10. Deutscher Schlauchlinertag

Auf der Überholspur

Die Renovierung hat die Erneuerung überholt – so der Tenor der rund 600 Teilnehmer und 50 Aussteller, die am 20. März 2012 im Berliner Kongresszentrum für eine großartige Kulisse beim 10. Deutschen Schlauchlinertag sorgten.

Die Sponsoren der Veranstaltung nutzten das kleine Jubiläum, um mit anderen Unternehmen der Branche Fachbesuchern ihre Dienstleistungen und Produkte zu präsentieren.

In den Vorträgen des Hauptprogramms und im angegliederten Diskussionsforum blickten die Teilnehmer gemeinsam zurück auf 40 Jahre Schlauchlining und analysierten Branche und Markt. Überlegungen zu Wirtschaftlichkeit, Nutzungsdauer und Abschreibungszeiten gehörten dabei ebenso zu den Inhalten, wie die Themen Planung, Auftragsvergabe und praxisorientierte Anwendung. Der Austausch machte deutlich: Das Verfahren, bei dem flexible, mit Reaktionsharzen getränkte Schlauchträger in eine zu sanierende Haltung eingebracht und mit Warmwasser-, UV- Licht- oder Dampf ausgehärtet werden, hat sich bei Auftraggebern, Netzbetreibern und Planern als technisch ausgereifte und wirtschaftliche Kanalsanierungslösung etabliert. 1971 bei der Sanierung eines Londoner Abwasserkanals erstmals eingebaut, hat der Schlauchliner vor allem aufgrund seiner verfahrenstechnischen Vorteile und seines hohen Qualitätsstandards die Kanalsanierungsbranche im wahrsten Sinne des Wortes umgekrempelt.

Die öffentliche Kanalisation in Deutschland hat eine Länge von rund 540.000 km. Der Wiederbeschaffungswert der Anlagen wird durch verschiedene Institutionen mit rund 500 bis 600 Mrd. Euro angegeben. „Umso wichtiger ist es, Bewusstsein für die regelmäßige Inspektion, Sanierung oder Erneuerung zu schaffen, um den Schatz im Untergrund zu nachhaltig erhalten“, stellte Prof. Dr.-Ing. Burkhard Teichgräber, Geschäftsbereichsleiter Wassermanagement & Technische Services der Wasserwirtschaftsverbände Emschergenossenschaft und Lippeverband, in seinem Vortrag über „den verborgenen Schatz im Untergrund“ fest. Der Sanierungsbedarf ist enorm. Auch vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass pro Jahr rund 7 Mrd. Euro investiert werden müssten, um das Netz zu erhalten. Für die Betreiber stellt dieser Sanierungsaufwand baulich und planerisch eine immense Herausforderung dar. Neben ganzheitlichen Strategien sind deshalb vor allem innovative Sanierungsverfahren gefragt, die schnelle und kostengünstige Lösungen bieten.

 

Überdurchschnittliche Marktstellung

Dass es die seit vielen Jahren gibt, verdeutlichte die von Dipl.-Ing. Rüdiger Prestinari moderierte Jubiläumsveranstaltung im Berliner Kongresszentrum eindrucksvoll. „Mit dem „Deutschen Schlauchlinertag“ wurde vor 10 Jahren eine eigene Veranstaltung ins Leben gerufen, mit dem ein ganz bestimmtes Verfahren immer wieder in den Fokus gerückt und das Verständnis für das Produkt weiter geschärft werden soll“, brachte Dr.-Ing. Igor Borovsky von der Technischen Akademie Hannover in seiner Begrüßungsrede das Ziel der Veranstaltungsreihe auf den Punkt. „Mittlerweile stellt die Schlauchlining-Technologie nicht nur das wichtigste Verfahren der grabenlosen Kanalsanierung dar, sondern hat sich auch eine überdurchschnittliche Marktstellung erarbeitet“, so der Organisator des Deutschen Schlauchlinertags weiter. In Anbetracht des enormen Sanierungsbedarfs für die Kanalisation in Deutschland ist das nicht verwunderlich. Rund ein Fünftel aller öffentlichen Abwasserkanäle, Hausanschlüsse und Grundstücksleitungen weisen Schäden auf, die kurz- bis mittelfristig zu sanieren sind. „Das geht uns alle an“, erklärte Dr. Borovsky, „zumal es sich bei der Abwasserkanalisation mit einem geschätzten Wiederbeschaffungswert von etwa 576 Mrd. Euro um die mit Abstand wertvollste Position aller Infrastrukturanlagen handelt.“ Darüber hinaus gilt es, Umweltschutzbelange, wirtschaftliche Rahmenbedingungen oder Sicherheitsaspekte nicht aus den Augen zu verlieren, egal ob es um den Austritt von Abwasser in Boden und Grundwasser, die Fremdwasserproblematik oder die Auswaschung des Bodens und die Entstehung von Hohlräumen geht. Gleichzeitig verwies Borovsky auf gesetzliche Vorgaben wie den § 60 Wasserhaushaltsgesetz (WHG), nach dem Abwasseranlagen sind so zu errichten, zu betreiben und zu unterhalten, dass die Anforderungen an die Abwasserbeseitigung eingehalten werden.

