Das freie Kündigungsrecht des Bestellers und die Rechtsfolgen

Fünf Fragen aus und fünf Antworten für die Praxis

Nachdem wir uns bereits im Jahre 2006 mit den Besonderheiten bei der Kündigung eines Bauvertrages aus wichtigem Grund befasst hatten, bieten nunmehr mehrere aktuelle Urteile des Bundesgerichtshofs Anlass, sich erneut mit der Thematik der Kündigung und deren Rechtsfolgen aus § 649 BGB auseinanderzusetzen. Hierbei spielen zwei BGH-Urteile vom 27.01.2011 (Az. VII ZR 133/10) und vom 20.08.2009 (Az. VII ZR 212/07) zur freien Kündigung durch den Besteller/Auftraggeber eine entscheidende Rolle.

Frage 1: Darf der Besteller den Bauvertrag frei kündigen?

Die sogenannte „freie“ Kündigung ist eine Besonderheit des Werkvertragsrechts, die in § 649 BGB geregelt ist. Der Besteller kann hiernach den Bauvertrag bis zur Vollendung des Werkes jederzeit, das heißt nach seinem eigenen Belieben und ohne wichtigen Grund kündigen. Kündigt der Besteller ohne wichtigen Grund, ist der Unternehmer jedoch berechtigt, die (volle) vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich nur dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt (im Rahmen eines kündigungsbedingten Ersatzauftrags) oder zu erwerben böswillig unterlässt.

Es wird gesetzlich vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 vom Hundert der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen. Hintergrund dieser Regelung ist, dass es nach dem gesetzlichen Leitbild des Werkvertragsrechts im alleinigen Interesse des Bestellers liegt, ob er das Werk fertigstellen lassen will. Demzufolge hat er die Möglichkeit, den Vertrag einseitig zu beenden.

Der Werkunternehmer wird durch eine solche Kündigung auch im Ergebnis wirtschaftlich nicht benachteiligt. Seine Interessenlage ist im Vergleich zum Besteller eine andere. Dem Werkunternehmer geht es bei Abwägung der Interessen primär nicht um die Herstellung des Werks, sondern um die vertraglich vereinbarte Vergütung. Sein Anspruch auf Vergütung der beauftragten Leistungen bleibt ihm gemäß § 649 Satz 2 BGB deshalb erhalten. Er erleidet durch eine solche freie Kündigung keinen Schaden bzw. wirtschaftlichen Nachteil. Nach alledem überrascht es auch nicht, dass das freie Kündigungsrecht nach der Schuldrechtsmodernisierungsreform im Jahre 2002 weiterhin ein fester Bestandteil des Werkvertragsrechts ist und das gesetzliche Leitbild abbildet.

 

Frage 2: Kann das freie Kündigungsrecht in Allgemeinen Geschäftsbedingungen wirksam ausgeschlossen werden?

Diese Frage ist höchstrichterlich noch nicht geklärt worden. Auch in dem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27.01.2011 (Az. VII ZR 133/10) wurde die – hier grundsätzlich mögliche – Beantwortung der Frage offen gelassen, weil es im Ergebnis darauf nicht ankam. Unabhängig davon ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Ausschluss des Kündigungsrechts in Formularverträgen von Baufirmen unzulässig ist, eine Beschränkung desselben ebenfalls bedenklich sein kann. Davon unberührt bleiben eigene, vom Besteller verwendete Klauseln, mit denen das freie Kündigungsrecht beschnitten wird, wie dies in Verträgen der öffentlichen Hand vielfach der Fall ist, da sich die Behörden selbst vertraglich bis zur ordentlichen Vertragserfüllung binden wollen. Wenn der Besteller selbst Verwender solcher Klauseln ist, kann er sich nicht auf den Schutz durch das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen berufen und die Inhaltskontrolle einer solchen verwendeten Klausel herbeiführen.Zudem beschränken Klauseln des Bestellers in Allgemeinen Geschäftsbedingungen den Anspruch häufig auf die Vergütung allein für die tatsächlich bis zum Kündigungszeitpunkt erbrachten Leistungen. Solche Klauseln sind unwirksam, weil sie dem Unternehmer den gesetzlich zustehenden Vergütungsanspruch versagen (BGH-Urteil vom 12.07.2007 – VII ZR 154/ 06). Aber auch Klauseln, die den Anspruch auf Vergütung der erbrachten Leistungen einschränken, unterliegen der Inhaltskontrolle und sind im Regelfall unwirksam, wenn sie der Sache nach einen Teil des gesetzlichen Vergütungsanspruchs, der auf volle Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen geht, beschneiden.

