Fachkräftemangel am Bau energischer angehen

Passive Haltung der Unternehmen kontraproduktiv

Der Bausektor ist zurzeit der einzige Wirtschaftszweig, der nicht von der Stagnation ergriffen wurde. Im letzten Jahr stieg der baugewerbliche Umsatz um sagenhafte 12,5 %, der beste Wert seit 20 Jahren. Die Arbeitskräfte auf den Baustellen werden zunehmend knapp. Die Firmen klagen, aber unternommen wird wenig. Es wird Zeit, dass die Verantwortlichen ihre Lethargie abschütteln.

Nur eine Ausbildungsoffensive wird den von der Demografie diktierten Rückgang der Facharbeiter, Architekten und Bauingenieuren überwinden können. Wenn man so weitermacht wie bisher, wird der Fachkräftemangel einen kritischen Punkt erreichen. Der Bau steht hier in Konkurrenz zu den anderen Sektoren.

 

Jedes zweite Unternehmen hat Sorgen

Eigentlich ist das Problem längst bekannt. Die Zahl der Baufirmen, die den Fachkräftemangel als großes Risiko für die Entwicklung des eigenen Unternehmens ansehen, steigt seit 2011 stark an. Vor kurzem wies Andreas Schmieg, Vizepräsident des Hauptverbands der Bauindustrie, auf eine Umfrage vom letzten Herbst hin, laut der 44 % der Befragten diese Sorge hätten. Anfang 2010 hatte erst jedes fünfte Unternehmen derartige Befürchtungen. In weniger als zwei Jahren hat sich deren Zahl also verdoppelt. Entsprechend freut sich Schmieg darüber, dass die Baufirmen reagieren und wieder mehr Lehrlinge einstellen. Zu Beginn des Ausbildungsjahrs 2011-2012 seien 12.200 neue Lehrverträge abgeschlossen worden, ein Plus von 2,1 % gegenüber Vorjahr. Damit, so Schmieg, „hat sich erfreulicherweise der erstmals in 2010-2011 beobachtete positive Ausbildungstrend fortgesetzt“. Er sehe es „mit Freude, dass die Branche das Problem angeht und ihre Ausbildungsanstrengungen intensiviert“. Vorsichtshalber appellierte er an die Firmen, „auch in Zukunft nicht in der Ausbildungsbereitschaft nachzulassen“. Das sind eher diplomatische Formulierungen. Der Hauptverband kann sich keine Mitgliederbeschimpfung erlauben. Eigentlich meint der Verband, dass die Bauunternehmen nicht genug für die Ausbildung tun. Ein Anstieg der neuen Lehrverträge um 2 % ist ja auch, sagen wir mal, nebbich. Noch immer bilden zu viele Baufirmen gar nicht aus. Genauso mittelmäßig sieht es übrigens auch im Verarbeitenden Gewerbe aus. Die Unternehmen werden damit ihrer gesamtwirtschaftlichen Verantwortung nicht gerecht.

 

Belegschaft seit den neunziger Jahren halbiert

Zur Verteidigung der Bauunternehmer muss man allerdings einen psychologischen Faktor anführen. Seit Mitte der neunziger Jahre, als der kurzfristige Bauboom in den neuen Bundesländern ein Ende gefunden hatte, ist die Zahl der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe dramatisch, um mehr als die Hälfte von 1,5 Mio. auf etwa 715.000, gesunken. In 2011 stieg sie um 2,6 % auf 734.000 an. Was bringt nun 2012 für den Beschäftigtenmarkt? In seiner Januar-Prognose für 2012 ging der Hauptverband von einem leichten Umsatzwachstum von 2,5 % aus. Für die Beschäftigten heißt dies, dass sich die Firmen dieses Jahr „auf den Ersatz der in den Ruhestand gehenden Mitarbeiter beschränken werden“ Einen Beschäftigungsabbau werde es „jedoch schon mit Blick auf den engen Markt für Facharbeiter nicht geben“.

 

Akzente anders setzen

Eigentlich müssten die Akzente anders gesetzt werden. Erstens könnte mit einem günstigeren Konjunkturverlauf die Beschäftigtenzahl, wie bereits in 2011, auch dieses Jahr ansteigen. Das würde bedeuten, dass der Fachkräftemangel noch zunehmen würde. Schon heute ist der Arbeitsmarkt für gewerbliche Bauarbeitnehmer und Bauingenieure praktisch leergefegt. Zweitens wird sogar der Erhalt des vorhandenen Beschäftigtenniveaus zur Herausforderung, da immer mehr Ältere ausscheiden und in nicht genügender Zahl von jungen Fachkräften und Absolventen ersetzt werden. Karsten Wischhof, für Berufsbildung und Personalentwicklung im Hauptverband verantwortlicher Geschäftsführer, erklärte gegenüber TALIS, es fehlten pro Jahr ungefähr 1.500 Bauingenieure. Es gebe auch Fachkräftebedarf  bei den gewerblichen Arbeitnehmern. Dieser Bedarf werde zurzeit in seiner Tragweite noch nicht so wahrgenommen, weil die Unternehmen- trotz Konjunkturschwankung- ihr Personal gehalten hätten. Die Baubranche wird sowieso trommeln müssen, um junge, qualifizierte Menschen anzuwerben. Der erste Branchenbericht zur Arbeitsmarktlage im Bausektor, der im Auftrag des Hauptverbands vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und der Bundesagentur für Arbeit erstellt wurde, zeigt, dass sich die Erwerbstätigkeit nach 2005 auch bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten stabilisiert hat und die Bruttoverdienste anstiegen. Laut Bericht waren in 2010 sämtliche Bauberufe durch eine tendenziell kürzere Dauer der Arbeitslosigkeit geprägt als der Durchschnitt aller Berufe. „Wer jetzt in der Bauwirtschaft eine Ausbildung beginnt, findet so gute Voraussetzungen wie lange nicht mehr“, stellte Hauptgeschäftsführer Michael Knipper fest. Die Arbeitsplätze seien sicher, überdurchschnittlich sozial flankiert und gut bezahlt. Das muss sich allerdings noch herumsprechen. Mit dem Pfund sollte man wuchern.

 

Marcel Linden, Bonn

Journalist, Luxemburger, Schwerpunkte Wirtschaft, Finanzen und Politik. Langjähriger Deutschland-Korrespondent von französischsprachigen Zeitungen; lange Zeit für die Bauzeitschrift „Le Moniteur“ aus Paris tätig, heute Korrespondent von „La Libre Belgique“ (Brüssel).

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