Generalübernehmervergaben im kommunalen Ingenieurbau ­– Teil 1

Chancen für Kommunen in Rheinland-Pfalz

Kommunale Infrastruktur in Rheinland-Pfalz steht vor massiven Sanierungsstaus. Personalmangel, komplexe Vergabeverfahren und steigende Anforderungen erschweren­ Bauprojekte. Generalübernehmer (GÜ)-Modelle bieten durch Planung und Bau aus einer Hand effiziente Lösungen für moderne Kommunen.

Ausgangslage: Infrastruktur in der Dauerbaustelle

Kommunen in Rheinland-Pfalz stehen vor einem infrastrukturellen Sanierungsstau historischen Ausmaßes. Viele Brücken, Straßen und Ingenieurbauwerke stammen aus den 1950er- und 1960er-Jahren und haben das Ende ihrer technischen Nutzungsdauer erreicht. Der Zustand vieler Bauwerke – insbesondere im kommunalen Bestand – ist kritisch: Sperrungen, Gewichtsbegrenzungen oder abrupte Instandsetzungsmaßnahmen beeinträchtigen nicht nur die Verkehrssicherheit, sondern auch die Lebensqualität und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ganzer Regionen.

Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Planung und Ausführung: Die Auswirkungen des Klimawandels (Starkregen, Hochwasser), neue technische Regelwerke, der zunehmende Dokumentationsaufwand sowie verschärfte Umwelt- und Sicherheitsauflagen erhöhen die Komplexität kommunaler Bauvorhaben erheblich.

Hinzu kommt ein gravierender Personalmangel in vielen Bauverwaltungen. Fachkräfte für Ausschreibung, Planungskontrolle oder Projektsteuerung sind rar. Der demografische Wandel verschärft diesen Engpass zusätzlich. Die Folge ist eine strukturelle Überforderung vieler Vergabestellen und Planungsabteilungen – mit langen Realisierungszeiten, wachsender Nachtragsanfälligkeit und steigenden Baukosten.

Diese Ausgangslage verlangt nach neuen Heran­gehensweisen, um die kommunale Infrastruktur zukunftsfähig und wirtschaftlich tragfähig zu gestalten.

 

Vergabestellen am Limit

Vergabestellen in Kommunen sind längst keine reinen Beschaffungsabteilungen mehr, sondern zentrale Steuerungsinstanzen im Bauprozess – mit wachsender Verantwortung und immer komplexeren Rahmenbedingungen. Im Zuge der föderalen Finanzverantwortung tragen Kommunen bei einer Vielzahl von Infrastrukturmaßnahmen das volle Risiko – bei gleichzeitiger Einhaltung haushaltsrechtlicher Vorgaben, EU-weitem Vergaberecht und teils hochspezifischen technischen Anforderungen.

In der Praxis zeigt sich: Die Fachlosvergabe, bei der jede Teilleistung separat ausgeschrieben wird, stößt in diesem Umfeld immer häufiger an ihre Grenzen. Zahlreiche Einzelverträge erhöhen den Koordinations­aufwand erheblich und bergen Schnittstellenkonflikte­ – gerade bei technischen Bauwerken mit hohem Abstimmungsbedarf. Auch die notwendige Trennung von Planung und Ausführung führt zu Doppelarbeiten, ineffizientem Wissensmanagement und oft zu Planungsdefiziten, die sich erst in der Bauphase zeigen.

Besonders kritisch wird es, wenn die Ausschreibungs- und Ausführungsplanung auf veralteten Grundlagen oder Zeitdruck basiert – ein Umstand, der aus Sicht der Praxis Nachträge fast vorprogrammiert. Gleichzeitig ist die Personallage in vielen kommunalen Bauämtern angespannt, was zu weiteren Verzögerungen und Qualitätseinbußen führen kann.

