Von Ansprüchen, Teilkündigungen und Vertragsstrafen

Kommentare zur aktuellen Rechtsprechung für die Bauwirtschaft

Unser Autor, Rechtsanwalt Michael Werner vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, beleuchtet und kommentiert in diesem Beitrag drei wichtige Urteile: BGH vom 10.09.09: Kann ein Mehrvergütungsanspruch aus einem verspäteten Zuschlag hergeleitet werden? BGH vom 20.08.09: Wie definieren sich Teilleistungen und Teilkündigungen? Und, aus dem gleichen Urteil, ein Exkurs zum Thema Vertragsstrafen.

Zum Mehrvergütungsanspruch bei verlängerter Bindefrist

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 10. September 2009 – VII ZR 82/08 – (www.ibr-online.de) Folgendes ent­schieden:

Wird in einem Vergabeverfahren aufgrund öffentlicher Ausschreibung nach VOB/A der Zuschlag nach Verlängerung der Bindefristen durch die Bieter später erteilt als in der Ausschreibung vorgesehen, kann ein Mehrvergütungsanspruch nicht allein daraus hergeleitet werden, dass sich im Hinblick auf die spätere Zuschlagserteilung die Kalkulationsgrundlagen geändert haben. Diese Kalkulations­grundlagen sind grundsätzlich keine Ge­schäftsgrundlage des später geschlos­se­nen Vertrages.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte eine Baumaßnahme im Juli 2000 ausgeschrieben. Als Ausführungszeitraum war der 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2002 vorgesehen, als Bindefrist für die Angebote und Zuschlagstermin der 31. Oktober 2000. Der Kläger (AN) gab Ende September 2000 das günstigste Angebot ab. Seiner Berechnung lag ein sehr günstiges Angebot für den Bezug elektrischer Energie zugrunde, des­sen Annahme bis zum Ablauf der Bindefrist erfolgen konnte. Wegen eines Nachprü­fungs­verfahrens eines Mitbewerbers bat der AG um Verlängerung der Bindefrist. Der Kläger hatte sich dazu bereiterklärt, behielt sich aber Schadensersatzansprüche vor, weil sein Angebotspreis vom Strompreis des Energie­lieferanten abhänge und ihm durch den verspäteten Zuschlag Nachteile ent­stehen könnten. Am 21. Dezember 2000 erhielt der Kläger den Zuschlag auf sein Angebot vom 26. September 2000 zu einer Auftragssumme von 32 Mio. DM unter Einbezug der VOB/B. Der AN machte später eine Mehrvergütung in Höhe von 1,8 Mio. Euro wegen Mehrkosten beim Strombezug geltend.

Der BGH hält dieses Verlangen auf Erstattung der Mehrkosten wegen erhöhter Strombezugskosten für nicht gerechtfertigt. Den Erklärungen des Klägers, der Verlängerung der Bindefrist zuzustimmen, sei lediglich die Bedeutung zuzumessen, dass das ursprüngliche Vertragsangebot inhaltlich kon­serviert und die rechtsgeschäftliche Bin­dungsfrist an das Angebot gemäß § 148 BGB, zugleich Bindefrist nach § 19 Nr. 3 VOB/A, verlängert werden sollte. Diesbezüg­lich könne auf die Entscheidung des BGH vom 11. Mai 2009 (VII ZR 11/08) verwiesen werden. Eine Preisanpassung wegen erhöhter Stromkosten auf der Grundlage einer ergänzenden Vertragsauslegung, wie sie im Urteil vom 11. Mai 2009 entwickelt wurde, komme hier aber nicht in Betracht. Diese setze eine Regelungslücke im Vertrag voraus. Änderten sich die Kalkulationsgrundlagen eines Bieters infolge einer Verschiebung des Zuschlags, ohne dass dies zu einer Änderung der Ausführungsfristen führe, komme eine Preisanpassung nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertrags­auslegung nicht in Betracht. Im vorliegen­den Fall habe sich die vertraglich geschuldete Leistung nicht geändert. Die in der Ausschreibung vorgesehene Ausführungsfrist vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2002 sei unverändert geblieben. Insoweit komme auch keine Anpassung des Preises gemäß § 2 Nr. 5 VOB/B in Frage.

