Das wertvolle Erbe der 70er Jahre
Umnutzung eines Gemeindezentrums zum BürostandortIn Bad Kissingen erweckten Tragraum Ingenieure gemeinsam mit Schlicht Lamprecht Kern Architekten das einstige Zentrum der evangelischen Kirchengemeinde aus dem Dornröschenschlaf – und mit ihm auch das charakteristische Sichtmauerwerk aus Kalksandstein.
Das Gebäude an der vielbefahrenen Straßenkreuzung in Bad Kissingen erstrahlt heute in neuem Glanz
© Stefan Meyer | KS-Original
Wir haben für unseren unterfränkischen Standort mit circa 15 Mitarbeitenden neue Büroräume gesucht“, blickt Daniel Dahinten von Tragraum Ingenieuren zurück. Etwas Außergewöhnliches, Identitätsstiftendes sollte es sein. Über einen Kontakt wurde Dahinten auf das leerstehende Gemeindehaus in Bad Kissingen aufmerksam. Ein Gebäude aus Kalksandstein-Sichtmauerwerk, das auf den Münchener Architekten Hans-Busso von Busse zurückgeht. Um weitere Unterhaltskosten zur vermeiden, wurde das Gebäude von der evangelischen Gemeinde zum Verkauf angeboten. Im Gegensatz zu anderen Interessenten, die einen Abriss zugunsten eines Neubaus planten, schlugen Daniel Dahinten und sein Team eine Umnutzung vor – mit Erfolg: 2019 kauften sie das Gebäude.
Vor der Sanierung: Sowohl die Fassade als auch Fensterrahmen und Tür hatten ihre einstige Farbigkeit verloren und waren stark verschmutzt
© Stefan Meyer | KS-Original
Da das Ingenieurbüro seine Expertise in der Entwicklung von Tragwerken und konstruktiven Lösungen hat, kamen für die architektonische Planung Schlicht Lamprecht Kern Architekten aus Schweinfurt ins Spiel. Das 15-köpfige Team ist neben der Architektur vor allem auch in der Stadtplanung, der Ortsentwicklung und der Denkmalpflege tätig. Seit über zehn Jahren setzen die beiden Büros gemeinsam Projekte um.
Mehr als ein Nutzungszyklus
„Es ist nur eine relativ kleine Epoche, in der Gebäude wie dieses errichtet wurden, aber sie stellt die bauliche Umsetzung eines veränderten Verständnisses der evangelischen Kirche im Gemeindeleben dar“, erklärt Christian Kern, Architekt und Partner bei Schlicht Lamprecht Kern Architekten. Als Nachfolger eines Kirchenbaus aus dem 19. Jahrhundert wurde das Gemeindezentrum im Jahr 1970 fertiggestellt. Es beherbergte Veranstaltungs- und Gruppenräume, die sich aneinander gliedern und teilweise überschneiden. Die räumlichen Grenzen werden lediglich durch die Decke definiert, die je nach Bereich mal höher und mal niedriger ist. Hinzu kommen wechselnde Bekleidungsmaterialien oder in Teilen auch eine sichtbar belassene Konstruktion.
Die hergestellten Oberflächen werden durch zurückhaltende weiße Möbel ergänzt
© Stefan Meyer | KS-Original
„Durch diese ‚Konglomerat-Architektur‘ geht man nicht nur von einem Raum in den nächsten über, sie lassen sich bei Bedarf auch miteinander verbinden“, erklärt Kern. „Das Konzept hat uns bei der Umnutzung sehr in die Karten gespielt.“ So konnte die Offenheit des Baus im Erdgeschoss bis auf minimale Eingriffe erhalten werden: Das Herzstück, der ehemalige große Saal, wurde zum Großraumbüro. Für Besprechungen oder stilles Arbeiten zog das Projektteam zwei raumhohe Glasschiebewände ein, um bei Bedarf zwei separate Räume zur Verfügung zu haben. Die übrigen Räume im Erdgeschoss werden von Tragraum Ingenieuren heute als Einzelbüros und Personalraum genutzt. „Durch diese geringen Eingriffe, kann das Gebäude je nach Bedarf zukünftig noch einmal umgebaut oder umgenutzt werden – auch wieder zum Gemeindehaus“, so Dahinten.
Der Weg zum Denkmal
Hauptziel der Umnutzung war es, möglichst viel der Bausubstanz zu erhalten. „Für uns war klar, dass dieses Bauwerk einen großen historischen Wert besitzt, der unbedingt bewahrt werden muss. Deshalb haben wir das Denkmalamt zur Bewertung hinzugezogen“, erinnert sich Dahinten. Schließlich war es der gute Zustand von Konstruktion, Möbeln und Oberflächen – nach fast 60 Jahren Nutzung lediglich mit gewöhnlichen Gebrauchsspuren –, der im Jahr 2021 zur Würdigung des Gebäudes als Denkmal führte. Mit dieser Einstufung gingen zwar entsprechend aufwendigere Planungsauflagen einher, welche das erfahrene interdisziplinäre Architekten- und Ingenieurteam jedoch vorbildlich umsetzte. Den größten konstruktiven Eingriff stellte der Einbau der Oberlichter im großen Saal dar. Heute sorgen sie nicht nur für eine deutlich bessere Belichtung der Arbeitsräume, sondern unterstützen auch das ursprüngliche Konzept der Lichtführung und den neuen Raumeindruck.
