Baustellenlogistik

Das kommt in der ­Zukunft vor

Interview

Die im Bauwesen erreichte Prozessqualität, vor allem hinsichtlich Termintreue und Kostensicherheit, bleibt stark hinter den anderen Branchen zurück. Ein Konsortium mehrere Partner der Bauindustrie hat sich unter der Fahne AutoBauLog zusammengefunden, um über den optimierten Ablauf künftiger Baustellen nachzuforschen. tHIS befragte Hans Schulz, Projektleiter vom Konsortialführer RIB Information Technologies AG, welche Vorteile für alle Beteiligten in der Zukunft auf der Baustelle entstehen.

tHIS: Berufsskeptiker antworten schnell mit dem Satz: ja, aber bei uns auf den Baustellen ist alles anders. Sie können doch eine Baustelle nicht mit der Produktion eines Autos vergleichen. Wie reagieren Sie auf den Einwand bei diesem Vergleich?

Hans Schulz: Ich bin der Meinung, Planungsmethoden aus der Automobilindustrie, nämlich Elemente aus der digitalen Fabrikplanung, können sehr wohl auf die Bauindustrie adaptiert werden. Wie bei der Fertigungsplanung für ein Automobil bilden dabei digitale Bauwerksmodelle die Basis zur Optimierung der Abläufe auf den Baustellen. Solche Modelle können schon jetzt mit hochwertigen modellbasierten Softwarelösungen, wie iTWO BIM 5D von RIB, bei der Planung und Steuerung von Bauprojekten verwendet werden. So sind Quantensprünge hinsichtlich Qualität, Termintreue und Kosteneffizienz möglich. Das bestätigen führende Bauunternehmen, die ihre Projekte bereits mit unserer 5D-Technologie bearbeiten. Ein naheliegender nächster Innovationssprung für die Bauindustrie besteht darin, die Daten aus digitalen Bauwerksmodellen auch für die Steuerung von Baumaschinen zu nutzen. Hier setzen wir mit unserem AutoBauLog-Forschungsprojekt an und wollen am Beispiel von Infrastrukturprojekten untersuchen, wie digitale Bauwerksmodelle für die intelligente Optimierung des Einsatzes von Baumaschinen genutzt werden können.

 

tHIS: Ein normales Forschungsvorhaben dokumentiert zu nächst den Status Quo. Wie steht die Bauindustrie im Vergleich zu anderen Wirtschaftbranchen dar, wenn wir die Stichworte: Effizienz, Ablauf, Prozesssteuerung und Wertschöpfung fallen lassen?

Hans Schulz: Speziell der Straßen-, Tiefbau und Infrastruktursektor ist geprägt durch Stillstands- und Wartezeiten, die, wie wir schätzen, bei durchschnittlich 20-30 % liegen. Der Ablauf kann etwa durch falsche Ansätze bei der Materialdisposition gestört werden. Weiter können äußere Einflüsse den Bauprozess behindern. Dazu zählen beispielsweise das Wetter, die Bodenverhältnisse, rechtliche Aspekte, die Verkehrssituation oder auch mangelnde Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten. Oft genügt schon der Ausfall eines Baugeräts oder einer Baumaschine aufgrund eines technischen Defizits, und der betroffene Bauabschnitt steht still. Problematisch ist, dass die Prozessüberwachung und –steuerung bei einem Bauprojekt bisher nicht in Real Time, wie in der Industrieproduktion, möglich ist. Eine höhere Wertschöpfung versprechen wir uns, in dem wir Fehler frühzeitig lokalisieren und ihre Auswirkungen damit im Voraus eindämmen.

 

tHIS: Es werden in den Baubetrieben in Teilbereichen bereits ausgereifte Softwareprodukte eingesetzt. Bei den Schnittstellen und bei der Nutzung modernster Informationstechnologien über den gesamten Bauprozess steht die Baubranche ziemlich archaisch dar. Was muss sich ändern?

