„Absturzprävention erfordert mehr Aufmerksamkeit und Handeln“

BG BAU unterstützt mit Arbeitsschutzprämien

THIS im Gespräch mit Bernhard Arenz, Leiter der Hauptabteilung Prävention der BG BAU, zu Maßnahmen zur Absturzprävention, der Verantwortung aller am Bau Beteiligten und den Fördermöglichkeiten durch die BG BAU.

THIS: Herr Arenz, warum ist das Thema Absturzsicherheit so wichtig?

Bernhard Arenz: Viele der bei uns versicherten Unternehmen führen Tätigkeiten in der Höhe aus. Dadurch liegt die Brisanz des Themas Absturzprävention für uns als Berufsgenossenschaft auf der Hand. Denn Absturzunfälle führen häufig zu schwersten Verletzungen und enden leider mitunter tödlich. Die Schwere der Verletzungen hat zur Folge, dass Absturzunfälle im Vergleich zu anderen Unfallarten unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen. Das konnten wir vor einigen Jahren bei der Detailanalyse von mehr als 1.000 Arbeitsunfällen im Rahmen des Projektes „20/80 – Schwerpunkte des Arbeitsschutzes im Zimmererhandwerk“ feststellen. Ergebnis der Analyse: Der Anteil der Absturzunfälle lag bei 8,5 %; zugleich verursachten sie aber mehr als 60 % der Kosten. Das sehen wir auch weiterhin bestätigt. Hinzu kommt das Leid der Unfallopfer und ihrer Angehörigen, das sich nicht in Zahlen bemessen lässt. Der Schutz vor Absturzunfällen ist daher ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit.

 

THIS: Wie kann ich mich vor Absturzunfällen schützen?

Bernhard Arenz: Da sind wir beim Thema Präventionsmaßnahmen, bei denen man zwischen Verhältnisprävention und Verhaltensprävention unterscheiden muss. Bei der Verhältnisprävention ist der Arbeitgeber gefragt: Er muss eine Gefährdungsbeurteilung erstellen. Das ist gesetzlich vorgeschrieben. Das heißt, er muss die mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen für seine Beschäftigten ermitteln und dafür geeignete Schutzmaßnahmen festlegen.

Aber auch die Risikowahrnehmung, also die Sicherheits- und Gesundheitskompetenz jedes einzelnen spielen im Arbeitsschutz eine wichtige Rolle. Stichwort Verhaltensprävention. Aus diesem Grund haben wir das Präventionsprogramm BAU AUF SICHERHEIT. BAU AUF DICH. ins Leben gerufen. Damit richten wir uns direkt an unsere Versicherten. Um ihnen Leitplanken für sicheres Verhalten an die Hand zu geben, haben wir zusammen mit den Berufsverbänden lebenswichtige Regeln für die einzelnen Gewerke ausgearbeitet, die im Arbeitsalltag zu beachten sind.

THIS: Welche Art von Schutzmaßnahmen gibt es? Steht ein Aspekt dabei im Vordergrund?

Bernhard Arenz: Im Arbeitsschutz spricht man vom sogenannten STOP-Prinzip. Der Ansatz muss immer sein: Absturzgefahren verhindern. Zunächst muss man prüfen, ob sich Arbeiten auf hochgelegenen Arbeitsplätzen durch alternative Arbeitsverfahren, wie z.B. Vormontage am Boden, von vornherein vermeiden lassen. Das wäre das „S“, das für Substitution steht. Lässt sich das Arbeiten in der Höhe nicht umgehen, muss auf technische Maßnahmen, z.B. einen dreiteiligen Seitenschutz, zurückgegriffen werden, um die Mitarbeiter vor einem Absturz zu schützen. Das ist das „T“ in der Maßnahmenkette. Das „O“ steht für organisatorische Maßnahmen, die zum Beispiel dafür sorgen, dass nicht in der Nähe von Absturzkanten gearbeitet wird. Das „P“ für die persönlichen Maßnahmen steht bewusst am Ende der Kette. Zum einen steckt darin das individuelle Verhalten der Mitarbeiter, welches eine Schwachstelle darstellen kann. Zum anderen ist es oftmals schwierig, die persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz auf Baustellen einzusetzen. Die Schutzausrüstung bereitzustellen, reicht allein nicht aus. Die Mitarbeiter müssen auch genau wissen, wie man sie richtig einsetzt. Deshalb ist eine regelmäßige Unterweisung wichtig. Außerdem bedarf es eines geeigneten Anschlagpunktes und – ganz wichtig – eines Rettungskonzeptes. Das alles muss im Vorfeld eingeplant und vor Ort gewährleistet werden.

