Rostschutz für Kathedrale der Industriekultur

Umfassende Sanierungsarbeiten am Gasometer Oberhausen

Bedeutender Standort der Industriekultur, Europas höchste Ausstellungshalle, Symbol für den Strukturwandel im Ruhrgebiet – der Gasometer steht für die bewegte Historie der Region und spielt eine wichtige Rolle für den Tourismus.

Mit seinen Ausmaßen von 117,5 Metern Höhe, 67,6 Metern Durchmesser und 210 Metern Umfang ist der 1929 erbaute Gasometer der größte Scheibengasbehälter Europas. Nach seiner Stilllegung im Jahr 1988 und einem Umbau in den Jahren 1993/94 dient das Gebäude heute als Ausstellungshalle von internationalem Rang. Um den alten Gasspeicher auch zukünftig für Großausstellungen nutzen zu können, bedarf es nun einer umfassenden Sanierung. Die Instandsetzungsmaßnahmen – durch die der komplette Rost entfernt, eine neue Beschichtung aufgetragen und das rissige Fundament ausgebessert werden sollen – kosten insgesamt rund 14,5 Millionen Euro und dauern voraussichtlich bis Anfang des Jahres 2021. Die Arbeiten in den Bereichen Stahlbau und Korrosionsschutz übernimmt dabei die Rodopi Marine GmbH aus Düsseldorf, die eigentlich auf Beschichtungen von Schiffen und Offshore-Bauten spezialisiert ist.

Symbol des erfolgreichen Strukturwandels

Ursprünglich besaß der Scheibengasbehälter eine wichtige Funktion im Verbundsystem der Oberhausener Montanindustrie. Zunächst galt der Gasspeicher mit einem Fassungsvermögen von 347.000 Kubikmetern als Lager für Gichtgas aus den Hochöfen der Eisenproduktion. Später nahm der Gasometer Koksgas aus der Kokerei Osterfeld auf, mit dem die umliegenden Industrieanlagen versorgt wurden. Aufgrund des stagnierenden Koksbedarfs und der daraus resultierenden Schließung der Kokerei in Oberhausen wurde der Gasometer Oberhausen jedoch 1988 stillgelegt. Auf Vorschlag der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscherpark erfolgte 1993/94 mit Fördermitteln des Landes Nordrhein-Westfalen der Umbau zu einer Ausstellungshalle. Seit 1996 steht die Kathe-drale der Industriekultur außerdem unter Denkmalschutz. „Wie kein anderes Bauwerk verbindet der Gasometer die identitätsstiftende Vergangenheit des Ruhrgebiets und den erfolgreichen Strukturwandel der Region“, sagt Jeanette Schmitz, Geschäftsführerin der Gasometer Oberhausen GmbH, und ergänzt: „Wind und Wetter haben Spuren hinterlassen. Der Gasometer ist deshalb bis zum Frühjahr 2021 wegen Sanierungsarbeiten geschlossen.“

Aufwendige Entrostung der Innendecke per Hand

Gegründet ist der Gasometer auf einer Sohlplatte und umlaufenden Streifenfundamenten, das Dach wird durch eine radiale Tragkonstruktion aus Fachwerkbindern getragen. Die 24-eckige Außenhülle des Gasometers besteht aus genieteten Stahlblechen und 24 Stahlstützen, die Stützenfüße sind außenliegend mit Mauerwerk verkleidet worden. Eingedrungene Feuchtigkeit hat den Mauerwerksverbund beschädigt, die Außenhülle ist im Laufe der Zeit durch Korrosion stark in Mitleidenschaft gezogen worden. „Um die Tragfähigkeit und den Korrosionsschutz dauerhaft wiederherzustellen, erfolgt zunächst im Trockenstrahlverfahren die Entfernung der alten Beschichtungen – im Inneren führen wir jedoch eine aufwendige Entrostung der Innendecke per Hand durch. Anschließend erhält die Gebäudehülle fünf Beschichtungsebenen als Schutz gegen Wind und Wasser. Bis zu 40 Mitarbeiter sind dabei in das Projekt involviert“, erklärt Burak Dogan, Mitarbeiter der Rodopi Marine GmbH und Projektleiter für die Sanierungsarbeiten am Oberhausener Denkmal.

