Verzögerte Vergabe - Langfassung

Baubetriebliche Ermittlung angepasster Bauzeiten und angepasster Baukosten

Hier finden Sie die ausführliche und ausführlich bebilderte Langfassung des Artikels „Verzögerte Vergabe“ aus baumarkt+bauwirtschaft 1-2/2010, Seite 18.

Die verzögerte Vergabe bei öffentlichen Bauprojekten stellt eine Sonderform der Störung des Bauablaufs dar, weil die Störung bereits eintritt, bevor mit der Bauausführung überhaupt begonnen wird. Lange Zeit war unklar, wer die Folgen der verzögerten Vergabe zu tragen hat: Der Auftraggeber als „Veranstalter“ der öffentlichen Ausschreibung oder der Bieter als Teilnehmer am Vergabeverfahren. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat erstmals 2009 hierzu entschieden, dass das Vergabeverfahrensrisiko grundsätzlich vom Auftraggeber zu tragen ist. Aus juristischer Sicht wurden die Urteile bereits in den Heften 07-08/2009 (Seiten 64 – 66), 11/2009 (Seiten 34 – 37) und 12/2009 (Seiten 41 – 43) diskutiert. Mit dem vorliegenden Beitrag soll aus baubetrieblicher Sicht erörtert werden, wie die Ansprüche, welche dem Grunde nach festgestellt wurden, baubetrieblich der Höhe festgestellt werden können.

Das Vergabenachprüfungsverfahren als Ursache der Vergabeverzögerung

Durch die 1999 eingeführte Möglichkeit der Vergabenachprüfungen haben sich bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge ganz neue Probleme ergeben. Bei Bau-Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte von aktuell 4.845.000 € (seit 01.01.2010) verhindert der sogenannte Suspensiveffekt des Vergabenachprüfungsverfahrens, dass der Zuschlag vor Abschluss dieses Verfahrens erteilt werden darf. Das führt mitunter dazu, dass der Zuschlag erst mehrere Monate, in Ausnahmefällen auch mehrere Jahre, später erteilt werden kann.

Das rechtsstaatliche Instrument der Vergabenachprüfung steht jedem Bieter zu, der sich benachteiligt fühlt. Hierbei kommt es jedoch nicht auf das subjektive Befinden des Bieters an, sondern auf objektive Benachteiligungen. Zunächst ist die Vergabekammer anzurufen, welche in erster Instanz vor der eigentlichen Entscheidung zunächst prüft, ob die Beschwerde anzunehmen ist. Durch die Nichtannahme sogenannter „Vermutungen ins Blaue“ hinein soll Missbrauch vermieden werden. Das Vergabekammerverfahren soll in der Regel kurzfristig innerhalb von fünf Wochen durchgeführt werden. Sofern eine Partei die Entscheidung der Vergabekammer anficht, erfolgt eine weitere Überprüfung bei den Vergabesenaten der Oberlandesgerichte, welche endgültig entscheiden. In Abbildung 1 sind die zwischen 1999 und 2008 durchgeführten Verfahren vor den Vergabekammern und den Vergabesenaten der Oberlandesgerichte dargestellt [1]. 

 

Die Bindefristverlängerung

Die häufigste Ursache von Vergabeverzögerungen sind Vergabenachprüfungsverfahren. Daneben können auch verwaltungsinterne Gründe für eine Vergabeverzögerung vorliegen, wenn zum Beispiel die eingereichten Angebote weit über dem geplanten Kostenrahmen liegen und politische Gremien eine Aufstockung der Finanzierungsmittel beschließen müssen oder die technische Wertung der Angebote sich verzögert. Unabhängig von der Ursache der Vergabeverzögerung ist das Ergebnis immer ein verspätet erteilter Zuschlag. Im Extremfall wird das Vergabeverfahren durch Aufhebung beendet.

Sofern die Vergabestelle feststellt, dass der Zuschlag nicht innerhalb der ursprünglichen Bindefrist erteilt werden kann, hat sie die Bieter aufzufordern, die Bindefrist zu verlängern. Verweigert der Bieter diese Bindefristverlängerung, so entfällt vergaberechtlich sein Angebot. Ein unerwünschter Nebeneffekt der Bindefristverlängerung ist, dass der Bieter, welcher sich verkalkuliert hat, nun eine Möglichkeit zum Ausstieg aus dem Vergabeverfahren hat.

Will der Bieter jedoch weiterhin im Verfahren verbleiben, so muss er der Bindefristverlängerung bedingungslos zustimmen. Wie kann der Bieter jedoch bedingungslos zustimmen und sich weiter an sein ursprüngliches Angebot binden, ohne die zeitlichen und kostenmäßigen Auswirkungen der späteren Bauausführung gleichzeitig geltend zu machen? Der vorgesehene Ausführungszeitraum ist eine ganz wesentliche Kalkulationsgrundlage. Wenn sich dieser durch die Vergabeverzögerung ändert, hat dies Einfluss auf die kalkulierten Kosten. Würde der Bieter mit der Bindefristverlängerung die Bedingung verknüpfen, dass sich seine Angebotssumme beispielsweise um 3 % erhöht, läge vergaberechtlich ein neues Angebot vor, welches das ursprüngliche ersetzt. Allerdings ist das neue Angebot verspätet eingegangen, nämlich nach Submissionstermin und somit von der Wertung auszuschließen. Der Bieter hätte so gegen das Nachverhandlungsverbot gemäß § 24 Nr. 3 VOB/A-2006 verstoßen.

Verliert der Bieter somit bei einer Bindefristverlängerung sämtliche Ansprüche auf Kostenänderungen? Dazu hat der BGH ausdrücklich Nein gesagt, denn die Zustimmung zur Bindefristverlängerung ist ausschließlich eine Aussage im Vergabeverfahren und enthält keine weitere Erklärung zum Inhalt des Angebotes. Der Bieter hat nach dem ersten BGH-Urteil [2] zur verzögerten Vergabe automatisch einen Anspruch auf Anpassung der Bauzeiten und Baukosten. Einzig unschädlich im Rahmen der Bindefristverlängerung ist der allgemeine Hinweis, man behalte sich die Geltendmachung von Mehrkosten durch die verzögerte Vergabe vor. Allerdings ist dieser Hinweis unnötig, da es sich nach dem BGH-Urteil um ein automatisch bestehendes Recht handelt. Somit können Bieter der Bindefristverlängerung ohne Bedenken vorbehaltlos zustimmen, ohne dadurch auf mögliche Ansprüche zu verzichten.

