WÄRME AUS ABWASSER

Wohin mit der Energie im Kanal?

Der Kanalanschluss, das letzte große Wärme-Leck in Gebäuden, wird auch durch die bisherige Fassung der Energieeinsparverordnung EnEV 2009 nicht gestopft. Immerhin verschwinden an dieser Stelle ca. 15% der Wärmeenergie eines Hauses älterer Bauart. Bezogen auf zukünftige Niedrigstenergiehäuser sind das vermutlich über 50%.

Wärme aus Abwasser gehört laut EEWärmeG nicht zu den regenerativen Energien, sondern zu Abwärme. Sie zu nutzen kann helfen, die in Kürze kommende EnEV 2012 und die dann bevorstehende EnEV 2020 zu erfüllen, ehrgeizige Klimaziele zu unterstützen und Betriebskosten zu sparen. Erfreulich aber ist es, dass im Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien EEWärmeG seit Anfang 2009 die Rückführung dieser Energie unter bestimmten Umständen finanziell unterstützt wird. Der Blick in die Zukunft reicht bei den Verantwortlichen in Berlin aber noch weiter: Die Bundesregierung will mit ihrem Energiekonzept den Wärmebedarf im Bestand langfristig senken mit dem Ziel „bis 2050 nahezu einen klimaneutralen Gebäudebestand zu haben.“ [2]

Die EU-Gebäuderichtlinie von 2010 verpflichtet die Mitgliedsstaaten ab 2021 nur noch Niedrigstenergiegebäude als Neubauten zuzulassen. Für öffentliche Gebäude soll dies bereits ab 2019 gelten. Als Niedrigstenergiegebäude definiert die EU „ein Gebäude, das eine sehr hohe […] Gesamtenergieeffizienz aufweist. Der fast bei Null liegende oder sehr geringe Energiebedarf sollte zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen […] gedeckt werden.“ [3]

Kanalwärme heizt Kindertagesstätte

Mit dem Kinderhaus Märzwiesen ist die Stadt Rauenberg (Rhein-Neckar-Kreis, im Norden Baden-Württembergs) Vorkämpfer dieser Initiative und zeigt, was im Einzelfall für öffentliche Gebäude schon heute möglich ist. Seit Januar 2010 werden 45 kW Heizbedarf ausschließlich durch die Abwärme aus dem Kanal gedeckt – monovalent, ohne zusätzliche Heiztechnik. Die Wärmeübertrager wurden nachträglich auf einer Strecke von 10 m Länge in den vor dem Gebäude unter der Straße liegenden Mischkanal eingebaut. Ein geschlossener Kreislauf gibt die gewonnenen 4 Grad Temperaturdifferenz zwischen Vor- und Rücklauf an die elektrisch betriebene Wärmepumpe im Gebäude ab. Laut Planung können so rund 47 % der Energie eingespart werden. [4] Thomas Glasbrenner, Leiter des Bauamts in Rauenberg, ist noch dabei, die erste vollständige Heizperiode 2011/2012 auszuwerten.↓

Gewaltiges Potential in Deutschland

Was aus privaten Haushalten nach Duschen, Baden, Waschen den Abfluss hinunter gespült wird oder als Kühlwasser aus Industriebetrieben in die Kanalisation gelangt, ist wohltemperiert. Demnach besteht flächendeckend Bedarf für Abwasserwärmepumpen. Ihre Anwendung rechnet sich laut e.qua, dem Netzwerk Energierückgewinnung und Ressourcenmanagement Wasser/Abwasser für jede Gemeinde mit mehr als 10.000 Einwohnern und entsprechendem Abwasserfluss. Besonders wirtschaftlich ist die Nutzung für Wärmegroßabnehmer wie Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser, Hallenbäder, Schulen und Wohnsiedlungen, aber auch für Industrie und Gewerbe sowie zur Versorgung von Nahwärmenetzen. Abwasser ist eine ganzjährig zuverlässige, lokal vorhandene Energiequelle mit einem konstanten Temperaturniveau bei 12-20°C. Abwasserkanäle, als emmissionsarme Energiequellen bislang weitgehend ungenutzt, bergen tatsächlich ein ständig an zahlreichen Standorten verfügbares Potential.

