Digitalisierung – die Zukunft unserer Infrastruktur

Bauunternehmen setzen angesichts steigender Nachfrage und Erwartungen beim Bau der Infrastruktur der Zukunft auf Digitalisierung

Die Welt befindet sich in einem rasanten Wandel. Stadtzentren wachsen, während die Weltbevölkerung auf acht Milliarden Menschen ansteigt. Neue Märkte in Entwicklungsländern boomen. Und angesichts des Zustroms und der Fülle an Daten werden rasante Initiativen zur digitalen Transformation die Art und Weise verändern, wie wir leben, arbeiten und miteinander interagieren.

3D-Darstellung eines Schienenverkehrssystems
© Acciona Rail

3D-Darstellung eines Schienenverkehrssystems
© Acciona Rail
Länder investieren in neue nachhaltige und widerstandsfähige Infrastrukturprojekte, um das Wirtschaftswachstum zu unterstützen, die Energiesicherheit zu gewährleisten und den Klimawandel zu bekämpfen. Infolgedessen modernisiert sich die Gesellschaft, um intelligenter, nachhaltiger und skalierbarer zu sein als je zuvor.

Die Baubranche reagiert auf diese Veränderungen mit dem Aufbau einer modernen, intelligenten Infrastruktur, die Datenpunkte aus jeder Interaktion sammelt und diese in verwertbare Erkenntnisse umwandelt, die die Leistung optimieren, Arbeitsabläufe rationalisieren und Projektteams verbinden. Bauunternehmen stehen vor der Aufgabe, eine neue, vernetzte Welt zu schaffen – eine Welt, in der Menschen, Geräte und Infrastruktur miteinander verbunden und verwoben sind und in einem beispiellosen Bewusstsein für die Welt um sie herum agieren. Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit stehen ebenfalls im Vordergrund, denn Wachstum erfordert eine intelligente Infrastruktur, die heute Kosten senkt und gleichzeitig Ressourcen für zukünftige Generationen schont.


Große Macht bringt große Verantwortung mit sich

Die Gesellschaft so umzugestalten, dass sie intelligenter, nachhaltiger und integrativer wird, birgt eine große Verantwortung in sich, setzt die heutigen Bauunternehmen jedoch stark unter Druck. Alte Methoden des Projektmanagements funktionieren nicht mehr. Es reicht nicht mehr aus, weiterhin in Silos von Lieferketten und einzelner Abteilungen zu arbeiten. Da Bauprojekte immer komplizierter werden, müssen riesige Expertenteams zusammenkommen, um Informationen auszutauschen, in Echtzeit zusammenzuarbeiten und komplexe Arbeitsabläufe und Projektzeitpläne aufeinander abzustimmen.

Leider stehen Bauunternehmen vor einer Reihe von Herausforderungen. Die Erwartungen gehen durch die Decke. Infrastruktur muss nachhaltig, widerstandsfähig und gerecht sein. Die Infrastruktur muss den hohen Leistungsanforderungen der heutigen rund um die Uhr verfügbaren Welt gerecht werden. Obwohl so viel auf dem Spiel steht, wird erwartet, dass Projekte trotz begrenzter Ressourcen, Arbeitskräftemangel, wachsender Qualifikationsdefizite und fragmentierter Lieferketten termin- und budgetgerecht abgeschlossen werden. Entscheidungen, die heute getroffen werden, haben Konsequenzen, die sich über Jahrzehnte auswirken werden.

Die Kombination aus enormer Nachfrage, hohen Erwartungen und systemischen Herausforderungen in der gesamten Branche hat zu sinkenden Gewinnmargen und einem erhöhten Projektrisiko geführt.


Die Notwendigkeit der Digitalisierung

Die Bauindustrie hat sich in den letzten Jahren als Reaktion auf diese Herausforderungen weiterentwickelt. Der Einsatz neuer, innovativer Technologien und effizienterer digitaler Arbeitsabläufe ermöglicht es Unternehmen, die Art und Weise, wie Projekte entworfen und durchgeführt werden, zu verbessern. So können die Gewinnmargen erhöht und eine widerstandsfähigere und nachhaltige Infrastruktur aufgebaut werden.

