Demut als Bindemittel

Ewige Baustelle – seit 45 Jahren

Gedanken in Beton gegossen, Ideen gen Himmel geschrieben. Als Bindemittel Demut und Glauben. Wer baut, der verwirklicht ein Stück seiner Persönlichkeit. Don Justo Gallego Martinez errichtet seit fast 45 Jahren sein Traumhaus – eine Kirche. Baupläne? Gibt es nicht. Sein unbändiger Wille setzt um, was sein Herz befiehlt. Fertigstellung? Steht in den Sternen.

Die Baustelle liegt am südöstlichen Rand von Madrid. Umzingelt von Schnellstraßen, Wohnblocks, wiegenden Zypressen und einem Spielplatz. Breite Stufen führen empor. Der Hausherr eilt an den Besuchern vorbei. Rastlos wirkt er und ruhig zugleich. Ein asketisches Gesicht. Vom Wetter gegerbt. Hinter dunklen Augenbrauen brennen braune Augen. Den schmalen Körper umhüllt ein blauer Arbeitskittel. Auf dem kahlen Kopf ein rotes Käppi. Nachlässig gebunden der rote Schal. Von morgens um 6 bis zum Dunkelwerden arbeitet und lebt er hier. Zum Schlafen zieht er sich in eine Kammer zurück.

 

Damals…

Don Justo war Trappisten-Mönch. 1962 gab man ihn auf – Tuberkulose. Sterbenskrank war er, doch er kam davon und legte erneut ein Gelübde ab: Auf dem geerbten Grundstück eine Kathedrale zu bauen als Beispiel für die Tatkraft Gottes. 55 Meter lang, 25 m breit und 50 m hoch. Nur in seinem Kopf existiert der Bauplan.

In Spanien regiert noch General Franco, als der selbsternannte Baumeister eigenhändig die Fundamente aushebt. Zement, Sand, Ziegel, Stahl, Holz oder Glas, die Baumaterialien findet er auf verlassenen Baustellen oder es sind Spenden. Nur das jeweils verfügbare Material entscheidet, an welcher Stelle der gigantische Bau fortgesetzt wird. Vieles wirkt skurril. Mit Beton verfüllte Ölfässer dienen als Säulen. Fensterbögen mit dem Profil der Autoreifen, die für ihre Herstellung benützt wurden. Anfangs lachen die Menschen, nennen ihn den verrückten Mönch.  Doch verstummt ist ihr Lachen. Schweigend staunen sie.

 

Stein auf Stein

Bei schwierigen Arbeiten wie dem eisernen Kuppelgerüst oder bei der Berechnung der Statik tragender Säulen und Wände geben ihm Bauunternehmer oder Architekten aus der Nachbarschaft Tipps. Jahre vergehen, die Demokratie hat die Diktatur abgelöst. Junge Männer dienen sich Don Justo als Helfer an. Auch seine Neffen packen zu. Folgen präzise den Anweisungen. Läuft mal etwas falsch, schaltet sich sofort der Baumeister ein, wuchtet Steine, Säcke und Schaufel, zieht eigenhändig den Flaschenzug. Modernes Gerät sucht man auf dieser Baustelle vergebens. Sicherheitsstiefel und Helme ebenso. Unfallfrei, ehrlich, anstrengend und im romanischen Stil, so wird gebaut. Auf einem umgedrehten Plastikeimer, zwischen Bauschutt, Gerüsten und umherschwirrenden Vögeln nimmt er Platz. Sonnenstrahlen durchdringen das seit Jahrzehnten rohe und unfertige Schiff der Kathedrale. Sie verströmt sakralen Geist. Ruhig, andächtig, erhaben, groß. „Ich muss arbeiten an jedem Tag, der mir bleibt“, sagt Don Justo, „aber dabei denke ich nicht an mich.“

 

Der Glaube versetzt nicht nur Berge

Die katholische Kirche schaut wohlwollend zu, die Behörden lassen ihn machen... Man kennt ihn von Rom bis Rio. An gewöhnlichen Tagen pilgern 50 und 100 Menschen zur Kathedrale, an manchen Wochenenden 1000 und mehr. Der Übermenschliche genießt seine Popularität,  erklärt das Unerklärliche, posiert für Fotos,  schüttelt Hände. Auch das macht ihm Freude.

Wie lange wird’s noch dauern? Der 85jährige blickt gen Himmel. Seine Helfer werden weitermachen. Denn seine Idee lebt. Auch wenn er nicht mehr leben sollte. Wie ein Virus wird sie andere anstecken.... hofft er. Im Internet beschreibt der „Nachtfalke“ aus Berlin seinen Besuch bei Don Justo „...ein eindrucksvoller Beweis, welche gewaltigen Projekte allein Demut und Glaube in Gang setzen können. Wer dieses Bauwerk gesehen hat, verändert seinen Bezug zu Göttlichem, egal, welcher Religion er angehört“.


Jan Westphal

[www.janwestphal.com]

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