 

Die Vergabeverzögerung

Betrachten wir nun einen einfachen Beispielsfall: Die Vergabestelle hat Straßenbauleistungen ausgeschrieben. Die Submission ist auf den 15.01.2007 datiert, das Ende der Bindefrist auf den 12.03.2007. Der Baubeginn ist gemäß § 5 Nr. 2 VOB/B 12 Werktage entsprechend 10 Arbeitstage nach Auftragserteilung für den 26.03.2007 und das Bauende für den 29.08.2008 vorgesehen.

Nach Wertung der Angebote und Vorabmitteilung gemäß § 13 VgV legt der unterlegene Bieter, welcher nach der Submission auf Platz 2 lag, Einspruch gegen die beabsichtigte Vergabeentscheidung ein. Die Vergabekammer führt daraufhin ein Nachprüfungsverfahren durch. Die Vergabestelle bittet nun alle Bieter um Bindefristverlängerung zunächst bis zum 31.05.2007. Alle Bieter stimmen dieser vorbehaltlos zu. Mit Datum vom 08.05.2007 weist die Vergabekammer die Beschwerde des Bieters zurück, worauf hin dieser Berufung beim Vergabesenat des Oberlandesgericht eingelegt. Daraufhin bittet die Vergabestelle die Bieter erneut um Bindefristverlängerung bis zum 31.10.2007, welcher wiederum alle Bieter zustimmen. Der Vergabesenat weist am 27.08.2007 die Beschwerde des Bieters wiederum zurück.

Nun ist der Rechtsschutz des unterlegenen Bieters ausgeschöpft und die Vergabestelle kann die ursprünglich vorgesehene Vergabeentscheidung durchführen.

Der Zuschlag erfolgt am 10.09.2007. Unter Berücksichtigung der geplanten Zeit von 12 Werktagen zwischen Zuschlag und Baubeginn ergibt sich nun eine verschobene Bauzeit vom 24.09.2007 bis zum 23.03.2009. Bei dieser Bauzeit handelt es sich ausschließlich um die parallel verschobene Bauzeit ohne gegebenenfalls weiterer, zum Beispiel witterungsbedingter, Einflüsse; dazu nachfolgend mehr. Die Vergabeverzögerung beträgt damit 126 Arbeitstage, somit etwa ein halbes Jahr. In der Terminskizze aus Abbildung 2 sind der Verlauf des Vergabeverfahrens und die Bauzeiten dargestellt.

 

Der verzögerte Zuschlag

Sofern das Vergabenachprüfungsverfahren abgeschlossen ist, kann der Zuschlag erteilt werden. Dieser Zuschlag sollte, um vergaberechtlich einwandfrei zu sein, auf das Angebot ohne Abänderungen erteilt werden. Mit dem Zuschlag wird entsprechend den Vorgaben des Vergaberechts wirksam der Bauvertrag geschlossen.

Dieser Bauvertrag enthält dann in der Regel bereits veraltete Termine, meist ist der Beginntermin verstrichen, teilweise auch der Fertigstellungstermin. Hier ist nach erfolgtem Vertragsschluss eine Anpassung des Vertragsinhaltes erforderlich.

Manche Vergabestellen erteilen den Zuschlag mit geänderten Ausführungsfristen. Dies mag zwar logisch klingen, da es eigentlich keinen Sinn macht, einen Vertrag mit unmöglichen Ausführungsfristen zu schließen. Es ergibt sich nun jedoch das Problem, dass die Vergabestelle mit dem „geänderten“ Zuschlag ein neues Angebot unterbreitet, auf welches der Bieter erst noch zustimmend reagieren muss, damit wirksam ein Vertrag geschlossen wird. Diese Vorgehensweise ist vergaberechtlich nicht korrekt.

Weiterhin verweisen Vergabestellen gelegentlich im Zuschlag mit Bedingungen ausdrücklich darauf hin, dass der Bieter die Möglichkeit habe, den so geänderten Zuschlag anzunehmen, vollständig abzulehnen oder hinsichtlich Bauzeit und Baukosten ein modifiziertes Angebot zu unterbreiten. Kommt es jedoch beim Zuschlag mit Bedingungen nicht zu einer Einigung, so wurde kein wirksamer Vertrag geschlossen. Ein weiterer negativer Effekt ist, dass der Bieter hier wiederum die Möglichkeit hat, mit einer Ablehnung vollkommen aus dem Vergabeverfahren auszusteigen. Soll dann die Vergabestelle dem nächsten Bieter den Zuschlag „anbieten“? Wegen dieser vergabe- und vertragsrechtlichen Problematiken ist ein „geänderter“ Zuschlag zu vermeiden.

Beim „geänderten“ Zuschlag ergibt sich für den Bieter eine weitere Gefahr: Wenn die Vergabestelle im Zuschlag geänderte Ausführungstermine benennt und der Bieter kommentarlos mit der Ausführung der Bauleistungen beginnt, ergibt sich konkludent ein Vertragsschluss, jedoch zu den geänderten Ausführungsterminen bei unveränderten Kosten. Der Auftragnehmer hat damit dann, anders als beim ersten vom BGH [3] entschiedenen Fall, endgültig ein Preisanpassungsrecht verloren [4].

 

Die ersten BGH-Urteile zur verzögerten Vergabe

Zehn Jahre nach Einführung des Rechtsschutzes für die Bieter hat der BGH am 11.05.2009 [5] das erste Urteil zur verzögerten Vergabe gefällt. In den beiden Leitsätzen werden die Grundaussagen wie folgt zusammengefasst:

„a)          Ein Zuschlag in einem durch ein Nachprüfungsverfahren verzögerten öffentlichen Vergabeverfahren über Bauleistungen erfolgt auch dann zu den ausgeschriebenen Fristen und Terminen, wenn diese nicht mehr eingehalten werden können.

b)           Der so zustande gekommene Bauvertrag ist ergänzend dahin auszulegen, dass die Bauzeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und der vertragliche Vergütungsanspruch in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Nr. 5 VOB/B anzupassen sind.“

Zunächst stellt der BGH unmissverständlich fest, dass das Vergabeverfahrensrisiko grundsätzlich dem Auftraggeber zuzuordnen ist. Dies mag aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers in bestimmten Fällen ungerecht erscheinen, da ihn in den Fällen keinerlei Verschulden trifft, wenn ein unterlegener Bieter ein Nachprüfungsverfahren anstrengt und damit endgültig scheitert. Aus Sicht des Bieters wäre es jedoch umso ungerechter, ihm die Folgen der Vergabeverzögerung zuzuordnen, auf die er keinerlei Einfluss hat oder die entsteht, weil er sein grundgesetzlich verbrieftes Recht auf Rechtsschutz nutzt. Da der öffentliche Auftraggeber als „Veranstalter“ der Vergabe durch Vorschriften an das Vergaberecht gebunden ist, erscheint es angemessen, ihm die Folgen der verzögerten Vergabe zuzuordnen.