Eine Vertragsanpassung nach den Grund­sätzen über den Wegfall oder Änderung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) komme ebenfalls nicht in Betracht. Denn die auf den preiswerten Angeboten des Stromlieferanten beruhende Kalkulation des Klägers sei deshalb nicht Geschäftsgrundlage gewor­den, weil der Geschäftswille des AG erkenn­bar nicht darauf aufbaue. Die Kalkulation eines Unternehmers werde – nach frühe­rer Rechtsprechung des BGH – grundsätzlich nicht Geschäftsgrundlage, selbst wenn sie dem Besteller offengelegt werde. Es müssten besondere Umstände hinzukommen, die die Annahme rechtfertigten, der AG habe die Kalkulation in seinen Geschäftswil­len ungeachtet dessen aufgenommen, dass es grundsätzlich Sache und Risiko des Unter­nehmers sei, wie er kalkuliere.

Dem AG sei zwar bekannt, dass der Bieter nur die Wahl habe, die Zustimmung zur Fristverlängerung zu erklären oder aus dem Verfahren auszuscheiden. Dies rechtfertige es jedoch nicht, dem AG über die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage die damit verbundenen Risiken einer Veränderung der Kalkulationsgrundlagen zuzuweisen. Ein Bieter könne sich nicht darauf berufen, der Wettbewerb würde sich durch die Aufrechterhaltung des ursprünglichen Preises für die Dauer der verlängerten Bindefrist zu seinen Lasten verfälschen. Mit der Verlängerung der Bindefrist übernehme er die Verantwortung dafür, dass sein Preis weiterhin unverändert angeboten werde.

Mit dem Festhalten am angebotenen Preis würden auch keine vergaberechtlichen Grundsätze verletzt. So könne der Bieter, der auf diese Weise mittelbar gezwungen werde, aus dem Verfahren auszuscheiden, nicht geltend machen, er sei zu schützen, weil er zunächst das wirtschaftlichste Angebot im Hinblick auf die ausgeschriebene Bindefrist abgegeben habe. Denn die Ge­wäh­rung einer Preisanpassung würde den Wettbewerb verfälschen. Ein Bieter, der an einem öffentlichen Vergabeverfahren teil­neh­me, habe keine geschützte Rechtsposition dahin, dass sich seine Angebotskosten stets amortisierten.

Die Nachteile, die ein Bieter durch die Verlängerung der Bindefrist erleide, seien den Regelungen des Vergabeverfahrens zuzuordnen, die dafür Sorge trügen, dass alle Bieter gleichbehandelt würden, die notwen­dige Transparenz erzielt werde und der wirt­schaftlichste Bieter den Zuschlag erhalte. Mit einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren verwirkliche sich ein Risiko, dass dem Vergabeverfahren immanent sei und das jeder Bieter zu tragen habe. Kalkuliere er insoweit nicht bestandsfest im Hinblick auf einen späteren Zuschlag, habe er eine schwächere Wettbewerbsposition als derjenige Bieter, der seine Preise nicht im Hinblick auf die ursprünglich vorgesehene Zuschlagsfrist kalkuliere.

 

Anmerkung

Diese Entscheidung ist im direkten Zusammenhang mit dem wichtigen BGH-Urteil vom 11. Mai 2009 (siehe Baumarkt und Bauwirtschaft Heft 7-8/2009) zu sehen, in dem der BGH eine Grundsatzentscheidung zur Frage der Mehrvergütung bei Verlängerung der Bindefrist getroffen hat.


