Seen säen

Vom Braunkohleabbau zur Tourismusregion

Im Dreiländereck Brandenburg, Sachsen und Polen wächst Europas größte von Menschenhand geschaffene Wasserlandschaft. Aus ehemaligen Abbaugruben werden touristisch nutzbare Seen. Bauwerke wie Schleusen müssen jedoch dem anfangs sauren Wasser trotzen.

Aufbau statt Abbau: Wo noch vor wenigen Jahren Kumpel Braunkohle abbauten, sollen sich bald Touristen tummeln – in der frisch ins Leben gerufenen sächsisch-brandenburgischen Tourismusregion „Lausitzer Seenland“. Im Kernbereich des ehemaligen Lausitzer Braunkohlereviers werden dazu aus alten Abbaugruben 21 größere Seen geschaffen, mit etwa 13 000 Hektar Wasserfläche sowie umliegenden Wald- wie Naturflächen. Das Tourismuskonzept setzt auf Vielfalt und aktive Erholung, wobei die vielen unterschiedlichen Seen jeder Zielgruppe eine eigene Attraktion bieten sollen. Für die verantwortliche Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau- Verwaltungsgesellschaft (LMBV) ist eine solche Umnutzung ein normaler Vorgang. Sie ist durch das Berggesetz verpflichtet, ihre alten Tagebauflächen einer neuen Verwendung zuzuführen. Das Mammutprojekt wird auf mehr als hundert Quadratkilometern das Gesicht der Landschaft komplett verändern. Damit ist die Lausitzer Seenlandschaft nicht nur das zurzeit umfangreichste Entwicklungsprojekt in dieser Kategorie in Europa, sie ist ebenso das größte europäische Wasserbauvorhaben in den kommenden 15 Jahren. Denn allein um einen ausgeglichenen, sich weitestgehend selbst regulierenden Wasserhaushalt herzustellen, müssen die Grundwasserleiter und die Tagebauseen in der Lausitz mit etwa sieben Milliarden Kubikmetern Wasser wieder aufgefüllt werden. Da das nachsickernde, einfließende Grundwasser und der Regen allein hierfür nicht ausreichen, müssen die Restlöcher, nachdem sie geotechnisch gesichert wurden, zum Großteil aktiv zu Seen geflutet werden.

Wasser muss noch verbessert werden

Bisher sind mit fast 5,1 Milliarden Kubikmetern Wasser mehr als zwei Drittel der erforderlichen Menge aufgefüllt worden – trotz des verbleibenden Defizits von rund 1,9 Milliarden Kubikmetern ein gutes Zwischenergebnis, denn der Abschluss des Projekts ist erst auf 2030 geplant. Nichtsdestotrotz sollen die Seen so früh wie möglich nutzbar gemacht werden, denn schließlich existieren mit dem Senftenberger See, dem Knappen- und dem Silbersee bereits Gewässer, die seit Jahrzehnten beliebte Naherholungsgebiete sind und erfolgreich touristisch genutzt werden. Frisch hinzugekommen sind bereits der Geierswalder und der Partwitzer See sowie der Bärwalder, der Dreiweiberner und der Sedlitzer See.
Bis jetzt springen jedoch nur wenige Fische aus dem Wasser. Einige Seen sind noch zu sauer für Flora und Fauna. Der Grund: Durch den ehemaligen Abbau freigelegtes Gestein wie Pyrit reagiert mit Wasser und Sauerstoff zu Schwefelsäure und lässt das Gewässer sauer werden. Momentan liegt der pH-Wert einiger der frisch vollgelaufenen Seen zwischen 2,7 und 2,9. Das ist zwar nicht ganz so sauer wie Essig, aber für die meisten Lebewesen nicht geeignet. Sie werden sich erst ansiedeln, wenn sich das Wasser neutralisiert hat – entweder indem aktiv Soda, Kalkmilch oder neutralisierende Bakterien eingebracht wurden oder einfach mit der Zeit von selbst. Wie lange das insgesamt dauert, wissen die Verantwortlichen heute noch nicht auf den Tag genau, zu viele Faktoren spielen dabei eine Rolle. Bis zum Jahr 2020 sollen die meisten Seen jedoch fit sein für den großen, offiziellen Start der Tourismusregion „Lausitzer Seenland“.

