Wenn die Brücke smart wird

Intelligentes Verstärkungs- und Schutzsystem für Brückenbauwerke

Im Zuge des Neubaus der Niersbrücke Ritterstraße in Mönchengladbach fand im Juli die Fertigstellung der zweiten und abschließenden Bauphase eines Smart-Deck-Großdemonstrators zum Brückenmonitoring in Echtzeit statt.

Die Dauerhaftigkeit von Straßenbrücken aus Stahlbeton wird insbesondere dadurch gefährdet, dass Chloride durch beschädigte Abdichtungen, Fugen und Übergangsprofile in den Beton eintreten. Korrosionsschäden der Bewehrung werden an der Brückenoberseite meist erst dann sichtbar, wenn bereits ein erhebliches Schadensausmaß vorliegt. Außerdem sind durch das gestiegene Verkehrsaufkommen bei einigen Brücken Defizite hinsichtlich ihrer Querkraft- und Biegetragfähigkeit in Querrichtung zu verzeichnen.

 

Überwachung der Brücke in Echtzeit

Smart-Deck, ein multifunktionales, intelligentes Verstärkungs- und Schutzsystem, zielt darauf ab, den genannten Mängeln mittels modularer Funktionalitäten vorzubeugen. Ein vollflächiges Echtzeit-Monitoringsystem detektiert das Eindringen von Feuchtigkeit in die Fahrbahnplatten der Brücken. Das System verfügt über einen vollflächigen, präventiven kathodischen Korro-sionsschutz (pKKS). Die Fahrbahnplatten können durch Smart-Deck in Querrichtung verstärkt werden: Dies
erhöht die Tragfähigkeit der Brücke.

Durch das Monitoring können Schäden in der Abdichtungsebene frühzeitig erkannt werden und, in Kombination mit dem pKKS, Verkehrsbehinderungen vermieden werden. Eine Erneuerung des Brückenbelages ist nicht zeitnah erforderlich, sondern kann über Jahre
hinaus in verkehrsgünstige Perioden verschoben werden. Das Monitoring, der pKKS und die verstärkende Wirkung werden durch eine textile Carbonbewehrung in Kombination mit einem Spezialmörtel realisiert. Mittels der Verstärkungsschicht wird sowohl die Biege- als auch die Querkrafttragfähigkeit der Fahrbahnplatte in Querrichtung vergrößert, ohne das Eigengewicht der Tragkonstruktion signifikant zu erhöhen. Die Textilbetonergänzungsschicht wird auf der Oberseite der Brückenfahrbahnplatte zwischen Bestands-tragwerk und Brückenbelag aufgebracht. Durch die feldweise Einteilung in Brückenlängsrichtung kann der Zustand der Fahrbahnabdichtung abschnittsweise überwacht werden.

 

Funktionsweise

Smart-Deck besteht aus einer dünnen Schicht aus feuchtesensitivem Mörtel, PCC (Polymer Cement Concrete) mit einem Größtkorn von vier Milimetern. Die Mörtelschicht ist mit zwei epoxidharzgetränkten Carbongelegen bewehrt, deren Lage zueinander durch Abstandhalter gesichert ist. Die bis zu 20 Quadratmeter großen Felder der textilen Bewehrung repräsentieren jeweils einen Sensor, der über ein Bussystem messtechnisch getrennt angesteuert wird. Anhand von
Kalibrierkurven wird über die Messung des elektrischen Widerstands zwischen den zwei Carbonlagen der Feuchtegehalt des Mörtels ermittelt. Ein Widerstandsabfall deutet auf eine Undichtigkeit in der Abdichtung hin, da geringe Widerstände mit einem hohen Wassersättigungsgehalt des Mörtels einhergehen. Mittels einer Zustandsanzeige ist der Betreiber in der Lage, den elektrischen Widerstand über Mobilfunk oder Internet in Echtzeit zu überwachen und so Rückschlüsse auf den Zustand der Abdichtung zu ziehen. Ist im Schadensfall eine Instandsetzung der Brücke zeitnah nicht möglich, können erforderliche Bauarbeiten mit der Aktivierung des pKKS in günstigere Perioden verschoben werden. Bei der Aktivierung des pKKS wird zwischen der textilen Bewehrung und der Stahlbewehrung ein elektrisches Feld aufgebaut, welches den
Bewehrungsstahl kathodisch polarisiert. Der Korrosion der Stahlbewehrung wird damit entgegenwirkt und demzufolge eine De-passivierung verhindert.

