Jubiläum: 100. Ausgabe
der Vergabe-Praxis

Ein Blick auf die Entwicklung des Vergaberechts

Woher kommt eigentlich der Begriff „Vergabe“? Er vermittelt die (ursprüngliche) Haltung der Hoheitsträger, etwas vergeben zu dürfen. Die in diesem Begriff versteckte vorweg genommene Dankbarkeit des Empfangens mag möglicherweise noch in den Köpfen einzelner Amtsträger zu finden sein. Tatsächlich und dafür steht das Vergaberecht, und insbesondere mit dem eingeführten Rechtschutz, sollte es so sein, dass Bieter und Auftragnehmer nicht in dankbarer Ehrfurcht Aufträge zugewiesen bekommen, sondern dass sie vielmehr in einem Wettbewerb der Leistungsfähigkeit, der Fachkunde, der Zuverlässigkeit und der Wirtschaftlichkeit Vertragspartner werden, und für die Allgemeinheit Leistungen erbringen.

Was ist das Vergaberecht?

Das Vergaberecht ist die Gesamtheit aller Regeln und Vorschriften, die dem Bund, den Ländern, den Kommunen und deren Behörden und Institutionen eine bestimmte Vorgehensweise beim Beschaffen von Leistungen und Lieferungen vorschreibt. Hierunter fallen Bau- und Architektenleistungen ebenso wie Lieferleistungen wie
z. B. Software, Medizintechnik oder Versorgungsgüter für die Bundeswehr.

 

Der Ursprung des Vergaberechts

Das Deutsche Vergaberecht basiert auf dem Haushaltsrecht. Das Haushaltsrecht seinerseits regelt die Aufstellung und die Abwicklung des Etats einer Öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Es handelt sich dabei um Regeln über den Umgang der Regierung und der Verwaltung mit dem Umgang des Geldes der Steuerzahler. Es schreibt Amtsträgern bestimmte Verhaltens- und Vorgehensweisen bei der Beschaffung vor. Die Beschaffung unterliegt dem haushaltsrechtlichen Gebot der sparsamen Verwendung der Mittel. In den haushaltsrechtlichen Vorschriften sind keine Regelungen zum Wettbewerb zu finden.

 

Die Entstehung des heutigen Vergaberechts

Der Ausbau des Binnenmarktes und die Fortentwicklung der Marktfreiheiten brachte es mit sich, dass sich nichteuropäische Bieter auf dem europäischen Markt platzieren wollten. Als ihnen dies nicht gelang, und sie sich an den Europäischen Gerichtshof wandten, entschied jener, dass zur Einhaltung der Rechte der Bieter auf Transparenz, Wettbewerb und Gleichbehandlung ein Rechtschutz geschaffen werden muss, der die Einhaltung dieser Grundprinzipien sichert. Am 11.08.1995 stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) fest, dass die zur Vergabe Öffentlicher Aufträge enthaltenen Vorschriften über die Teilnahme und die Publizität den Bieter vor der Willkür des Öffentlichen Auftraggebers schützen soll. Ein solcher Schutz – so der EugH - kann nur wirksam werden, wenn deren Verletzung vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden kann. Hieraufhin wurde am 29.05.1998 das „Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlage für die Vergabe Öffentlicher Aufträge (Vergaberechtsänderungsgesetz – VgRÄG)“ verabschiedet. Dieses Gesetz wurde umgesetzt in den neuen 4. Teil Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB) und ist am 01.01.1999 in Kraft getreten. Bei diesem Vorgehen wurde die Basis des Haushaltsrechtes verlassen.

Seit dieser Zeit haben Bieter bei europaweiten Ausschreibungen, das heißt bei
Vergaben von Öffentlichen Aufträgen, die die so genannten Schwellenwerte erreichen oder überschreiten, einen Anspruch  auf Überprüfung der Ausschreibung.

 

Die VOB/A

Die erste Ausgabe der VOB stammt aus dem Jahr 1926. In einem Beschluss des Deutschen Reichstages wurde die Reichsregierung ersucht, einen Ausschuss zu berufen, um einheitliche Richtlinien für die Vergabe von Bauleistungen im Reich und in den Ländern zu erstellen. Der der daraufhin gegründete „Reichsverdingungsausschuss“ verabschiedete im Jahre 1926 die erste Verdingungsordnung für Bauleistungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Annäherung des Reichsverdingungsausschusses der Deutsche Verdingungsausschuss für Bauleistungen – heute Deutscher Vergabe- und  Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) – gebildet, der immer wieder überarbeitete Fassungen der VOB vorlegt. Der Verdingungsausschuss ist paritätisch gesetzt.

Als Vertreter der Öffentlichen Hand nehmen daran teil: Oberste Bundes- und Landesbehörden, alle mit dem Bauen befassten Behörden der 16 Bundesländer, die entsprechenden Bundesministerien, der Deutsche Städte- und Gemeindebund, Deutscher Städtetag, auch neuere Organisationen sind darin vertreten wie die Deutsche Bahn Auftraggeber und Sektorenauftraggeber. Auf Auftragnehmerseite sind insbesondere die Spitzenverbände zu nennen, die die Interessen der Auftragnehmer im Bereich des Öffentlichen Auftragwesens vertreten, zum Beispiel der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, Zentralverband des Deutschen Baugewerbes, Verbände der Ausbaugewerke. Im DVA sind weiterhin Institutionen vertreten, die weder der einen noch der anderen Seite zuzuordnen sind, wie zum Beispiel der Bundesrechnungshof, die IG Bau, Stein und Erde, die Bundesarchitektenkammer, die Ingenieurkammer.