Mit dem Leitsatz a) weist der BGH den vergaberechtlich einwandfreien Weg, dass ein wirksamer Bauvertrag durch Zuschlag zustande kommt, auch wenn damit überholte Ausführungsfristen vereinbart werden. Dies ist eine Absage an Änderungen von Ausführungsfristen bereits mit dem Zuschlag.

Als Folge ergeben sich gemäß Leitsatz b) Anpassungsansprüche des Auftragnehmers hinsichtlich der Bauzeit, welche jedoch im Einzelfall zu beurteilen sind. Der Vergütungsanspruch ergibt sich entsprechend den Grundsätzen des § 2 Nr. 5 VOB/B, welcher bei Auftraggeberseitigen Änderungsanordnungen, und als solche wird die Vergabeverzögerung im Hinblick auf den späteren Baubeginn gedeutet, eine vorkalkulatorische Anpassung des Preises vorsieht. Hinsichtlich möglicher Ansprüche im Verzögerungszeitraum zwischen geplantem und tatsächlichem Zuschlag hat der BGH keine Feststellung getroffen.

In der nachfolgenden Skizze Abbildung 3 ist dargestellt, wie der Auftragnehmer Ansprüche bei verzögerter Vergabe geltend machen kann.

Die Ansprüche im verschobenen Ausführungszeitraum (oben rot dargestellt) ergeben sich hinsichtlich der Bauzeit gemäß § 6 Nr. 2 und 4 VOB/B und hinsichtlich der Baukosten gemäß § 2 Nr. 5 VOB/B. Weitere Ansprüche im Verzögerungszeitraum zwischen geplantem und tatsächlichem Zuschlag könnten ausschließlich als Schadenersatzansprüche im Sinne des Verschuldens bei Vertragsabschluss geltend gemacht werden. Hierfür müsste der Auftragnehmer dem Auftraggeber das Verschulden nachweisen. In der Praxis ist dies fast nie möglich.

Auftragnehmer fordern bisweilen für den Verzögerungszeitraum Kosten zum Beispiel für die Vorhaltung von Personal (gewerblich und für die Bauleitung) und Gerät, da dies im Hinblick auf den erwarteten Auftrag vorgehalten und anderweitig nicht eingesetzt werden konnte. Baubetrieblich mag diese Argumentation zwar nachvollziehbar sein, eine entsprechende Anspruchsgrundlage ist jedoch nicht erkennbar. Der Bestbieter hat nur dann Anspruch auf Erteilung des Zuschlags, wenn sein Angebot das wirtschaftlichste ist und er alle Angebotsbedingungen der Vergabestelle nach VOB/A eingehalten hat. Sofern sich in einem Vergabenachprüfungsverfahren ergibt, dass ihm der Zuschlag nicht erteilt werden darf, können ebenso keine Ansprüche für vergebliche Vorhaltung geltend gemacht werden [6].

Ein weiteres interessantes Urteil zur verzögerten Vergabe hat das OLG Celle am 17.06.2009 gefällt [7]. Dort hatte die Vergabestelle im Zuschlag neue Termine vorgegeben, der Auftragnehmer bestätigte den Zuschlag und begann mit den Arbeiten auf der Baustelle. Erst später machte er Mehrkosten geltend, dies war nach Ansicht des OLG Celle verspätet, da der Bieter mit der Annahme des Zuschlages ohne Hinweis auf Mehrkosten dem Auftraggeber bestätigt hätte, den vertraglichen Leistungsumfang zu den neuen Termine bei altem Preis ausführen zu wollen. Somit ist es jedem Bieter anzuraten, bei einem verspäteten Zuschlag vorsichtshalber Mehrkosten dem Grunde nach anzumelden, auch wenn dies bei den Fällen, bei denen mit dem Zuschlag keine Termine vorgegebenen werden, gemäß BGH-Urteil vom 11.05.2009 nicht erforderlich ist.

Der BGH hat am 10.09.2009 weitere Urteile zur verzögerten Vergabe gefällt. Auf den ersten Blick überrascht das eine Urteil [8], in welchem nach verzögerter Vergabe ein Mehrvergütungsanspruch abgelehnt wurde. Hier hatte sich zwar der Zuschlag verzögert, die ursprünglich ausgeschriebenen Bauzeiten konnten aber noch realisiert werden, so dass der BGH feststellte, für einen Mehrvergütungsanspruch sei Voraussetzung, dass sich der Leistungsinhalt, hier in zeitlicher Hinsicht, ändere und genau das war hier nicht der Fall. Der Auftragnehmer argumentierte, die Mehrkosten seien entstanden, weil der Stromlieferant des Bieters nach der Bindefristverlängerung des Bieters gegenüber der Vergabestelle nicht mehr zu seinem ursprünglichen Angebot gestanden habe. Es stellt sich in diesem Falle die Frage, ob ein Bieter somit verpflichtet ist, vor Zustimmung zur Bindefristverlängerung seine Lieferanten und Nachunternehmer ebenfalls länger zu binden oder andernfalls die Zustimmung zur Bindefristverlängerung zu verweigern.

Mit einem weiteren Urteil vom 11.09.2009 [9] hat der BGH festgestellt, dass ein Bieter auch dann Anspruch auf Mehrvergütung nach verzögerter Vergabe hat, wenn in der Ausschreibung keine fixen Ausführungstermine vorgegeben sind. Mit dieser Praxis hatten Straßenbauverwaltungen versucht, Ansprüche auf verzögerte Vergabe grundsätzlich abzulehnen, da sich ohne fixe Ausschreibungstermine bei Vergabeverzögerung keine geänderten Termine ergeben könnten. Der BGH hat jedoch bestätigt, dass die Angaben in der Ausschreibung, aus welchen der Bieter die vorgesehene Bauzeit ableitet, eine wesentliche Kalkulationsgrundlage sind und sich somit bei verzögerter Vergabe auch ändern können.

