INTERVIEW

Auf neuen Wegen dem
Klimawandel begegnen!

Zunehmende Starkregenereignisse stellen zukünftig eine große Herausforderung für die Planung und den sicheren Betrieb von Entwässerungssystemen dar.
tHIS sprach mit Dipl.-Met. Dr. Meeno Schrader, geschäftsführender Gesellschafter der WetterWelt GmbH, Kiel.

„Klimawandel“, „Erderwärmung“, „vermehrte Starkregener­eignisse“. Diese Schlagwörter werden in den Medien stark thematisiert. Ist unser Klima tatsächlich einem globalen Wandel unterzogen?

Die Antwort auf Ihre Frage lautet eindeutig: JA! Nun muss man streng genommen sagen, dass sich das Klima im Prinzip immer wieder wandelt, das liegt in der Natur der Sache und wir wissen alle von den großen Veränderungen, den Eis- und Warmzeiten, die es seit Millionen von Jahren gibt, aber dieses Mal ist es etwas anderes. Dieser Wandel hat nicht die vielen natürlichen Ursachen als Auslöser, dieser Wandel geht auf uns Menschen zurück. Die Wissenschaft  ist sich schon seit längerer Zeit darüber einig, dass der aktuell stattfindende Klimawandel zu über 90 % von uns Menschen ausgelöst wird, eine anthropogene Ursache hat. Zwei Faktoren sind dabei die Hauptursachen: 1. Wir sind immer mehr Menschen auf diesem Planeten, der ja nur eine beschränkte Fläche zum leben anbietet, auf der aber wir alle Fußabdrücke hinterlassen 2. Es ist die Art und Weise wie wir leben und mit den kostbaren Ressourcen umgehen, teilweise verschwenden, ohne dass wir darüber nachdenken, was das für Folgen hat.

Was die natürlichen Klimaschwankungen angeht, befinden wir uns eigentlich am Ende einer Warmzeit, demnach sollte es langsam kühler werden. Wir beobachten weltweit regional unterschiedliche Entwicklungen: in einigen Gegenden gibt es eine Abkühlung , in anderen eine mitunter auch erhebliche Erwärmung. Im Mittel über den ganzen Globus nimmt die Wärme im System Ozean-Atmosphäre signifikant zu. Weltweit sind es derzeit 0.9 °C, nimmt man 2014 als das wärmste Jahr weltweit hinzu, dürften es mittlerweile über 0.9 °C sein. Das sind vermeintlich kleine Beträge an Erwärmung, aber das täuscht. Energetisch steckt hierin schon ein hohes Potential, wie wir in den vergangenen  zehn bis fünfzehn Jahren aufgrund von zum Beispiel Starkregenereignissen gemerkt haben. Dabei darf man nicht das Ereignis als Solches zu sehr in den Vordergrund schieben, es sind die Häufigkeit und Intensität, die zulassen zu sagen: das Klima ist im Begriff sich zu wandeln.

 

Mit welchen Auswirkungen eines Klimawandels müssen wir hier in Deutschland rechnen?

