„Die Pandemie hat unsere Sicht auf das Bauen verändert und das Verständnis für die Notwendigkeit der Digitalisierung erhöht.“

Bauen in den Zeiten von Corona

Gespräch mit Mark Coates, International Director of Public Policy and Advocacy beim Software-Spezialisten Bentley Systems, über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Arbeitsweisen und Abläufe in der Bauindustrie, und über die digitale Ausrichtung der internationalen Konferenz “Year in Infrastructure”. 

THIS: Hallo, Herr Coates. Wie stark schätzen Sie die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Bauindustrie ein?

Mark Coates: COVID hat alle Branchen verändert, natürlich auch die Bauindustrie. Auf der einen Seite trennt es – in Menschen, deren Job es ihnen erlaubt, von daheim aus zu arbeiten, und in Menschen, die in den Lockdown mussten oder die sich etwa in Krankenhäusern einem höheren Risiko aussetzen mussten. Ich bin froh, dass durch die fortschreitenden Impfungen die Normalität zumindest ein kleines Stück weit zurückgekehrt ist.

Auf der anderen Seite hat die Pandemie aber auch Leute verbunden; statt zeitraubender Dienstreisen und persönlichen Meetings trifft man sich nun per MS Teams oder Zoom. Viele Leute haben auf diesem Weg Kontakt miteinander, die vorher vielleicht nicht in den gleichen Meetings gesessen haben. Vor der Kamera sind alle gleich.

Bei allen negativen Begleiterscheinungen hat Corona gezeigt, wie leistungsfähig und anpassungsfähig wir Menschen sind, und dass wir uns nicht unterkriegen lassen. Das halte ich für eine gute Sache.


THIS: Bentley Systems ist einer der weltgrößten Anbieter für Bau- und Konstruktionssoftware. Waren Sie auf Corona vorbereitet?

Mark Coates: Die Schnelligkeit und Heftigkeit der Pandemie hat alle überrascht. Aber ich kann sagen, dass Bentley Systems intern schon sehr modern aufgestellt ist. Die Umstellung vom Büro aufs Home Office erfolgte absolut problemlos. Unsere internen Abläufe waren dadurch nicht beeinträchtigt.


THIS: Wie hat sich die Pandemie auf Ihr Unternehmen ausgewirkt?

Mark Coates: Wir haben beschlossen, die Veranstaltung „Year in Infrastructure“ in diesem Jahr zur Sicherheit aller Beteiligten aufgrund der anhaltenden Pandemie virtuell abzuhalten. Die Qualität der fast 300 Nominierungen für die Verleihung der Going Digital Awards in Infrastructure zeigt, dass unsere Anwender auch weiterhin ihre Resilienz unter Beweis stellen. Wir freuen uns, die außergewöhnliche Arbeit unserer Anwender aus aller Welt zu würdigen. Wir hoffen, dass Sie an der virtuellen Veranstaltung „Year in Infrastructure“ teilgenommen haben, in der man wesentliche Einblicke und Perspektiven von wichtigen Führungskräften und Vordenkern der Branche erhält, die mit den Teilnehmern die neuesten Trends in der Infrastruktur, Nachhaltigkeitsziele und digitale Fortschritte teilen.


THIS: Hat der Kontakt zu Ihren Kunden während der Pandemie gelitten?

Mark Coates: Nein, überhaupt nicht. Ich habe online zu unseren Kunden intensiven Kontakt gehalten, und mit den meisten habe ich per Videochat häufiger gesprochen, als wenn ich sie sonst auf Messen und Veranstaltungen getroffen hätte. Das hat gelegentlich schon etwas Vertrautes, wenn man sich nicht im Büro, sondern im Wohnzimmer gegenübersitzt.


THIS: Gab es verstärkt Beschwerden über Probleme, wenn Kunden nicht aus der stabilen Büroumgebung arbeiten konnten?

Mark Coates: Was die Arbeit mit unserer Software angeht, habe ich keine Klagen vernommen, im Gegenteil.


THIS: Wie das?

Mark Coates: Unsere Software ist sehr stark auf vernetztes Arbeiten angelegt. Bei fast allen größeren Projekten arbeiten mehrere Unternehmen zusammen, und Vernetzung zwischen verschiedenen Beteiligten, auch zwischen unterschiedlichen Software-Komponenten, ist eine ausgesprochene Stärke unserer Produkte. Selbst wenn die Planer und Ingenieure nun daheimsitzen, haben sie über unsere Software immer noch den vollen Zugriff auf die Außenwelt, können Informationen austauschen, zusammenarbeiten, gemeinsam an Modellen arbeiten, Projekte planen, den Baufortschritt kontrollieren. Da ist viel Vertrauen gewachsen.

