„Der Rahmenvertrag gibt uns große Freiheiten“

Bewährte und neue Handlungsspielräume für Kommunen

Gespräch mit Dr. Christian Falk und Mario Niggemann von der Stadtentwässerung Dortmund, sowie mit Dr. Nicola Ohrtmann von der Kanzlei Aulinger, zur Vergabe von Lieferungen, Dienst- und Bauleistungen über einen Rahmenvertrag.

THIS: Die jüngste Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen hat für kommunale Auftraggeber bedeutende Erleichterungen dabei gebracht, Lieferungen, Dienstleistungen und Bauleistungen über einen Rahmenvertrag zu vergeben, anstatt die Einzelposten getrennt auszuschreiben. Als einer der ersten Auftraggeber hat die Stadt Dortmund diesen Spielraum genutzt. Wie kam es dazu?

Dr. Christian Falk: Wir waren früher eine Abteilung des Tiefbauamts, und wurden in Abstimmung von Politik und Verwaltung in einen Eigenbetrieb überführt. Beide Seiten sahen die Notwendigkeit einer erheblichen Erhöhung der Investitionslinie für die Wasserwirtschaft in Dortmund, in einer Größenordnung von 15 auf etwa 30 Millionen; der Bedarf war einfach da, den mussten wir bewältigen.

THIS: Das war sicherlich eine enorme interne
Umstellung ...

Dr. Christian Falk: Durchaus. Voraussetzung war auch eine strukturelle Optimierung von Prozessen. Dem
haben wir uns gestellt.

Darüber hinaus hatten wir drei Möglichkeiten: Wir hätten die Zahl unserer Techniker und Ingenieure so aufstocken müssen, dass wir den doppelten Projektumfang planen, bauen und überwachen können. Das wäre angesichts der herrschenden Personalknappheit in diesem Bereich eine eher unrealistische Option. Die zweite Möglichkeit war, in diesem Umfang Planungs- und Bauüberwachungsaufträge nach außen zu vergeben. Aber auch das wäre kurz- bis mittelfristig ein problematischer Weg gewesen, denn in dieser Größenordnung sind freie Kapazitäten auf dem Markt nicht zusätzlich verfügbar.

Mario Niggemann: Darüber hinaus weiß jeder, der baut, dass bei der Vergabe von Planungsaufträgen nach draußen immer noch eine ganze Menge Arbeit im Hause verbleibt. Auch in diesem Falle hätte es also sehr lange gedauert, unsere Kapazitäten auf das erforderliche Maß aufzurüsten.

THIS: Sie entschieden sich also für eine dritte
Option. Für welche?

Dr. Christian Falk: Die dritte Option war, neue Wege der Zusammenarbeit mit Privaten zu suchen und zu finden. Für diesen Weg des Projektmanagements haben wir uns – dankenswerterweise mit starker Unterstützung aus der Politik – dann entschieden.

THIS: Welche Voraussetzungen sind für diesen Weg erforderlich?

Mario Niggemann: Wir sind öffentlicher Auftraggeber. Da steht am Anfang von allem immer eine trockene Ausschreibung. Das ist auf den ersten Blick leicht gesagt, war aber ein sehr komplexer Deal. Diese Projektträgerschaft ist ja nicht ein ganz üblicher und klassischer Dienstleistungs- oder Bauauftrag.

THIS: Wie lange dauert solch ein Prozess?

Mario Niggemann: Von Anfang bis zum Abschluss dauerte es etwa zwei Jahre.

THIS: Das klingt auf den ersten Blick nach einem recht langen Zeitraum...

Dr. Nicola Ohrtmann: Schon die Verfahrensvorbereitung ist nicht ganz trivial, weil ein Rahmenvertrag wie der für die Projektträgerschaft nicht von der Stange kommt. Auch die Konzeptionierung der Eignungs- und Zuschlagskriterien samt Bewertung war anspruchsvoll.

