Von Protokollen, Bürgen und der Fachlosvergabe

Kommentare zur aktuellen Rechtsprechung für die Bauwirtschaft

Zwei Urteile des Bundesgerichtshofes (BGH) - zur Bedeutung des Baustellenverhandlungsprotokolls und zum Zahlungsverzug eines Bürgen und ein OLG-Urteil zur Ausnahme vom Grundsatz der Fachlosvergabe kommentiert unser Autor Rechtsanwalt Michael Werner in dieser Ausgabe.

Zur Bedeutung eines Baustellenverhandlungsprotokolls

Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied mit Urteil vom 27. 01. 2011 – VII ZR 186/09 (www.ibr-online.de) Folgendes:

1. Wird nach dem Abschluss des Bauvertrags ein Termin zur Erstellung eines Verhandlungsprotokolls vereinbart und entsendet der Auftragnehmer dazu einen mit der Sache befassten sachkundigen Mitarbeiter, so muss sich der Auftragnehmer die rechtsgeschäftlichen Erklärungen dieses Mitarbeiters im Wege der Anscheinsvollmacht zurechnen lassen.

2. Der Vertretene, der auf Einladung zu einem Termin zur Verhandlung über einen bereits geschlossenen Vertrag einen Vertreter ohne Vertretungsmacht entsendet, muss sich dessen Erklärungen nach den zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben entwickelten Grundsätzen zurechnen lassen, wenn er den im über die Verhandlung erstellten Protokoll enthaltenen und unterschriebenen Erklärungen des Vertreters nicht unverzüglich nach Zugang des Protokolls widerspricht.

Ein Bauunternehmer (AN) hatte Holzbauarbeiten unter Bezugnahme auf die Gewährleistungsvorschriften des § 13 VOB/B angeboten, die der Auftraggeber (AG) angenommen hatte. Erst danach führten die Bauvertragspartner Verhandlungen, über die ein Verhandlungsprotokoll erstellt wurde. Der AN entsandte dazu einen vollmachtlosen Mitarbeiter. In dem Verhandlungsprotokoll wurde die Gewährleistungsfrist – abweichend von § 13 VOB/B – auf fünf Jahre festgelegt (§ 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB). Der AG übermittelte darauf ein Verhandlungsprotokoll an den AN. Nachdem Jahre später über die Mängel gestritten wurde, erhob der AN unter Hinweis auf die Gewährleistungsfrist von vier Jahren gemäß § 13 VOB/B die Einrede der Verjährung, weil der vollmachtlose Vertreter die Gewährleistungsfrist nicht habe verlängern dürfen. Der AG pochte auf Einhaltung der im Verhandlungsprotokoll getroffenen Absprachen.

Der BGH gibt hier dem AG Recht. Werde nach dem Abschluss eines Bauvertrages ein Termin zur Erstellung eines Verhandlungsprotokolls vereinbart und entsende der AN dazu einen mit der Sache befassten, sachkundigen, aber vollmachtlosen Mitarbeiter, so müsse sich der AN die rechtsgeschäftlichen Erklärungen dieses Mitarbeiters im Wege der sog. Anscheinsvollmacht zurechnen lassen. Durch die Entsendung eines sachkundigen Mitarbeiters erzeuge der AN regelmäßig den Anschein, er werde durch einen Bevollmächtigten vertreten. Auf diesen Rechtsschein könne der AG vertrauen. Anders stelle sich die Rechtslage dar, wenn die Einladung des AG ausschließlich auf eine bloße Formalität gerichtet sei, mit der ein bereits geschlossener Vertrag lediglich urkundlich fixiert werden solle. Wenn die Vertragsparteien nach Vertragsabschluss über die Ausführung des Vertrags verhandelten und das Ergebnis dieser Verhandlungen, insbesondere Vertragsänderungen, in einem Protokoll festgehalten werde, so sei der AN nach Erhalt des Protokolls in gleicher Weise verpflichtet, den abgesprochenen und im Protokoll dokumentierten Vertragsänderungen zu widersprechen, wie dies nach Erhalt eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens veranlasst sei. Anderenfalls werde sein Schweigen auf die von seinem vollmachtlosen Vertreter getroffenen Absprachen als nachträgliche, konkludente Genehmigung behandelt und die Erklärung erlange ungeachtet einer fehlenden Vertretungsmacht des Mitarbeiters für und gegen ihn Wirksamkeit. Die zum Gewohnheitsrecht gewordenen Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben seien auf derartige Sachverhalte entsprechend anzuwenden. Diese Verpflichtung überfordere den AN auch nicht, denn die Abwicklung von Bauverträgen sei durch häufige Änderungen der beiderseitigen Leistungspflichten gekennzeichnet, beispielsweise, weil auftretende technische oder rechtliche Probleme gelöst werden müssten. Solche Änderungen würden häufig in Baubesprechungen oder sog. „Jour-Fix-Terminen“ festgelegt. Dabei sei es üblich, dass über solche Verhandlungen Protokolle erstellt und an die Beteiligten verschickt würden.