Infolgedessen nutzen Bauteams fortschrittliche digitale Technologien, Vorfertigung, modulare Bauweise und vernetzte Baustellen als Möglichkeit, die Produktivität zu steigern, die Zusammenarbeit zu verbessern, komplexe Arbeitsabläufe zu orchestrieren und mit weniger mehr zu erreichen.

Die Umsetzung dieser Trends innerhalb von Unternehmen ermöglicht die Skalierung von bewährten Verfahren und die Verbesserung der Verwaltung und Analyse des Zustroms von Baudaten, um die Lieferkette zu vernetzen. Dadurch werden Zusammenarbeit und Koordination während des gesamten Lebenszyklus der Bautätigkeit verbessert. Die folgenden Beispiele zeigen, wie führende Bauunternehmen diese Trends aktuell umsetzen und so für die Anforderungen von morgen gerüstet sind.


Fortschrittliche digitale Technologien

Die Baubranche kämpft mit einer alternden Belegschaft, in der mehr und mehr Menschen in den Ruhestand gehen. Die Rekrutierung von Nachwuchstalenten mit den entsprechenden Fachkenntnissen und Qualifikationen ist eine Notwendigkeit. In den Vereinigten Staaten lehnen mehr als die Hälfte der Bauunternehmen aufgrund von Arbeitskräftemangel Aufträge ab. Bauunternehmen müssen diese Lücke schließen, indem sie auf fortschrittliche digitale Technologien zurückgreifen, die Effizienz schaffen, Arbeitsabläufe straffen und positive Ergebnisse liefern.

Neue digitale Technologien wie digitale Zwillinge, 4D-Modellierung, virtuelle Realität (VR), erweiterte Realität (AR), Cloud Computing, künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen (ML) ermöglichen Anwendern, eine intelligentere Infrastruktur besser zu entwerfen, zu bauen und zu betreiben und dabei gleichzeitig intelligenter zu arbeiten. Diese Möglichkeiten werden die menschlichen Fähigkeiten und die Entscheidungsfindung verbessern und es Bauunternehmen so ermöglichen, den Anforderungen sowie den hohen Erwartungen gerecht zu werden. Digitale Technologie wird auch dazu beitragen, die Lücken im Bereich der Fachkenntnisse zu schließen und den Arbeitskräftemangel zu beheben, da sie zur Steigerung der Produktivität beiträgt und digital versierte Arbeitskräfte anzieht.

In Parramatta (Australien) nutzten Ingenieure neue digitale Anwendungen, um ein wichtiges Brückenbauprojekt termin- und budgetgerecht fertigzustellen. Die erste echte Diagonalbogenbrücke des Landes ist für die Entwicklung des Gebiets von entscheidender Bedeutung, da sie mehrere Eisenbahn-, Stadtbahn- und andere Verkehrskorridore mit den umliegenden lebendigen Vierteln verbindet. Der Bau dieser ikonischen Brücke in einem belebten Wohn- und Gewerbegebiet umfasste jedoch mehrere Herausforderungen im Hinblick auf Gelände und Bebauung, darunter Terminplanung, Lärmbelästigung, Sedimentsanierung und Baumschutz entlang des Flussufers. Um die Auswirkungen auf Umwelt und Anwohner zu minimieren, mussten verschiedene Bauverfahren, Szenarien und Minderungsstrategien getestet werden.

Anstatt ausschließlich auf Erfahrungen, Annahmen und Papierentwürfe aus der Vergangenheit zurückzugreifen, kooperierte Abergeldie Contractors mit dem Berater für Bauplanung Solid Support, um eine 4D-Animation zu erstellen, die den Bauablauf für die Brücke von Anfang bis Ende klar definierte. Die Animation umfasste detaillierte Simulationen der Installation des Hauptbrückenbogens und des Krans sowie eine Simulation, welche Materialien zu bestimmten Zeiten an bestimmte Stellen transportiert werden müssten.

