EIN JAHR NACH FUKUSHIMA FEHLT NOCH IMMER EIN GESAMTKONZEPT

Energiewende kommt nicht voran

Schwarz-Gelb schafft es offensichtlich nicht. Fast ein Jahr nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima und dem übereilten Abschalten von acht deutschen Kernkraftwerken steckt die Energiewende fest. Den Unternehmen reißt der Geduldfaden.

Die ständigen Querelen zwischen FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler und CDU-Umweltminister Norbert Röttgen stärken den Ruf nach der Bildung eines mächtigen Energieministeriums. Hans Driftmann, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu auf, von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen, „damit die Energiewende in angemessener Zeit umgesetzt werden kann“. Laut einer DIHK-Umfrage befürchten zwei Drittel der Unternehmen Stromausfälle und Spannungsschwankungen. Neben der Euro-Krise sei für die Unternehmer eine sichere und auch bezahlbare Energieversorgung das wichtigste Thema. Auch Professor Thomas Bauer, Präsident des Hauptverbands der Bauindustrie, formulierte in seiner Jahresauftaktpressekonferenz den Wunsch, die Bundesregierung möge die Energiewende „beherzt umsetzen“. Der Bund, so fügte er hinzu, „solle 2012 die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Offshore-Windparks, Zwischenspeicherkapazitäten wie auch das für den Transport der Windenergie notwendige Netz von Stromautobahnen zügig gebaut werden können“. Die Industriebranchen, die wie die Chemie, die Aluminium- und Stahlhersteller, auf ein gut funktionierendes Netz und günstige Strompreise angewiesen sind, dürfen nicht vergrault und zu Produktionsverlagerungen ins Ausland gezwungen werden.

 

Blackout nicht ausgeschlossen

Die deutsche Bevölkerung lebt offenbar in einem Dämmerzustand. In ihrer atavistischen Angst vor der Kernkraft ist sie damit zufrieden, dass die Hälfte der Kernkraftwerke vom Netz ist und der Rest bis 2022 folgen wird. Sie geht sorglos mit dem Umstand um, dass die Stromkapazitäten in Deutschland sehr knapp geworden sind, was auch die Bundesnetzagentur bestätigt. Im Dezember, der milde ausfiel, kam es nicht zu einem Blackout. Allerdings ist Deutschland nicht mehr so autark wie früher. Tennet, der größte Stromnetzbetreiber in Deutschland, musste im Dezember auf die Kapazitäten eines österreichischen Ölkraftwerks zurückgreifen. Die Lage war auch letztes Jahr dadurch entspannt, dass der Energiebedarf trotz eines starken Wirtschaftswachstums von 3 Prozent um etwa 5 Prozent zurückging, wie es die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen vermeldet. Trotz der Abschaltung von Atomkraftwerken sei der CO2-Ausstoß um 3 Prozent gesunken. Ohne die milden Temperaturen zu Jahresbeginn wären die CO2-Emissionen allerdings um einen Prozent gestiegen.

 

Großes Schweigen über fossile Kraftwerke

Die Bundesregierung gibt zu, dass in einer Übergangsphase, bis die erneuerbaren Energien die Kernkraft total ersetzt haben können, der Neubau von fossilen Kohle- und Gaskraftwerken erforderlich ist. Das bedeutet, dass der C02-Ausstoß steigen wird. Weil dies aber unpopulär ist, vertritt die Regierung Merkel diesen Standpunkt nicht offensiv. Der Steinkohlebergbau läuft in 2018 sowieso aus, aber die Braunkohle wird noch jahrzehntelang gefördert werden müssen. Der DGB Nordrhein-Westfalen hat eben die rot-grüne Landesregierung daran erinnert, dass der rheinische Braunkohle-Tagebau als Brückentechnologie unverzichtbar ist. Die Erneuerbaren wachsen schnell in die Lücke hinein, das muss man zugeben. Ihr Anteil an der Stromerzeugung stieg von 17 Prozent in 2010 auf 20 % in 2011; in 2000 hatte er nur 6 Prozent betragen. „Ausstiegsguru“ Klaus Töpfer hält es durchaus für möglich, dass die ehrgeizige Berliner Prognose eines Anteils von 35 Prozent in 2020 erreicht wird. Kann sein, muss aber nicht sein.

 

Ohne Stromautobahnen geht rein gar nichts

Der Ausbau der Erneuerbaren kann jedenfalls ohne den Zubau von Stromtrassen nicht gelingen. Die Herausforderung, den Offshore-Strom von Nord nach Süd zu transportieren, ist riesig. Auf die Windenergie wird es ankommen. Die Photovoltaik ist nur ein Subventionsprogramm für die eigenheimbesitzende Mittelschicht, die von der Allgemeinheit, also auch der Unterschicht, über die EEG-Vorlage mitfinanziert wird. In 2011 trug die Sonnenenergie nur zu 3 Prozent zur Stromerzeugung bei; sie heimste aber mehr als die Hälfte der Hilfen für die Erneuerbaren ein. Jürgen Großmann, der bärbeißige Vorsitzende von RWE, vergleicht den Solarausbau in Deutschland mit dem „Anbau von Ananas in Alaska“. Er beziffert die Kosten der Energiewende übrigens auf 300 Mrd. Euro. Neulich hat sich die Bundeskanzlerin in ihrem wöchentlichen Video-Podcast, den sich keiner anhört, auf geradezu rührende Weise für große Infrastrukturprojekte ausgesprochen. Da kennt sie ihre Untertanen aber schlecht. Vor kurzem zeigte das öffentlich-rechtliche Fernsehen Bürger, die sich dem Neubau von Hochspannungsleitungen widersetzen: sie nahmen Leuchtröhren mit, die in der Nähe der Trassen anfingen zu glühen. Das sah bei Nacht schön gruselig aus. Die Robin Hoods oder Robin Woods aus der Provinz werden den Politikern noch manche Knüppel zwischen die Beine werfen.

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