Von Rechtsfällen und Rechtsfallen

Kommentare zur aktuellen Rechtsprechung für die Bauwirtschaft

Rechtsanwalt Michael Werner vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie stellt Ihnen wieder aktuelle und wichtige Urteile vor. Drei an der Zahl, befassen sich die Entscheidungen diesmal mit Nachtragsansprüchen bei Bürgschaften, der Fachlosvergabe bei Lärmschutzwandarbeiten und dem Fristbeginn bei Eingang einer prüfbaren Rechnung.

Auch beim VOB/B-Vertrag: Bürgschaft gemäß § 648a BGB sichert keine Nachtragsansprüche

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 15. Dezember 2009 – XI ZR 107/08 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

Eine Bürgschaft, die für Werklohnforderungen aus einem Bauvertrag übernommen worden ist, erstreckt sich gemäß
§ 767 Abs. 1 Satz 3 BGB auch dann nicht auf Entgeltforderungen aus später vom Auftraggeber verlangten Auftragserweiterungen nach § 1 Nr. 3, § 1 Nr. 4 Satz 1 oder Satz 2 VOB/B, wenn für den Bürgen bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages erkennbar war, dass der Bauvertrag der VOB/B unterliegt.

Der klagende Auftragnehmer (AN) hatte mit seinem Auftraggeber (AG) einen VOB/B-Werkvertrag abgeschlossen und drei Bürgschaften gemäß § 648a BGB als Sicherheit erhalten. Der AG wurde insolvent, der AN nahm die Bürgschaften in Anspruch, wobei seine Forderungen teilweise aus dem Hauptauftrag, teilweise aber auch aus Beauftragungen, die nach Abschluss des Bürgschaftsvertrags erfolgten, resultierten. Die ursprüngliche Auftragssumme belief sich auf 435.000 Euro, aus den Nachtragsaufträgen fiel zusätzlicher Werklohn von 254.000 Euro an. Nachdem der Insolvenzverwalter der AG die restliche Forderung aus dem Hauptvertrag anerkannt hatte, verfolgt der AN die Werklohnforderungen aus den Nachtragsaufträgen.

Der BGH bestätigt die Entscheidung des Berufungsgerichts, wonach die Bürgschaft nur Forderungen aus dem Hauptwerkvertrag, nicht aber Forderungen aus geänderten und zusätzlichen Leistungen besichere. Unstreitig stellten die Werklohnforderungen des Klägers Entgelt für Leistungen dar, die zum Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme noch nicht vereinbart gewesen seien. Sie seien in der Leistungsbeschreibung des ursprünglichen Werkvertrags nicht enthalten, sondern später vom AG entweder gemäß
§ 1 Nr. 3 bzw. § 1 Nr. 4 Satz 1 VOB/B gefordert oder zwischen den Parteien durch neue Vereinbarung gemäß § 1 Nr. 4 Satz 2 VOB/Bbeauftragt worden. Der BGH stellt fest, dass zwar – auch in AGB – eine Bürgschaft wirksam für unbestimmte künftige Forderungen übernommen werden könne. Aus dem hier vorliegenden Bürgschaftstext („Ansprüche aus erbrachten Bauleistungen“) ergebe sich aber keinerlei Hinweis, dass die beklagte Bürgin auch zukünftige Vergütungsansprüche habe besichern wollen. Dies gelte auch für den hier vorliegenden Fall, in dem der Bauvertrag die VOB/B als Vertragsgrundlage enthalte und der Bürgin dies möglicherweise bekannt gewesen sei. In Rechtsprechung und Literatur sei bislang umstritten gewesen, ob ein Bürge bei VOB/B-Verträgen auch für zusätzliches Entgelt aus zulässigen Auftragserweiterungen hafte, wenn dies im Wortlaut der Bürgschaft nicht enthalten sei. Diese Frage sei nun zu Gunsten des Bürgen zu entscheiden, der eine solche nicht kalkulierbare Haftungsausweitung gemäß § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB („Durch ein Rechtsgeschäft, dass der Hauptschuldner nach Übernahme der Bürgschaft vornimmt, wird die Verpflichtung des Bürgen nicht erweitert“) nicht gegen sich gelten lassen müsse. Einer solchen unzumutbaren Ausweitung der Bürgschaftserklärung stehe das für die Bürgschaft vertragswesentliche Verbot der Fremddisposition entgegen. Eine Belastung des Bürgen mit Risiken, die Hauptschuldner und Gläubiger ohne Mitwirkung des Bürgen nachträglich schaffen könnten, widerspräche den Grundsätzen der das Vertragsrecht beherrschenden Privatautonomie. Anders sei dies allerdings für die unmittelbaren Parteien des Bauvertrags: Das weite einseitige Vertragsänderungsrecht des Auftraggebers finde einen Ausgleich im Anspruch des Auftragnehmers auf Mehrvergütung nach § 2 Nr. 5 VOB/B. Beim Bürgen dagegen entstehe das durch die Ausweitung des Auftrags entstandene Zusatzrisiko ohne eine Kompensation. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Auftragserweiterungen nach § 1 Nr. 3, § 1 Nr. 4 Satz 1 oder Satz 2 VOB/B entstanden seien.