Die Animation lieferte Bauunternehmern, Anwohnern und anderen Interessengruppen einen detaillierten Plan zur Fertigstellung der Bauarbeiten und lieferte eine Grundlage für die Ermittlung potenzieller Probleme und Möglichkeiten zur weiteren Entwurfs- und Prozessoptimierung. Nach Baubeginn lieferte die Animation dem Unternehmen Abergeldie Contractors einen Plan für die Umsetzung kurzfristiger Änderungen in Echtzeit, ohne den Zeitplan zu beeinträchtigen. Nach Angaben der Projektmanager konnte das Team durch die Simulation des Bauablaufs mit einem digitalen Zwilling das Projekt in der Hälfte der ursprünglich veranschlagten Zeit abschließen.


Vorfertigung und modulares Bauen

Zudem kann die Fertigung von Gebäudekomponenten außerhalb der Baustelle und deren Montage vor Ort die Produktivität steigern, Projektzeitpläne verkürzen, Unterbrechungen minimieren und positive Ergebnisse sicherstellen. Um diese Vorteile zu erzielen, müssen Projektmanager die Vorfertigung und den Einbau vorgefertigter Teile jedoch sehr sorgfältig planen und organisieren.

Digitale Modelle helfen dabei, potenzielle Kollisionen zu erkennen und Produktionsprozesse zu rationalisieren. Dadurch werden kostspielige und zeitaufwendige Arbeiten vor Ort reduziert. Durch die Simulation dieser Orchestrierung im Voraus werden Engpässe wie Verzögerungen in der Lieferkette, logistische Herausforderungen und standortbedingte Einschränkungen identifiziert, die zu Verzug bei der Bauzeit führen können. Die Simulation verbessert außerdem die Koordination zwischen den Projektbeteiligten und stellt sicher, dass jeder Zugriff auf ein zentralisiertes digitales Modell hat, das Zusammenarbeit, Kommunikation und Abstimmung gewährleistet.

Die Integration digitaler Modelle mit Technologien zur Automatisierung der Bautätigkeit wie Robotik, Drohnen und IoT-Geräten verbessert die Effizienz und Genauigkeit durch optimierte Arbeitsabläufe. Diese Arbeitsweise, die eine höhere Skalierbarkeit aufweist, reduziert Fehler und manuelle Arbeit, eliminiert die Möglichkeit von Missverständnissen und stellt sicher, dass Projekte pünktlich und budgetgerecht optimal abgeschlossen werden.


Vernetzte Baustellen

VergleichBaustelle mit 3D-Zwilling
© Acciona Rail

VergleichBaustelle mit 3D-Zwilling
© Acciona Rail
Auf fast jeder Baustelle laufen die Informationen in der Regel über den Bauleiter, der zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Informationen über Materialien, Ausrüstung und Personen benötigt, um genaue Projektprognosen zu erstellen und Sicherheitsprotokolle einzuhalten. Vor allem Tagesberichte sind von entscheidender Bedeutung, um festzustellen, was an einem bestimmten Tag vor Ort passiert ist und was als Nächstes zu tun ist.

In der Vergangenheit bedeutete dieses Wissen Dutzende Einzelgespräche und einen mobilen Anhänger voller Papierdokumente. Streitfälle wurden beigelegt, indem wichtige Interessengruppen zusammengebracht wurden. Der Betriebsablauf wurde auf Eis gelegt, während manuell eine Lösung gefunden wurde. Laut dem Arcadis 2022 Global Construction Disputes Report hat die zunehmende Komplexität auf Baustellen dazu geführt, dass die durchschnittliche Zeit, die für die Beilegung von Streitfällen benötigt wurde, in den letzten zwei Jahren erheblich gestiegen ist.

Die Umstellung dieser manuellen, papierbasierten Prozesse auf digitale Anwendungen löst diese Herausforderungen, indem wichtige Informationen in einer einzigen durchsuchbaren Datenbank verfügbar gemacht werden, die allen Interessengruppen zugänglich ist. Daten können mit Smartphones erfasst werden, die fast jeder vor Ort bei sich trägt. Dadurch wird sichergestellt, dass alle Informationen, auch die scheinbar banalen, erfasst werden. Diese Baumanagementanwendungen erleichtern Zugriff, Verwaltung und Georeferenzierung von Fortschrittsberichten, Fotos, Videos, Modellen und Dateien in Sekundenschnelle.