Hans Schulz: Wichtig ist, dass die für ihre jeweiligen Aufgaben relevanten Informationen den Projektverantwortlichen durchgängig zugänglich sein sollten. Die Datenmengen eines Tiefbauprojekts sind gewöhnlich riesig und zum größten Teil auch bekannt, jedoch sind sie bisher nicht intelligent miteinander verknüpft und stehen nicht an denjenigen Stellen transparent zur Verfügung, an denen sie benötigt werden. Mit AutoBauLog adressieren wir hier gezielt einen Teilbereich, nämlich die Maschinendisposition, ihre aktuelle Leistung und ihre Koordination. Wir zielen darauf ab, die Realisierung von Systemen für die Baupraxis zu ermöglichen, die robust und leicht handhabbar sind und dabei einen vollkommen durchgängigen Informationstransfer gewährleisten sollen. Unsere Entwicklungskonzepte sowie auch die unseres Projektpartners Topcon sind darauf ausgerichtet.

 

tHIS: Ein weiteres Hindernis der Bauindustrie bei der Optimierung künftiger Baumaßnahmen liegt in der starken Fragmentierung eines Bauprojektes und an der Vielzahl unterschiedlicher Teilnehmer. Wie wollen Sie alle Beteiligten bei Ihrem Projekt unter einen „Hut“ bringen?

Hans Schulz: Die Herausforderung, die es speziell im Tiefbau und im Infrastruktursektor zu meistern gilt, ist es, den jeweiligen Projektbeteiligten und –verantwortlichen exakt die Daten bereitzustellen, die für ihre Aufgaben relevant sind. Neben einer Integration aller Informationen über intelligente Interfaces ist daher insbesondere die Selektion entscheidend. Jeder Profi muss schnell auf die für seine Arbeit wichtigen Daten zugreifen können und dabei den Überblick behalten.

 

tHIS: Sie sprechen von einem IT-Leitstand, ähnlich wie es die Braunkohlenbetriebe bei der Gewinnung einsetzt. Die Beschaffung von ausreichendem Datenmaterial beginnt lange bevor der erste Bagger ein Loch gräbt. Wie muss man sich den IT-Leitstand später in der Praxis vorstellen?

Hans Schulz: Der Leitstand visualisiert die aktuelle Baustellensituation während des Betriebes und vergleicht die aktuelle Situation auf der Baustelle kontinuierlich mit den Plandaten. Die Visualisierung beinhaltet neben den Geometriedaten des Geländes die Position der Baumaschinen und –geräte sowie Zustandsdaten. Daraus werden Leistungsdiagramme ermittelt. Da Plan- und Istzustand permanent miteinander abgeglichen werden, kann das System warnen, sobald etwas nicht nach Plan läuft. Wenn also beispielsweise eine Baumaschine ausfällt oder der Zeitplan nicht eingehalten werden kann. Diese Soll-Ist-Vergleiche machen es möglich, dass die Bauleitung viel schneller reagieren und Lösungsvorschläge bereitstellen kann, bevor es teuer wird.

 

tHIS: Die Sensorik und die Auswertung einer Reihe von Daten sind bei modernen Baumaschinen technisch bereits möglich. Andere Bereiche lassen sich mittels einer Sensorik auf den Baustellen nur schwer installieren. Wie sieht ihr Lösungsansatz aus?

Hans Schulz: Unser Forschungsansatz konzentriert sich vordergründig auf Baumaschinen, die im Rahmen einer Erdbaumaßnahme im Einsatz sind. Die im Projekt eingesetzten Maschinen – beispielweise Bagger, Raupen, Walzen und LKW - werden mit der entsprechenden Technologie ausgestattet. Die Baumaschinen werden dabei nicht nur untereinander aktiv vernetzt, sondern die Technologie bindet den Maschinenpark zusätzlich an die Bauprozesse an. Es wird auch nötig sein, die Integration der Materiallogistik und –disposition auf der Baustelle voranzutreiben, also zwischen den einzelnen Bauabschnitten, sowie zur Baustelle hin als auch von der Baustelle weg. Darüber hinaus sind eine Integration der Personaldisposition und –leistungsmeldung in Echtzeit in Vorbereitung.↓

tHIS: Sie Haben den Begriff 6D-Entwicklung (3D-Entwicklung + Zeit + Kosten + Qualität) besetzt. Das ganze klingt erstmal nach einer Menge Investitionen für die Bauunternehmer. Wie wollen Sie den „Return on invest“ bewerkstelligen.