Zusätzlich zeigt die Forschung (z. B. Studien des Deutschen Instituts für Urbanistik, des ifo Instituts oder des Bundesrechnungshofs), dass Kommunen erhebliche Kapazitätsengpässe in der Projektvorbereitung und -umsetzung verzeichnen. Oft fehlen spezifische rechtliche und technische Kompetenzen, um komplexe­ Bauprojekte im Detail zu strukturieren oder wirtschaftlich zu bewerten. Die Folge ist ein struktureller Reformstau im Vergabewesen – bei gleichzeitig wachsenden Anforderungen aus Gesellschaft, Politik und Technik.

 

Der Generalübernehmer (GÜ): Planung und Bau aus einer Hand

Ein Generalübernehmer (GÜ) übernimmt vertraglich die Gesamtverantwortung für Planung und Bau eines Projekts – in der Regel bis zur schlüsselfertigen Übergabe. Dabei werden sowohl Ingenieurleistungen als auch alle Bauleistungen in einem Vertrag gebündelt. Für kommunale Auftraggeber bedeutet das: ein zentraler Ansprechpartner, eine klare Zuordnung von Haftung und Leistungspflichten sowie reduzierte Schnittstellen zwischen den Beteiligten.

Der praktische Vorteil liegt vor allem in der integrierten Projekt­abwicklung: Bereits in der Entwurfsphase können baubetriebliche Aspekte, logistische Anforderungen und wirtschaftliche Optimierungspotenziale berücksichtigt werden. Dadurch lassen sich insbesondere bei komplexen Projekten Planungslücken und Konflikte vermeiden, die im klassischen Modell zu Verzögerungen und Mehrkosten führen.

Hinzu kommt: GÜ-Verträge ermöglichen eine funktionale Ausschreibung. Die Kommune beschreibt das gewünschte Ergebnis – z. B. die Leistungsfähigkeit, Dauerhaftigkeit und Umweltverträglichkeit eines Brückenbauwerks – ohne selbst alle Ausführungsdetails vorzugeben. Das eröffnet Raum für innovative Lösungen und technische Optimierung.

Aus vergaberechtlicher Sicht ist der GÜ-Vertrag als Kombination aus Bau- und Planungsleistung ein gemischter Vertrag der Planungs- und Bauleistungen umfasst. Da die Bauleistungen den Hauptgegenstand des Vertrages bilden, sind die Regelungen über die Bauvergabe anwendbar. Der GÜ-Vertrag unterliegt somit klaren Regeln, bietet aber mit § 7c VOB/A bzw. § 7c VOB A/EU ein praxistaugliches Verfahren zur funktionalen Leistungsbeschreibung. Entscheidend ist, dass der Zweck der Leistung und alle Rahmenbedingungen eindeutig und erschöpfend dargestellt werden – eine Herausforderung, aber kein rechtliches Hindernis.

 

Internationaler Vergleich: Deutschland als Nachzügler

Während in Deutschland die Fachlosver­gabe dominiert, setzen viele andere Länder gezielt auf integrierte Vergabemodelle. In Großbritannien etwa sind Design-&-Build-Verfahren bereits seit den 1990er-Jahren Standard – sowohl im Hoch- als auch im Infrastrukturbau. Auch Frankreich, die Niederlande und Skandinavien nutzen Modelle wie „PPP light“ oder „Design and Construct“, um Projekte effizient umzusetzen.

In den USA ist der Anteil von Design-&-Build-Vergaben im öffentlichen Sektor zwischen 2018 und 2023 von 41 Prozent auf 47 Prozent gestiegen, während die klassische Losvergabe von 29 Prozent auf 19 Prozent zurückging. Die Vorteile: deutlich kürzere Realisierungszeiten, mehr Innovationsspielraum und eine bessere Einhaltung von Zeit- und Kostenplänen.