So kann auch eine vom Besteller in den Vertrag eingebrachte Klausel dann unwirksam sein, wenn sich der Vergütungsanspruch für erbrachte Leistungen aus einem vereinbarten Zahlungsplan ergibt, der letztlich von dem tatsächlich erbrachten Leistungsstand abweicht und damit eine unzulässige Bewertung der erbrachten Leistungen ermöglicht mit der Folge der Reduzierung des Vergütungsanspruchs auf einen Werklohn, der nicht einmal die erbrachten Leistungen abdeckt. Mit einer solchen, nicht am tatsächlichen Leistungsstand orientierten und von den kalkulatorischen Ermittlungsgrundlagen losgelösten Bewertung wird das gesetzliche Leitbild verletzt, wonach eine Partei durch eine vorzeitige Beendigung des Vertrages keinen kalkulatorischen Vorteil haben darf (BGH-Urteil vom 04.05.2000 – VII ZR 53/99).

Von Seiten der Werkunternehmer wird oftmals auch versucht, die Vergütung nach einer Kündigung durch den Besteller zu pauschalisieren. Grundsätzlich kann eine solche Klausel wirksam sein. Es liegt jedoch auf der Hand, dass der Besteller durch so eine Pauschalisierungsklausel ebenfalls nicht unangemessen benachteiligt werden darf.

Ferner kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Unternehmers weder vereinbart werden, dass der Werkunternehmer entgegen § 649 Satz 2 BGB Anspruch auf die volle Vergütung ohne Rücksicht auf die tatsächlich erbrachten Leistungen hat (BGH-Urteil vom 16.04.1973 – VII ZR 140/71), noch kann umgekehrt jede über den anteiligen Werklohn hinausgehende Entschädigung des Werkunternehmers ausgeschlossen werden (BGH-Urteil vom 12.07.2007 – VII ZR 154/06). Keine Partei darf durch eine vorzeitige Beendigung des Vertrages einen kalkulatorischen Vorteil haben (BGH-Urteil vom 04.05.2000 – VII ZR 53/99). Das ist der Grundgedanke des gesetzlichen Leitbildes, den es bei einer Inhaltskontrolle zu beachten gilt.

Frage 3: Wie werden die Leistungen nach einer freien Kündigung abgerechnet?

Im Falle einer freien Kündigung des Bestellers gemäß § 649 Satz 1 BGB ist zwischen der Abrechnung der erbrachten Leistungen und der Abrechnung der beauftragten, aber wegen der Kündigung nicht mehr erbrachten Leistungen des Werkunternehmers zu unterscheiden (§ 649 Satz 2 BGB).

Zu den erbrachten Leistungen gehören vor allem diejenigen Bauleistungen, die sich im Zeitpunkt der Kündigung im Bauwerk verkörpern. Beim Einheitspreisvertrag ergeben sich hierbei keine großen Probleme. Unter Zugrundelegung des Leistungsverzeichnisses sind die erbrachten Mengen mit dem vereinbarten Einheitspreis zu multiplizieren.

Ist hingegen ein Pauschalpreisvertrag zwischen den Parteien vereinbart worden, ergeben sich Schwierigkeiten. Wie bereits festgestellt, darf keine der Parteien einen kalkulatorischen Vor- oder Nachteil aus der vorzeitigen Beendigung des Vertrages ziehen. Um die nötige Transparenz der Abrechnung zu gewährleisten, muss der Werkunternehmer die Leistungen, die Gegenstand des Pauschalpreisvertrages sind, zum Zwecke der Abrechnung in Einzelleistungen zergliedern und diese mit Preisen bewerten. Die Summe der Einzelleistungen muss die insgesamt geschuldete Leistung ergeben, die Summer der diesen Einzelleistungen zugeordneten Preise muss den Pauschalpreis ergeben (BGH-Urteil vom 04.05.2000 – VII ZR 53/99; Kniffka-IBR-Online Kommentar, Bauvertragsrecht, § 649, Rn. 52).

Der Werkunternehmer muss die Preise für den Besteller nachvollziehbar aus der Kalkulation ableiten.

Vorsicht ist geboten, wenn man die Abrechnung auf Basis einer rein prozentualen Bewertung, nach beliebigen Einheitspreisen oder nach Fachliteratur vornimmt. Eine Prüfbarkeit der Abrechnung wird von den Gerichten in solchen Fällen zumeist verneint. Sollte ein leistungsunabhängiger Ratenzahlungsplan vereinbart worden sein, ist ebenfalls darauf zu achten, dass die zu erbringenden Raten auch wirklich exakt dem jeweiligen Leistungsstand entsprechen. Ansonsten verbietet sich auch an dieser Stelle eine Abrechnung nur unter Zugrundelegung des Zahlungsplans. Für die Abrechnung des Vergütungsanspruchs nach § 649 Satz 2 BGB ist die „vereinbarte Vergütung“ der Ausgangspunkt. Das ist diejenige, die der Besteller bei Fortbestand des Bauvertrages zu zahlen hätte. Sie ergibt sich aus den vertraglichen Vereinbarungen und ist prüffähig abzurechnen.