„Ging man bisher davon aus, dass 5-10% aller Gebäude mit Abwasserwärme beheizt werden können, so weiß man heute, dass dieser Wert aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten und der veränderten energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen höher liegt“, informiert Andreas Koschorreck. Er ist Geschäftsführer des Netzwerks e.qua. „Wärmegewinnung aus Abwasser erzielt eine CO2-Reduktion bis 60% und eine Einsparung an Primärenergie bis 40%“. Entsprechende Rahmenbedingungen vorausgesetzt, sind Anlagen zur Abwasserwärmenutzung im Vergleich zu fossilen Heizanlagen schon heute betriebswirtschaftlich wettbewerbsfähig. Bei richtiger Planung und Ausführung entstehen weder für das Entwässerungssystem noch für die Abwasserreinigung Nachteile. [1]

Stand der Technik

Durch Wärmeübertrager werden dem Abwasser ca. 2 bis 4 Grad Temperatur entzogen. Eine Wärmepumpe verdichtet die Abwasserwärme anschließend auf 50 bis 70 Grad Celsius. Dies ist ausreichend für Heizung und Warmwasserbereitung – und unter Berücksichtigung der Vollkosten deutlich preisgünstiger als die herkömmlichen Energielieferanten Öl und Erdgas laut e.qua. In Verbindung mit einem Heizkessel ist die Versorgungssicherheit selbst bei Spitzenlasten gewährleistet. Die Kopplung mit einem Blockheizkraftwerk, das neben Wärme auch Strom für die Wärmepumpe erzeugt, ist ebenfalls möglich. Wird die Wärmepumpe im Sommer als Kältemaschine betrieben, kann das Kanalwasser sogar zum Kühlen verwendet werden.

Das Prinzip „Energie aus Abwasser“ ist Stand der Technik, zumindest seit Erscheinen des Merkblattes DWA-M 114 im Juni 2009. [1] Es beschreibt Einsatzmöglichkeiten und Grenzen, gibt Informationen für Gemeinden, Stadtentwässerungsbetriebe und Planungsbüros. Enthalten sind auch Musterverträge für Vereinbarungen zwischen Bauherrschaft und Kanalbetreiber. Wärmerückgewinnung aus Abwasser ist seit 35 Jahren ein Thema. Etwa 30 Anlagen sind derzeit in Deutschland in Betrieb. Ein Dutzend Verfahren bzw. Hersteller aus Deutschland und der Schweiz stehen miteinander im Wettbewerb.

Energie aus Abwasser kann im Gebäude, in der Kanalisation oder innerhalb der Kläranlage gewonnen werden. Ideal ist eine Abwassertemperatur von mehr als 10°C. Nachfolgend vier konkurrierende Varianten der Wärmeentnahme aus dem Kanal.

Entnahmesysteme für den Kanal

– Nachträglich eingebaut: Auf der Kanalsohle befestigte, in der Regel aus Edelstahl gefertigte Elemente, mit geschlossenem Leitungskreis zur Wärmepumpe im Gebäude. Wegen des manuellen Einbaus erst ab DN 800.

– Integriert: Bei Kanalneubauten direkt mit dem speziell dafür gefertigten Beton- oder Kunststoffrohr verbunden bzw. darin eingelassen, ab DN 300.

– Extern: Wärmegewinnung außerhalb des Kanals durch einen Abwasserteilstrom, der zu einem oberirdischen Wärmetauscher und zurück geleitet wird. Die Entnahmetechnik bestimmt die geeigneten Kanaldurchmesser.

– Inline: Bei der Sanierung von Kanalabschnitten werden so genannte Inliner mit eingebauten Wärmetauschermatten eingezogen. Aufgrund ihres Materials ist der Wärmeübergang nicht optimal, doch eignet sich die Methode bereits ab DN 200.

Wartung oder Überdimensionierung?

Fouling, das Entstehen von Ablagerung und Biofilm als Sielhaut auf den vom Abwasser überströmten Wärmeübertragern, kann durch die unerwünscht dämmende Wirkung bis zu 50% des Wärmeertrags kosten. Beim Kinderhaus in Rauenberg wurde diese Wirkung bei der Bemessung der Anlagengröße vom Hersteller berücksichtigt. Das heißt, die zu erwartende Verschmutzung der nachträglich auf der Kanalsohle eingesetzten Edelstahlelemente wurde durch Überdimensionierung kompensiert, so dass keine Wartung für Reinigung nötig ist. Ein anderer Produzent setzt bei der Montage Kupferstreifen zwischen seine Wärme übertragenden Edelstahlelemente in der Kanalsohle ein, um sie durch die Wirkung der Kupferionen frei von Bewuchs zu halten. Die externen Systeme mit oberirdischem Wärmetauscher kommen bislang nicht ohne Wartung aus. Hier wird die Abwasserleitung, die den Teilstrom führt, automatisch gereinigt. Je nach Fabrikat laufen unterschiedliche Reinigungsintervalle und -methoden ab.

