Wie wirtschaftlich ist „Wirtschaftlichkeit“?

Kommentare zur aktuellen Rechtsprechung für die Bauwirtschaft

Unser Autor RA Michael Werner vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie befasst sich mit drei wichtigen aktuellen Urteilen, mit einem Kammergerichtsspruch zur Mehrvergütung bei erheblichen Mehrmengen, mit einem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf zum Angebotsausschluss wegen befristeter abfallrechtlicher Genehmigung und zum Schluss wieder mit dem OLG Düsseldorf: Zur Bewertung des Zuschlagskriteriums „Wirtschaftlichkeit“.

Anspruch auf Mehrvergütung bei erheblichen Mehrmengen beim Pauschalpreisvertrag?

Das Kammergericht Berlin hat mit Urteil vom 21. Juli 2011 – 27 U 11/11 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:


1. Vereinbaren die Parteien individualvertraglich, dass eine Erhöhung der vereinbarten Pauschalvergütung nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen möglich ist, kann eine Mehrvergütung nicht verlangt werden, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen.

2. Das gilt auch, wenn sich der Auftragnehmer in seinem Angebotsschreiben eine Abrechnung nach Einheitspreisen vorbehalten hat, diese Forderung aber im Vertrag nicht ausdrücklich geregelt ist.

Der Auftraggeber (AG) schrieb Rohbauarbeiten aus. Nach den Ausschreibungsunterlagen sollten 2.520 t Stahl geliefert und verlegt werden. Der Auftragnehmer (AN) gab ein Pauschalpreisangebot ab und wies in seinem Angebotsschreiben darauf hin, dass Mehr- und Mindermengen gegenüber der in der Ausschreibung genannten Stahlmenge gesondert nach Einheitspreisen abzurechnen sei. Nach umfangreichen Auftragsverhandlungen wurde im Vertrag festgelegt, unter welchen Voraussetzungen vom Pauschalfestpreis abgewichen werden konnte; Mengenabweichungen beim Stahl gehörten nicht dazu. Weiter wurde vereinbart, dass der AG keine Mehrkosten übernehme, die auf einer unvollständigen, fehler- oder lückenhaften Leistungsbeschreibung basierten. Letztlich kam es zu Stahlmehrmengen, die auf eine unrichtige Mengenermittlung des vom AG beauftragten Planungsbüros zurückzuführen waren. Unter Hinweis auf sein dem Vertrag als Anlage beigefügtes Angebotsschreiben forderte der AN für 651 t Mehrstahl 892.000 Euro Mehrvergütung.

Das Kammergericht sieht den Anspruch des AN als unbegründet an.

Der gerichtliche Sachverständige sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Ursache der unstreitig verbrauchten Stahl-Mehrmengen im Wesentlichen darin begründet sei, dass die Ermittlungen des Planungsbüros des AG falsch gewesen seien. Die Mehrmengen beruhten deshalb nicht auf Planungsänderungen, die vom AG veranlasst worden seien.

Wesentlicher Kernpunkt des Streites sei damit die Frage, ob die im Angebot des AN enthaltene Formulierung, dass Mehr- oder Mindermengen gegenüber der im Angebot enthaltenen Stahlmenge von 2.520 t gesondert abgerechnet würden, weiterhin maßgeblich sei, obwohl letztlich im Bauvertrag eine pauschale Festvergütung vereinbart worden sei und der Preis sich ausschließlich nach den im Bauvertrag enthaltenen Preisänderungsregelungen habe ändern können.

Die Auslegung des vorliegenden Vertrages nach den Grundsätzen von §§ 133, 157 BGB ergebe, dass die gelt,end gemachten Mehrmengen nicht gesondert abgerechnet werden könnten, da sie mit der pauschalen Festvergütung abgegolten seien. Von der Festvergütung habe gemäß der Regelung im Bauvertrag nur unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden können. Diese lägen hier nicht vor. Der AN habe sich nicht darauf verlassen dürfen, dass aufgrund der streitigen Formulierung in seinem Angebotsschreiben allein aufgrund der Tatsache, dass dieses Angebotsschreiben Grundlage des Vertrages geworden sei, ein Anspruch auf zusätzliche Vergütung gegeben sein würde.

Dies hätte im Vertrag ausdrücklich geregelt werden müssen, anderenfalls habe der AG davon ausgehen dürfen, dass der AN an seiner Forderung nach Abrechnung des Stahls nach Einheitspreisen nicht mehr festhalte. Dies folge auch aus der Tatsache, dass die Regelung über die Möglichkeiten einer Vergütungsänderung ausgiebig verhandelt worden seien. Unter diesen Umständen hätte es eines eindeutigen Hinweises bzw. einer eindeutigen vertraglichen Regelung bedürft, wenn der Stahl in Abweichung von der vereinbarten Festvergütung nach Einheitspreisen hätte abgerechnet werden sollen. Zudem regele der Vertrag, dass der AG keine Kosten aufgrund von Fehlern in der Leistungsbeschreibung übernehme. Das Risiko der falschen Berechnung der Stahlmenge habe deshalb ausdrücklich der AN zu tragen. Ein Anspruch auf zusätzliche Vergütung wegen der Mehrmengen an Stahl bestehe daher nicht.

