„Die Anwendungsbereiche werden wachsen“

Im Interview: Dr. Michael Heibaum über Geokunststoffe im Wasserbau

Dr.-Ing. Michael Heibaum arbeitet bei der Bundesanstalt für Wasserbau mit Sitz in Karlsruhe. Der Abteilungsleiter Geotechnik beschäftigt sich seit 1985 mit dem Einsatz von Geokunststoffen im Wasserbau und spricht über seine Erfahrungen und Erwartungen.

Herr Dr. Heibaum, können Sie sich noch an die Anfänge der Geokunststoff-Anwendungen im Wasserbau erinnern?

Dr. Michael Heibaum: Die Anfänge des Einsatzes von Geokunststoffen im Verkehrswasserbau liegen bereits eine deutliche Zeit vor meinem Eintritt in die Bundesanstalt für Wasserbau. Die ersten Pionieranwendungen erfolgten 1968/69 am Dortmund-Ems-Kanal und am Nord-Ostsee-Kanal. Die neue Bauweise, bei der die traditionellen Kornfilter durch einen Geotextilfilter ersetzt werden, erzeugte Neugier, wurde jedoch nur relativ selten eingesetzt. Erst Anfang der 80er Jahre beobachten wir einen Entwicklungssprung, vermutlich gefördert durch die Geotextilkonferenz 1984 in London. Mit der Möglichkeit, hier eine neue Bauweise zu verfolgen, ergab sich natürlich auch sofort die Frage nach der korrekten Bemessung. Das Wissen über das Verhalten von Geotextilien, vor allem im Verkehrswasserbau als Filter unter Deckwerken, war noch relativ gering, insbesondere weil die hydraulischen Randbedingungen an Wasserstraßen besonders hohe Belastungen für einen Filter bedeuten.

Was meinen Sie damit?

Dr. Michael Heibaum: Die übliche Belastung eines Filters ist geprägt durch die einseitig gerichtete unidirektionale Strömung des Wassers durch den Boden. Im Verkehrswasserbau wird der Filter jedoch in beide Richtungen beansprucht, da manchmal der Grundwasserstand, manchmal der freie Wasserspiegel höher liegt. Kommen dann noch pulsierende und turbulente Belastungen dazu, z. B. durch Wellen oder durch eine Schiffspassage, so steigen die Anforderungen an einen Filter erheblich, um auch unter diesen hydraulischen Randbedingungen sicher zu stellen, dass keine Erosion des anstehenden Bodens erfolgt. Damit war die damals übliche Vorstellung hinfällig, dass sich hinter einem geotextilen Filter im Boden ein Sekundärfilter ausbildet, da durch die turbulente, pulsierende und richtungswechselnde Strömung sich so ein Sekundärfilter nicht aufbauen kann. Es gab für die Bemessung von geotextilen Filtern zur damaligen Zeit keine theoretische Bemessungsmöglichkeit und auch noch keine Prüfungen, in denen die Wechselwirkungen zwischen Wasser, Boden und Filter simuliert werden konnte.

Was versuchte die Bundesanstalt für Wasserbau daraufhin zu ändern?

Dr. Michael Heibaum: Zur Simulation des Filtrationsverhaltens unter den o. g. Randbedingungen wurden zwei Versuche entwickelt. Zum einen das so genannte Durchströmungsverfahren für sandige bis schwach schluffige Böden und zum anderen das Turbulenzverfahren für feinerkörnige Böden. Im Durchströmungsverfahren wird ein Gefäß mit Bodenmaterial und geotextilem Filter zyklisch in Wasser getaucht und wieder herausgezogen. Dieses Verfahren wurde in anderen Ländern auch genutzt, um die Öffnungsweite von geotextilen Filtern zu bestimmen.

Im Turbulenzverfahren ist die Beanspruchung wesentlich höher, da hier durch einen Rotor an der Grenzschicht zwischen Boden und Filter eine pulsierende Strömung erzeugt wird, die selbst feinkörniges Material, das bei geringerer hydraulischer Beanspruchung nicht mobilisiert würde, in Bewegung bringt und bei ungeeignetem Filtermaterial zur Erosion des Bodens durch den Filter führt.