 

Die Feststellung der angepassten Bauzeiten

Mit dem ersten BGH-Urteil zur verzögerten Vergabe wurde nicht nur das Vergabeverfahrensrisiko grundsätzlich dem Auftraggeber zugeordnet, sondern auch ausgeführt, wie der wirksam geschlossene Vertrag mit unmöglichen Ausführungsfristen anzupassen sei [10]:

„aa)       Die Bauzeit ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls anzupassen. Besonderheiten, wie etwa Bauerschwernisse oder –erleichterungen durch jahreszeitliche Verschiebungen, sind unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen beider Parteien und vor dem Hintergrund, dass der Auftragnehmer der Bindefristverlängerung zugestimmt hat, zu berücksichtigen. Die Grundsätze des vereinbarten § 6 Nr. 3 und 4 VOB/B sind sinngemäß zu berücksichtigen.“

Die Vergabeverzögerung wird zunächst als Behinderungs-ähnliche Ursache gemäß § 6 Nr. 2 VOB/B dem Risikobereich des Auftraggebers zugeordnet. Daraus ergeben sich Ansprüche auf Fristverlängerung für den Auftragnehmer gemäß § 6 Nr. 4 VOB/B:

„Die Fristverlängerung wird berechnet nach der Dauer der Behinderung mit einem Zuschlag für die Wiederaufnahme der Arbeiten und die etwaige Verschiebung in eine ungünstigere Jahreszeit.“

Der Auftragnehmer hat somit Anspruch auf Fristverlängerung zunächst um den Zeitraum der Zuschlagsverzögerung, also einer Parallelverschiebung der Bauzeit. Zusätzlich ergeben sich jedoch gegebenenfalls weitere Ansprüche durch einen witterungsbedingten Zuschlag. Formuliert die VOB/B hier noch einseitig nur eine Verschiebung in eine ungünstigere Jahreszeit, hat der BGH ausdrücklich festgestellt, dass auch Erleichterungen durch eine Verschiebung in eine günstigere Jahreszeit zu berücksichtigen sind. Diese Berücksichtigung sowohl von Erschwernissen als auch Erleichterungen ergibt sich aus der Schadensminderungspflicht des Auftragnehmers gemäß § 6 Nr. 3 VOB/B [11].

Darüber hinaus sind gegebenenfalls weitere Einflüsse zu berücksichtigen, zum Beispiel durch technische Erfordernisse oder Abhängigkeiten zu Leistungen Dritter.

Die angepasste Bauzeit kann somit nicht ohne Weiteres festgestellt werden. Hierzu ist es zunächst erforderlich, den geplanten, der Kalkulation des Auftragnehmers zugrunde liegenden, Bauablauf festzustellen. Dieser wird dann um die Vergabeverzögerung verschoben. Abschließend werden witterungsbedingte Einflüsse berücksichtigt. Dies am Beispiel der Straßenbaumaßnahme in Abbildung 4 dargestellt:

In der Terminskizze in Abbildung 4 sind die wesentlichen Vorgänge der Ausführung gemäß Ausschreibung dargestellt. Es handelt sich hierbei um den Angebotsterminplan des Auftragnehmers, welcher mit dem Angebot abzugeben war.

In den beiden Dauer-Spalten sind unterschiedliche Werte enthalten. Bei der Spalte „Dauer KT“ handelt es sich um die Vorgangsdauer in Kalendertagen, hierzu zählen alle Wochentage von Montag bis Sonntag, auch arbeitsfreie Tage. In der Spalte „Dauer AT“ sind hingegen die Dauern in Arbeitstagen ausgewiesen, wie sie in der Kalkulation berücksichtigt wurden. Arbeitstage sind bei einer Fünf-Tage-Woche die Wochentage von Montag bis Freitag abzüglich arbeitsfreier gesetzlicher Feiertage.

In den Wintermonaten sind die witterungsbedingten Einflüsse zu berücksichtigen. Dies kann durch eine Verkürzung der effektiven Arbeitszeit je Arbeitstag erfolgen. Wenn zum Beispiel eine witterungsbedingte Leistungsminderung von 25 % vorliegt, so können an einem 8-Stunden-Arbeitstag nur über 6 Stunden effektive Leistungen erbracht werden; die restlichen 2 Stunden entfallen auf die Leistungsminderung. Das Verhältnis von Arbeitstagen zu Kalendertagen beträgt, ohne Berücksichtigung von weiteren arbeitsfreien Tagen, 5 zu 7 (Arbeitstage zu Kalendertage). In den Wintermonaten kann sich dieses Verhältnis durch Verkürzung der täglichen Arbeitszeit verschlechtern.

Bei diesen Leistungsminderungen handelt es sich um das sogenannte „Normalwetter“, welches der Bieter bei seiner Kalkulation gemäß § 6 Nr. 2, Abs. (2) zu berücksichtigen hatte [12]. Dieses Normalwetter kann entweder bei Wetterdiensten [13] abgefragt oder in standardisierter Form der baubetrieblichen Literatur [14] entnommen werden. Die konkrete witterungsbedingte Leistungsminderung ist im vorliegenden Beispielsfall wie in Abbildung 5 dargestellt berechnet worden.

 

Erläuterungen zur Tabelle in Abbildung 5

- Leistungsminderung: Der Prozentwert gibt an, wie hoch die Leistungsminderung durch die Witterungseinflüsse angesetzt wird. Dieser Ansatz ist im Einzelfall nachvollziehbar zu begründen. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass es sich wie bei den Leistungsansätzen der Kalkulation um einen Schätzwert handelt, der weder aus der Literatur entnommen noch genau ermittelt werden kann.

- Frosttage: An Frosttagen liegt das Temperaturminimum unter 0°C, somit herrscht üblicherweise Nachtfrost. An diesen Tagen können Leistungen des Erd- und Straßenbaus mit Einschränkungen ausgeführt werden. Aufgrund dieser möglichen Einschränkungen zum Arbeitsbeginn wird im Beispielsfall eine Leistungsminderung von 25 % angesetzt.

- Eistage: An Eistagen liegt das Temperaturmaximum unter 0°C, somit herrscht üblicherweise auch tagsüber Frost. An diesen Tagen können insbesondere Leistungen des Erd- und Straßenbaus nur sehr eingeschränkt ausgeführt werden, so dass die Leistungsminderung im Beispielsfall mit 50 % angesetzt wird.

- Niederschlag: An diesen Tagen fällt eine größere Niederschlagsmenge als 10 mm, dadurch werden insbesondere Leistungen des Erd- und Straßenbaus beeinträchtigt, so dass nur teilweise gearbeitet werden kann. Aufgrund dieser möglichen Einschränkungen wird im Beispielsfall eine Leistungsminderung von 25 % angesetzt.

