch. Alle 5 Jahre werden diese Produkte mechanisch und chemisch begutachtet, um die Dauerhaftigkeit im Einbauzustand laborbegleitend zu dokumentieren. Auf Grundlage dieser Laborreihen verfügen wir über einen Vorsprung, der von keinem Marktbegleiter eingeholt werden kann. Diese 18 Jahre kann uns keiner mehr nehmen. Andere könnten vielleicht innovativer sein, aber sie können nicht dauerhafter sein. Hier konnten wir Erkenntnisse gewinnen, die für komplizierte Bauvorhaben hoch interessant sind. Wir haben unter weitestgehend realistischen Bedingungen Erkenntnisse über die Nutzungsdauer unserer Produkte erhalten. Wie lange kann ich das Produkt unter den angegebenen versprochenen Bedingungen wirklich nutzen? So haben wir zum Beispiel in der aktuellen Versuchsreihe festgestellt, dass die bei Gelen natürlichen Quell- und Schrumpfzyklen keine Veränderung oder Verringerung der mechanischen Stabilität hervorrufen. Das war für uns auch erstaunlich.

THIS: Wie gehen Sie mit solchen Ergebnissen um?

Götz Tintelnot: Je mehr wir in den Untergrund injizieren, desto wichtiger wird es, dass wir uns auch darum kümmern was damit passiert. Wie lange hält das? Oder was macht es mit der Umwelt? Erschwerend kommt hinzu: wir berühren mittlerweile Bereiche, in denen es keine Norm und kein Regelwerk gibt. Diese müssen wir uns sozusagen selber ausdenken und das tun wir auch. Und das halte ich letztendlich auch als Forschungs- und eines Tages auch Marketingstrategie für sehr wichtig. Es geht darum, Ziele zu definieren – aber bitte seriös und wissenschaftlich von Universitäten oder Prüfanstalten begleitet. Auf dieser Grundlage gilt es dann Strategien zu entwickeln, mit denen man sicherstellen kann, dass bestimmte Produkte, die wir herstellen und entwickeln, in dem von uns definierten Einsatzbereich spezielle Eigenschaften dauerhaft haben können. Mit allen Anwendungsgrenzen natürlich. Man muss auch Anwendungsgrenzen definieren. Und die Grenzen kann ich im Zweifelsfall auch durch Auslagerungsversuche und Langzeittestreihen ermitteln. Welche Grenzen habe ich und in welchen Grenzen kann ich mich bewegen und wann komme ich in eine Grauzone hinein? Und ich glaube, je offener man das kommuniziert, desto besser ist es letztendlich. Desto ernster wird man auch genommen. Auch mit chemischen Produkten.

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