 

Anmerkung

Mit dieser Entscheidung dürfte die bisher sehr streitige Frage der Bürgenhaftung für Werklohnansprüche aus Nachtragsaufträgen beim VOB/B-Vertrag endgültig geklärt sein. Interessant sind noch die Ausführungen des BGH zu geänderten Leistungen i.S.d. § 1 Nr. 3 VOB/B, die durchaus von der Bürgenpflicht umfasst sein könnten, wenn es sich beispielsweise um eine bloße Auswechslung gleichwertiger Teilleistungen ohne Erhöhung des Werklohns insgesamt handele. Der sicherungsberechtigte Unternehmer wird gemäß § 648a BGB dadurch geschützt, dass er eine Erhöhung der vom Auftraggeber zu leistenden Sicherheit für zusätzliche Vergütungsansprüche verlangen kann.

 

Nur Fachlosvergabe bei Lärmschutzwandarbeiten?

Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 25.11.2009 – Verg 27/09 (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

1. Lärmschutzwandarbeiten einschließlich der Gründung bilden im Straßenbau ein abgrenzbares Gewerk und unterliegen damit der Fachlosvergabe.

2. Zu den Voraussetzungen einer im Einzelfall vergaberechtlich zulässigen Gesamtvergabe gemäß § 4 Nr. 3 VOB/A.

Der Landesbetrieb Straßenbau NRW hatte als Vergabestelle (VSt) im Offenen Vergaben den sechsstreifigen Ausbau einer Autobahn einschließlich der Brücken- und Lärmschutzwandarbeiten ausgeschrieben. Die Antragstellerin (ASt), ein mittelständisches Unternehmen, das sich auf die Herstellung und Montage von Lärmschutzwänden spezialisiert hatte, rügte die unterbliebene Fachlosaufteilung als Verstoß gegen § 97 Abs. 3 GWB (a. F.) und stellte einen Nachprüfungsantrag. Die VSt hatte im Vergabevermerk begründet, dass die Verzahnung der verschiedenen Gewerke, insbesondere der Lärmschutz, eine zusammengefasste Vergabe (Mischlosvergabe) bis auf wenige Ausnahmen rechtfertige. Aufgrund von Auflagen der Planfeststellung waren die vorhandenen Lärmschutzwände nach Möglichkeit erst nach Fertigstellung der neuen Wände zu beseitigen und jeweils nur auf einer maximalen Länge von 300 m abzubrechen und zu erneuern. Zudem hatte die VSt die technisch erschwerte Koordination wegen der unterschiedlichen Herstellungsarten der Wände (auf Steilwall, auf und vor Stützwänden sowie auf freier Strecke) hervorgehoben. Die erstinstanzliche Vergabekammer hatte betont, dass der Verzicht auf die Fachlosvergabe ein Ausnahmefall und detailliert zu begründen sei. Da dies hier unterblieben sei, hob sie das Vergabeverfahren auf und forderte die VSt auf, es ordnungsgemäß zu wiederholen. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin. Nach Ansicht des OLG führt die sofortige Beschwerde der ASt zum Erfolg. Das Gericht stuft zwar die Lärmschutzwandarbeiten als abgrenzbares Gewerk ein, weil sich insoweit – trotz weniger Anbieter – ein sachlich eigenständiger Markt gebildet habe. Dafür sprächen auch die „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für die Ausführung von Lärmschutzwänden an Straßen – ZTV-Lsw 06“, die in öffentliche Bauverträge aufzunehmen seien.