- Ausfalltage: Die Ausfalltage je Monat ergeben sich aus der Summe der Produkte aus den Ereignistagen mit dem Prozentsatz der entsprechenden Leistungsminderung. (Beispiel am Monat November: (10 Frosttage x 25 % Leistungsminderung) + (1 Eistag x 50 % ) + (2 Niederschlagstage x 25 % Leistungsminderung) = 3,5 Ausfalltage)

- Kalendertage: Die Anzahl der Kalendertage je Monat wird ausgewiesen.

- Leistungsminderung: Die Leistungsminderung ergibt sich aus dem Verhältnis von Ausfalltagen zu Kalendertagen.

 

Leistungsminderung

Um die so ermittelte Leistungsminderung werden die täglichen Arbeitszeiten in den entsprechenden Kalendermonaten im Kalendarium des geplanten Bauablaufs verringert. Am Beispiel des Monats November heißt das, dass bezogen auf einen Arbeitstag von 8 Stunden ein Leistungsminderung von 56,2 Minuten zu berücksichtigen ist (8 Std. * 60 Min. x 11,7 % = 56,2 Min). Somit endet der Arbeitstag im Kalendarium nicht um 17:00 Uhr, sondern bereits um 16:04 Uhr. Dadurch wird die witterungsbedingte Minderleistung berücksichtigt. Die vorgenannten witterungsbedingten Leistungsminderungen wirken sich in der geplanten und der verschobenen Bauzeit, wie in Abbildung 6 dargestellt, aus:

Bezogen auf das kalkulierte Leistungsniveau ergibt sich eine verminderte Leistung durch witterungsbedingte Einflüsse von 95,92 % (89,91 / 93,73). Das der Kalkulation zugrunde liegende Leistungsniveau entspricht einem Prozentwert von 93,73. Dieser Wert hat sich unter Berücksichtigung der verzögerten Vergabe auf 89,91 verschlechtert. Diese Verschlechterung ergibt sich insbesondere dadurch, dass in der geplanten Bauzeit ein Winter (2007/2008), in der verschobenen Bauzeit jedoch zwei Winter (2007/2008 und 2008/2009) enthalten sind. Der durch die verzögerte Vergabe verschobene Bauablauf unter Berücksichtigung witterungsbedingter Einflüsse ergibt sich wie in Abbildung 7 dargestellt.

Unter Berücksichtigung der witterungsbedingten Einflüsse ergibt sich ein Fertigstellungstermin zum 15.04.2009 und nicht, wie bei einer Parallelverschiebung zum 23.03.2009. Somit haben die witterungsbedingten Einflüsse zu einer zusätzlichen Bauzeitverlängerung von etwa drei Wochen geführt. Nachfolgend sind der geplante und verschobene Bauablauf dargestellt. Daraus sind die Veränderungen der Vorgänge durch die witterungsbedingten Einflüsse erkennbar, siehe Abbildung 8.

Am Beispiel des Vorgangs 4 Erdbau seien die witterungsbedingten Auswirkungen der Verschiebung veranschaulicht: Der Vorgang 4 enthält 150 kalkulierte Arbeitstage. Im geplanten Bauablauf dauert dieser 220,98 Kalendertage, da er fast ausschließlich von Frühjahr bis Herbst ausgeführt werden sollte. Im verschobenen Bauablauf dauert dieser Vorgang nun 267,29 Kalendertage, da er über den Winter ausgeführt wird.

Der verschobene Bauablauf wird unter Berücksichtigung der Vergabeverzögerung und des Normalwetters ermittelt. Die tatsächliche Witterung spielt dabei keine Rolle, da der Bieter auch bei rechtzeitiger Vergabe das Normalwetter einzukalkulieren hatte. Ergeben sich bei der tatsächlichen Ausführung jedoch Witterungsumstände, mit denen normalerweise nicht gerechnet werden musste, so kann der Auftragnehmer daraus dann entsprechende Ansprüche gesondert geltend machen.

 

Die Feststellung der angepassten Baukosten

Mit dem ersten BGH-Urteil wird jedoch auch methodisch vorgegeben, wie die Baukosten [15] anzupassen sind [16]:

„bb)       Zugleich ist der vertragliche Vergütungsanspruch in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Nr. 5 VOB/B anzupassen. Diese Vorschrift haben die Parteien mit der Einbeziehung der VOB/B als angemessene Regel bei einer durch den Auftraggeber veranlassten Änderung der Grundlagen des Preises vereinbart. Die Vermutung der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung gilt bei einem Bauvertrag nicht unabhängig von der vereinbarten Leistungszeit, weil diese regelmäßig Einfluss auf die Vereinbarung der Höhe der Vergütung des Auftragnehmers hat. Deshalb hat die durch ein verzögertes Vergabeverfahren bedingte Änderung der Leistungszeit auch zur Folge, dass die Parteien redlicherweise vereinbart hätten, sich auf eine angepasste Vergütung zu verständigen.“

Obwohl teilweise rechtsdogmatisch umstritten, dass für eine Störung vor Vertragsabschluss eine Regelung gemäß VOB/B angewendet wird, welche erst mit Vertragsschluss gilt, hat der BGH hier einen pragmatischen Weg gewiesen, wie mögliche Kostenänderungen berücksichtigt werden können. Die Anwendungsmethodik des § 2 Nr. 5 VOB/B ist hinlänglich bekannt. Trotzdem ergeben sich bei der Anwendung neue Fragestellungen, welche vermutlich in der Zukunft durch weitere Urteile des BGH geklärt werden müssen.

Der BGH begründet die Anwendung des § 2 Nr. 5 VOB/B wie folgt [17]:

„Die im Vertrag in § 2 Nr. 5 VOB/B zum Ausdruck gekommene Wertung zeigt, dass die Vertragsparteien nicht erst schwerwiegende Veränderungen der Preisgrundlagen zum Anlass für Vergütungsanpassungen nehmen wollen. Auch Änderungen geringeren Ausmaßes hätten bereits die oben dargestellten, nicht gewünschten Nachteile für den Bieter. Die Parteien hätten redlicherweise auch eine nicht schwerwiegende Änderung der Preisgrundlagen nicht dem Risikobe-reich des Bieters zugeordnet, weil es hierfür keine Rechtfertigung gibt.“

Kernaussage ist, dass jede Preisänderung „ab dem ersten Cent“ Berücksichtigung findet. Es gibt keine Schwelle, unterhalb deren Ansprüche nicht geltend gemacht werden können, wie dies bei Anwendung des § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) der Fall wäre.

