Die Behinderungsanzeige als Nachweisinstrument

Was muss die Anzeige der Behinderung beinhalten, um sich als Nachweisinstrument der Kausalität zwischen Ursache und Wirkung von Bauablaufstörungen zu eignen?

Autoren: Prof. Dr.-Ing. Volkhard Franz, Universität Kassel
Prof. Dr.-Ing. Andreas Mitschein, Antje Tiesler, M. Sc., FH Münster

Die Anzeige der Behinderung im Sinne von § 6 Abs. 1 VOB/B soll nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung vom 23.04.2015 neben der Informations-, Schutz- und Warnfunktion auch eine Beweisfunktion erfüllen. Diese soll den Auftraggeber vor unberechtigten Behinderungsansprüchen des Auftragnehmers schützen. Der Inhalt der Behinderungsanzeige ist also speziell für den Auftragnehmer von besonderer Bedeutung. Welche Inhalte der Auftragnehmer bei der schriftlichen Behinderungsanzeige aufzeigen muss, um die erforderliche Beweisfunktion zu erfüllen, wurde vom BGH nicht erläutert und ist unklar.

Inhalte der Behinderungsanzeige unklar
Um zeitliche und finanzielle Ansprüche aus einem gestörten Bauablauf geltend machen zu können, muss der Auftragnehmer im Rahmen eines VOB-Vertrages grundsätzlich die  Behinderung anzeigen. Festlegungen, welche einzelnen Inhalte in der Anzeige aufgezeigt werden müssen, sind in der VOB/B nicht geregelt. Aus diesem Grund führt nicht nur das Unterlassen, sondern auch ein mangelhafter Inhalt der Behinderungsanzeige zu Streitigkeiten in der Praxis und regelmäßig zu einem Verlust der Auftragnehmeransprüche.

Informations-, Schutz- und Warnfunktion
Die Inhalte der Behinderungsanzeige werden vom BGH festgelegt und richten sich zum einen nach der erforderlichen Informations-, Schutz- und Warnfunktion des Dokumentes.[1] Der Auftragnehmer muss alle Tatsachen darlegen, aus denen sich die Gründe für die Behinderung ergeben und  nachvollziehbar erläutern, wie sich diese auf den Bauablauf auswirken.[2] Allgemeine Hinweise darüber, dass der Auftragnehmer in der ordnungsgemäßen Ausführung seiner Leistungen behindert ist, sind nicht ausreichend. Vielmehr muss der Auftragnehmer anzeigen, ob und wann er seine Arbeiten hätte ausführen wollen und warum diese nunmehr nicht wie vorgesehen ausgeführt werden können.[3] Durch diese Schutz- und Warninformationen ist es dem Auftraggeber möglich, den Umfang der Behinderungsfolgen einzuschätzen und die Ursache der Behinderung ggf. abzustellen.[4]

Beweisfunktion
Die Behinderungsanzeige ist aber nicht ausschließlich zu Informations-, Schutz- und Warnzwecken erforderlich, sondern muss auch eine  Beweisfunktion erfüllen. Ziel der Beweisfunktion, so der BGH, ist der Schutz des Auftraggebers vor unberechtigten Behinderungsansprüchen des Auftragnehmers. Die rechtzeitige und ordnungsgemäße Anzeige der Behinderung soll dem Auftraggeber ermöglichen, Beweise für eine in Wahrheit nicht oder nicht im geltend gemachten Umfang bestehende Behinderung zu sichern.[5]
Welche Inhalte die Anzeige im Einzelnen umfassen muss, um der Beweisfunktion im Sinne der Rechtsprechung ausreichend nachkommen zu können, wurde vom Senat nicht explizit erläutert und ist dem Auftragnehmer üblicherweise in der Praxis nicht bekannt. Dabei ist dieser Zweck der Behinderungsanzeige speziell für den Auftragnehmer von besonderer Bedeutung. Um die Darlegungs- und Beweislast zu erfüllen, muss er die Kausalität zwischen Ursache und Wirkung der jeweiligen Bauablaufstörungen nachweisen.
 