 

Anmerkung

Diese Entscheidung reiht sich ein in die Rechtsprechung zum Pauschalpreisvertrag. So hat z. B. das OLG Rostock mit Urteil vom 19. Mai 2009 u. a. entschieden, dass die Verwendung einer sog. „Komplettheitsklausel“ nicht zu einer Erweiterung des geschuldeten Leistungsumfangs führt, wenn die Leistung im Angebot des Auftragnehmers mit einem Leistungsverzeichnis detailliert beschrieben ist. Deshalb gilt insbesondere bei vereinbarten Pauschalvergütungen zu beachten, dass bei Pauschalpreisverträgen regelmäßig nicht nur die detailliert beschriebenen, sondern sämtliche Leistungen abgegolten sind, die zur Herstellung einer funktionstauglichen und zweckentsprechenden Werkleistung erforderlich sind.

 

Angebotsausschluss wegen befristeter abfallrechtlicher Genehmigung?

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat mit Beschluss vom 10. August 2011 – Verg 34/11 – (www.ibr-online.de) u. a. Folgendes entschieden:

1. Rechtliche Zweifel am Umfang und der Gültigkeitsdauer einer Genehmigung geben hinreichenden Anlass, die Eignung des Bieters zu verneinen und rechtfertigen den Ausschluss vom Vergabeverfahren.

2. Der öffentliche Auftraggeber ist grundsätzlich Abfallerzeuger.

Der Auftraggeber (AG) hatte den Ausbau einer Bundeswasserstraße ausgeschrieben. Mit dem Angebot war ein vollständiges und gesichertes Konzept des als Abfall zu entsorgenden Baggerguts („Unterbringungskonzept“) einschließlich der für den Betrieb der Deponie notwendigen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen vorzulegen. Die vom Bieter (und späteren Antragsteller) für seine Nachunternehmer vorgelegte immissionsschutzrechtliche Genehmigung ent-
hielt ihrem Wortlaut nach eine Befristung auf fünf Jahre. Auf Nachfrage wollte die Genehmigungsbehörde diese Befristung als Widerrufsvorbehalt für eine anfänglich „fünfjährige Testphase“ verstanden wissen. Das war dem AG zu unsicher; er schloss das Angebot des Antragstellers aus.

Das OLG bestätigt den Angebotsausschluss. Im Zuge der Eignungsprüfung habe der öffentliche Auftraggeber eine Prognoseentscheidung zu treffen, ob der Bieter eine ordnungsgemäße Entsorgung gewährleisten könne. Bei dieser Prognoseentscheidung über die Eignung des Bieters stehe ihm ein Beurteilungsspielraum zu. Da das Verwaltungsverfahrensgesetz zwischen einer Befristung und einem Widerrufsvorbehalt differenziere, sei die Rechtsauffassung des AG, dass die vorgelegte Genehmigung keine ausreichende Rechtsgrundlage für den (Weiter-)Betrieb der Deponie darstelle, vertretbar. Die Entscheidung, die Unterbringung in der Anlage nicht als gesichert anzusehen, liege im Bereich des Beurteilungsspielraums des öffentlichen Auftraggebers. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes, dass der öffentliche Auftraggeber als Abfallerzeuger i.S. des § 16 Abs. 1 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz sowohl ordnungsrechtlich als auch strafrechtlich für das Baggergut verantwortlich bleibe.

 

Anmerkung

Im Rahmen der Eignungsprüfung hat der Auftraggeber nicht nur die technische, kaufmännische, personelle und finanzielle Ausstattung eines Bieters zu prüfen, sondern auch die rechtliche Leistungsfähigkeit. Gerade bei abfallrechtlichen Genehmigungen reichen begründete Zweifel an deren Gültigkeitsdauer und Umfang, um einen Ausschluss vom Vergabeverfahren zu rechtfertigen.

Die Entscheidung ist vor allem deswegen besonders zu erwähnen, da das OLG Düsseldorf in seinen Entscheidungsgründen im Ergebnis der weitverbreiteten Ansicht entgegengetreten ist, Abfallerzeuger von anfallendem Bodenaushub, Straßenaufbruch und sonstigen mineralischen Abfällen sei grundsätzlich das Bauunternehmen. Als Veranlasser der Baumaßnahme bleibe vielmehr der öffentliche Auftraggeber Abfallerzeuger dieser Materialien. Ebenfalls sei es nicht möglich, per vertraglicher Regelung das Bauunternehmen zum Abfallerzeuger zu machen. Die Eigenschaft als Abfallerzeuger ergebe sich aus dem (öffentlich-rechtlichen) Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz und sei einer vertraglichen Regelung nicht zugänglich. Auch eine Eigentumsübertragung an zu entsorgenden Materialien ändert hieran nichts, da es für die abfallrechtlich allein relevante Einstufung als Erzeuger oder Besitzer nicht darauf ankommt, wer Eigentümer der Materialien ist.