Die Anwendung des § 2 Nr. 5 VOB/B erfordert eine vorkalkulatorische Fortschreibung des Preises [18]. Hatte der Bieter die Kalkulation des Preises aus dem Blickwinkel des ursprünglichen Zuschlagtermins und des sich daraus ergebenden Baubeginns vorgenommen, ist nun festzustellen, wie der Bieter bei Kenntnis des tatsächlichen Zuschlagstermins kalkuliert hätte. Grundsätzlich können deshalb die Kostenänderungen ausschließlich aus vorkalkulatorischer Sicht berechnet werden, auf die tatsächlichen Kosten bei der Bauausführung kann es nicht ankommen.

Zur vorkalkulatorischen Preisanpassung gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Der Verfasser präferiert hier insbesondere eine Fortschreibung von Lohnkosten auf Grundlage der Tarifvereinbarungen sowie der übrigen Kosten, insbesondere der Materialkosten, auf Grundlage amtlicher Preisindices des Statistischen Bundesamtes. Durch solche Preisindices wird neutral und bundesweit festgestellt, welche Preisänderungen sich für bestimmte Produkte ergeben haben. Andere Autoren [19] und teilweise auch Gerichte [20] halten jedoch eine Feststellung von Preisänderungen auf der Grundlage vorgelegter Angebote für zutreffend. So wird der Preis gemäß ursprünglichem Lieferantenangebot, zum Beispiel für bituminöses Mischgut, verglichen mit einem aktuellen Angebot nach verzögerter Vergabe. Die Differenz der beiden Preise wird als Mehr- oder Minderkosten angesetzt.

Nach Ansicht des Verfassers ergibt sich aber durch eine solche Differenzrechnung das Problem, dass die Angebote nicht unter vergleichbaren Bedingungen eingeholt wurden. Wurde das ursprüngliche Angebot im Wettbewerb um den Auftrag eingeholt, so wird das neue Angebot mit Wissen des erteilten Auftrags und Ansprüchen auf Mehrkosten abgefordert. Es entfällt somit teilweise der Verhandlungsdruck für Auftragnehmer und dessen Anbieter.

Auch die Straßenbauverwaltung hat mit dem HVA 2006 [21] bei den Materialpreisgleitklauseln die Abrechnung nach vorgelegten Angeboten abgeschafft und ausdrücklich die Anwendung von Preisindices vorgegeben. Die Indexlösung wird darüber hinaus auch zur Preisanpassung bei verzögerter Vergabe vermehrt angewendet.

Das Argument, die Preisindices würden der tatsächlichen Entwicklung hinterherhinken, ist nicht gerechtfertigt, da die aktuellen Preisindices für den Vormonat bereits zwischen dem 15. und 20. des Folgemonats veröffentlicht werden.

Der Einwand, die bundeseinheitlichen Indices würden regionale Besonderheiten nicht berücksichtigen, kann zutreffend sein. Es müsste jedoch im konkreten Einzelfall eine regionale Preisentwicklung nachgewiesen werden, welche im Verzögerungszeitraum deutlich gegen den Bundestrend läuft.

Schwierigkeiten können sich jedoch bei bestimmten Baustoffen ergeben, die unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht bundesweit verfügbar sind. Gerade bei Erdbaustoffen kann sich das Problem ergeben, dass diese nicht zu jeder Zeit in entsprechender Menge an jedem Ort verfügbar sind. Hier sind im Einzelfall marktbedingte Zu- oder Abschläge auf die Preisindices vorzunehmen. Jedoch ist es zunächst Pflicht des Auftragnehmers, die Preissteigerung nachprüfbar darzulegen. Die bloße Behauptung zum Beispiel, der ursprüngliche Lieferant stehe nicht mehr zur Verfügung und ein anderer Lieferant fordere einen um 80 % höheren Preis, kann nicht Grundlage für die Feststellung des geänderten Preises sein. Insbesondere vor dem Hintergrund der Konzentration in der Bauwirtschaft ergeben sich Beurteilungsschwierigkeiten durch wirtschaftliche Verflechtungen von Auftragnehmern und Lieferanten.

Es gibt somit noch vielfältige Fragen zur konkreten Preisanpassung, welche voraussichtlich auch gerichtlich geklärt werden. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung sollte jedoch ein fairer Interessenausgleich der Bauvertragsparteien stehen: Dem Auftragnehmer steht ein Preisanpassungsrecht zu, allerdings darf der Auftraggeber nicht ungerechtfertigten Forderungen schutzlos ausgeliefert sein.

Die Berechnung der geänderten Preise erfolgt auf Grundlage der Angebotskalkulation. Diese wird allerdings üblicherweise erst nach dem Zuschlag von der Vergabestelle angefordert und vom Auftragnehmer übergeben. In diesem Zusammenhang kann sich ein Glaubwürdigkeitsproblem ergeben, weil manche Auftraggeber hier „zielorientierte“ Überarbeitungen vermuten. Um den Bieter vor solchen Mutmaßungen zu schützen, sei Auftraggebern empfohlen, bereits mit der ersten Bindefristverlängerung die Hinterlegung der Angebotskalkulationen durch die aussichtsreichsten Bieter zu veranlassen.

Für die bereits dargestellte Straßenbaumaßnahme soll im Folgenden ein geänderter Preis für die Position „Asphalttragschicht herstellen“ berechnet werden.

Zunächst ist die Grundlage der Preisermittlung für die Leistung festzustellen. Diese ergibt sich aus der Angebotskalkulation wie in Abbildung 9 zu sehen.

Der Bieter hat für die Position „Asphalttragschicht herstellen“ je m² 0,45 € Lohnkosten, 6,00 € Materialkosten und 0,70 € Gerätekosten kalkuliert, somit Einzelkosten der Teilleistungen in Höhe von 7,15 €. Weiter hat der Bieter Zuschläge in Höhe von 0,81 € kalkuliert, so dass sich der Angebots-Einheitspreis von 7,96 € ergibt. Bei einer ausgeschriebenen Menge von 80.000 m² beträgt der Gesamtpreis 636.400,00 €.

Im nächsten Schritt sind die Preisänderungen je Kostenart festzustellen. Für die Lohnkosten ergeben sich diese aus der tariflichen Lohnentwicklung wie aus Abbildung 10 ersichtlich:

Der Bieter hatte in seiner Kalkulation bereits das Lohnniveau für den ursprünglichen Ausführungszeitraum zu berücksichtigen, so zum Beispiel die Lohnerhöhungen zum 01.06.2007 und zum 01.04.2008. Nicht zu berücksichtigen hatte er allerdings die Lohnerhöhung zum 01.09.2008. Für den ursprünglichen Ausführungszeitraum ergibt sich somit ein durchschnittlich zu kalkulierendes Lohnniveau in Höhe von 103,05.