Um sich ein Bild davon zu machen, wie die Auswirkungen in Deutschland sein werden, wird in der Klimaforschung  sehr viel Aufwand betrieben. Neben vielen Messungen werden Klimamodelle entwickelt und immer mehr verfeinert, um bestmöglich abschätzen zu können, was in den nächsten 100 Jahren passiert.  Diese Rechenmodelle schaffen es für etliche Parameter ein Bild abzugeben, wie sich Temperatur, Niederschlag, Starkregen, heiße Tage, Frost, Wind und vieles mehr verändern werden. Die Modelle werden immer besser und spiegeln dennoch nur einen Teil der Wahrheit wider. Grundsätzlich ist anzumerken, dass es sich nicht um Wettervorhersagemodelle handelt, sondern um Rechenverfahren, die höchstens die Witterung beschreiben können und das auch immer nur als Mittelwert über 10 Jahre, meist sind es Zeiträume von 30 Jahren. Dadurch werden viele wirkliche Auswirkungen nicht korrekt abgebildet. Nehmen wir den Niederschlag: er wird als Mittelwert über das ganze Jahr keine große Änderung erfahren, die Jahresbilanz bleibt voraussichtlich in vielen Ecken Deutschlands unverändert. Und doch wird es enorme Auswirkungen in den Einzelereignissen geben. Alleine die Unterscheidung zwischen Sommer (Juni, Juli, August) und Winter (Januar, Februar, März) weist große Differenzen auf. Die Winter werden an vielen Orten um rund 10 – 25% zu nass, die Sommermonate um 5 – 35 % zu trocken. Auch hier handelt es sich um Mittelwerte, die vertuschen können, dass es möglicherweise lange (viel zu) trockene Phasen gibt, dann aber plötzlich ein Starkregenereignis, das in 24 Stunden soviel Regen abwirft, wie normalerweise in einem oder zwei Monaten fällt. Es liegt in der Art der Klimamodelle, Einzelereignisse nicht vorausberechnen zu können. Diese kennen wir nicht, dabei sind gerade sie es, die von allergrößtem Interesse sind. Nicht der Mittelwert, sondern das spontane Ereignis richtet schließlich den Schaden an. Bei den Temperaturveränderungen für Deutschland liefern die Klimamodelle eine Erwärmung von rund 1 Grad Kelvin für den 30-Jahreszeitraum von 2011 bis 2040, also den Zeitraum, den wir bereits betreten haben, im Vergleich zu dem längst zurückliegenden Zeitraum 1961 – 1990. Messungen zeigen, dass wir dieses Niveau bereits erreicht haben. Dies legt nahe, dass entweder die Temperaturen in den nächsten 25 Jahren nicht weiter ansteigen, oder – was wahrscheinlicher ist – die Klimamodelle die Entwicklung unterschätzen und der Klimawandel schneller voranschreitet. Bis zum Jahr 2050 ist mit 1 weiteren Grad Kelvin Erwärmung zu rechnen, also rund 2 Grad Kelvin wärmer im Jahresdurchschnitt als früher. Dabei fallen die Herbstmonate wärmer aus als vergleichsweise das Frühjahr. Winter und Sommer erfahren eine ähnliche Erwärmung.

Bei allen Zahlen, die uns die Klimamodelle liefern oder auch nicht liefern können, denke ich, hat uns die Natur in den vergangenen fünfzehn Jahre bereits „Paradebeispiele“ geliefert, was wir in Zukunft an Extremereignissen mindestens zu erwarten haben. Dabei wage ich zu bezweifeln, dass die 324 l /m2  in Münster im Juli 2014 einfach nur ein Jahrhunderteinzelereignis waren. Die bis dahin in Deutschland höchste gemessene Regenmenge war erst 12 Jahren zuvor im Jahr 2002 in Zinnwald niedergegangen. Mir sind das mittlerweile zuviele Jahrhundertereignisse in enger Abfolge, um noch von normalen Verhältnissen wie früher zu sprechen. Ich fürchte, hier folgen noch in naher Zukunft viele weitere solcher Starkregenfälle nach.

 

Wie stark werden in Folge eines Klimawandels sich die Anforderungen an Stadthydrologie, an zukunftsorientierte Stadtentwässerung und Stadtentwicklung verändern?

Gerade die soeben von mir zitierten Beispiele in Münster oder in Zinnwald im Erzgebirge, sowie die Elbe – und Oderhochwasser und viele weitere Überschwemmungsereignisse zeigen, dass wir es vermutlich mit einer neuen Qualität an Überflutungspotential zu tun haben. Es deutet sich an, dass in kürzerer Zeit mehr Wasser niedergeht. Vor diesem Hintergrund, aber auch schon vieler negativer Ereignisse in der Vergangenheit, wächst das Bewusstsein, sich diesem Thema sehr ernsthaft anzunehmen. Das geschieht bereits, zumindest in etlichen Gemeinden und Städten, die ein offensichtliches Gefährdungspotential haben. Es wächst zugleich der Erkenntniskreis derer, die auch in Zukunft betroffen sein können. Hierbei sind die Stadthydrologie und die Stadtentwässerung gefordert, eng zusammenzuarbeiten. Je nach Bedrohungspotential werden sich die Erkenntnisse unweigerlich in der Stadtentwicklung niederschlagen – das ist im Interesse der Gemeinden und der Bewohner.