Wie sieht es mit der Einbaubeanspruchung aus?

Dr. Michael Heibaum: Geotextile Filter müssen eine sehr hohe Robustheit aufweisen. Sie werden mit schwerem Gerät verlegt, so dass selbst bei sorgfältiger Geräteführung erhebliche Zugspannungen im Geotextil auftreten können, wie sie in der weiteren Nutzungsdauer nie mehr auftreten. Anschließend werden Wasserbausteine auf die Filterlage verklappt, im Wasserwechselbereich erfolgt die Verlegung mit Baggern, so dass durchaus ein Wasserbaustein auch aus etwas größerer Höhe auf den geotextilen Filter auftreffen kann. Auch hierfür gibt es ein Testverfahren, mit dem alle im Verkehrswasserbau einzusetzenden geotextilen Filter geprüft werden: Ein Fallgewicht mit definierter Geometrie und Fallenergie darf das Geotextil beim Aufprall nicht erkennbar schädigen. In der weiteren Nutzungszeit des Geotextils muss das Material zudem Scheuerbewegungen aus den Steinen des Deckwerks ertragen können, die infolge der hydraulischen Einwirkungen auf die Wasserbausteine unvermeidlich sind. Auch dafür wurde ein besonderer Test entwickelt, der sich inzwischen fest etabliert hat.

Mit diesen Tests werden an das Material relativ hohe Anforderungen gestellt, wobei sich recht bald zeigte, dass sehr wohl Geotextilien produziert werden können, die diese Anforderungen erfüllen. Dabei wurde deutlich, dass es eine signifikante Korrelation von Masse pro Flächeneinheit und Robustheit gibt, jedoch ist die Masse allein nicht hinreichend, wie sich in den vielen Tests, die seit dem durchgeführt wurden, gezeigt hat.

Sie beschäftigen sich aber nicht nur mit dem Einsatz von Geotextilien als Filtermatten, sondern auch mit dem Einsatz von Geokunststoffsandcontainern und Dichtungssystemen, so genannte Bentonitmatten, im Wasserbau. Welche Erfahrungen haben Sie mit Geokunststoffsandcontainern gemacht?

Dr. Michael Heibaum: Der Einsatz von Geokunststoffsandcontainern in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung ergab sich aus einer gewissen Notsituation heraus. Am Eidersperrwerk entstanden durch das längerfristige Schließen eines der Wehrtore sowohl auf der Seeseite als auch binnenseits sehr tiefe Kolke. Diese bis zu 22 m tiefen Kolke hatten auch noch eine recht steile Böschung und bewegten sich allmählich auf das Sperrwerk zu. Es war also höchste Zeit für eine wirksame Gegenmaßnahme. Die üblichen Kolksicherungsverfahren, insbesondere der Einbau von Sinkstücken, konnten aufgrund der steilen Kolkböschungen nicht zum Einsatz kommen. Ein Filter zur Sicherung der Kolkböschung war jedoch unerlässlich, da eine Sicherung nur mit Wasserbausteinen nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt wäre, da der anstehende Feinsand durch die Wasserbausteine hindurch erodiert worden und das System damit instabil geblieben wäre. Es stellte sich also die Frage, wie ein Filter auf die Kolkböschung aufgebracht werden kann. Ein üblicher Kornfilter würde durch die Wellen und durch die Tideströmung weggespült werden. Schließlich entstand die Idee, Filtermaterial in 1 m³ große Vliesstoffcontainer zu füllen und diese Container lückenlos auf die Kolkböschung aufzubringen. Da hier Neuland betreten wurde, waren die Anforderungen sehr hoch: sowohl das Füllmaterial für die Vliesstoffcontainer war filtergerecht gegenüber dem anstehenden Boden als auch die Containerhülle, die als geotextiler Filter bemessen wurde. Die Idee wurde schließlich zum Riesenerfolg, denn es zeigte sich, dass zwar 40 000 Container nötig waren, um hier zweilagig vollflächig eine entsprechende Sicherung aufzubringen, diese jedoch den angreifenden hydraulischen Einwirkungen stand hielten. Beim Einbau erwiesen sich die Vliesstoffcontainer als außerordentlich robust: weniger als 20 Container wurden beim Einbau verletzt, wie die permanenten Taucherkontrollen ergaben.

