„Bodenbewehrung – Der Markt mit den größten Steigerungsraten“

Potenzial bei weitem nicht ausgeschöpft

Martin Ziegler ist Professor für Geotechnik im Bauwesen am Lehrstuhl der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Seit drei Jahren gehört der 55-Jährige dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik (DGGT) an und leitet dort die Fachsektion „Kunststoffe in der Geotechnik“. Im Interview mit www.geo-site.com bezieht Prof. Dr.-Ing. Martin Ziegler Stellung zu der Rolle von Geokunststoffen bei der  Bodenbewehrung.

Herr Professor Ziegler, wie sehen Sie die deutsche Marktentwicklung beim Einsatz von Geokunststoffen im Bauwesen?

Martin Ziegler: Von der Größe her werden in etwa einhundert Millionen Quadratmeter Geokunststoffe jährlich verbaut, wobei die Wachstumsrate zwischen fünf und acht Prozent über alle Segmente in den letzten Jahren liegt. Der mengenmäßige Anteil der Trenn-, Filter- und Schutz-Vliesstoffe am gesamten Geokunststoff-Marktvolumen liegt bei etwa achtzig Millionen Quadratmetern, der Markt für Produkte zum Dichten, wie Kunststoffdichtungsbahnen und Bentonitmatten ist etwa acht Millionen Quadratmeter groß und der Markt für Bodenbewehrungsgitter rund elf Millionen Quadratmeter. Der Markt ist derzeit bei den Vliesstoffen und auch bei den Dichtungsprodukten weniger steigerungsfähig als bei den Bewehrungsprodukten. Die größte Steigerungsrate mit bis zu 15 Prozent jährlich haben derzeit die Geogitter.


Sie haben kürzlich die 11. Informations- und Vortragstagung Geokunststoffe in der Geotechnik (KGEO) durchgeführt. Können Sie etwas zu den Schwerpunkten und den Trends dort sagen?

Martin Ziegler: Sinn und Zweck der KGEO ist, das Wissen um Geokunststoffe und den aktuellen Stand der Forschung zu bündeln und einer breiten Fachwelt zugänglich zu machen. In diesem Jahr lag der Schwerpunkt ganz klar bei den Bewehrungsprodukten. Für mich ist sehr interessant, dass diese Bauweise inzwischen auch bei schwierigen Bauwerken eine größere Akzeptanz gefunden hat und vermehrt zum Einsatz kommt. Auf der Veranstaltung haben wir dazu einige spektakuläre Projekte mit Geogitterbewehrungen kennen gelernt. Den Trend zum verstärkten Einsatz von Geokunststoffbewehrungen auch unter schwierigen Randbedingungen hat man auch bei den Vorträgen gesehen: Es gab insgesamt vier Vortragsblöcke, von denen sich drei fast ausschließlich mit Geokunststoff-Bodenbewehrungen befassten.


Wie sind Sie mit den Besucherzahlen und der Struktur der Besucher zufrieden?

Martin Ziegler: Die KGEO besuchen sehr unterschiedliche Berufsgruppen: Wissenschaftler, Vertreter von Ingenieurbüros, Behörden-Vertreter, Mitarbeiter von Bauunternehmen und natürlich die Hersteller. Als noch ausbaufähig, wie ich meine, ist vielleicht das Interesse der Bauunternehmen anzusehen, denn gerade diese Gruppe kann mit Geokunststoffen intelligente Lösungen schaffen und wirtschaftliche Alternativen anbieten. Die Ingenieurbüros, die kostengünstige Bauweisen ausschreiben müssen, sind traditionsgemäß stark vertreten, genauso wie die Mitarbeiter der Behörden, die die Pläne schließlich genehmigen müssen.


Bei Bewehrungsprodukten steht immer die Sicherheit im Vordergrund. Welche Regelwerke gibt es für diesen Bereich?

Martin Ziegler: Da gibt es zunächst einmal die übergeordnete DIN 1054, die die Sicherheit im Bereich der Geotechnik jetzt neu geregelt hat und inzwischen auch im Einklang mit den europäischen Regelwerken steht. Und in DIN 1054 findet sich speziell für den Bereich der Geokunststoffbewehrungen der Hinweis auf die Empfehlungen für den Entwurf und die Berechnung von Erdkörpern mit Bewehrungen aus Geo-
kunststoffen (EBGEO), die jetzt neu im Entwurf vorliegen und von der Homepage der Fachsektion heruntergeladen werden können (www.gb.bv.tum.de/fachsektion/ebgeo-kontakt/index1.php). Ich denke, dass sie auch in diesem Jahr noch endgültig verabschiedet und veröffentlicht werden. Die EBGEO und DIN 1054 stellen ein in sich konsistentes Regelwerk zum Nachweis der Sicherheit geokunststoffbewehrter Konstruktionen dar.


