Wo ist das Werkzeug? Teil 1

… oder: Pumuckl der Kobold war wieder da!

Schon mal von 5S gehört? Wenn nicht, dann lernen Sie jetzt eine einfache Methode zur Kostenreduzierung, Prozessoptimierung und Reduzierung von Verschwendung kennen. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es darzustellen, wie Prozesse auf der Baustelle mit Hilfe der 5S-Methode effizienter organisiert und optimiert werden können.

Teil 1 und 2

Hierzu wird in Teil 1 zunächst ein kurzer Überblick über Wertschöpfung und Verschwendung im Baubetrieb gegeben; in diesem Zusammenhang wird kurz auf das „Suchen“ auf der Baustelle eingegangen. Die Herkunft und Ziele von 5S sowie die fünf Schritte zur Umsetzung der 5S-Methode runden den ersten Teil ab. Im zweiten Teil wird kurz eine mögliche Umsetzung der 5S-Methode auf der Bau-
stelle beschrieben und zwei beispielhafte Checklisten für 5S-Audits sowie eine für Arbeitssicherheit vorgestellt. Der Beitrag schließt mit einem Fokus auf die Einsatzmöglichkeiten von 5S im administrativen Bereich eines Bauunternehmens sowie hebt die Vorteile bei der Anwendung von 5S hervor.

 

1. Wertschöpfung und Verschwendung

im Baubetrieb

Die Herstellung qualitativ hochwertiger, kundenorientierter als auch wettbewerbsfähiger Bauobjekte bzw. Fertigteilprodukte sollte Bauunternehmen bzw. Baustoffhersteller zum Umdenken zwingen: Die nicht wertschöpfenden Aktivitäten innerhalb der Bau- und Fertigteilproduktion müssen eliminiert werden. Um das zu erreichen, muss beispielsweise der gesamte Wertstrom eines Bauobjekts – und zwar von der Bauidee bis zur Abnahme durch den Kunden bzw. Bauherrn – genau unter die Lupe genommen und möglichst optimal organisiert werden. Basis ist dabei immer die Frage: Was braucht der Bauherr bzw. für was ist der Bauherr wirklich bereit zu bezahlen? Kundenindividuelle Bauobjekte bzw. Produkte in hoher Qualität, ohne Terminverzögerungen und zu günstigen Preisen anzubieten, ist die Herausforderung, die der Markt heutzutage an die Wettbewerbsfähigkeit eines Bauunternehmens bzw. Baustoffherstellers stellt.

Der optimale Bauprozess besteht größtenteils aus wertschöpfenden Tätigkeiten, die unmittelbar zur Wertsteigerung des Bauobjekts beitragen. Tätigkeiten, die nicht wertschöpfend sind, gelten unter diesen Gesichtspunkten als Verschwendung, z.B. zu hohe Bestände, unnötige Transporte und Bewegungen, Warte- und Liegezeiten (vgl. hierzu auch Tab. 1 für einen Fertigungsprozess aus der Stückgüterindustrie). Im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses gilt es also, Wertschöpfung von Nichtwertschöpfung zu trennen. Die Ist-Situation auf Baustellen zeigt, dass oft bis zur Hälfte aller Tätigkeiten nicht wertschöpfend sind, wie etwa Logistikprozesse oder Nacharbeiten. Auf nahezu jeder Baustelle gibt es Verschwendungen und schlecht organisierte Abläufe, die den Bauprozess unnötig verlängern und verteuern. Oft werden beispielsweise aufgrund von falschen Anlieferzeiten, Materialien und Baustoffe bereits mehrfach angefasst und bewegt, bevor ein wertschöpfender Vorgang begonnen werden kann. Die Baustelle muss daher analysiert und die Ursachen für Verschwendungen (vgl. hierzu auch Tab. 2) detektiert werden, um unwirtschaftliche Abläufe zu erkennen.

Es gibt zahlreiche Managementansätze und -philosophien für verschwendungsfreie und variationsarme Produktionen bzw. Prozesse. Six Sigma ist ein Konzept davon, welches fehlerfreie Prozesse und Produkte als Ergebnis anstrebt. Geringe Variationen und damit Streuungen sowie geringe Abweichungen von dem Mittelwert eines vorgegebenen Toleranzintervalls stehen bei diesem Konzept im Mittelpunkt. Im Gegensatz zum Six Sigma hat Lean Management schlanke Prozesse zum Ziel; geringe Verschwendung, kurze Durchlaufzeiten und geringe Bestände stehen hierbei im Fokus; das gilt für Produktionsprozesse genauso wie für Geschäftsprozesse. Der Denk- und Management-Ansatz, der sich hinter dem Schlagwort Lean Management verbirgt, zielt darauf ab, alle Tätigkeiten zu vermeiden, die nicht tatsächlich den Wert eines Produktes erhöhen. Dieser in der stationären Industrie anerkannte Ansatz hat in der Bauindustrie weitgehend noch keinen Einzug gehalten, obwohl gerade hier Potenzial zu Kostenreduzierungen und Prozessoptimierungen schlummert.