Mit beiden Entscheidungen ist nun klar, dass der BGH einen Anspruch auf Mehrvergütung aus verzögerter Vergabe stets nur dann gewährt, wenn die ursprünglichen Binde­fristen überschritten wurden und Aus­wirkungen auf die Bauzeit bestehen. Der Inhalt des abgeschlossenen Vertrages muss sich in zeitlicher Hinsicht ändern. Verschiebt sich aber die Ausführungszeit nicht, ändert sich nach der Logik des BGH auch der Vertragsinhalt nicht, weil die Bauausführung wie vorgesehen erfolgen kann. Dass sich durch den Ablauf ursprünglich ausgeschriebener Bindefristen Lieferanten- und Nachunternehmerpreise verändern, ist für den BGH ohne Interesse. Dies seien kalkulatorische Grundlagen des Bieters, die keine Ge­schäftsgrundlage des abschließenden Ver­trages darstellen würden.

 

Zur Teilkündigung bei einem VOB/B-Vertrag


Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 20. August 2009 – VII ZR 212/07 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

1. Ein Begriff, der innerhalb eines AGB-Klauselwerks mehrfach verwendet wird, ist grundsätzlich für alle Klauseln einheitlich auszulegen (konkret: „abgeschlossener Teil der Leistung“ in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 2 VOB/B – Teilkündigung – und § 12 Nr. 2 VOB/B – Teilabnahme).

2. Leistungsteile innerhalb eines Gewerks stellen grundsätzlich keinen in sich abgeschlossenen Teil der Leistung dar, auf den die Entziehung des Auftrags nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 2 VOB/B beschränkt werden kann.

Ein privater Bauherr beauftragte unter Geltung der VOB/B am 30.7.2002 einen Auftragnehmer (AN) mit der Anbringung eines Wärmedämmverbundsystems für sein Bauvorhaben. Der Vertrag gliederte die inhaltlich gleichen Dämmarbeiten in drei Bauabschnitte. Der AG kündigte nach Fristsetzung mit Kündigungsandrohung die Bauabschnit­te 2 und 3 wegen Verzugs. Streitig ist die Wirk­samkeit der Teilkündigung.

Nach Ansicht des BGH ist die Teilkündigung unwirksam. Die für die Teilkündigung maßgebliche Regelung der VOB/B in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 2 sei eine vom AG gestellte All­gemeine Geschäftsbedingung (AGB), für deren Auslegung Folgendes gelte: Allgemeine Geschäftsbedingungen seien gemäß ihrem objektivem Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der nor­ma­ler­weise beteiligten Verkehrskreise verstanden würden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Ver­­­­­­­trags­­-
partners des Verwenders zu Grunde zu legen seien. Dabei sei primär der Wortlaut der auszulegenden Klausel maßgeblich. Ein mehrfach verwendeter Begriff sei grundsätzlich einheitlich auszulegen (siehe Leitsatz 1). Das gelte auch für den Begriff des „in sich abgeschlossenen Teils einer Leistung“ in den Klauseln zur Teilkündigung und zur Teilabnahme. Die Auslegung des Begriffs habe daher auch die Ziele des § 12 Nr. 2 VOB/B (Abnahme in sich abgeschlossener Teile der Leistung) zu beachten. Das führe zu einem engen Anwendungsbereich. Zu § 12 Nr. 2 VOB/B habe der BGH bereits früher entschieden, dass einzelne Teile eines Rohbaus – z. B. eine Betondecke oder ein Stockwerk – keine in sich abgeschlossenen Teile der Bauleistung seien. Damit komme zum Ausdruck, dass Leistungsteile innerhalb eines Gewerks grundsätzlich nicht als abgeschlossen angesehen werden könnten. Ihnen mangele es regelmäßig an der Selbst­ständigkeit, die eine eigenständige Beurteilung der Teilleistung ermögliche. Anders möge es bei klarer räumlicher oder zeitlicher Trennung der Leistungsteile eines Gewerks sein, wobei eine ausreichende räumliche Trennung etwa dann anzunehmen sei, wenn die Leistungsteile an verschiedenen Bauwerken (z. B. mehreren Häu­sern) zu erbringen seien. Nach diesen Grund­sätzen habe sich die vom AG ausge­sproche­ne Teilkündigung nicht auf in sich abgeschlossene Teile der Leistung bezogen. Die Einteilung der am Bauvorhaben des AG vorzunehmenden gleichartigen Arbeiten in Bauabschnitte führe nicht zu einer räumlichen Trennung im oben dargestellten Sinne. Daran vermöge auch nichts zu ändern, dass der Bauabschnitt 1 durch eine Natur­steinfassade von den anderen Bauab­schnit­ten getrennt gewesen sei. Diese optische Unterbrechung verleihe den Arbeiten am Bauabschnitt 1 keine derartige Selbstständigkeit, die es rechtfertigen würde, eine Teilabnahme verlangen zu dürfen. Diese hätten die Vertragsparteien sogar im Bauvertrag ausdrücklich ausgeschlossen. Auch eine zeitliche Zäsur zwischen den Bauabschnitten sei nicht gegeben: Die Arbeiten sollten in unmittelbarer zeitlicher Abfolge durchgeführt werden.