 

Anmerkung

Mit dieser klaren Entscheidung wird es zukünftig bedeutend schwieriger, sich bei Bausprechungen, bei denen es auch häufig um Nachtragsfragen geht, auf die Unwirksamkeit der Vertretung zu berufen. Laut BGH gilt: Wer sich in Kenntnis des Verhandlungscharakters in solchen Besprechungen (vollmachtslos) vertreten lässt und einem zugegangenem Besprechungsprotokoll nicht unverzüglich widerspricht, muss letztlich den Protokollinhalt gegen sich gelten lassen. Dabei gilt diese Konsequenz für beide Vertragspartner. Auch die AG-Seite muss sich bei Vorliegen der vom BGH formulierten Voraussetzungen auf Basis eines unwidersprochen gebliebenen Baustellenbesprechungsprotokolls an die getroffenen Absprachen halten.

Ausnahmen sind allerdings Verträge mit Verbrauchern: Ist der Empfänger eines Verhandlungsprotokolls ein Verbraucher, gelten die vom BGH formulierten Grundsätze nicht.

 

Wann gerät ein Bürge in Zahlungsverzug?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 10. Februar 2011 – VII ZR 53/10 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

1. Die Forderung aus einer selbstschuldnerischen Bürgschaft wird grundsätzlich mit der Fälligkeit der Hauptschuld fällig; einer Leistungsaufforderung des Gläubigers und der Vorlage von die Hauptschuld belegenden Unterlagen bedarf es dazu nicht.

2. Werden dem Bürgen die notwendigen Informationen zur Hauptschuld vom Gläubiger nicht erteilt, gerät er nicht in Verzug, wenn ihn kein eigenes Verschulden daran trifft, dass er sie nicht erhalten hat.

3. Ein eigenes Verschulden trifft den Bürgen, wenn er nicht selbst ausreichende, ihm zumutbare Anstrengungen unternimmt, die ihm fehlenden Informationen zu erlangen.

Ein Bauherr kündigte den Vertrag wegen Insolvenz des Rohbauunternehmers und forderte vom Bürgen die Begleichung seiner Schäden aus der vereinbarten Vertragserfüllungsbürgschaft. Hierzu wurde dem Bürgen unter Fristsetzung von drei Wochen ein knapp 30-seitiger Klageentwurf vorgelegt, der eine Forderung von 650.000 Euro beinhaltete. Die Höhe der Bürgschaft lag bei 80.000 Euro. Daraufhin verlangte der Bürge per Standardschreiben die Vorlage zahlreicher Unterlagen und kündigte an, nach deren Prüfung auf die Angelegenheit zurückzukommen. Der Bauherr reichte nach Fristablauf Klage ein. Kurze Zeit später erkannte der Bürge den Anspruch an, zahlte den Bürgschaftsbetrag, wehrte sich jedoch gegen die Verzugszinsen und die Kosten des Rechtsstreits mit der Begründung, dass er aufgrund der fehlenden Vorlage der Unterlagen nicht in Verzug mit seiner Zahlungspflicht gewesen sei. Der BGH gibt hier dem Bauherrn Recht und führt aus, dass der Bürge grundsätzlich in Verzug komme, wenn er auf eine Mahnung des Gläubigers nichts leiste. Ausnahmsweise gelte gemäß § 286 Abs. 4 BGB etwas anderes, wenn die Leistung aufgrund von Umständen unterbleibe, die der Bürge nicht zu vertreten habe. Solche den Verzug ausschließenden Umstände habe der Bürge darzulegen und zu beweisen. Fehlten dem Bürgen Informationen, die eine zuverlässige Prüfung ermöglichten, obliege es zwar dem Gläubiger, dem Bürgen diese Informationen zu erteilen bzw. zugänglich zu machen. Eine solche Informationspflicht habe der Gläubiger jedoch dann nicht, wenn der Bürge nicht selbst ausreichende, ihm zumutbare Anstrengungen unternehme, die ihm fehlenden Informationen zu erlangen. Wenn dem Bürgen die ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen zur Prüfung nicht ausreichten, dürfe er nicht untätig bleiben. Er müsse dann zur Vermeidung eines Verzugseintritts dem Gläubiger vom Leistungshindernis Mitteilung machen und die zur Prüfung aus seiner Sicht erforderlichen Unterlagen anfordern.