Zudem haben wir es hier mit einem Verhandlungsverfahren zu tun, dem ist auch noch ein Teilnahmewettbewerb vorgeschaltet. Zunächst mussten die Anbieter eruiert werden, die überhaupt geeignet sind, ein solches Projekt stemmen zu können. Die Mindestlaufzeiten für den Teilnahmewettbewerb liegen gesetzlich geregelt bei 30 Kalendertagen. Anschließend erfolgte eine Auswertung, die mit mindestens einem Monat anzusetzen ist.

Dem Prozess folgt der zweite, deutlich komplexere Teil. In dem werden die geeigneten Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert, und auch hier gilt wieder eine Mindestfrist von 30 Tagen. Wir haben die Frist zur Angebotsabgabe in diesem Fall aber komfortabler ausgestaltet, weil die Erstellung eines Angebots sehr aufwendig war.

Danach stand der Verhandlungsteil an, bei dem die Bieter persönlich mit ihrem gesamten Team beim Auftraggeber aufschlugen, um ihr Angebot und auch sich selbst zu präsentieren. Das waren dann noch mal zwei Monate. Zum Schluss geben die Bieter ihre finalen Angebote ab. Darauf folgt deren abschließende Prüfung und Wertung.

Dr. Christian Falk: Der eigentliche Prozess der Vergabe lag zwischen sieben und acht Monaten. Aber Sie müssen eben die Vorbereitung mit einbeziehen. Wir haben etwas Neues konzipiert, mussten alle Vergabe-Unterlagen abgeschlossen haben, bevor wir eine EU-weite Bekanntmachung im EU-Amtsblatt schalteten und auf diese Vergabe aufmerksam machten.

Mario Niggemann: Vor das Vergabeverfahren des Projekts war außerdem das Auswahl- und Vergabeverfahren der juristischen Beratung geschaltet. Wir mussten uns im Rahmen des öffentlichen Vergabeverfahrens die Kanzlei, die uns im Vergabeverfahren berät, ja auch noch aussuchen. Im Januar 2018 haben wir die ersten Sachverhalte erörtert, und das Verfahren der juristischen Beratung auf den Weg gegeben. Und so im August/September 2019 sind wir mit der Beauftragung von Gelsenwasser aus dem Rennen gegangen.

Dr. Nicola Ohrtmann: Das klingt nach viel Zeit. Aber hier war auch die Einbindung der politischen Gremien geboten. Es waren also Beschlüsse von Fachausschuss und Rat vorzubereiten und einzuholen.

 

THIS: Gab es einen bestimmten entscheidenden Punkt, der für Gelsenwasser sprach?

Dr. Christian Falk: Nicht nur einen – es gab mehrere starke Argumente, die den Ausschlag gaben. Zum einen trat Gelsenwasser mit dem Ingenieurbüro Stein und Partner aus Bochum als Partner an. Und im Verbund haben beide eine enorme Erfahrung vorzuweisen und beeindruckendes Know-how aufgezeigt. Über das Standard-Know-how für die Planung von Kanälen und Kanalsanierungen hinaus gab es ganz spezifisches Top-Know-how in Form von Veröffentlichungen, Mitwirkung an der Regelwerkslandschaft in Dortmund und wirklich umfassende Projekterfahrung bei komplexen und auch schwierigen Kanalsanierungen.

Ein weiterer Punkt war sicherlich die Mannschaft. Bei Gelsenwasser und ihrem Partner ist ein Team angetreten mit sehr guter Organisationsstruktur und ausgezeichnetem Expertenwissen, in dem jeder seinen Beitrag leistet. Man konnte sehen, dass das Team funktioniert, und welche Kompetenzen die einzelnen Kollegen haben. Das war beeindruckend und hat uns überzeugt.

THIS: Dann sind Sie ein gutes Stück weiter als andere Auftraggeber der öffentlichen Hand, die ausschließlich auf den Preis schauen.