 

Auf der Überholspur

Was zum Erfolg der Schlauchlinertechnologie geführt hat, erläuterte Dipl.-Ing- Franz Hoppe, Hamburg Wasser, in seinem Rückblick auf 40 Jahre Schlauchlining. „Hat die Renovierung die Erneuerung überholt“, so die nur auf den ersten Blick provokante Frage des Begründers der Fachveranstaltung, in deren Rahmen die Vorstellung aktueller Entwicklungen traditionsgemäß genauso ihren Platz hat, wie die kritische und ergebnisoffene Diskussion über alle Aspekte des Kanalsanierungsverfahrens. Fakt ist: Immer mehr Kommunen und Netzbetreiber setzen auf grabenlose Sanierungsverfahren, insbesondere auf das Schlauchlining. Das Verfahren, anfangs noch mit Begriffen wie „die Socke“ oder „Korrosionsschutztapete“ abgetan, hat sich von einem kritisch betrachteten Renovierungsverfahren zum Star einer Branche gemausert – dieses Superlativ untermauerte Hoppe mit eindrucksvollen Zahlen: Wurden 1990 nur etwa 30 km Schlauchliner eingebaut, waren es 2011 schon rund 1200 km, verteilt auf Glasfaser- und Synthesenadelfilzliner. Bemerkenswert ist aber auch der verstärkte Einsatz der Schlauchlinerverfahren im Hausanschlussbereich. Auch hier haben sich die Verlegelängen in den letzten 10 Jahren verfünffacht. Mittlerweile sind etwa über 100 Einbauanlagen für das Schlauchlinerverfahren im Einsatz, die Anlagen für den Einbau von Hausanschlusslinern nicht mitgerechnet.

 

Die Nase vorn

Wirtschaftliche Aspekte tragen wesentlich dazu bei, dass das Verfahren bei Auftraggebern und Netzbetreibern derart hoch im Kurs steht. „Je nachdem, mit welchen Verfahren das langlebige Wirtschaftsgut Kanalnetz saniert wird, unterscheiden sich die direkten und indirekten Kosten, aber auch Abschreibungszeiträume und Unterhaltskosten“, diese Rechnung präsentierte GSTT-Vorstandsvorsitzender Prof. Jens Hölterhoff dem Auditorium. Ein Kostenvergleich von offener und geschlossener Bauweise machte die Unterschiede deutlich. So sind die direkten Kosten bei einer grabenlosen Sanierung vor allem einer Verringerung von Straßenaufbrüchen, dem Wegfall von Aushub und Transport großer Bodenmassen, der Reduzierung von Leitungsumlegungen und dem Wegfall bzw. der Einschränkung von Grundwasserhaltungen erheblich niedriger. Laut der DWA-Umfrage 2009 zum Zustand der Kanalisation lagen die Kosten pro Meter bei der Reparatur bei 118 Euro, bei der Renovierung bei 827 Euro und bei der Erneuerung bei 1.709 Euro. Ebenso positiv fällt die Bilanz bei der Betrachtung der indirekten Kosten aus. Die Beschränkung von Verkehrsbeeinträchtigungen, die Reduzierung von Unfallgefahren, die Verminderung von Schäden an benachbarten Bauten, der Wegfall von witterungsbedingten Ausfallzeiten, die Schonung der Vegetation sowie eine Verminderung der Beeinträchtigung der Anlieger und des Handels schlagen hier positiv zu Buche. Ganz zu schweigen von der Verringerung von Lärm- und Emissionsbelastungen in Form von CO2. Hier sprechen die von Hölterhoff vorgestellten Erfahrungswerte für sich: Während bei einer Baumaßnahme in offener Bauweise in einem Zeitraum von 40 Tagen rund 30 t CO2 ausgestoßen werden, fallen bei einem Schlauchsanierungsverfahren in 5 Tagen etwa 2 t CO2 an.

 

Weiterentwicklung der Qualität

Darüber hinaus hat die stetige Weiterentwicklung von Technik und Qualität zum Siegeszug des Schlauchliners beigetragen – auch hierin bestand in der Berliner Kongresshalle Einvernehmen. Großen Anteil hatten die Einführung von Anforderungsprofilen (Hamburg und Süddeutsche Kommunen), Qualtitätssicherungssystemen sowie den ersten Regelwerken seitens der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA), des Deutschen Instituts für Normung e.V. (DIN) und der Europäischen Union (EU). Außerdem zu erwähnen sind die statische Berechnungsrichtlinie M 127-2 der DWA für Renovierungsverfahren sowie die mittlerweile entstandenen Zusätzlichen Technische Vertragsbedingungen (ZTV) für die Materialprüfung und das Schlauchliningverfahren. Ein Übriges taten auch die „Bauaufsichtlichen Zulassungen“ des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt), die für den öffentlichen Bereich zwar nicht zwingend, so doch außerordentlich hilfreich sind.