 

Zur Vertragsstrafenklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)


Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 20. August 2009 – VII ZR 212/07 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

Eine vom Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgegebene Vertragsstrafe, die „für den Fall des Verzugs des Auftragnehmers... eine Vertragsstrafe in Höhe von 0,1% der Auf­tragssumme je Werktag“ vorsieht, „begrenzt auf maximal 10% der Gesamt­auftragssumme“, ist unwirksam, da sie gegen das Transparenzgebot verstößt.

Ein privater Bauherr beauftragte in einem VOB/B-Vertrag einen Auftragnehmer (AN) mit der Anbringung eines Wärmedämm­verbund­systems für sein Bauvorhaben. Der Vertrag enthielt die im Leitsatz zitierte Vertragsstrafenklausel. Der AN klagte später seinen Werklohnanspruch ein. Gegen diesen rechnete der Auftraggeber (AG) mit einem Anspruch auf Vertragsstrafe auf.

Nach Ansicht des BGH kann der AG hier mit seinem Anspruch auf Vertragsstrafe nicht aufrechnen. Die Vertragsstrafenklausel sei als Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) des AG unwirksam. Zu Recht seien die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass es sich um AGB handele, weil hierfür der erste Anschein spreche. Aus Inhalt und Gestaltung der in einem Bauvertrag verwende­ten Bedingungen könne sich ein vom Verwender zu widerlegender Anschein dafür ergeben, dass sie zur Mehrfachverwendung vorformuliert seien. Dies könne beispielsweise der Fall sein, wenn der Vertrag zahlreiche formelhafte Klauseln enthalte und nicht auf die individuelle Vertragssituation abgestimmt sei. Diese Grundsätze seien nicht nur bei Bauträger- und solchen Bauverträgen, die von im Immobiliengewerbe tätigen Personen oder Unternehmen formu­liert werden, anwendbar. Sie gälten auch für Privatpersonen, die nicht im Baugewerbe tätig seien, da auch sie auf zur Mehrfach­verwendung vorgesehene Vertragsmus­ter zurückgriffen oder solche Muster entwürfen, etwa wenn sie mehr als ein Bauvorhaben durchführten oder für ein Objekt Verträge mit mehreren Bauunternehmern oder Handwerkern abzuschließen seien. Die Vertragsstrafenklausel als AGB sei schon deshalb unwirksam, weil sie gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoße. Die Klausel mache nicht deut­lich genug, auf welche Vertragspflich­ten sich der Verzug beziehe.

... Unwirksamkeit der Vertragsstrafe bei

Verstoß gegen das Transparenzgebot!

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