Die Lust am zupackenden Handeln

Die Wiederentdeckung lustvoll-beherzten Handelns unter selbstverständlichem Risikoeinschluss ist überfällig. Viel zu lähmend beherrscht Argwohn, Misstrauen und Zweifel an allem und jedem die Gemüter und schürt Zukunftsängste. So wenig Gutgläubigkeit eine tragfähige Verhaltensbasis ist, so sehr trüben aber auch ausufernde Zweifel an allem und jedem und die so oft damit verbundene Rechthaberei den Blick und lähmen den Schritt. Informativ unter anderem auch dazu das brandneue Buch „Ich habe recht, auch wenn ich mich irre – Warum wir fragwürdige Überzeugungen, schlechte Entscheidungen und verletzendes Handeln rechtfertigen“.

 

Bedenkenträger überall

Nicht dass es keinen Grund zu Befürchtungen gäbe. Den gibt es in mancherlei Hinsicht sehr wohl. Doch einmal abgesehen davon, dass die tatsächlichen drückenden Probleme selten mit den öffentlich gehandelten übereinstimmen, die derzeit gepflegte vorrangige Fokussierung auf das Risiko und natürlich dessen unbedingte Vermeidung vernachlässigt sträflich zwei Tatsachen: Einmal, dass alles im Leben zwei Seiten hat, dass jedes Risiko auch eine Chance birgt. Und umgekehrt. Und zum anderen, dass „gut gemeint“ selten gut getan ist, sondern beinahe regelmäßig in die Irre und noch Schlimmeres führt. Nachzulesen in Dietrich Dörners bemerkenswertem Buch „Die Logik des Misslingens“.

Als James Watts grandiose Erfindung der Dampfmaschine Anfang des 19. Jahrhunderts sich auch der menschlichen Fortbewegung bemächtigt hatte und die Eisenbahn zu schnaufen und die Pferdekutsche zu verdrängen begann, stellte sich unverzüglich der Chor der Warner vor dieser unmenschlichen Geschwindigkeit ein. Und als gegen Ende des 19. Jahrhundert allmählich die öffentliche Straßenbeleuchtung eingeführt wurde, war das wieder eine Sternstunde für die unvermeidliche Schar der Bedenkenträger. Alle möglichen Befürchtungen kursierten. Unter anderem sah man durch des Nachts erhellte Straßen die öffentliche Moral und Ordnung aufs heftigste gefährdet. Inzwischen beurteilen wir das eine wie das anderen doch ein wenig anders.

 

Wahrheit? Wo?

Und die Politik in ihrer steten Furcht vor konsequentem Denken, Reden und Handeln heizt die allgemeine Verunsicherung permanent an. Und auch die Wissenschaft, das gilt es zu lernen, ist keineswegs der Wahrheit und der Suche nach derselben allein verpflichtet. Nicht anders als anderswo ist auch hier ist die Wahrheit nur zu oft Ansichtssache. Wissenschaftlicher ausgedrückt: eine Sache des gerade herrschenden Paradigmas. Oder platter: eine Frage der Macht und Meinungshoheit. „Was zu bezweifeln war – Die Lüge von der objektiven Wissenschaft“ heißt ein unlängst erschienenes aufschlussreiches Buch. Lesenswert!

Und die Konsequenz aus all dem? Erstens, klug handelt, wer sich nicht von jedem öffentlich entfachten Meinungswind auf der Stelle ins Bockshorn jagen lässt. „Das einzige, was wir zu fürchten haben, ist unsere eigene Furcht“ mahnte der 1933 zum US-Präsidenten gewählte Franklin D. Roosevelt seine noch immer im Schock des hysterischen Börsencrashs von 1929 verharrenden Landsleute. Und zweitens, weltweise handelt deshalb, wer sich zukünftig häufiger zur persönlichen Orientierung die Frage stellt „Cui bono? Wem nutzt es?“ Dass diese Schlüsselfrage auf einen römischen Consul aus dem Jahre 127 v. Chr. zurückgeht, sagt doch einiges über die grundsätzliche Funktionsweise unserer Welt aus. Interessantes findet sich dazu im Übrigen auch in dem aufschlussreichen neuen Buch „Der Informationscrash – Wie wir systematisch für dumm verkauft werden“.

 

Zupacken!

Auch in unserer heutigen und gerne zugegebenermaßen keineswegs einfachen Zeit ist es ratsam, sich die Lust am zupackenden Handeln nicht vermiesen zu lassen. Allerdings weniger in Gestalt ständig intensivierten Bemühens auf gewohnten Pfaden als mehr im Aufspüren neuer Wege. Verbissenes Bemühen blockiert mehr als es nützt, verengt die Perspektive ebenso wie Risikoscheu und all die damit verbundenen Ängste. Motor dieses zupackenden Handelns ist die Bereitschaft, etwas zu wagen, sich Wagnissen auszusetzen, Risiken einzugehen, ja, sich im Zweifelsfall durchaus auch mal für den risikoreicheren Weg zu entscheiden. Ein nicht zu unterschätzender Lohn der sicher auch oft damit verbunden Angst ist Erfahrung, die, sofern sie reflektiert wird, unverzichtbar ist für die Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit. Nichts ist entwicklungsfeindlicher als die unhinterfragte Gläubigkeit, die heute das öffentliche Meinungsgeschehen beherrscht. Und mit ihr all die selbstverständlichen Vorstellungen wie die Arbeit, das Leben, die Welt und vor allem andere Menschen zu sein und zu funktionieren haben. Dogmatisches Denken macht immer befangen, lähmt, blockiert Entwicklungen. Die eine und einzige, allein glücklich und selig machende Wahrheit gibt es nicht. „Eines schickt sich nicht für alle. Sehe jeder, wie er’s treibe, sehe jeder, wo er bleibe, und wer steht, dass er nicht falle!“ Goethes Worte aus seinem kleinen Gedicht „Beherzigung“ zeigen, worauf es ankommt.

In den „Selbstbetrachtungen“ des großen römischen Kaisers und Philosophen Marc Aurel (121-180 n. Chr.) findet sich die dazu passende Anregung: „Sage dir immer, ich kann, wenn noch so einsam, an allen Orten glücklich sein; denn glücklich ist, wer sich selbst ein glücklich Los bereitet, dies ist: gute Vorstellungen, gutes Streben, gute Handlungen.“ Und dieses Gefühl von Einsamkeit mitten im Trubel dürfte auch heute für so manchen Unternehmer unter dem Druck und der Last permanent notwendiger neuer Entscheidungen und ebenso für so manchen Arbeitnehmer unter dem Druck und der Last seiner wieder anderen Zukunftsunsicherheit kein unbekanntes Empfinden sein. Dennoch!

Dipl.-Betriebswirt Hartmut Volk,

freier Wirtschaftspublizist, Bad Harzburg
E-Mail: hartmut.volk@t-online.de

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