 

Grundlage für Auftraggeber und Planer

Unter anderem für das gute Zusammenwirken von Auftraggeber und externem Planer – hierin waren sich Dipl.-Ing. Mario Heinlein vom Stadtentwässerungsbetrieb Nürnberg und Dipl.-Ing. (FH) Markus Vogel, Verband zertifizierter Sanierungs-Berater für Entwässerungssysteme e.V., einig. Nur wenn konkrete Beschaffenheitsanforderungen Gegenstand der Leistungsvereinbarung sind ist der Auftraggeber in der Lage, planerische Fehlleistungen abweisen zu können. Beschaffenheitsanforderungen sind in vielen Fällen der Praxis nicht definiert. „Der Prozess der Maßnahmenprojektierung ist vielschichtig und erfordert das Mitwirken des Auftraggebers“, erklärte Vogel. Insofern ist es erforderlich, dass der Auftraggeber selbst über ein Mindestmaß an technischer Kompetenz verfügt. „Nur wenn jeder Prozessbeteiligte seine Aufgaben sachgerecht erfüllt, werden werthaltige Ergebnisse erreicht“, so Vogel

Hierbei spielt auch der Faktor Qualität eine entscheidende Rolle, denn über die Qualität des Endproduktes werden lange Nutzungsdauern sichergestellt. Dementsprechend ist für Prof. Volker Wagner von der Hochschule Wismar eine Aussage über eine so genannte durchschnittliche Nutzungsdauer für einen Wirtschaftlichkeitsvergleich zwischen Renovierung, Reparatur und der Erneuerung bzw. dem Neubau von Bedeutung. Bei der Renovierung gehen Fachkreise mittlerweile von durchschnittlichen Nutzungsdauern von 50 Jahren und mehr aus. „Im Gegensatz zur Reparatur hat die Renovierung eine technische Nutzungsdauer, in der sie alle vorhersehbaren Einwirkungen ertragen kann ohne ihre Gebrauchstauglichkeit, ihre Standsicherheit, ihre Umweltverträglichkeit und Funktionalität einzubüßen“, so Wagner, der in seinem Vortrag über „Einsatzbereiche des Schlauchliningverfahren“ die verschiedenen Renovierungsverfahren miteinander verglich.

 

Verfahren ausgereift

Mit dem Schlauch-Lining können kreisförmige und nichtkreisförmige Abwasserkanäle mit einem Querschnitt von 100 mm bis üblicherweise 2800 mm renoviert werden. Übliche maximale Inversionslängen sind 600 m und bei Einzug des Schlauches mit Hilfe einer Winde maximal 250 m. Die Aushärtung wird durch Wärme (heißes Wasser, Dampf, elektrische Beheizung), UV-Bestrahlung oder durch die Umgebungstemperatur bewirkt, wobei die letztere Härtemöglichkeit nur bei kleinen Durchmesser, wie bei Hausanschlussleitungen Anwendung findet. Um auch größere Schlauchliner mit Wanddicken größer als 10 mm aushärten zu können, bedient man sich einer sogenannten „Kombinationshärtung“. Bei dieser kombinierten Härtungsmethode wird die photoreaktive Reaktion mit Peroxyden bei UP-Harze unterstützt. Um die Härtung mit UV-Licht auch bei größeren Wanddicken des Glasfaser-Schlauchliners einzusetzen, werden zurzeit Metallhalogenid-Strahler weiterentwickelt, um eine höhere Leistung als bisher zu erzielen.

 

Weitere Potentiale vorhanden

Beispiele wie diese zeigen, dass in der Branche noch Entwicklungspotential steckt. Die vorwiegend mittelständisch geprägten Anbieter der Linertechnologie haben das Ohr am Puls der Zeit. Ständig wird an Lösungen getüftelt, die das Schlauchlinerverfahren weiter nach vorne bringen. Dabei zählt es bereits zu den bestgeprüften Verfahren schlechthin. „Aber weitere kleine Verbesserungen, etwa im Bereich der Wiederanbindung von Hausanschlüssen oder von Schächten werden die Marktakzeptanz weiter verbessern“, warf Dipl. Ing. (FH) Mario Brenner, Brendebach Ingenieure GmbH, einen Blick in die Zukunft. „Systeme sind in großer Zahl verfügbar, eine Patentlösung für die allgemein gültige Lösung mit garantiert bestem Projekterfolg gibt es bei der Frage der Lineranbindung an Bauwerke leider nicht“, so Brenner.

 

Noch nicht, könnte man meinen, wenn man die Entwicklung des Schlauchlinertags Revue passieren lässt. Ähnliche Fragestellungen sind in den letzten 10 Jahren jedenfalls mit großer Energie abgebaut worden – auch das ist ein großer Erfolg, der auf das Engste mit der Veranstaltung verbunden ist. Dementsprechend darf man schon gespannt sein auf den 11. Deutschen Schlauchlinertag im kommenden Jahr.

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