Im Mai 2006 wurde die zurzeit gültige geänderte Fassung der VOB/A veröffentlicht, um die Vorschriften an die-EG-Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG anzupassen. Auf Grund der 3. Ordnung zur Änderung der Vergabeverordnung vom 23.10.2006 ist diese Fassung seit dem 01.11.2006 von der Öffentlichen Hand anzuwenden.

 

Die wichtigsten Änderungen

des GWB 2009

Am 24.04.2009 ist das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts in Kraft getreten. Ein Ziel der GWB Novelle war unter anderem, die Stärkung mittelständischer Unternehmen. Die bereits in der VOB/A unter § 4 Nr. 3 enthaltene Mittelstandsregelung wurde in ähnlicher Weise in § 97 Absatz 3 Satz 2 GWB eingearbeitet. Danach besteht eine grundsätzliche Verpflichtung, Leistungen nach Losen zu vergeben. Eine zusammengefasste Vergabe mehrerer Teil- oder Fachlose bedarf einer Rechtfertigung durch wirtschaftliche oder  technische Gründe.

Neu in das GWB aufgenommen worden ist eine Regelung zu den so genannten vergabefremden Aspekten. Nach § 97 Absatz 4 Satz 2 GWB können bei der Vergabe auch zusätzliche soziale, umweltbezogene oder innovative Anforderungen an die Auftragnehmer gestellt werden. Erforderlich ist es allerdings, dass diese Anforderungen in sachlichem Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen.

Mit der Regelung in § 99 Absatz 3 GWB wurde der Begriff des Bauauftrages neu definiert. Danach hat die zu erbringende Bauleistung dem Öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugute zu kommen. Mit dieser Regelung sollte entgegen der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf festgestellt werden, dass kommunale Grundstücksverkäufe an private Investoren nicht der Ausschreibungspflicht unterliegen. Eine für die tägliche Praxis relevante Regelung betrifft die Informationspflicht und die hieran folgende Auftraggeberseits einzuhaltende Frist bis zur Zuschlagserteilung. Die bisher in § 13 VgV geregelte Informationspflicht ist in § 101 a GWB aufgenommen worden. Der Auftraggeber darf seinen Zuschlag nicht vor Ablauf der Frist von 14 Tagen vor Absenden der Informationsschreiben erteilen. Bei Versenden des Informationsschreibens per Fax oder auf elektronischem Weg verkürzt sich diese Frist auf 10 Kalendertage.

 

Die neue VOB 2009

Inzwischen liegt die VOB 2009 als Neubearbeitung vor, die im Amtlichen Bundesanzeiger Nr. 155 vom 15.10.2009, Seite 3549, veröffentlicht wurde. Sie tritt erst in Kraft, wenn die Vergabeverordnung in Kraft tritt. Dies sollte bereits Anfang des Jahres stattfinden und ist bis heute noch nicht erfolgt, wenn gleich als Zeitpunkt der Geltung Mai/Juni 2010 genannt wird.

In der neuen VOB 2009 wurde insbesondere der Teil A weitreichenden Änderungen unterworfen. Sie wurde neu gegliedert und nummeriert. Neu aufgenommen wurde in den Regelungen der VOB/A 2009 sogenannte Wertgrenzen, unterhalb denen die Beschränkte Ausschreibung sowie die Freihändige Vergabe ohne Vorliegen weiterer Voraussetzungen möglich ist. Demnach kann die Beschränkte Ausschreibung ohne weitere Begründung für – Verkehrswege – und Ingenieurbauten für Auftragsvolumen bis zu 150.000,00 €, und bis 100.000,00 € für alle übrigen Gewerke. Für Ausbaugewerken kann die Beschränkte Ausschreibung ab einem Auftragsvolumen von 50.000,00 € verfolgen. Soweit der Wortlaut der Mittelstandsklausel abgeändert wird, wird sich zeigen, inwieweit Formulierungsanpassungen Auswirkungen in der Praxis haben.

Hinsichtlich der Eignungsprüfung ist festgehalten, dass Nachweise über das Präqualifikationsverzeichnis des beim BMVBS bestehenden „Verein zur Präqualifikation von Bauunternehmen e.V.“ erfolgen kann.

Neu aufgenommen worden ist eine Kostenvorschrift hinsichtlich der Ausschreibungsunterlagen. Jedem Bieter, der geforderte Pläne, Zeichnung und andere Unterlagen ausgearbeitet hat, steht eine Entschädigung zu. Zukünftig, so eine weitere Regelung, soll auf eine Sicherheitsleistung für Vertragserfüllung und Gewährleistung bis zu einer Auftragssumme von 250.000,00 € verzichtet werden.

Gänzlich neu und sicherlich die größte Veränderung der VOB 2009 ist die nunmehr eingeführte Möglichkeit der Bieter, geforderte Erklärungen nachzureichen. Der Auftraggeber kann geforderte Erklärungen oder Nachweise innerhalb einer Frist von spätestens 6 Kalendertagen nach Aufforderung von Bieter nachverlangen. Danach können Angebote nur zugelassen werden, die lediglich formale oder unwesentliche Mängel beinhalten. Das Fehlen von Nachweisen oder Erklärungen ist damit kein Ausschlussgrund mehr.

 

Ausblick

Aus den verantwortlichen Ministerien und den beteiligten Kreisen der Bundesregierung ist zu vernehmen, dass das Vergaberecht erneut einer Novellierung unterzogen werden soll. Es ist also nicht davon auszugehen, dass das Vergaberecht ein ruhiges Fahrwasser erlangt, welches weitere Erläuterungen und Kommentierungen entbehrlich macht. Ich freue mich daher auch in Zukunft mit der „Vergabe-Praxis“ eine praxisnahe Beleuchtung einzelner vergaberechtlicher Probleme vornehmen zu können.

... eine praxisnahe Beleuchtung einzelner vergaberechtlicher Probleme

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