Detailliert dokumentieren
Der Auftragnehmer sollte den Behinderungssachverhalt aus eigenem Interesse in der Behinderungsanzeige detailliert dokumentieren, um den Umfang von Behinderungsschäden - auch zu einem späteren Zeitpunkt – aussagekräftig belegen zu können. Die Leitlinien für den Inhalt der Behinderungsanzeige zum Zweck der Beweisfunktion richten sich daher nach den Anforderungen der aktuellen Rechtsprechung zur  Darlegungs- und Beweislast bei verzögerungsbedingten Ansprüchen des Auftragnehmers. Nach denen muss der Auftragnehmer – vereinfacht – nachfolgende Voraussetzungen erfüllen:
·Nachweis über den Umfang und die Dauer der Behinderungsursache.[6]
·Nachweis über den Ursachenzusammenhang zwischen Behinderungsursache und zeitlicher Behinderungsfolge unter Berücksichtigung von Umständen, welche gegen eine Auswirkung der Bauablaufstörung sprechen.[7] Dieser Nachweis umfasst ggf. auch eine Begründung des Auftragnehmers, warum dieser keine Maßnahmen zur Schadenminderung durchführen konnte.[8] Zudem muss der Auftragnehmer ausschließen, dass Umstände aus seinem eigenem Risikobereich anteilig oder in vollem Umfang nicht zu der entsprechenden Verzögerung geführt haben.[9]  ·Nachweis über den Ursachenzusammenhang zwischen Behinderungsursache und kapazitären Behinderungsfolgen (Mehraufwand der Kapazitäten).[10]  Aufzeichnungen über den Umfang der Behinderungsursache werden bereits regelmäßig durch die Schutz- und Warnfunktion der Behinderungsanzeige erfüllt. Hier sollten auch genaue Angaben zur Lokalisierung des Störungsbereiches tätigen. Die Störung ist beispielsweise durch Fotos oder durch andere Dokumente (Anordnungen des Auftraggebers oder Planlieferlisten) zu erfassen. Zudem sollte dem Auftraggeber aufgezeigt werden, warum es sich bei dem vorliegenden Umstand um eine Vertragsabweichung handelt und in welchen Risikobereich der Behinderungsgrund einzuordnen ist.

Auch den Beginn der Störungsauswirkung ankündigen
Um in der Behinderungsanzeige möglichst aufschlussreiche Beweise zum Nachweis der Kausalität zwischen Ursache und Wirkung von Bauablaufstörungen zu sichern, ist es aber nicht ausreichend, den Aufraggeber in der Anzeige der Behinderung lediglich über das Behinderungsereignis zu informieren. Daher sollte das Schreiben an den Auftraggeber wie folgt ergänzt werden:
Da die Anzeige der Behinderung im Sinne der  VOB/B bereits vorgenommen werden soll, sofern der Auftragnehmer annimmt in seiner ordnungsgemäßen Ausführung behindert zu sein, ist regelmäßig nicht erkennbar, ob und zu welchem Zeitpunkt die Bauablaufstörung tatsächlich eintritt. Aus diesem Grund sollte der Auftragnehmer nicht nur den Eintritt des Störungsereignisses anzeigen, sondern den Auftraggeber zusätzlich über den Beginn der Störungsauswirkung informieren.[11] Für den Fall, dass der hindernde Umstand eine sofortige Verzögerungsauswirkung auf den Bauablauf hat, kann dies in einem Dokument vorgenommen werden. Anderenfalls sollte der Beginn der Verzögerungsauswirkung in einem zweiten, späteren Schreiben angekündigt werden.

Durchführbare Ausweichmöglichkeiten dokumentieren
Um den erforderlichen Kausalitätsnachweis weiter zu vereinfachen, sollte der Auftragnehmer in der Behinderungsanzeige durchführbare Ausweichmöglichkeiten dokumentieren und ggf. begründen, warum keine Maßnahmen zur Schadensminderung, wie beispielsweise Umstellungen des Bauablaufes, möglich sind. Dadurch ist auch bei einer späteren Aufbereitung eines Bauzeitennachtrages leicht ersichtlich, auf Grund welchen hindernden Umstandes welche Änderungen im Bauablauf vorgenommen wurden und inwieweit dadurch die Verzögerung abgewendet oder minimiert werden konnte. Gegenwärtige technische oder innerbetriebliche Abhängigkeiten, die Ausweichmöglichkeiten unausführbar machen, werden zudem schriftlich festgehalten.

Kapazitäre Auswirkungen dokumentieren
Auch die kapazitären Auswirkungen sollten dokumentiert werden. Dies ist notwendig, um das Dokument auch für den Nachweis des Ursachenzusammenhanges zwischen Behinderungsereignis und den daraus folgenden Mehraufwendungen des Auftragnehmers nutzen zu können. Hierzu muss der Auftragnehmer erläutern, wie er den Einsatz seiner Arbeitskräfte geplant hat, um die entsprechenden Teilleistungen in der geplanten Zeit herzustellen.[12] Anschließend hat er darzulegen, welcher Mehraufwand infolge des Behinderungsereignisses eintritt resp. eintreten könnte.[13] Selbst wenn er die Auswirkungen des hindernden Umstandes zum Zeitpunkt der Behinderungsanzeige teilweise nicht erfassen kann, erleichtern die erläuterten Informationen die Nachweisführung vehement.
Diese Vorgehensweise gibt zudem einen Aufschluss darüber, ob beispielsweise eine Reduzierung der Personalkapazitäten als Reaktion auf den Behinderungssachverhalt vorgenommen wurde. Auseinandersetzungen über eine damit verbundene Eigenverzögerung des Auftragnehmers können in diesem Fall ausgeschlossen werden. Um eine ausreichende Leistungsbereitschaft des Auftragnehmers zum Zeitpunkt des Störungseinstritts zu unterstreichen, sollte der Auftraggeber in der Anzeige der Behinderung aufgefordert werden den vorgeschlagenen Maßnahmen zur Schadensminderung zuzustimmen.[14]