Mario Niggemann: Wir wollten nicht den billigsten Anbieter wählen, sondern den wirtschaftlichsten. Bei dieser Betrachtung spielte natürlich auch der Preis eine wichtige Rolle, aber eben nicht nur der Preis. Die Performance, mit dem Preis in bestimmten Prozentanteilen verzahnt, gab letztendlich den Ausschlag.

THIS: Wie hoch ist der Rahmenvertrag dotiert, und wie ist er ausgestaltet?

Mario Niggemann: Der finanzielle Rahmen dieses Vertrags liegt bei 20 Millionen Euro.

Dr. Nicola Ohrtmann: Es handelt sich um einen Rahmenvertrag, bei dem die Stadt Dortmund nach Ermessen bis zur genannten Summe Leistungen abrufen kann, aber nicht abrufen muss. Wenn also die Stadt Dortmund mit den gebotenen Leistungen nicht zufrieden wäre, bräuchte sie weitere Leistungen weder abrufen noch bezahlen. Das bietet natürlich für die Stadt eine immense Sicherheit.

THIS: Jetzt läuft das Projekt schon ein Jahr. Gibt es bereits erste Erfahrungen?

Dr. Christian Falk: Ja. Wie Frau Dr. Ohrtmann grade ausführte, kann aus dem Rahmenvertrag zwischen Gelsenwasser und der Stadt Dortmund nach Bedarf abgerufen werden. Und bei allem Vertrauen in die Fachlichkeit oder die gute Arbeit an unseren Partner ist es letztendlich unsere Entscheidung, was wir abrufen und was nicht. Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht, und fast schon die gesamte Summe von 20 Millionen Euro abgerufen.
Und zwar in zwei Phasen. Die erste ist die Projektentwicklung, also das Identifizieren von Projekten auf der Basis einer Bewertung unserer Kanäle. Das zweite ist dann, ganz konkret auf dieser Basis Maßnahmen zu entwickeln und diese abzurufen. Und diese Abrufung ist erfolgt.

THIS: Welcher Status wurde bei der Umsetzung dieser Maßnahmen bislang erreicht?

Dr. Christian Falk: Die Planungsphase ist in vielen Projekten schon sehr weit gediehen. Manche sind schon in der Ausschreibung, die bauliche Umsetzung, d. h. die Kanalsanierung steht unmittelbar bevor.

THIS: Dann geht es offenbar nicht um „Feuerwehreinsätze“ – hier ein Rohrbruch, da ein Rohrbruch, sondern es geht um die konzeptionelle Ertüchtigung des Netzes?

Dr. Christian Falk: In der Tat. Wir haben zwar gut 2.000 Kilometer Kanalnetz, und da ist immer etwas zu tun. Aber die Feuerwehr-Strategie war vorgestern oder gestern. Wir verfolgen hier in Dortmund eine sogenannte gebietsbezogene Strategie, überlagert mit dringlichen Sofortmaßnahmen. Gebietsbezogene Strategie bedeutet, dass das große Stadtgebiet von Dortmund in einzelne Gebiete aufgeteilt ist. Die werden zunächst erfasst und bewertet, anschließend erfolgt die Kanalsanierung – Gebiet für Gebiet. Das überlagert sich mit dringlichen Maßnahmen andernorts, die gerade nicht in diesem Gebiet liegen.

Grundlage dieser Rahmenvereinbarung, dieses Rahmenvertrages mit Gelsenwasser ist, dass manche von diesen Gebieten dann eben der Projektträger bearbeitet. Er identifiziert eine notwendige Kanalsanierung durch eine Bewertung des Kanalnetzes, schlägt uns dann diese Maßnahme vor, und wir geben das Projekt dann zur Umsetzung frei.

THIS: Sehr praktisch. Das schafft Ihnen viel Spielräume.