 

Können nach ihrer Einschätzung Lösungsansätze für zunehmende Starkregenereignisse darin bestehen, Entwässerungsbauwerke und Retentionsräume immer größer zu dimensionieren?

Theoretisch ja, praktisch nein. Einem Überflutungsereignis wie in Münster – und sei es nur halb so intensiv – kann in der Praxis wohl kaum begegnet werden. Die Dimensionen der zur Schadensabwendung notwendigen Entwässerung wären so groß, dass hierfür vermutlich weder genügend Platz noch annähernd ausreichend Geld vorhanden ist. Es wäre unbezahlbar.

 

Planende Ingenieure arbeiten oft mit statistischen Datensätzen wie den „KOSTRA-DWD-2000“-Daten oder anderen vergangenheitsbezogenen Niederschlagsreihen, um die Intensität regionaler Starkregenereignisse in ihrer Planung zu berücksichtigen. Wie sinnvoll ist das?

Wie das so ist, wenn man mit Statistiken arbeitet. Sie sind gut und nützlich, solange alles mehr oder weniger beim Alten bleibt. Dann helfen uns statistische Verfahren als ein Stück Erinnerung und Erfahrung, die Vergangenheit abzufragen und in die Zukunft zu projizieren. Wenn diese Zukunft aber von den Grundbedingungen her schon anders aussieht und sich vieles abzeichnet, anders zu werden als es je zuvor gewesen ist, dann verlieren Statistiken ihre Aussagekraft. Man läuft Gefahr, die Dinge falsch einzuschätzen und Fehlprognosen zu produzieren. Je mehr sich die Spielregeln gegenüber früher verändern, desto größer ist mein Fehler oder zumindest das Risiko, falsche Einschätzungen abzuliefern.

Es ist meines Erachtens zwingend notwendig, andere Planungshilfen zu verwenden, vielleicht sogar ausschließlich. Vielleicht helfen weitere Planungshilfen Dimensionen abzuschätzen, mit denen dann möglicherweise noch ein Faktor als Zuschlag für den veralteten Ansatz ermittelt werden kann.

Selbst Statistiken jüngeren Datums müssen mit Vorsicht verwendet werden, da sich das Klima weiter wandeln wird und so die Statistik von heute schon übermorgen an Gültigkeit verliert.

Ich kann mir gut vorstellen, daß hydrodynamische Geländemodelle, das Programm NiedSim des Hessischen Landesamtes für Umwelt und Geologie oder das Projekt SYNOPSE (Synthetische Niederschlagszeitreihen für die optimale Planung und den Betrieb von Stadtentwässerungssystemen) einen größeren Nutzen und realistischere Zahlen liefern. Leider ist SYNOPSE noch ein Forschungsprojekt und frühestens 2016 abgeschlossen.

 

Ein wesentliches Highlight des Fachseminar ACO Regenwelten bestand in den vielen meteorologischen Details, die Sie den Fachbesuchern vermittelt haben. Wie wichtig ist der interdisziplinäre Dialog verschiedener Wissenschaften, um die Folgen eines globalen Klimawandels abzumildern?

So wie wir leben spielen jetzt schon die unterschiedlichen Disziplinen eine bedeutsame Rolle bei der Gestaltung unserer Lebensräume. Der notwendige Austausch und das Weiterreichen an Wissen halte ich vor der Herausforderung des Klimawandels für nochmal so wichtig. Nur so gelingt es zumindest einen Teil des möglichen Schadens abzuwenden und ihm zu begegnen. Ich denke unser Wissen ist aufgrund dermaßen viel Forschung bereits sehr umfangreich. Jeder Wissenschaftler ist daran interessiert und wie ich meine sogar verpflichtet, sein Wissen diesbezüglich weiterzutragen. Er muss es allerdings auch so tun, dass die andere Disziplin dies auch versteht und damit weiterarbeiten kann. Es darf aber nicht nur darum gehen, die wissenschaftlichen und persönlichen Erkenntnisse zur Anpassung an den Klimawandel zu verwenden. Im gleichen Maße sind wir alle aufgefordert Lösungen zu finden und Wege zu gehen, die dem Klimawandel entgegenwirken.

 

Herr Dr. Schrader, herzlichen Dank für das Gespräch!

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