Beim Schutz vor Absturzunfällen spielen auch die Arbeitsmittel eine wichtige Rolle. Bei der Betrachtung des Unfallgeschehens über einen Zeitraum von 10 Jahren haben wir festgestellt, dass ca. 44 % der Absturzunfälle auf Baustellen von Leitern passieren und 21 % von Gerüsten. Daher stehen diese Arbeitsmittel im Fokus unserer Präventionsarbeit.

THIS: Was müssen Bauunternehmer von vornherein bei der Absturzsicherheit beachten, damit die Baustellen sicher für jeden sind?

Bernhard Arenz: Zunächst einmal müssen sie die Bauabläufe antizipieren. Das heißt, sie müssen im Vorfeld überlegen, welche Tätigkeiten auf der Baustelle in der Höhe stattfinden werden und wo es Absturzgefährdungen geben wird. Wenn ich das Arbeiten auf hochgelegenen Arbeitsplätzen nicht durch andere Arbeitsverfahren ersetzen kann, muss ich mich fragen: Welche technischen Maßnahmen kann ich einsetzen, um Abstürze zu verhindern?

Es gibt typische wiederkehrende Arbeitsprozesse, die es ermöglichen, die notwendigen Maßnahmen schon im Vorfeld einzuleiten. Diese typischen Prozesse haben wir in die lebenswichtigen Regeln einfließen lassen, und zwar spezifisch auf die einzelnen Gewerke bezogen. Wer diese Regeln selbstverständlich in den Arbeitsalltag integriert, kann Unfälle verhindern.

 

THIS: Ist es möglich, während der Bauphase noch fehlende Schutzmaßnahmen nachzurüsten?

Bernhard Arenz: Eine grundsätzliche Herausforderung auf Baustellen besteht darin, dass Arbeitsplätze nicht stationär eingerichtet werden können. Denn Bauprozesse sind dynamisch. Das heißt: Arbeitssituationen können sich von der einen auf die andere Sekunde ändern und damit auch die Gefährdungen. Deshalb müssen Bauzwischenzustände regelmäßig überprüft und Präventionsmaßnahmen ggf. nachgesteuert werden. Das Nachrüsten von Schutzmaßnahmen ist also meist sogar eine Notwendigkeit. Sie tritt beispielsweise auch ein, wenn der Bauherr den Auftrag verändert oder sich die Witterungs- oder Baugrundverhältnisse anders darstellen als vermutet. Insofern erfordern der Schutz vor Absturzunfällen und die Prävention insgesamt in der Bauwirtschaft eine ständige Aufmerksamkeit und ein ständiges Handeln.

 

THIS: Unterstützt die BG BAU bei Schutzmaßnahmen und Gefährdungsbeurteilungen? Haben Sie Informationsmaterialien, die Sie zur Verfügung stellen?

Bernhard Arenz: Selbstverständlich, das ist ein wichtiger Teil unserer Präventionsarbeit. Informationsmaterialien bieten wir sowohl für Unternehmer als auch für Beschäftigte an. Dabei achten wir natürlich darauf, unsere Medien zielgruppengerecht und verständlich aufzubereiten und Unternehmensleitungen nicht mit Paragraphen und Vorschriften zu überfrachten. Wir beteiligen uns deshalb auch an der Entwicklung von Branchenregeln. Sie fassen die rechtlichen Vorgaben kompakt und praxisnah zusammen und gehen auf die typischen Gefährdungen und Schutzmaßnahmen ein.