Durch die Vergabeverzögerung ändert sich das Lohnniveau auf 104,58. Somit haben sich die Lohnkosten um 1,48 % (104,58 / 103,05) erhöht. Diese Lohnkostenänderung kann auf die kalkulierten Lohnkosten bezogen werden, da sich die Tarifänderungen, ausgehend vom Grundlohn, auch auf die weiteren Lohnnebenkosten auswirken [22].

Die Änderung der Materialkosten wird auf Grundlage des Index des Statistischen Bundesamtes festgestellt [23]. Seit Januar 2009 ist hier nun auch ein Index für „Asphaltmischgut unter Zusatz von bitumenhaltigen Bindemitteln“ (Lfd.-Nr. 262) vorhanden, so dass keine Berechnung mehr über den Gesteins- und Bitumenanteil erfolgen muss. Dieser Index hat sich Zeitraum der Vergabeverzögerung wie in Abbildung 11 gezeigt entwickelt.

Betrug das Preisniveau für den Zeitpunkt des ursprünglichen Zuschlages 109,7 %, so beträgt es zum Zeitpunkt des tatsächlichen Zuschlages 113,8 % und hat sich somit um 4,5 % erhöht. Die Änderung der Gerätekosten kann mit folgenden Preisindices (siehe Abbildung 12) beurteilt werden.

Für Straßenbaugeräte ergibt sich eine Preisminderung um 0,20 %, welche sich insbesondere auf die Wiederbeschaffungskosten und somit auf die erforderlichen Abschreibungsbeträge auswirkt. Für Dieselkraftstoff ergibt sich eine Preissteigerung von 5,89 %. Unter der Annahme, dass in den Gesamtkosten der Straßenbaugeräte der Betriebsstoffanteil 25 % beträgt, hat sich das Preisniveau um 1,33 % erhöht. Abschließend sind auch die witterungsbedingten Leistungsminderungen zu berücksichtigen. Wie bereits bei der angepassten Bauzeit festgestellt, hat sich eine durchschnittliche Verringerung der Leistung auf 95,92 % [24] zwischen geplantem und verschobenem Bauablauf ergeben. Hierdurch verlängern sich die entsprechend kalkulierten Ausführungszeiten, dies führt zu Mehrkosten bei den zeitabhängigen Kosten um 4,25 % (100 % / 95,92 %). Die vorgenannten Preisänderungen werden in der Angebotskalkulation wie in Abbildung 13 beschrieben berücksichtigt:

Die Lohnkosten ergeben sich unter Berücksichtigung des auf 101,48 % geänderten Preisniveaus Lohn und des Preisniveaus aus Witterung in Höhe von 104,25 %. Bei den Materialkosten ist ausschließlich die Preissteigerung gemäß Index auf 104,50 % zu berücksichtigen, da es auf zeitunabhängige Materialkosten keine witterungsbedingten Einflüsse gibt. Bei den Straßenbaumaschinen sind schließlich die Preissteigerung gemäß Index auf 101,33 % sowie das Preisniveau aus Witterung in Höhe von 4,25 % zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich ein neuer Einheitspreis (siehe Abbildung 14).

Somit sind die Lohnkosten um 0,03 €, die Materialkosten um 0,27 € und die Gerätekosten um 0,04 € gestiegen. Entsprechend haben sich auch die Zuschläge erhöht, so dass sich ein neuer Einheitspreis in Höhe von 8,33 € ergibt. Dies sind Mehrkosten von 0,38 € je m² Asphalttragschicht. Für die Gesamtmenge von 80.000 m² ergeben sich Mehrkosten in Höhe von 30.000,00 €. Dies entspricht einer Preissteigerung von 4,71 %.

Die entsprechende Berechnung der neuen Preise muss für jeden Einheitspreis einzeln erfolgen. Die so angepassten Einheitspreise sind dann Grundlage für die Abrechnung und weitere Vertragsabwicklung, insbesondere auch für die Kalkulation von Nachtragspositionen. Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass nicht nur die Berechnung von Mehrkosten zu erfolgen hat, sondern ebenso von Minderkosten. Sofern im Einzelfall der Auftragnehmer keine Minderkostenberechnung vornimmt, kann dies ersatzweise durch den Auftraggeber erfolgen. Seit Ende 2008 wird dies vor allem bei Positionen mit Stahlanteil der Fall sein, da der Stahlpreis stark gesunken ist (Betonstahl Lfd.-Nr. 272 von 247,6 im Juli 2008 auf 89,7 im Juli 2009).

 

Fazit

Den Bauvertragsparteien ist zu empfehlen, die Anpassung der Bauzeiten und Baukosten kurzfristig nach Zuschlag zu klären, da sonst die Auseinandersetzung darüber die weitere Bauausführung überschattet und im Schneeballprinzip auch die Einigung über weitere Nachtragsleistungen vor sich herschiebt.

 

Fußnoten

[1]          Quelle: Statistische Meldungen über Vergabenachprüfungsverfahren gem. § 22 Vergabeverordnung (VgV) vom 31.01.2009, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie

                Die Werte der Vergabekammerverfahren enthalten nur die Verfahren, welche Bauleistungen gemäß VOB betreffen. Die Werte der OLG-Verfahren enthalten sämtliche Vergaben (VOB, VOL und VOF). Eine weitere Aufgliederung wird vom Ministerium oder den Gerichten nicht geführt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Anteil der VOB-Verfahren bei den Obergerichten wie bei den Vergabekammerverfahren in einer Größenordnung zwischen 60 % bis 80 % liegt.

[2]          BGH 11.05.2009 – VII ZR 11/08, IBR 2009, 310-312

[3]          BGH 11.05.2009 – VII ZR 11/08, IBR 2009, 310 - 312: In dem vom BGH entschiedenen Fall wurde der Zuschlag auf das unveränderte Angebot erteilt.

[4]          OLG Celle 17.06.2009 - 14 U 62/08, IBR 2009, 444: In dem vom OLG Celle entschiedenen Fall wurde der Zuschlag mit neuen Ausführungsterminen erteilt.

[5]          BGH 11.05.2009 – VII ZR 11/08, IBR 2009, 310 – 312

[6]          Teilweise anderer Meinung Leinemann: Zu Inhalt und Umfang des Vergabeverfahrensrisikos in: Baurecht 7/2009, 1032 - 1040

[7]          OLG Celle, Urteil vom 17.06.2009 - 14 U 62/08, IBR 2009, 444

„1.          Enthält das Zuschlagsschreiben des öffentlichen Auftraggebers nach verzögerter Vergabe neue Fertigstellungsfristen, handelt es sich um eine modifizierte Annahme des Bietergebotes und damit unter Ablehnung des ursprünglichen Angebotes um ein neues Angebot i. S. d. § 150 Abs. 2 BGB.