Von diesem ermittelten Gesamtbetrag sind die infolge der Vertragskündigung ersparten Aufwendungen abzuziehen. Wichtig ist der ursächliche Zusammenhang der Ersparnis auf Seiten des Werkunternehmers mit der freien Kündigung des Bestellers. Maßgeblich sind hierbei die Kosten, die im Fall der Ausführung tatsächlich entstanden wären, nicht die kalkulierten Kosten (BGH-Urteil vom 22.09.2005 – VII ZR 63/04). Ein einkalkulierter Risikozuschlag ist gesondert auszuweisen. Ein Anspruch des Werkunternehmers hierauf besteht nur, sofern sich das Risiko auch hätte verwirklichen können, andernfalls muss sich der Werkunternehmer diesen Betrag als erspart anrechnen lassen (BGH-Urteil vom 30.10. 1997 – VII ZR 222/96). Untergrenze und gleichzeitig Mindestmaßstab für den Abzug des auf die nicht erbrachten Leistungen entfallenden Teils ist die Pauschale des § 649 Satz 3 BGB. Hiernach wird gesetzlich vermutet, dass dem Werkunternehmer 5 % der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen. Diese gesetzliche Vermutung soll dem Werkunternehmer die gemäß § 649 BGB durchzuführende Abrechnung erleichtern, da diese wegen der hohen Darlegungslast in der Praxis oft erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Es handelt sich hierbei um eine widerlegbare Vermutung. Folglich kann der Werkunternehmer einen höheren, der Besteller einen niedrigeren Betrag nachweisen.


Frage 4: Was ergibt sich hieraus für die Praxis?

Sollte es zu einer freien Kündigung des Bestellers kommen, ist nochmals darauf hinzuweisen, dass der Unternehmer eine für den Besteller nachvollziehbare Kalkulation vorlegen muss. Auch wenn diese geforderte Transparenz gerade bei der Vielzahl der möglichen Vertragsvarianten im Baurecht oftmals für große Schwierigkeiten sorgt, so ist es doch verständlich, dass der Gesetzgeber an dem besonderen Schutz des § 649 BGB festgehalten hat. Den verschiedenen Interessen der Parteien wird somit bestmöglich Rechnung getragen.

 

Frage 5: Ist eine freie Teilkündigung möglich?

Im Gesetz ist eine solche Teilkündigung zwar nicht vorgesehen, aber auch nicht von vornherein ausgeschlossen. Immerhin gibt es doch einen gesetzlichen Teilrücktritt, der von der Interessenlage mit einer Teilkündigung vergleichbar ist.

§ 8 Absatz 3 Nr. 1 Satz 2 VOB/B sieht eine solche Teilkündigung bei in sich abgeschlossenen Leistungen ausdrücklich vor. Wenn die Vertragsparteien, was erstaunlicherweise immer häufiger vorkommt, die VOB/B bewusst dem Vertrag gar nicht zugrundelegen (wollen), so erschwert dies die Beantwortung dieser Frage. Der BGH hat in einer Entscheidung vom 20.08.2009 – VII ZR 212/07 - klargestellt, dass die in sich abgeschlossenen Leistungen einen engen Anwendungsbereich haben. So sind nach ständiger Rechtsprechung des BGH einzelne Teile eines Rohbaus wie eine Betondecke oder ein Stockwerk keine in sich abgeschlossene Leistung bzw. Teile der Bauleistung. Zu beachten ist deshalb, dass Leistungsteile innerhalb eines Gewerks grundsätzlich nicht als abgeschlossen angesehen werden können. Auch eine Einteilung von am Gebäude vorzunehmenden gleichartigen Arbeiten in Bauabschnitte führt nicht zur Annahme einer in sich abgeschlossenen Leistung, die aus einer klaren räumlichen Trennung resultieren kann. Einzelne Bauabschnitte über ein Gewerk wie Rohbau sollen danach keine in sich abgeschlossenen Teilleistungen sein, die einer Teilkündigung zugänglich sind.

Das überrascht doch sehr, ist aber dem Umstand geschuldet, dass im konkreten Fall die Parteien im Bauvertrag eine Teilabnahme ausdrücklich ausgeschlossen hatten. Unter diesen Umständen mag es gerechtfertigt sein, eine in sich abgeschlossene Teilleistung restriktiv auszulegen.

Der Unternehmer muss eine für Besteller nachvollziehbare Kalkulation vorlegen!

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