Gibt es für Geokunststoffcontainer auch einen Falltest zum Nachweis der Einbausicherheit?

Dr. Michael Heibaum: Dafür wurde kein eigener Test entwickelt, da wir überzeugt waren, dass der Vliesstoff, der den vorhin beschriebenen Falltest bestanden hat, auch robust genug ist, die Einbaubeanspruchung eines Containers zu überstehen. Aus reinen Demonstrationszwecken haben wir allerdings öfter schon einmal einen gefüllten Geokunststoffcontainer aus 2 m Höhe auf den Boden fallen lassen. Dabei zeigte sich, dass sowohl der Vliesstoff als auch die Nähte den Beanspruchungen stand gehalten haben. Die hohe Dehnfähigkeit von Vliesstoffen ermöglicht hier eine entsprechende Energieumwandlung beim Aufprall der Geokunststoffcontainer selbst auf einen Betonboden.

Welche Rolle spielen Bentonitmatten im Wasserbau?

Dr. Michael Heibaum: Das klassische Dichtungsmaterial für Kanäle, deren Wasserspiegel oberhalb des Grundwasserspiegels liegt, ist aufbereiteter Naturton. Allerdings gab es immer wieder Untersuchungen, hierfür alternative Dichtungsmaterialien zu finden und einzusetzen. Dabei kam die Bentonitmatte (auch geosynthetische Tondichtungsbahn genannt) ins Gespräch, womit allerdings wieder völliges Neuland betreten wurde. Sämtliche Einbauvorschriften für alle bis dahin bekannten Einsatzgebiete für Bentonitmatten verlangten, dass der Einbau ausschließlich im Trockenen erfolge und die Matte vor der ersten Wasserbenetzung durch eine Überlagerungsschicht geschützt sein müsse. Der Dichtungseinbau in unseren Kanälen erfolgt jedoch in den allermeisten Fällen unter Wasser, da der Schiffsverkehr nicht unterbrochen werden kann. Die ins Auge gefassten Bentonitmatten zeigten jedoch, dass ein Quellen der Matte ohne Auflast durchaus möglich ist, da die beiden Geotextilkomponenten, zwischen denen die Bentonitlage eingestreut ist, vollflächig so gut vernadelt sind, dass der Quelldruck problemlos aufgenommen werden kann. Eine Neuentwicklung war auch die Überlappung, die keine Nachbehandlung braucht, um wirklich dicht zu sein. Dies wurde erreicht, indem der Vliesstoff mindestens im Randbereich mit Bentonit imprägniert und somit eine Wasserwegigkeit in der Geotextilebene unmöglich wurde. Damit konnte man vom Grundsatz her an eine Unterwasserverlegung denken, denn eine Nachbehandlung der Überlappungen wäre hier im Gegensatz zum Trockeneinbau nicht möglich gewesen. Es gab aber dann noch eine weitere Herausforderung: Bentonit quillt auf, sobald er mit Wasser in Berührung kommt. Das bedeutet, dass ein Teil des Bentonits gequollen ist, bevor die Wasserbausteine auf die Matten aufgebracht sind. Die Frage war daher, inwieweit durch den Aufprall und den Druck der Wasserbausteine der Bentonit aus den teilgequollenen Bentonitmatten herausgequetscht oder innerhalb der Matte seitlich verdrückt werden würde. Diese Beanspruchung konnte stark verringert werden, indem eine Sandmatte auf der Bentonitmatte und unmittelbar mit dieser verlegt wurde. Dies war auch nötig, weil die noch nicht gesättigte Bentonitmatte im Wasser schwimmen würde und erst durch das Gewicht der Sandmatte auf den Untergrund angedrückt wird.

Welche Funktion hatte die BAW bei den Dammbrüchen an der Oder?