2.            In einem solchen Fall ist es Sache des Bieters, auf während der verlängerten Zuschlagsfrist eingetretene Preiserhöhungen hinzuweisen und ggf. durch erneute Ablehnung des neuen Angebotes einen neuen Preis zu verlangen.

3.            Versäumt der Bieter dies, kann der öffentliche Auftraggeber davon ausgehen, dass der Bieter trotz der eingetretenen Preiserhöhungen auskömmlich kalkuliert hatte, und ist nicht verpflichtet, sich nach Ablauf der Annahmefrist gemäß § 147 BGB auf einen geänderten Preis einzulassen.“

[8]          BGH, Urteil vom 10.09.2009 - VII ZR 82/08, IBR 2009, 625, 626

                „Wird in einem Vergabeverfahren aufgrund öffentlicher Ausschreibung nach VOB/A der Zuschlag nach Verlängerung der Bindefristen durch die Bieter später erteilt als in der Ausschreibung vorgesehen, kann ein Mehrvergütungsanspruch nicht allein daraus hergeleitet werden, dass sich im Hinblick auf die spätere Zuschlagserteilung die Kalkulationsgrundlagen geändert haben. Diese Kalkulationsgrundlagen sind grundsätzlich keine Geschäftsgrundlage des später geschlossenen Vertrages.“

[9]          BGH, Urteil vom 10.09.2009 - VII ZR 152/08, IBR 2009, 627, 628

„1.          Sieht eine Ausschreibung in einem öffentlichen Vergabeverfahren vor, dass der Auftragnehmer spätestens 12 Werktage nach Zuschlag mit den Bauarbeiten zu beginnen hat, ist dies dahin zu verstehen, dass der vertraglich vorgesehene Baubeginn an die ausgeschriebene Zuschlagsfrist anknüpft, wenn der Zuschlag später erfolgt. In diesem Fall ist der tatsächliche Zuschlagstermin nicht maßgebend.

2.            Ein Mehrvergütungsanspruch in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Nr. 5 VOB/B kann dem der Verlängerung der Bindefrist zustimmenden Auftragnehmer wegen einer verzögerten Vergabe grundsätzlich nur erwachsen, wenn dies eine Änderung der Leistungspflichten zur Folge hat.

3.            Wird der Zuschlag nach Verlängerung der Bindefristen durch die Bieter später erteilt als in der Ausschreibung vorgesehen, kann ein Mehrvergütungsanspruch nicht allein daraus hergeleitet werden, dass sich im Hinblick auf die verspätete Zuschlagserteilung die Kalkulationsgrundlagen geändert haben.

4.            Maßgeblich für die in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Nr. 5 VOB/B zu ermittelnde Höhe des Mehrvergütungsanspruchs, der auf einer durch eine verzögerte Vergabe verursachten Bauzeitverschiebung beruht, sind grundsätzlich nur diejenigen Mehrkosten, die ursächlich auf die Verschiebung der Bauzeit zurückzuführen sind.“

[10]        BGH 11.05.2009 – VII ZR 11/08, Rdn. 47

                vgl. Bötzkes: Verzögerte Vergabe: Bestimmung der angepassten Bauzeiten, in: IBR 2009, 1127

[11]        „Der Auftragnehmer hat alles zu tun, was ihm billigerweise zugemutet werden kann, um die Weiterführung der Arbeiten zu ermöglichen.“

[12]        „Witterungseinflüsse während der Ausführungszeit, mit denen bei Abgabe des Angebots normalerweise gerechnet werden musste, gelten nicht als Behinderung.“

[13]        Wetterdaten sind regionsbezogen bei verschiedenen Wetterdiensten erhältlich, zum Beispiel DWD (Deutscher Wetterdienst): www.dwd.de.

[14]        zum Beispiel Vygen, Schubert, Lang: Bauverzögerung und Leistungsänderung, 5. Auflage, Werner Verlag 2008, Rdn. B 210 - 216

[15]        Da es sich bei einem Anspruch gemäß § 2 Nr. 5 VOB/B um die Berechnung eines geänderten Preises handelt, wäre hier eigentlich der Begriff des geänderten Baupreises statt geänderter Baukosten zu verwenden. In der VOB wird in diesem Zusammenhang auf die Berechnung von Mehr- und Minderkosten verwiesen, welche zu einer Änderung des Preises führen. Somit erfolgt bei verzögerter Vergabe eine Feststellung angepasster Baukosten, welche zur Anpassung des Baupreises führt.

[16]        BGH 11.05.2009 – VII ZR 11/08, Rdn. 47

                vgl. Bötzkes: Verzögerte Vergabe: Berechnung der angepassten Baukosten, in: IBR 2009, 1126

                vgl. Bötzkes: Mehrkosten aus verzögerter Vergabe: Berechnung der Höhe, in: IBR 2007, 232

[17]        BGH 11.05.2009 – VII ZR 11/08, Rdn. 58

[18]        Vorkalkulatorisch bedeutet, dass die Leistung vor Ausführung kalkuliert wird.

[19]        Zum Beispiel: Leinemann: Zu Inhalt und Umfang des Vergabeverfahrensrisikos in: Baurecht 7/2009, 1032 - 1040

[20]        Zum Beispiel: OLG Oldenburg, Urteil vom 14.10.2008 - 12 U 76/08 , IBR 2009, 9

[21]        Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau, HVA B-StB, Stand: 03/2006, Aktuell gilt Stand: 03/2009.

[22]        Vereinfachend wird hier angenommen, dass die Lohnkosten gleichverteilt über die gesamte Bauzeit anfallen.

[23]        Index der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte (Inlandsabsatz) nach dem Güterverzeichnis für Produktionsstatistiken, Ausgabe 2009 (GP 2009) - Lange Reihen von Januar 2005 bis „aktueller Monat“- Erscheinungsfolge: monatlich, Statistisches Bundesamt Wiesbaden, www.destatis.de

[24]        Siehe dazu Abschnitt „Die Feststellung der angepassten Bauzeiten“.

 

Autor:

Dipl.-Wirtsch.-Ing. Frank A. Bötzkes, Braunschweig

ö. b. u. v. Sachverständiger für Bauablaufstörungen

Telefon: 0531/51 61 530, E-Mail: BiB@Boetzkes.de

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