Diese Entwicklung lässt sich in mehreren internationalen Vergleichsgrafiken nachvollziehen:

Die Abbildung „Internationaler Kostenvergleich bei Infrastrukturprojekten“ zeigt auf den ersten Blick nur geringe Unterschiede zwischen den Ländern. Diese Darstellung berücksichtigt jedoch lediglich die ausgeschriebenen Vergabepreise, nicht aber die tatsächlich angefallenen Projektkosten. Das bedeutet: Die Zahlen spiegeln nur die Kosten zum Zeitpunkt der Auftragserteilung wider, nicht die späteren Aufwendungen durch Bauzeitverzögerungen, Nachträge oder Planänderungen (Abbildung 1).

Erst durch die ergänzende Grafik „Kostenüberschreitungen bei Infrastrukturprojekten“ wird das ganze Bild deutlich: In Deutschland werden 69 Prozent der Projekte teurer als geplant – ein Spitzenwert im negativen Sinne. In den USA liegt dieser Anteil bei lediglich 39 Prozent. Diese massive Abweichung zwischen Plan- und Ist-Kosten ist auf strukturelle Schwächen in konventionellen Vergabeprozessen zurückzuführen. Unter anderem werden Leistungen der Projektvorbereitung – wie Kostenschätzungen oder Terminpläne – allein vom Auftraggeber erbracht, ohne baupraktische Validierung. Häufig erfolgt ein Rückgriff auf veraltete Planungsunterlagen oder verkürzte Vorbereitungsphasen. Daraus ergeben sich Bedenken, Verzögerungen und ein hoher Nachtragsaufwand, da die Bauunternehmen die Unterlagen erst nach Zuschlag eingehend prüfen. Hinzu kommen fehlende finanzielle Anreize für die Bauzeit- und Kostenoptimierung – insbesondere bei später Einbindung der Bauausführung (Abbildung 2).

Der „Internationale Bauzeitenvergleich bei Infrastrukturprojekten“ bestätigt diese Problematik. Deutschland schneidet hier schlechter ab als etwa Australien oder die USA – ein Indiz­ dafür, dass neben den Kosten auch die Termintreue leidet. Die späte Einbindung von Ausführungsunternehmen, die hohe Zahl an Schnittstellen und der hohe Koordinationsaufwand bei Fachlosvergabe wirken sich hier direkt negativ aus (siehe Abbildung 4).

Auch die Grafik „GÜ-Vergabe vs. Losvergabe in den USA“ belegt: In den USA ist diese Form der Gesamtvergabe fest etabliert. Deutschland bildet mit unter 2 Prozent Marktanteil das Schlusslicht – trotz wachsender Herausforderungen und dokumentierter Effizienzvorteile (Abbildung 3).

 

Internationalen Studien – etwa von McKinsey, der Weltbank oder dem European PPP Expertise Centre – zeigen zudem übereinstimmend, dass funktionale Gesamtvergaben insbesondere bei komplexen Projekten bessere Ergebnisse liefern. Auch die OECD empfiehlt ihren Mitgliedsstaaten, integrierte Modelle zu fördern, um Investitionsstaus schneller aufzulösen.

Deutschland hingegen bleibt in weiten Teilen konservativ – nicht zuletzt aufgrund föderaler Strukturen, fragmentierter Zuständigkeiten und einer traditionell starken Trennung zwischen Planung und Bauausführung. Dennoch: Erste Pilotprojekte zeigen, dass GÜ-Vergaben auch hierzulande erfolgreich sind – wenn sie professionell vorbereitet und konsequent umgesetzt werden.

 

Der zweite Teil des Fachbeitrags erscheint in der THIS 1-2.2026.

Referenzen
[BCG24] https://www.bcg.com/united-kingdom/centre-for-growth/insights/reshaping-british-infrastructure-global-lessons-to-improve-project-delivery
[THE18] https://themcpgroup.com/design-build/
[FMI21] https://dbia.org/wp-content/uploads/2024/05/FMI-DB-Market-Research-2021_2025.pdf
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