Aus Sicht der bauausführenden Wirtschaft eine begrüßenswerte Klarstellung!

 

Zur Bewertung des Zuschlags-kriteriums „Wirtschaftlichkeit“

Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 11. Mai 2011 – Verg 64/10 – (www.ibr-online.de) u. a. Folgendes entschieden:

Eine Verletzung der Rechte der Bieter liegt dann vor, wenn der Auftraggeber bei der Angebotswertung das Kriterium der „Wirtschaftlichkeit“ herangezogen hat, ohne eine dieses Kriterium näher konkretisierende Wertungsmatrix den Bietern bekannt zu geben und der Wertung zu Grunde zu legen.

Die Auftraggeberin (AG), die Sektorenauftraggeberin ist, schrieb im Rahmen des Aus- und Umbaus eines Heizkraftwerks im Verhandlungsverfahren Bauleistungen für Rohrleitungen aus. Das wirtschaftlich günstigste Angebot sollte über den „Preis“ mit 40 Prozent, die „Wirtschaftlichkeit“ mit 60 Prozent ermittelt werden. Angaben, anhand welcher Unterkriterien die „Wirtschaftlichkeit“ bestimmt werden sollte, fanden sich nicht. Nachdem die AG beabsichtigte, Bieter A zu beauftragen, rief Bieter B die Vergabekammer an und rügte u. a. die Anwendung des Zuschlagskriteriums der „Wirtschaftlichkeit“. Die AG machte geltend, bei der Wertung des Wirtschaftlichkeitskriteriums keine Unterkriterien herangezogen, sondern dieses Kriterium „aus sich heraus“ gewertet zu haben. Im Rahmen des Verhandlungsverfahrens habe es ihr freigestanden, mit dem Bieter Nachverhandlungen durchzuführen; diese seien zulässigerweise diskriminierungsfrei und unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes geführt worden.

Nachdem der Bieter B vor der Vergabekammer unterlegen war, legte er sofortige Beschwerde beim OLG ein. Das OLG gibt der sofortigen Beschwerde statt. Bieter B sei in seinen Rechten dadurch verletzt worden, dass die AG bei der Wertung das Kriterium der „Wirtschaftlichkeit“ herangezogen habe, ohne eine dieses Kriterium näher konkretisierende Wertungsmatrix den Bietern bekanntzugeben und der Wertung zu Grunde zu legen. Während Angebote in preislicher Hinsicht ohne Weiteres miteinander vergleichbar sein könnten, könne die „Wirtschaftlichkeit“ von Angeboten nicht verglichen werden, ohne dass die Vergleichsparameter und deren Gewicht vorab festgelegt seien. Denn im Gegensatz zum Begriff des „Preises“ habe der Begriff der „Wirtschaftlichkeit“ keinen feststehenden, für jeden Wertungseinzelfall zutreffenden Inhalt. Ein Wirtschaftlichkeitsbewertung könne der Sache nach nicht erfolgen, ohne dass dieses Oberkriterium durch detaillierte und den Oberbegriff näher konkretisierende Unterkriterien ausgefüllt werde. Die Beachtung dieser Grundsätze erfordere es, dass den potentiellen Bietern zum Zeitpunkt der Vorbereitung ihrer Angebote alle Kriterien, die vom öffentlichen Auftraggeber bei der Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebots berücksichtigt würden und deren relative Bedeutung bekannt seien. Diesem Erfordernis wäre aber nicht Genüge getan, wenn der Auftraggeber nach Eingang der Angebote das mitgeteilte Wertungskonzept grundlegend ändere und sich entschließe, seine Zuschlagsentscheidung ausschließlich am Preis zu orientieren. Der Wertungsvorgang der Wirtschaftlichkeit aus sich heraus sei auch aus anderem Grund vergaberechtlich bedenklich. Eine Wertung ohne vorformulierte Matrix berge nämlich die Gefahr, dass im Laufe des komplexen Wertungsverfahrens nicht dieselben Maßstäbe an alle Angebote angelegt würden.

 

Anmerkung

Nachdem der EuGH sowie das OLG Düsseldorf (siehe baumarkt+bauwirtschaft, Heft 12/2010, S. 48) entschieden hatten, dass Nebenangebote nur noch bei einer Wertung nach dem „wirtschaftlich günstigsten Angebot“ zulässig seien und dadurch Vergabestellen mehr als früher nach diesem Kriterium die Bewertung vornehmen, ist die o. g. Entscheidung des OLG Düsseldorf von besonderer Bedeutung. Dabei lassen sich die dort genannten Grundsätze zur Wertung der „Wirtschaftlichkeit“ durchaus auch auf andere Parameter, wie z. B. „Qualität“ oder „technischen Wert“ übertragen. Es steht damit fest, dass die Vergabestellen im Rahmen ihrer Beurteilungsspielräume bei der Angebotswertung keineswegs völlig frei sind.

Eine begrüßenswerte Klarstellung aus Sicht der bauausführenden Wirtschaft!

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