Zusammenfassung: Was muss die Anzeige enthalten
In der Anzeige der Behinderung müssen sämtliche Tatsachen der Behinderungsursache sowie deren zeitlichen Behinderungsfolgen detailliert aufgezeigt werden, um der erforderlichen Informations-, Schutz- und Warnfunktion nachzukommen. Darüber hinaus sollte der Auftragnehmer den Inhalt der Behinderungsanzeige im Sinne der Beweisfunktion, wie folgt, ergänzen: ·Information über den Eintrittszeitpunkt der hindernden Auswirkung infolge der Bauablaufstörung. ·Darlegung der kapazitären Auswirkungen der  Bauablaufstörung.
·Angaben zu möglichen Ausweichmöglichkeiten des Kapazitäteneinsatzes, als Reaktion auf die Bauablaufstörung. Auch wenn solch eine umfangreiche Anzeige der Behinderung Zeit erfordert, sollten die genannten Inhalte unbedingt aufgezeichnet werden. Gemeinsam bilden diese die Grundlage für eine aussagekräftige Dokumentation zum Behinderungssachverhalt.
 
Ständige Dokumentation
Um den Nachweis der Kausalität zwischen Ursache und Wirkung bei Bauablaufstörungen vollständig erbringen zu können, ist eine ständige Dokumentation der Störungssachverhalte erforderlich. Beispielsweise sollte die „Abmeldung der Behinderung“ im Sinne von § 6 Abs. 3 VOB/B vom Auftragnehmer unbedingt vorgenommen werden, um die Dauer der Behinderungsursache belegen zu können. Aber auch Änderungen zum Umfang des Behinderungssachverhaltes, wie der erweitere Einsatz von störungsbetroffenem Personal auf anderen Baustellen, sollten vom Auftragnehmer schriftlich festgehalten werden.

Die folgende Checkliste gibt eine Übersicht über die erforderlichen Inhalte der Behinderungsanzeige zur Erfüllung der Informations-, Schutz- Warn und Beweisfunktion.

[1] Vgl. BGH, Urteil vom 21.10.1999 - VII ZR 185/98, IBRRS 2000, 0800 S. 2 f.

[2] Vgl. BGH, 21.12.1989 - VII ZR 132/88, JurionRS 1989, 13569 Rdn. 13

[3] Vgl. OLG Hamm, Urteil vom 30.07.2013 - 21 U 84/12, IBRRS 2013, 3984 S. 16; BGH, Urteil vom 21.10.1999 - VII ZR185/98, IBRRS 2000, 0800 S. 2

[4] Vgl. BGH, Urteil vom 21.10.1999 - VII ZR 185/98, IBRRS 2000, 0800 S. 2 f.

[5] Vgl. BGH, Urteil vom 23.04.2015 - VII ZR 54/13, IBRRS 2015, 1013 S. 50; zuvor BGH, Urteil vom 21.10.1999 - VII ZR 185/98, IBRRS 2000, 0800 S. 3

[6] Vgl. BGH, Urteil vom 21.03.2002 - VII ZR 224/00, JurionRS 2002, 19394 Rdn. 23

[7] Vgl. BGH, Urteil vom 21.03.2002 - VII ZR 224/00, JurionRS 2002, 19394 Rdn. 23

[8] Vgl. BGH, Urteil vom  09.10.2008  - VII ZR 222/ 07, JurionRS 2007, 59750 Rdn. 7

[9] Vgl. BGH, Beschluss vom 10.01.2013 – VII ZR 110/11 JurionRS 2011, 26102 Rdn. 184 ff.

[10] Vgl. BGH, Urteil vom 09.10.2008  - VII ZR 222/ 07, JurionRS 2007, 59750 Rdn. 7

[11] Ähnlich Drittler 2013: Rdn. 2:338, S.205; Lang/Rasch in Vygen et al. 2015: Teil B Rdn. 215, S. 687 f.

[12] Vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 18.08.2009 - 11 W 25/08, JurionRS 2009, 22677 Rdn. 84

[13] Vgl. BGH, Beschluss vom 09.10.2008 - VII ZR 222/ 07; JurionRS 2007, 59750 Rdn. 7

[14] Vgl. Lang/Rasch in Vygen et al. 2015: Teil B Rdn. 125, S. 596

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