Wertschöpfung in der Region

Politiker des Bundes und der Länder betonen zurzeit den volkswirtschaftlichen Vorteil der regenerativen Energie. Für die Wärme aus Abwasser gilt sinngemäß dasselbe: Weniger Kapital fließt für Energieimporte aus der Region ab, sichere neue Arbeitsplätze entstehen und zusätzliche Steuereinnahmen stärken die Kommunen.

Forschungsvorhaben des Bundesumweltministeriums

Marie-Luise Dött, umweltpolitische Sprecherin der CDU-Bundestagsfraktion, in einem Interview zum Thema Innovationen in der Wasserwirtschaft:
„… Optimierungspotential sehe ich insbesondere bei der Verbesserung der Energieeffizienz im Wassersektor, bei der Nutzung von Abwasser als Ressource für die Energiegewinnung. Auch die Rückgewinnung von Nährstoffen und Rohstoffen wird bei absehbar steigenden Preisen wirtschaftlich interessant. Ich begrüße es deshalb, dass die Bundesregierung die Entwicklung und Erprobung entsprechender Lösun­gen durch Forschungs- und Demonstrationsvorhaben fördert. Beispielhaft möchte ich hier die Forschungsvorhaben des Bundesumweltministeriums zu Mög­lichkeiten der Steigerung der Energieeffizienz bei kommunalen Kläranlagen und die Untersuchungen der Voraussetzungen für Projekte zur Wärmerückgewinnung aus dem Abwasser nennen. …“
 
Quelle: fbr-wasserspiegel 2/12, Seite 14

Abwärme im EEWärmeG
Seit dem 01.05.2011 ist das novellierte Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz – EEWärmeG) in Kraft. Zweck dieses Gesetzes ist es, insbesondere im Interesse des Klimaschutzes, der Schonung fossiler Ressourcen und der Minderung der Abhängigkeit von Energieimporten, eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen und die Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Wärme aus Erneuerbaren Energien zu fördern. Laut EEWärmeG wird Abwasserwärme nicht als erneuerbare Energie eingestuft (§ 2 Abs.1), sondern als Abwärme (§ 2 Abs. 2). Die Nutzung von Abwärme ist eine Ersatzmaßnahme, wenn der Wärmeenergiebedarf zu mindestens 50 % aus Anlagen zur Nutzung von Abwärme gedeckt wird (§ 7). Dabei ist eine Mindest-Jahresarbeitszahl gemäß der Anlage zum Gesetz, Abschnitt III und IV, von 4,0 bei Nutzung der Wärmepumpe nur für Heizung und von 3,8 bei Nutzung für Heizung und Warmwasser zu erreichen.
 
Quelle: Merkblatt DWA-M 114. Energie aus Abwasser, Wärme und Lageenergie. DWA, Juni 2009, mit Bezug auf die Fassung des Gesetzes gültig ab 01.01.2009.
Literatur
[1] DWA-Regelwerk: Merkblatt DWA-M 114. Energie aus Abwasser, Wärme und Lageenergie. (Hrsg.:) DWA, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. Hennef, Juni 2009.
 
[2] Energiekonzept der Bundesregierung: Deutscher Bundestag: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung und 10-Punkte-Sofortprogramm – Monitoring und Zwischenbericht der Bundesregierung, Drucksache 17/3049, vom 28.09.2010, www.bundestag.de
 
[3] EU-Gebäuderichtlinie: Richtlinie 2010/31/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Neufassung), verkündet am 16. Juni 2010 im Amtsblatt der Europäischen Union, Seite L 153/13 bis 153/35, gilt seit 1. Juli 2010. www.enev-online.de/epbd/2010
 
[4] König, K. W.: Abwasser als Wertstoff. In: Wasserwirtschaft Wassertechnik wwt Heft 5, Seite 25 bis 27. Huss Medien, Berlin, 2012.
 
[5] Energie aus Abwasser. gwf Praxiswissen, (Hrsg.:) Christine Ziegler, Band III. Oldenbourg Industrieverlag, München, 2011.
 
[6] Lang, J. et al: Kompendium Abwasserwärmenutzung. Ständig aktualisiertes Nachschlagewerk und Arbeitsinstrument für Wasserwirtschaft, Behörden, Planer, Wohnungswirtschaft und Industrie. Trialog Verlag Berlin, 2012.
 
Internet-Quellen:
 
Fachportal EnEV-online, www.enev-online
Fachportal Netzwerk e.qua, www.e-qua.de
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