Fit gegen saures Wasser

Doch Schleusen, Überleiter und Fischtreppen müssen jetzt gebaut gebaut werden. Sie können nicht warten, bis das Wasser der Seen neutral ist. Das stellt hohe Anforderungen an den Beton. Zum Beispiel beim Überleiter Nummer 6, der den Partwitzer mit dem Neuwieser See verbindet. Der Beton für den Überleiter, eine Fischtreppe und eine integrierte Schleuse ist pH-Werten von 2,7 bis 2,9, Sulfaten sowie Kohlendioxiden ausgesetzt. Gegen diese starken chemischen Angriffe kann keine Beschichtung schützen, da sie durch den geplanten Schiffsverkehr beschädigt werden würde. Vom Lieferanten TBG Transportbeton Elster-Spree, dem Lieferpartner Kann Beton und HeidelbergCement war daher ein säurewiderstandsfähiger Beton gefragt.
Keine einfache Aufgabe, wie Peter Bolzmann, Leiter der Betotech Bereich Berlin-Brandenburg, berichtet: „Da kein herkömmlicher Beton diesen chemischen Angriffen standhalten kann, mussten wir einen speziellen säurewiderstandsfähigen Beton entwickeln.“ Die Betotech entwarf daher gemeinsam mit dem Zementlieferwerk Königs Wusterhausen von HeidelbergCement und dem Zusatzmittelhersteller BASF neue Rezepturen.

Bolzmann: „Wir entwickelten drei verschiedene Betonzusammensetzungen. Dabei verwendeten wir als Ausgangsstoffe CEM II/B-S 42,5 N, Steinkohlenflugasche, Mikrosilica, eine Kombination von zwei PCE-basierten Fließmitteln und regionale Gesteinskörnungen.“ Nach den Ergebnissen der Vorprüfungen testete Dr. Roland Hüttl, von der MPA Berlin-Brandenburg, zwei der entworfenen Betone. Dazu wurden sie unter anderem zwölf Wochen in Schwefelsäure gelagert. Und sie mussten zeigen, dass sie zum Beispiel dicht gegenüber gelösten Schadstoffen und Chloriden sind und ihre Stahlbewehrung nicht korrodiert. Die Ergebnisse dieser gelieferten Betone wurden dann im Vergleich zum Beton der Erstprüfung und einem Referenzbeton bewertet – und der von HeidelbergCement entwickelte Beton wurde als gleich leistungsfähig bei einem Schwefelsäureangriff eingestuft. Derart fit gegen das saure Wasser, konnten die Betone ab Dezember 2009 problemlos eingesetzt werden. Da jedoch für die Bodenplatte des Überleiters bis zu sechzig Kubikmeter Beton in der Stunde ausgeliefert werden mussten, wurde der Beton in drei Transportbetonwerken gleichzeitig hergestellt: dem Transportbeton-Lieferpartner TBG Transportbeton Elster-Spree (mit zwei Lieferwerken) und Kann Beton Lausitz. Auf der Baustelle wurde der Beton dann mit zwei Betonpumpen an den Einbauort befördert und eingebaut. Bei sonnigem Wetter entstand so die Bodenplatte aus etwa 600 Kubikmetern säurewiderstandsfähigem Beton, der 50 t Bewehrung umhüllt. Um die geglättete Oberfläche der Bodenplatte gegen vorzeitiges Verdunsten von Wasser zu schützen, wandte das Baustellenpersonal nach einem exakt definierten Nachbehandlungskonzept einen kombinierten Schutz aus Nachbehandlungsmittel und Folienabdeckung an. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Trotz der hohen Hydratationswärme des Betons konnte eine nahezu rissfreie Bauteiloberfläche realisiert werden.
Bisher kamen in der Bodenplatte, den Kammerwänden und der Fischtreppe 2300 Kubikmeter säurewiderstandsfähiger Stahlbeton zum Einsatz. Bis Mai 2011 sollen die Baumaßnahmen abgeschlossen sein – ein weiterer Schritt in Richtung touristische Nutzung des Lausitzer Seenlandes.

HeidelbergCement AG; Internet: www.heidelbergcement.de

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