Der vorliegende Beitrag wird eine Methode aus dem Lean Management näher beleuchten, nämlich die 5S-Methode. Sie wurde vom japanischen Autohersteller Toyota entwickelt und ist neben vielen anderen Hilfsmitteln ein zentraler Bestandteil im Toyota Produktionssystem (TPS).

 

2. Das „Suchen“ auf der

Baustelle

Was predigen wir allzu oft unseren Kindern: „Alles gleich immer aufräumen, alles hat seinen Platz (und nur den), dann findet man‘s auch wenn man‘s braucht, und insgesamt verschwendet man viel weniger Zeit…aber die Kinder hören oft nicht zu, die meinen, das lohnt sich nicht, sie brauchen das ja gleich wieder“. Wenn man das Baustellentreiben beobachtet sowie selber einmal während eines Praktikums auf einer Baustelle gearbeitet hat, entdeckt man oft verblüffende Parallelen zum Kinderzimmer: Zum einen ist man immer wieder dabei, das Werkzeug zu suchen, das man ja eben noch in den Händen hatte. Bei der Suche findet man dafür aber das Werkzeug bei dem man sich ja schon dauernd gefragt hat wo das abgeblieben war. „Das ist völlig normal, das wird bei uns schon seit jeher so gemacht“, hört man dann oft die Handwerker des ein oder anderen Gewerks sagen.

Ob Trockenbauer, Metallbauer, Maler, Fliesenleger oder Elektriker – jeder Handwerker kennt das Problem: auf ständig wechselnden Baustellen im Einsatz, immer unter Zeitdruck. Stau, kein Parkplatz, beengte Platzverhältnisse, Zeitdruck usw.; trotz aller Umstände kommt man dennoch rechtzeitig vor Ort an. Und dann kann man seine Arbeit nicht beginnen oder fortsetzen, weil der passende Schraubenzieher fehlt oder die Kartusche mit dem Bauschaum nicht mehr reicht. Unverrichteter Dinge zieht man wieder ab, um die fehlenden Materialien aus dem eigenen Lager, beim nächsten Fachhändler oder im Baumarkt zu besorgen. Auf diese Weise verlieren die Gewerke häufig viel Zeit. Die nachträgliche Beschaffung verursacht Zusatzkosten.

Organisation, Mobilität und Flexibilität sind zentrale Erfolgsfaktoren für Gewerke. Entscheidend ist, immer die richtigen Materialien und Werkzeuge vor Ort dabei zu haben. Aufwendiges Suchen, lange Wege und fehlendes Material verschwenden Zeit und Geld.

 

3. Herkunft und Ziele von 5S

Das TPS gilt als das bekannteste ganzheitliche Produktionssystem und als die beste Methodik zur Optimierung der Arbeits- und Produktionsorganisation. TPS ist eine umfassende Managementphilosophie, u.a. mit den Schwerpunkten Produktionsprozess, Zulieferprozess, Mitarbeiterinvolvierung, lernende Organisation, Standardisierung und kontinuierliche Verbesserung (vgl. hierzu auch Tab. 3) Zu den tragenden Säulen des TPS gehört auch die 5S-Methode. Sie ist eine systematische Vorgehensweise zur Verbesserung (oder Neuplanung) von Arbeitsplätzen und –bereichen mit dem Fokus auf Ordnung, Sauberkeit und Standardisierung. Ordnung und Sauberkeit sind generell wichtige Voraussetzungen für ein systematisches Arbeiten ohne Fehler.

Ziele von 5S sind vor allem die Reduzierung und (noch besser) Vermeidung von Verschwendung, insbesondere in Form von Warte-, Wege- und Suchzeiten; Durchlaufzeiten von Bauprozessen sind zu reduzieren sowie Fehler durch überschaubarere Arbeitsabläufe zu vermeiden. Weitere Zielsetzungen sind die Steigerung der Qualität der Arbeitsleistung (z.B. saubere Umgebung, sofortiges Erkennen von Abweichun-
gen durch Min-Max-/Ist-Soll-Kennzeichnun-
gen), Effizienz und Wirtschaftlichkeit (z.B. Standardisierung, verbesserte Flächennutzung), Arbeitssicherheit (z.B. Vermeidung von Arbeitsunfällen), die Konzentration auf das Wesentliche (nämlich wertschöpfende Tätigkeiten) sowie das Hinterlassen eines guten Eindrucks bei Externen oder Besuchern.