Wie schlägt sich dieser Trend in der Forschung und Entwicklung nieder?

Martin Ziegler: Wir in Aachen haben uns das Thema Geokunststoffe gleich nach meinem Amtsantritt vor etwa neun Jahren auf die Fahne geschrieben, weil ich sehr früh erkannt hatte, dass Verbundkonstruktionen mit Geokunststoff-Produkten ein großes Potenzial bieten. In der Öffentlichkeit fehlt dafür aber oft die Akzeptanz, da es Bedenken gegenüber Geokunststoffen gibt, weil sie wie viele  Kunststoffe gewisse Veränderungen mit der Zeit erfahren. Meines Erachtens sind diese Produktveränderungen aber bei weitem nicht so groß, wie allgemein angenommen wird. Wir beobachten ja durchaus auch bei anderen Baustoffen Alterungsprozesse, die aber anstandslos akzeptiert werden. Denken Sie nur zum Beispiel an die Rostbildung bei Stahlkonstruktionen. Solche Alterungsprozesse gibt es auch bei Geokunststoffen, aber Geokunststoffkonstruktionen werden bisher auch mit sehr hohen, vielleicht auch zu hohen Sicherheitsfaktoren belegt. Ich bin daher überzeugt, dass das Potenzial der Geokunststoffe gerade bei Bewehrungsprodukten bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist, weil insbesondere auch die existierenden Berechnungsverfahren meist weit auf der sicheren Seite liegen. Ich denke, dass das eigentliche mechanische Spannungs-Dehnungsverhalten der Verbundkonstruktion aus Boden und Geokunststoff noch nicht genügend verstanden ist. Die meisten Materialprüfungen beziehen sich immer noch allein auf das Geokunststoffprodukt selbst, ohne die Wechselwirkung zwischen Geokunststoff und Boden zu betrachten. Aber gerade beim Interaktionsverhalten gibt es erkennbar sehr viele positive Aspekte, die es gilt, mechanisch exakt zu beschreiben und in die Berechnungsverfahren einzuführen. Immer wieder zeigen Großversuche an geokunststoffbewehrten Konstruktionen, dass die tatsächliche Tragfähigkeit weitaus größer und die tatsächliche Verformung viel kleiner ist, als  rechnerisch ermittelt wurde.


Im Betonbau stellen unbewehrte Kons-
truktionen die Ausnahme, bewehrte Konstruktionen hingegen die Regel dar. Müssten angesichts der von Ihnen genannten Vorteile geogitterbewehrte Konstruktionen nicht auch eher die Regel als wie bisher die Ausnahme darstellen?

Martin Ziegler: Beton als solcher hat hervorragende Eigenschaften, wenn es darum geht, Druckbeanspruchungen aufzunehmen. Beton kann aber nur in geringem Maße Zugbeanspruchungen übertragen, weshalb im Stahlbetonbau dann eben die Stahl-Armierungen eingelegt werden. So ist es auch mit dem Boden. Ein Boden kann überhaupt keine Zugspannungen aufnehmen. Allenfalls bei kohäsiven Böden gibt es so etwas wie eine Zugfestigkeit, die aber rechnerisch ohnehin nicht in Ansatz gebracht wird. Geokunststoffbewehrungen hingegen können im Verbund mit dem Boden Zugbeanspruchungen übertragen. Und Geokunststoffbewehrungen haben noch einen zweiten günstigen Effekt. Immer dann, wenn die an einem Bodenelement angreifenden Spannungen große Differenzen aufweisen, kann ein Bewehrungsprodukt durch seine Stützwirkung im Boden diese verringern. Am deutlichsten wird das bei Tragschichten, wo die eingelegte Bewehrung praktisch dafür sorgt, dass die Spannungen in alle Richtungen annähernd gleich werden, so dass der Boden eine höhere Tragfähigkeit bei gleichzeitig geringerer Verformung erlangt.


Kunststoff und Boden in Kombination hört sich dennoch so an, als passten diese Materialien nicht zusammen.
Was sagen Sie dazu?

Martin Ziegler: Ich sehe diese Kombination durchaus als sinnvoll an. Ein künstliches Produkt ist ja per se noch nichts Schlechtes. Man hat einen natürlichen Baustoff, der durch die hervorragenden Eigenschaften eines Geokunststoffes ertüchtigt und verbessert wird. Darüber hinaus ist zum Beispiel auch positiv, dass Sie Masse sparen und damit weniger Energie- und Transportaufwand haben. Das ist in der heutigen Diskussion um die CO2-Reduzierung durchaus ein Aspekt, der neben den oftmals gegebenen wirtschaftlichen Vorteilen das Pendel zugunsten der geokunststoffbewehrten Bauweisen ausschlagen lassen kann.n

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