Enge Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde

Zur Vorbereitung der Korrosionsschutzarbeiten wurde der Gasometer im Februar eingerüstet, im März folgte anschließend die Einhausung des Fassadengerüsts mit einer hellen Plane. Diese sorgt dafür, dass beim Abstrahlen der Außenhülle Farb- und Metallreste auf der Baustelle verbleiben. Bei den späteren Arbeiten am Korrosionsschutz verhinderte die Plane außerdem, dass die behandelten Flächen der Witterung ausgesetzt waren. Zudem ermöglicht sie bei der Trocknung der Farbschichten konstante Bedingungen in Bezug auf Luftfeuchtigkeit und Temperatur. Aus diesem Grund schließt die Plane luftdicht ab. „Auch wir sind seit Februar auf der Baustelle tätig, um vorbereitende Maßnahmen für die Stahlbau- und Korrosionsschutzarbeiten durchzuführen. Beim Gasometer handelt es sich um ein sehr großes Objekt, sodass wir für unsere Arbeiten wie das Trockenstrahlverfahren längere Schläuche als üblich benötigten und unser herkömmliches Equipment anpassen mussten“, berichtet Dogan. Im Trockenstrahlverfahren entfernten die Mitarbeiter dann die ursprüngliche Beschichtung der äußeren Mantelfläche, einschließlich der noch vorhandenen Walzhaut. Anschließend wurden die beschädigten und nicht mehr tragfähigen Stahlbauteile bearbeitet beziehungsweise ausgetauscht, um die Tragfähigkeit wiederherzustellen. Dieser Schritt erfolgte in enger Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde, die letztendlich entschied, wie viel Stahl entfernt und erneuert werden durfte. Die Arbeiten auf dem Dach erforderten von den Fachkräften jedoch ein anderes Verfahren und stellten sie vor neue Herausforderungen. „Zunächst war angedacht, auch das Dach im Trockenstrahlverfahren zu entschichten, doch es verfügte nicht mehr über seine ursprüngliche Tragkraft. Das Gewicht der eingesetzten Geräte und Mitarbeiter plus das Strahlmittel, das bei dem Verfahren haften bleibt, hätte das Dach nicht mehr ausgehalten“, erklärt Dogan und ergänzt: „Deshalb haben wir einen ferngesteuerten Roboter eingesetzt, den wir über einen Joystick steuerten. Dieser Roboter hat im Wasserstrahlverfahren die alten Farbschichten entfernt.“

Korrosionsschutz mit Eisenglimmer

Im Anschluss erfolgt die Beschichtung aller entschichteten, bearbeiteten oder ausgetauschten Elemente des Gasometers. Um die Kathedrale der Industriekultur für die nächsten Jahrzehnte vor Korrosion zu schützen, tragen die Fachkräfte fünf Farbschichten auf. Zunächst erhält das Bauwerk eine Grundierung aus Zinkstaub. „Dieser Stoff wird unter anderem zur Herstellung von Zinkstaubfarben verwendet, die als Trennschicht zwischen Stahl und korrosiver Umgebung wirken und zusätzlich eine elektrochemische Schutzwirkung entfalten. Sie kommen in der Regel an Stellen zum Einsatz, die aus technischen Gründen nicht verzinkbar oder schwer zugänglich sind, und schützen Stahl auch bei extremer Beanspruchung vor Korrosion“, sagt Dogan. Zusätzlich werden Zinkphosphatbeschichtungen aufgetragen, um anschließend die Deckfarbe aufzubringen. Der neue Anstrich des Gasometers besteht aus einem grauen Grundton mit oxydrötlicher Einfärbung. Es handelt sich dabei um eine Weiterentwicklung des 1949 beim Wiederaufbau verwendeten Farbtons – mit einer Besonderheit: Die neue Deckfarbe enthält Eisenglimmer, wodurch der Gasometer schimmern wird und der Korrosionsschutz noch verstärkt wird. Um die Originalfarbe des Gasometers zu bestimmen und die neue Deckfarbe möglichst dem ursprünglichen Ton anzugleichen, war regelrechte Detektivarbeit erforderlich. Über die ganze Fläche des Bauwerks verteilt wurden Proben genommen, welche vom LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland analysiert wurden. Die Untersuchungen ergaben, dass der Gasometer in seiner Historie mehr als einen Anstrich erhielt. Insgesamt 14 Farbschichten ermittelte das Amt bei den Laboruntersuchungen. An einem der Ausbläser wurden dafür drei 30x60 Zentimeter große Musterbleche herausgeflext. Anhand dieser Muster ließen sich unter einem Mikroskop mit dem Skalpell die vielen Farbschichten detailliert freilegen.

Durch die aufgetragenen Beschichtungen hält der Korrosionsschutz vermutlich drei Jahrzehnte. Sämtliche Bauteilfugen, Anschlüsse und das Fundament werden außerdem mit einem geeigneten Dichtungsmittel gegen eindringende Feuchtigkeit versiegelt.

Rodopi Marine GmbH

www.rodopi.de

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