 

Anmerkung

Der BGH macht hier mit der allgemeinen Praxis Schluss, dass vom Bürgen per standardisiertem Schreiben umfassende Unterlagen angefordert werden, die mit dem in Streit stehenden Sachverhalt nichts oder allenfalls sehr wenig zu tun haben. Laut BGH gerät der Bürge nun in Verzug, wenn er nicht selbst zumutbare Anstrengungen unternimmt, fehlende Informationen zu erlangen. Die Versendung von sog. „Standardschreiben“ können damit den Eintritt des Verzuges nicht verhindern.

 

Ausnahme vom Grundsatz der Fachlosvergabe

Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 12. Januar 2011 – Verg 63/10 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

1. Die mit der Bildung von Fachlosen einhergehende Zersplitterung des Auftrags ist dem Auftraggeber nicht zuzumuten, wenn eine Gesamtvergabe aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt ist.

2. Die fehlende oder unzureichende Dokumentation der Gründe für die Gesamtvergabe kann im Nachprüfungsverfahren nachgeholt werden.

Ein Auftraggeber (AG) hatte Reinigungsarbeiten an Gebäuden europaweit nach der VOL/A ausgeschrieben. Er hatte dabei fünf Teillose nach Gebieten, aber keine Fachlose gebildet. Ein Bieter rügte, der AG habe gegen das Gebot der Fachlosvergabe verstoßen, weil er die Glasreinigung nicht gesondert von der Unterhalts- und Grundreinigung ausgeschrieben habe. Nach Auffassung des OLG bleibt der Rüge hier der Erfolg versagt. Die Gesamtlosvergabe sei jedenfalls aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt. Die Glasreinigung mache weniger als fünf Prozent des Gesamtauftragswertes aus. Ein gesondertes Los „Glasreinigung“ wäre, selbst wenn man hier auf die Teilung in Gebiete verzichtet hätte, somit von weit untergeordneter Bedeutung gewesen. Eine solche Zersplitterung des Auftrags sei aber dem AG wirtschaftlich nicht zuzumuten, der insoweit bestehende Beurteilungsspielraum der Vergabestelle sei nicht überschritten. Selbst wenn man davon ausgehe, dass das Absehen von der Bildung eines oder mehrerer Lose hätte dokumentiert werden müssen und dies nicht oder nur unzureichend geschehen sei, führe dies nicht zwangsläufig zum Erfolg des Nachprüfungsantrags. Denn der AG wäre nicht gehindert, bei einer wegen eines Dokumentationsmangels angeordneten Aufhebung oder Wiederholung des Vergabeverfahrens erneut von einer Fachlosbildung abzusehen, weil seine Entscheidung in der Sache nicht wirklich zu beanstanden sei.

 

Anmerkung

Bekanntlicherweise gilt auch bei Bauleistungen gemäß § 5 Abs. 2 VOB/A 2009 der Grundsatz, dass Bauleistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben seien. Ausnahmsweise kann auf eine Aufteilung in Lose verzichtet werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Bei VOB-Vergaben über dem Schwellenwert ergibt sich dies direkt aus § 97 Abs. 3 GWB.

Bei einem Verzicht auf eine losweise Vergabe müssen einzelfallbezogene Darlegungen zur fehlenden Wirtschaftlichkeit einer Trennung vorgebracht werden. Ab welcher Größenordnung eine unzumutbare Zersplitterung anzunehmen ist, ist ungeklärt. Die vorliegende Entscheidung bejaht dies bei einem Auftragswertanteil des möglichen Fachloses von weniger als fünf Prozent und kann daher als Anhaltspunkt dienen.

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