Mario Niggemann: Ja. Diese Projektträgerschaft soll ja nicht ein Substitut für unsere bisherigen Aufgaben sein, soll sich nicht an unserem bisherigen Wirtschaftsplan orientieren. Es ist – politisch gewollt – ein Add-on. Wir wollten nicht unser Investitionsvolumen verteilen, und davon kriegt ein Teil der Projektträger Gelsenwasser. Wir arbeiten unser Investitionsvolumen ab wie gehabt, und dann kommen die Leistungen Gelsenwasser on top.

Wir haben in unserem Kanalnetz eine Bilanzsumme knapp 850 Millionen Euro, die es zu erhalten gilt. Die Richtung war, in den vier Jahren Laufzeit jährlich 5 Millionen zu investieren, wobei wir das je nach Situation und Bedarf auch anders aufteilen können. Wir wollen eben nicht immer nur reagieren müssen, nicht immer nur hintendran sein, sondern mit Plan und Konzept vorgehen.

THIS: Dann bietet der Vertrag nicht nur in finanzieller, sondern auch in technischer Hinsicht einen Rahmen?

Dr. Christian Falk: In der Tat. Wir könnten morgen in Dortmund-Mengende ganz im Nordosten von Dortmund eine Kanalsanierung über diesen Rahmenvertrag abwickeln und schon eine Woche später in Dortmund-Asseln, wenn wir mal einen Stadtteil nennen. Da schränkt uns der Rahmenvertrag nicht ein.

Wir haben also große Freiheiten, notwendige Kanalsanierungen über diesen Rahmenvertrag abzuwickeln. Wir nutzen die dergestalt, dass wir von wenigen Ausnahmen abgesehen gebietsbezogen vorgehen. Gelsenwasser wertet in einem Gebiet die Kanäle und die Zustandssituation aus, entwickelt daraus Maßnahmen, schlägt uns diese Bedarfsplanung vor, und erarbeitet dann Sanierungsvorschläge auf Basis einer Vorplanung.  Wenn es passt, folgen wir dem, manchmal auch nicht.

Wir wählen dann aus diesem Strauß von Kanalsanierungsmaßnahmen alle oder viele aus, und die werden dann von unserem Partner umgesetzt.

THIS: Gelsenwasser übernimmt auch die Zustandsermittlung?

Dr. Christian Falk: Ja. Wir haben einen großen, leistungsfähigen Betriebshof mit etwa 100 Kolleginnen und Kollegen, vielen Fachfahrzeugen und dergleichen. Die Zustandserfassung machen wir damit selbst. Aber die Zustandsdaten werden dann durch Gelsenwasser und Stein und Partner ausgewertet.

THIS: Wie findet man die Entscheidung, wo man eingreifen muss?

Dr. Christian Falk: Was wir in Dortmund und auch unter Beteiligung von Gelsenwasser und Stein und Partner erarbeitet haben, ist ein Vorgehen, dass wir die einzelnen Schäden nach gewissen Kriterien bewerten. Es stehen natürlich die schwersten Schäden ganz weit oben, etwa Beeinträchtigungen der Statik oder der Dichtheit. Nach diesen Kriterien werden dann aus den vorhandenen Situationen im Kanal die Projekte identifiziert, die dringlich sind, die prioritär sind.

Auf der Basis dieses Vorschlags entscheiden wir dann final, welche der Projekte umgesetzt werden. Es ist uns wichtig, dass wir als Stadt Dortmund das Heft in der Hand haben.

THIS: Ich entnehme all dem, dass die Zusammenarbeit bislang ziemlich reibungslos klappt ...

Mario Niggemann: Ja. Die Zusammenarbeit läuft ausgesprochen gut und zuverlässig.

THIS: Würden Sie das Projekt wieder so angehen?

Dr. Christian Falk: Wieder genau so machen geht ja nun nicht, wir sind im öffentlichen Wettbewerb. Aber wir würden mit Gelsenwasser als Partner durchaus immer wieder gerne zusammenarbeiten – auf jeden Fall.

Stadtentwässerung Dortmund

www.stadtentwaesserung.dortmund.de

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