Die digitale Dokumentation kann als Prüfprotokoll bzw. Prüfpfad dienen und beweist, dass Materialien pünktlich geliefert, die Arbeiten zum vorgesehenen Zeitpunkt abgeschlossen und andere vertragliche Verpflichtungen erfüllt wurden. Mit diesen digitalen Baulösungen können die Bauleiter alle Anwendungen und Informationen, die sie benötigen, um Projekte mit minimalen Unterbrechungen pünktlich und im Rahmen des Budgets voranzutreiben, aus dem Büro mit auf die Baustelle nehmen.

Beispielsweise erforderte ein Projekt zum Bau einer Reihe von Anschlussstellen an der stark befahrenen Straße M42 im Vereinigten Königreich die Errichtung von Bauelementen auf einem nahegelegenen Feld, um Anwohner und Durchreisende nicht zu beeinträchtigen. Skanska, eines der größten Bauunternehmen der Welt, hat ein umfangreiches 4D-Modell der Baustelle erstellt, um das Kommen und Gehen Hunderter Auftragnehmer, Arbeitskräfte und Lieferteams besser zu orchestrieren.

Es wurden virtuelle Proben der Bautätigkeit abgehalten, um sicherzustellen, dass die beiden Spannbetonteile mit riesigen Kränen an einem einzigen Wochenende eingehoben werden konnten. Digitale Simulationen des Vorgangs modellierten genau, wie das Einheben ablaufen sollte, welche Auftragnehmer und Teams zusammenarbeiten könnten und wo es wahrscheinlich zu Störungen kommen würde. Die Projektmanager probten die geplanten Abläufe mehrfach mit einem digitalen Zwilling, um potenzielle Schwachstellen zu erkennen und sicherzustellen, dass die Einhebung ohne größere Probleme vonstattengehen würde.

Außerdem konnte Skanska eine stündliche Abfolge von Vorgängen erstellen, die visuell und realistisch war und die es den Ingenieuren ermöglichte, in Echtzeit mit den Interessengruppen und der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Dank dieser Baustellenkoordination in Echtzeit konnten die beiden Spannbetonteile über der M42 an einem einzigen Wochenende montiert werden, wodurch Anwohner und Durchreisende nur minimal beeinträchtigt wurden.


Höhere Ansprüche in einer intelligenteren Welt

Die Baubranche ist bestrebt, die Welt intelligenter, skalierbarer, nachhaltiger und gerechter zu machen. Systemische Herausforderungen erschweren es jedoch, Erwartungen zu erfüllen und Projekte termin- und budgetgerecht abzuschließen. Durch das digitale Baumanagement können Bauunternehmen ganz einfach auf die Funktionen und Informationen zugreifen, die sie benötigen, um ihre Produktivität zu steigern, die Zusammenarbeit zu verbessern, komplexe Arbeitsabläufe zu orchestrieren und mit weniger mehr zu erreichen. Die Welt schaut genau hin und die Branche kann es sich nicht leisten, bei der digitalen Transformation hinterherzuhinken. Es steht zu viel auf dem Spiel.


Über die Autorin:

Mary Kay Sheahan
© Bentley Systems

Mary Kay Sheahan
© Bentley Systems
MaryKay Sheahan kam 2016 zu Bentley und ist derzeit Director, Product Marketing. Sie verantwortet das Marketing für die Anwendungen für Unternehmenssysteme von Bentley, ProjectWise, Synchro und BCDE. Sie verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Vermarktung von Softwarelösungen und Dienstleistungen an die AEC-Branche. Ihre Zeit bei Bentley umfasst verschiedene Rollen im Marketing und Produktmanagement, wobei sie sich stets darum bemüht, Qualitätsprodukte zu vermarkten und zu liefern, die die Arbeitsabläufe in der Abwicklung von Infrastrukturprojekten und im Baumanagement verbessern und somit schnellere und sicherere Ergebnisse erzielen. Zu ihren früheren Tätigkeitsfeldern zählen Produktmarketing und Produktmanagement bei Primavera (heute Oracle). Sie ist erreichbar unter .


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