Während sich das Gebäude der einstigen Nutzung entsprechend zur Straßenseite geschlossen präsentiert, öffnet es sich zum privaten Innenhof
© Stefan Meyer | KS-Original
Auch der Umgang mit der Innenausstattung folgte dem möglichst großen Erhalt. Parkettböden und Wandfarben wurden überarbeitet und repariert, historische Schranktüren wurden zugunsten einer neuen Aufteilung zu Falttüren umgebaut und auch die in Grün gehaltenen Fensterrahmen erhielten eine Aufwertung sowie neue Fenstergläser in besserer energetischer Qualität.
Mauerwerk mit Sichtqualität
Das Gebäude wurde als Stahlbetonskelettbau mit Betonstützen errichtet, zwischen den Stützen ausgemauert und sowohl innen als auch außen mit Mauerwerk aus kleinformatigen Kalksandsteinen im Normalformat verblendet. Seine Außenwände führte von Busse zweischalig in einer Dicke von 61,5 Zentimeter aus, mit einer mittig liegenden Luftschicht als Wärmedämmung.
Die robuste Bausubstanz war nach fast 60 Jahren Nutzungszeit bis auf gewöhnliche Gebrauchsspuren noch in so gutem Zustand, dass sämtliche Oberflächen und Materialien erhalten werden konnten
© Stefan Meyer | KS-Original
„Ich wusste, der Bau ist etwas Besonderes, aber so richtig verstanden hatte ich ihn noch nicht“, erzählt Daniel Dahinten von seinem ersten Eindruck. So hatte er zunächst vor, die Innenwände in Weiß zu überstreichen. Grund für diesen ersten Impuls war vor allem, dass nicht nur das KS-Sichtmauerwerk der Fassade stark verschmutzt war, sondern auch die Innenwände im Laufe der Jahre von einem grauen Schleier überzogen wurden. Christian Kern und sein Team konnten ihn jedoch vom Erhalt des Originalzustands und einer Säuberung des gesamten KS-Mauerwerks überzeugen.
Identitätsstiftende Oberfläche wiederbelebt
Die Reinigung und Überarbeitung der Kalksandsteinwände stellten sich schnell als technisch aufwendigste Maßnahmen heraus. Kalksandstein besteht lediglich aus Kalk, Sand und Wasser. Unter Wasserdampfdruck werden diese natürlichen Bestandteile zu einem hochfesten und tragfähigen Wandbaustoff gehärtet. Dementsprechend konnten die wechselnden Witterungseinflüsse den technischen und bauphysikalischen Eigenschaften der Bausubstanz während der fast 60-jährigen Nutzungsdauer zwar nichts anhaben. Der fehlende Oberflächenschutz auf der Fassade machte sie jedoch anfällig für Schmutz von der nahegelegenen Straße. Darüber hinaus war ein Teil der Außenwandfläche von wildem Wein berankt, dessen Haftwurzeln im Laufe der Jahre für Beschädigungen der offenporigen Oberfläche sorgten. Für die Reinigung der Fassadenflächen wurden gemeinsam mit Fachbetrieben zunächst umfangreiche Versuchsreihen durchgeführt. „Chemische Reinigungsmittel hätten die Steinoberfläche angegriffen. Wir mussten deshalb ein Verfahren finden, das die Patina entfernt, ohne die Oberfläche des Kalksandsteins zu beschädigen“, erklärt Ingenieur Daniel Dahinten. Letzten Endes war es die Kombination aus heißem, klarem Wasserdampf im Hochdruckwasserstrahlverfahren und anschließendem Abschleifen mit einem Schwingschleifer, die das gewünschte Ergebnis erzielte. Für die hartnäckige Verschmutzung im Sockelbereich griff man auf eine Schleifvliesscheibe und Winkelschleifer aus dem Karosserie- bzw. Metallbau zurück. Um die Fassade gegen zukünftige Witterungseinflüsse zu schützen, erhielt sie zum Schluss noch einen Oberflächenschutz in Form von einer Hydrophobierung.
© Stefan Meyer | KS-Original
Die Reinigung der Innenwände war vergleichsweise einfach: Mithilfe des Trockeneisstrahlverfahrens – eine gängige Methode in der Denkmalpflege – war der gesamte Innenraum innerhalb einer Woche gereinigt. „Im Nachhinein wäre ein Anstrich definitiv ein großer Fehler gewesen, da die Steinsichtigkeit der Wände ein herausragendes, identitätsstiftendes Merkmal des Gebäudes ist“, schließt Dahinten ab.
Neue Nutzung, neue(s) Leben
Dem interdisziplinären Team aus Bauherrn, Planenden und Handwerk ist es gelungen, den Wert der Architektur und der gut erhaltenen Bausubstanz zu erkennen und sie mit Liebe zum Detail und der nötigen Experimentierfreude wieder zum Leben zu erwecken. Mag die Funktion des einstigen Zentrums für die Gemeinde inzwischen doch eine gänzlich andere sein, so führten der behutsame, durchdachte Erhalt und seine Einstufung als Denkmal doch zu (mindestens) einer neuen Nutzungsphase.
KS-Original GmbH
www.ks-original.de