 

4. Die fünf Schritte zur Implementierung / Umsetzung der

5S-Methode

Verbesserungen, die mit der 5S-Methode angegangen werden, laufen häufig nach einer einheitlichen Vorgehensweise ab, die sich in fünf Schritte unterteilen lässt (vgl. auch Tab. 4):

n Seiri: Im ersten Schritt werden alle Arbeitsmaterialien, Hilfsmittel und Werkzeuge, die sich am Arbeitsplatz befinden, erfasst und unter die Lupe genom-
men. Ziel ist es, nicht benötigte Gegenstände, die sich „angesammelt haben“, zu identifizieren. Konkret, man soll sich von unnötigem und überflüssigem Ballast trennen, der im Weg steht, wertvol-
len Platz verbraucht, We-
ge verlängert oder anderweitig stört (z.B. Werkzeug, das doppelt vorkommt; unbrauchbares, zu stark verschlissenes Werkzeug). Die identifizierten Arbeitsmaterialien, Hilfsmittel und Werkzeuge werden aus dem Arbeitsbereich entfernt, also entweder entsorgt, archiviert oder verlagert. Hierbei kann hilfreich sein, die Gegenstände mit Hilfe von Markierungen oder Zetteln zu versehen, wann diese das letzte Mal benutzt worden sind. Daraus lassen sich Rückschlüsse ziehen wie die Häufigkeit der Benutzung war/ist. Grundsätzlich sollte gelten: Arbeitsmaterialien immer erst dann an einen Arbeitsplatz anliefern lassen, wenn diese benötigt werden.

n Seiton: Die vorher selektierten bzw. verbliebenen Arbeitsmaterialien, Hilfsmittel und Werkzeuge werden in einem zweiten Schritt übersichtlich (und ergonomisch) angeordnet. Hierbei weist man ihnen gekennzeichnete Abstellplätze zu an denen sie aufbewahrt werden sollen. Ziel hierbei muss es sein, die unproduktive Zeit des Suchens nach diesen Gegenständen zu minimieren und eine Grundordnung im Arbeitsbereich zu schaffen. Hilfreich kann hier eine Klassifizierung der benutzten Gegenstände, z.B. in ständige, stündliche, tägliche, monatliche Nutzung, sein, um den Anordnungsbereich systematisch festzulegen.

n Seiso: In diesem dritten Schritt geht es darum, Verunreinigungen künftig zu minimieren (verhindern) und die Rüst- oder Vorbereitungs- als auch Reinigungstätigkeiten am Arbeitsplatz zu vereinfachen. Alle Mitarbeiter sind für die Sauberkeit am Arbeitsplatz verantwortlich. Bei Bedarf werden Zuständigkeiten definiert, Grundreinigungen eingeführt, Reinigungszyklen festgelegt und an Ort und Stelle veröffentlicht (z.B. in Form einer Checkliste).

n Seiketsu: Im vierten Schritt werden die ersten drei „S“ in Standards überführt. Standards sind insofern wichtig, als dass mit ihnen Ordnung, Sauberkeit und Verbesserungen nachhaltig sind. Auch für die Arbeitssicherheit sind Standards von Bedeutung, wie z.B. das Tragen der PSA zur Vermeidung von Arbeitsunfällen. Durch klar verständliche Standards wird insbesondere die Zusammenarbeit, im Gewerk selbst als auch unter den Gewerken und allen am Bau Beteiligten insgesamt, verbessert; das „Tagesgeschäft“ läuft damit reibungsloser.

n Shitsuke: Die erreichten Ergebnisse und Standards sollen nachhaltig gesichert werden, z.B. durch 5S-Audits und klare Verantwortlichkeiten. Hilfreich ist auch, die Ergebnisse der 5S-Methode in geeigneter Weise zu dokumentieren (z.B. mittels Photos / Skizzen als Zusatz zur Checkliste). Der fünfte Schritt ist eigentlich kein Schritt, sondern vielmehr eine ständige Aufgabe bzw. ein kontinuierlicher Prozess: Jeder einzelne Mitarbeiter übernimmt Eigenverantwortung und beweist sowohl Disziplin als auch Qualitätsbewusstsein; die Führungskraft geht mit gutem Beispiel voran und ist Treiber und Unterstützer, insbesondere im Hinblick auf eine kontinuierliche Weiterentwicklung des 5S-Gedankens (im Sinne eines Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses).


Mikko Börkircher,

Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing.,

Ötisheim-Schönenberg

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