 

Kleindemonstrator

Nach Erstellung eines Anforderungskatalogs, der Entwicklung eines Mörtelsystems, der textilen Bewehrung und eines Messtechniksystems durch die Projektpartner wurde im April 2016 ein Demonstrator auf dem Gelände der BASt zur Beurteilung und
Optimierung des Gesamtsystems außerhalb des bis zu diesem Zeitpunkt untersuchten Labormaßstabs fertiggestellt. Die Funk-tionalität des Monitorings wurde mithilfe von Feuchte-, Temperatur- und Widerstandsmessungen erfolgreich überprüft. Dabei dienten Multiringelektroden als Referenz für die Feuchtemessungen. Eine erfolgreiche Erprobung der pKKS-Funktionalität erfolgte ebenfalls.

 

Großdemonstrator

Nach einer abschließenden Optimierung der Einzelkomponenten wurde das Smart-Deck System nun erstmals im Sommer 2019 bei einem die Niers überführenden Ersatzneubau in Mönchengladbach zur Validierung des Konzeptes unter realen Baustellenbedingungen appliziert und wird dort unter Verkehrsbedingungen erprobt. Die Stadt Mönchengladbach erhält laufend Informationen über den Zustand des Abdichtungssystems und damit eine wichtige Betriebsgröße für die Erhaltungsplanung.

 

Bundesanstalt für Straßenwesen

www.bast.de

Projektpartner

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Programms
„HighTechMatBau“ geförderte Projekt wurde in Kooperation der Projektpartner Fa. Eurovia, RWTH Aachen (ibac, IMB), Fa. StoCretec, Fa. FTA in Kooperation mit der solidian GmbH, Fa. Massenberg, Fa. Instakorr und der BASt entwickelt. Schwerpunkte der Arbeiten der Bundesanstalt für Straßenwesen waren die Definition von Anforderungen an das System und dessen Bewertung.

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 09/2020

Carbonbewehrung der Extraklasse

Eine innovative Bewehrung wird noch besser

Beton hält Druckbelastungen hervorragend stand, ist jedoch gegenüber Zug äußerst anfällig. Darum wurde er im Bauwesen jahrzehntelang mit Stahl kombiniert, der die Zugkräfte aufnimmt. Doch Stahl...

mehr
Ausgabe 08/2018

Eine Frage der Lebensdauer

Mit hochfestem Dyckerhoff-Beton saniert

Die Ewijk-Brücke wurde im Jahr 1976 als Stahlbrücke gebaut. Die Stahlplatte wird von Längs- und Querträgern getragen, die mit der Tragplatte verschweißt sind – ein sogenanntes orthotropes...

mehr
Ausgabe 04/2014 INSTANDSETZUNG DER NECKARBRÜCKE BEI HIRSCHHORN

Sanfte Formen sanft saniert

An einigen Stellen ist der Beton abgeplatzt, Stahlbauteile wie Geländer und Brückenauflager beginnen zu korrodieren, in die Fahrbahndecke haben sich Spurrinnen eingefressen und die...

mehr

Brückenmonitoring mit innovativen Dehnfugen und Brückenlagern

Forschungs- und Entwicklungsprojekt IFuLa: Messung von Verkehrslasten und Brückenveränderungen

Deren integrierte Sensoren erfassen erstmals mit hoher Genauigkeit die Verkehrslasten und die Einwirkungen auf die Dehnfugen und Lager. Herzstück der Entwicklung sind die Algorithmen, die aus einer...

mehr
Ausgabe 01/2019

Modulares Straßenbrücken-System

Zeiteinsparungen bis 70 Prozent

Das internationale Planungs- und Beratungsbüro Arup, mit Niederlassungen in Berlin, Düsseldorf und Frankfurt gleich mehrfach in Deutschland vertreten, hat im Auftrag des Landesbetriebs Straßenbau...

mehr