Die im Rahmen von § 97 Abs. 3 GWB a. F. zu treffende Entscheidung erfordere eine besondere Auseinandersetzung mit dem Gebot der Fachlosvergabe und der dagegen sprechenden Gründe. Bei dieser Ermessensentscheidung sei umfassend zu urteilen; für eine Gesamtvergabe müssten nicht nur zu beachtende oder anerkennenswerte Gründe vorliegen, sondern im Ergebnis auch überwiegen. Für den Prüfungsmaßstab ließen sich keine allgemeinen Regeln aufstellen. Es müssten allerdings Synergieeffekte prognostizierbar sein, da ein allgemein mit der Gesamtvergabe verbundener geringerer Aufwand nicht ausreichend sei. Dann könnten aber auch einfache Kostennachteile oder Verzögerungen genügen. Beim Maßstab der rechtlichen Kontrolle sei zu beachten, dass nur ein beschränkter Prüfungsrahmen dahin bestehe, ob die Ermessensentscheidung von einem richtigen und vollständigen Sachverhalt ausgehe und insbesondere keine Willkür oder andere Ermessensfehlbetätigung vorliege. Nach eingehender Betrachtung der Abwägungsgründe komme das Gericht hier zu dem Ergebnis, dass die Besonderheiten der Baustelle zwar nicht isoliert betrachtet, jedoch in der hier wesentlichen Gesamtschau, die Gesamtvergabe als vertretbar und damit hinnehmbar rechtfertige.

 

Anmerkung

Obwohl diese Entscheidung noch zur alten Rechtslage (§ 97 Abs. 3 GWB a. F.) erging, ist sie dennoch beachtenswert. Auch wenn die Verpflichtung zur losweisen Vergabe durch § 97 Abs. 3 GWB neu verschärft wurde, bleibt es dabei, dass letztlich die Entscheidung, ob in Losen oder zusammengefasst vergeben wird, im Ermessen der Vergabestelle liegt. Allerdings muss die vom Auftraggeber gewählte Gesamtvergabe nach der neuen Rechtslage noch gründlicher begründet werden. Hier ist noch einmal auf die zur neuen Rechtslage ergangene wichtige Entscheidung der Vergabekammer des Saarlandes vom 7. September 2009 (siehe Baumarkt+Bauwirtschaft, Heft 1-2, 2010) hinzuweisen, die in ihrer inhaltlichen Argumentation vom OLG Düsseldorf letztlich bestätigt wird.

 

Skontovereinbarung: Fristbeginn bei Eingang einer prüfbaren Rechnung?


Das OLG Saarbrücken hat mit Urteil vom 8. Dezember 2009 – 4 U 311/09 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

Eine in einem Bauvertrag enthaltene Klausel, wonach der Besteller zur 6 %-igen Skontierung berechtigt ist, falls er in einer – nach Eingang einer prüfbaren Rechung – in Lauf gesetzten Skontierungsfrist Zahlung leistet, verstößt nicht gegen §§ 307, 310 BGB und ist wirksam.

In einer Klausel im Verhandlungsprotokoll des Auftraggebers (AG) war dieser „... berechtigt, sowohl bei den Abschlagszahlungen als auch bei der Schlusszahlung
6 % Skonto abzuziehen, sofern er Zahlungen nach Eingang einer prüfbaren Rechnung innerhalb folgender Fristen leistete: Schlusszahlung zu 95 %  der geprüften Schlussrechnung innerhalb von 18 Werktagen oder ohne Skonto 30 Werktagen netto“. Von der fristgerecht bezahlten Schlussrechnung zog der AG als Skonto einen Betrag in Höhe von 17.000 Euro ab. Der Auftragnehmer (AN) erhob Klage. Er hielt die Skontoregelung für unwirksam, weil
aus seiner Sicht nicht nachvollzogen werden könne, was der AG unter prüfbar verstehe.

Das OLG weist die Klage zurück. Zwar verstoße eine Skontoabrede gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1, § 310 Abs. 1 BGB (unangemessene Benachteiligung) und sei unwirksam, wenn der Beginn der Skontofrist von der Prüfung der Schlussrechnung abhängig gemacht werde. Eine solche Regelung benachteilige einen AN unangemessen, weil der AG den Skontierungszeitraum beliebig hinauszögern könne. Hier sei diese Voraussetzung allerdings nicht erfüllt: Die Skontierungsfrist beginne nicht erst nach Abschluss der Rechnungsprüfung, sondern nach Eingang einer prüfbaren Rechnung. Der AG besitze daher vorliegend keine Möglichkeit, den Skontierungszeitraum willkürlich zu verlängern. Die Klausel verstoße auch nicht gegen das Transparenzgebot. In einem zwischen Baufachleuten geschlossenen Vertrag begegne die Verwendung des Begriffs der Prüffähigkeit keinen Bedenken, weil einem Bauunternehmer dieser Begriff hinreichend geläufig sei. Denn er formuliere eine zentrale Anforderung an die Rechnungslegung (§ 14 Abs. 1 VOB/B). Die Skontoklausel sei daher wirksam.

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