Dem Thema der Sprachbarrieren versuchen wir unter anderem mit nonverbalen Kommunikationsmitteln zu begegnen. Außerdem haben wir die „Bausteine“ und die Bausteine-App. Dort sind alle relevanten Arbeitsschutzmaßnahmen anschaulich dargestellt. Einzelne Auszüge aus den Bausteinen gibt es sogar in mehreren Sprachen. Dank Such- und Filterfunktionen in der App kann der Praktiker auf der Baustelle schnell Informationen für das eigene Gewerk oder einzelne Arbeitsmittel abrufen. Die Bausteine kommen schon seit Jahren sehr gut an. Sie werden von uns regelmäßig an die aktuelle Rechtslage angepasst und aktualisiert.

Wir entwickeln unsere Medien ständig weiter und bauen auch unser digitales Angebot stetig aus. Für unsere Mitgliedsunternehmen haben wir zum Beispiel eine kostenlose Web-App, mit der sie ihre Gefährdungsbeurteilung digital durchführen können, die „DigitGB-App“.

 

THIS: Unterstützt die BG BAU auch Investitionen in Schutzmaßnahmen?

Bernhard Arenz: Dafür haben wir schon seit vielen Jahren unser Arbeitsschutzprämiensystem, das wir sukzessive ausbauen. Mit den Arbeitsschutzprämien können wir als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung Präventionsmaßnahmen, die über den Mindeststandard hinausgehen, finanziell fördern und so den Arbeitsschutz verbessern.

Für diese ausgewählten Maßnahmen sind verschiedene Fördersummen möglich. So übernimmt die BG BAU zum Beispiel 50 % der Anschaffungskosten von sicheren Podestleitern. Die jährliche Höchstfördersumme hängt vom Mitgliedsbeitrag des jeweiligen Unternehmens und somit von der Unternehmensgröße ab. Allerdings haben wir eine degressive Abstufung, sodass kleine Unternehmen prozentual stärker gefördert werden als große.

Gerade Kleinbetriebe wollen wir beim Thema Absturzprävention besonders unterstützen. Deshalb haben wir vor zwei Jahren eine beitragsunabhängige Förderung für Maßnahmen zur Absturzprävention ins Leben gerufen. Je höher das Engagement für den Arbeitsschutz, desto höher die Fördersumme: in der ersten Stufe gibt es 3.000 Euro, in der zweiten 5.000 Euro und in der dritten 10.000 Euro. Die Zuschusshöhe ist an bestimmte Voraussetzungen gekoppelt: Um 3.000 Euro zu erhalten, muss der Unternehmer über eine Gefährdungsbeurteilung verfügen und eine Beratung durch eine Aufsichtsperson der BG BAU wahrgenommen haben. Außerdem muss er sich zur Anwendung der lebenswichtigen Regeln bekennen.

Detaillierte Informationen, Antragsformulare und den Katalog mit allen förderfähigen Arbeitsschutzprämien finden Sie auf unserer Internetseite unter Service und Angebote.

THIS: Das ist ein sehr umfangreiches Programm. Können sich Unternehmer auch direkt an Sie wenden, wenn sie Fragen zu den Fördermöglichkeiten oder anderen Themen haben?

Bernhard Arenz: Das können sie auf jeden Fall. Die BG BAU hat eine gebührenfreie Hotline. Dort werden sie von erfahrenen Aufsichtspersonen beraten. Möglich ist aber auch eine persönliche Beratung vor Ort. Die zuständige Aufsichtsperson finden Unternehmer ganz einfach über die Ansprechpartnersuche auf unserer Webseite.

Wichtig ist uns, Unternehmen bereits im Vorfeld zu unterstützen, gerade auch in der Anfangsphase einer Baumaßnahme. Das ist immer besser als im Nachhinein, wenn auf der Baustelle ein Problem auftritt oder im schlimmsten Fall ein Unfall passiert ist. Wir wollen präventiv sein.

BG BAU – Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft

www.bgbau.de

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