Hans Schulz: Anfänglich ist der Aufwand, um ein durchgängig integriertes Projektdatenmodell zu erstellen, verglichen mit den heute gängigen Verfahren, natürlich erhöht. Mit den erweiterten Inhalten des Modells soll die Bauleitung in der Lage sein, während der gesamten Projektdauer auf ein möglichst umfassendes Prozessmodell zuzugreifen, dieses zu bearbeiten und zu ergänzen. Hinzu kommen integrierte Warn- und Kontrollmechanismen. Mithilfe dieses mehrdimensionalen Modells, das neben der Geometrie des Geländes Informationen über Kosten, Ressourcen und den Bauablauf enthält, erhält die Bauleitung ein effizientes Controlling-Instrument. Das verbessert die Qualität und erhöht somit auch die Wertschöpfungspotenziale für das Unternehmen selbst. Wir wollen mit unserer Forschungsmaßnahme einen Prototyp für ein Komplettsystem konzipieren, das schwerpunktmäßig eine optimierte Auslastung der Maschinen möglich machen und die Ist-Geometrie transparent darstellen soll.

 

tHIS: Das Vorhaben AutoBauLOg soll mit einer großen realen Baumaßnahme verprobt werden. Ab welcher Bausumme lohnt sich aus Ihrer Sicht der Aufwand?

Hans Schulz: Hier können wir zum jetzigen Zeitpunkt freilich nur schätzen. Die kritische Bausumme bei einer Straßenbaumaßnahme dürfte bei etwa 50 Millionen Euro liegen. Wir zielen darauf ab, die Grundsteine für eine Technologie, zu legen, die vor allem auch kleineren und mittelständischen Unternehmen viele Vorteile bringen soll, da der Bereich Tiefbau bzw. Infrastrukturmanagement stark von Unternehmen dieser Größenordnungen geprägt ist. Daher arbeiten wir aktuell an der Integration weiterer Aspekte wie beispielsweise Material- und Personallogistik.

 

tHIS: Wir sind im Jahr 2020 was wird sich ihrer Meinung nach im Vergleich zu heute auf den deutschen Baustellen getan haben?

Hans Schulz: Wir glauben, dass sich ein Baustellenleitstand mit durchgängigen integrierten Bauprozessmodellen bis dahin im Tiefbau weitestgehend etabliert haben wird. So kann die Bauleitung die Interaktion der Maschinen und den aktuellen Status auf Baustellen live verfolgen. Weiter gehen wir von einer Gerätedisposition innerhalb der Arbeitsvorbereitungs- und Ausführungsphase aus sowie von einem Live-Tracking der Materialflüsse auf der Baustelle. Für die Zukunft stellen wir uns unter Berücksichtigung wesentlicher Einflussfaktoren, also Maschinen und Materialien, ein Zeit- und Kostenmanagement des Baugeschehens in Echtzeit vor. Ob das bis 2020 bereits in der Praxis durchgängig eingesetzt werden wird, ist derzeit noch nicht prognostizierbar. Doch wird es, da sind wir uns sicher, analog zum Hochbau innovative Vordenker innerhalb der Branche geben, die im Jahr 2020 in diesem Umfeld schon sehr weit sein werden. Dafür sprechen europaweite Zusammenschlüsse innerhalb Bauwirtschaft, Forschung und IT, wie die 5D-Initiative sowie weitere von der Bundesregierung geförderte Forschungsvorhaben, die sich mit der Optimierung des Bauprozesses mit mehrdimensionalen, IT-gestützten Bauwerksmodellen im Hoch- und Tiefbau befassen:

Wichtig ist, dass die relevanten Informationen den Projektverantwortlichen durchgängig zugänglich sein sollten.

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