Dr. Michael Heibaum: Grundsätzlich sind für den Hochwasserschutz die Länder verantwortlich und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung für die Leichtigkeit und Sicherheit des Schiffsverkehrs. Bei den Hochwasserereignissen 1998 an der Oder haben wir als Bundesbehörde lediglich Amtshilfe geleistet. Im Nachgang zu den Deichbrüchen mussten die Deiche saniert oder neu gebaut werden. Hierbei wurde häufig eine Bentonitmatte auf der Wasserseite des neuen oder ertüchtigten Deiches als Dichtung eingebaut. Damit wird die Infiltration des Wassers durch die Böschung des Deiches verhindert. Das Gesamtsystem muss ferner so geplant werden, dass auch die Unterströmung eines Deiches behindert oder zumindest minimiert wird. Für den Einsatz von Bentonitmatten im Deichbau fehlten zunächst allgemeingültige Regelwerke. Daher wurde von den ausschreibenden Stellen auf die Regelungen für Bentonitmatten im Verkehrswasserbau, die wir inzwischen aufgestellt hatten, zurückgegriffen. Die Beanspruchung einer Bentonitmatte im Verkehrswasserbau ist jedoch wesentlich höher als im Deichbau, so dass hierfür andere Kriterien gesucht werden mussten. Um dies zu unterstützen, haben wir eine Reihe von Bentonitmatten aus Deichen nach mehrjährigen Liegezeiten ausgegraben und im Labor untersucht. Geprüft wurden die Zug- und die Verbundfestigkeit sowie als wichtigste Eigenschaft die Durchlässigkeit nach mehrjähriger Liegezeit. Die Ergebnisse waren in der Mehrzahl erfreulich: Die nach bis zu 7 Jahren Liegezeit ausgegrabenen vollflächig vernadelten Bentonitmattentypen hatten nicht gelitten, sie wiesen nur eine minimale, aber normale Erhöhung der Durchlässigkeit infolge der Ionenumwandlung auf und zeigten im Großen und Ganzen die gleichen Eigenschaften wie Neuware. Negative Erfahrungen, wie die Durchwurzelung von Bentonitmatten und die damit verbundene Durchlässigkeitserhöhung, sind nicht der Bentonitmatte, sondern einer falschen Bauweise anzulasten, denn gemäß der entsprechenden Normung sollen Hochwasserschutzdeiche ausschließlich mit Gras bepflanzt sein.

In Deutschland hat sich der Einsatz von Geokunststoffen im Wasserbau offenbar durchgesetzt. Wie sieht es international aus?

Dr. Michael Heibaum: Die erwähnten positiven Erfahrungen haben sich auch international bestätigt und wurden auf den internationalen Konferenzen der vergangenen Jahre ausgiebig diskutiert. Weltweit ist eine Zunahme der Bauweisen mit Geokunststoffen im Nassbereich zu beobachten. Insbesondere im Kolk- und Erosionsschutz werden solche Bauweisen – hier verstärkt mit Geokunststoffcontainern – weiterentwickelt und verstärkt eingesetzt. Dabei reichen die Containergrößen noch von einem Mann tragbaren 100 bis 125 kg für Bauweisen, die sich insbesondere für Entwicklungsländer als geeignet erwiesen haben, bis hin zu Großcontainern von 300 bis 500 m³ Inhalt, die im Küstenschutz und für künstliche Riffe eingesetzt werden. Bauen mit Geokunststoffen erweist sich häufig als kostengünstig, da der Geokunststoff leicht ist und damit die Transportkosten niedrig gehalten werden können. Bei entsprechenden Containerbauweisen kann häufig lokales Füllmaterial verwendet werden, was insbesondere dann von großer Wichtigkeit ist, wenn keine natürlichen Fels- oder Steinressourcen zur Verfügung stehen. Insgesamt erwarte ich, dass sich die Anwendungsgebiete für die Bauweisen mit Geokunststoffen im Wasserbau weiter vergrößern werden, und die Rückschau zeigt, dass wir inzwischen auch ausreichende theoretische und versuchstechnische Möglichkeiten haben, solche Bauweisen sicher zu planen.

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