Wir haben ja nicht nur unsere auf MicroStation basierenden Konstruktionspakete für den Anlagen-, Straßen- oder Gleisbau etc., sondern mit ProjectWise oder Business Collaborator spezielle Software, um eine vernetzte Umgebung für die übergreifende Zusammenarbeit zu schaffen.


THIS: Kann man sagen, dass COVID-19 ein Treiber für Ihre Produkte ist?

Mark Coates: COVID-19 ist ein Treiber für die Digitalisierung der Bauindustrie. Bislang war klar, dass die Digitalisierung durchaus ihren Preis hat. Investitionen in digitale Tools und Software kosten Geld, neue Software erfordert Einarbeitung durch die Mitarbeiter etc. Das hat dazu geführt, dass einige Unternehmen versucht haben, einer Entwicklung auszuweichen, die unvermeidlich ist. Aber nun ist sehr deutlich geworden, welche Probleme die Digitalisierung lösen kann.


THIS: Welche sind das?

Mark Coates: Der Informationsaustausch zwischen Auftraggeber und Auftragnehmern oder zwischen unterschiedlichen Gewerken erreicht ein ganz anderes Niveau; jeder hat die gleichen Informationen, es geht zwischendurch nichts mehr verloren.

Auch will jeder Bauunternehmer – egal, bei welchem Projekt, ob groß oder klein – einen möglichst genauen Überblick über die Kosten. Es ist also im Interesse aller, bessere Wege zu finden, Abläufe und Prozesse zu ändern, um Projekte intelligenter abwickeln zu können. Ich sehe also eine Zukunft, in der wir anfangen, ein bisschen mutiger zu sein.


THIS: Welche Schlüsse können wir aus der Entwicklung ziehen?

Mark Coates: In jedem Fall hat Corona unsere Sicht auf das Bauen verändert und das Verständnis für die Notwendigkeit der Digitalisierung erhöht. Die Einsicht in Veränderung, die Akzeptanz von digitalen Prozessen war bei großen Bauunternehmen und Planungsbüros schon vorher vorhanden, jetzt ist sie auch bei kleineren Unternehmen enorm gestiegen.

Natürlich profitieren davon alle Software-Anbieter – nicht nur große, internationale Unternehmen wie Bentley Systems, sondern auch kleinere Entwickler, die spezielle, auf Kunden zugeschnittene Softwarelösungen oder Apps anbieten. Es profitieren aber auch Bauunternehmen, die mit zunehmender Digitalisierung nun effizientere Prozesse abwickeln können, die kostengünstiger sind, Arbeiten erleichtern, Ressourcen sparen. Es profitieren auch Auftraggeber von dieser beschleunigten Entwicklung. Sie erhalten als Folge digitalisierter Bauprozesse viel mehr Informationen über ihre Bauwerke, können diese besser betreiben, managen und instand halten.


THIS: Sie beschreiben nur die Vorteile durch COVID-19.

Mark Coates: Ich kann am Schlechten nichts ändern, also versuche ich, das Positive zu sehen. Bei allen negativen Begleiterscheinungen, bei allen Einschränkungen, bei allen Belastungen und allem Leid hat Corona uns gezeigt, wie leistungsfähig und anpassungsfähig wir Menschen sein können, und dass wir uns nicht unterkriegen lassen.

Ich bin überzeugt, dass Corona, der Umgang und die Bewältigung der Krise uns letztendlich stärken – menschlich, aber auch technisch.


THIS: Welche Erkenntnisse können wir aus der Pandemie ziehen?

Mark Coates: Dieser Prozess und diese Lernkurve dessen, was wir in den letzten 20 Monaten zu bewältigen hatten, hat uns nicht nur geholfen, die Digitalisierung voranzutreiben. Wir haben herausragende Ergebnisse erzielt. Wir haben den Mehrwert von Menschen gesehen, die von daheim aus arbeiten.


THIS: Sie sehen langfristige Veränderungen nicht nur bei der Projektarbeit, sondern allgemein für die Arbeitswelt?

Mark Coates: Oh ja, langfristig werden die Auswirkungen enorm sein. Wir haben Erfahrungen gemacht, gelernt. Diese Erfahrungen und Lernprozesse kann man nicht zurückdrehen, nicht rückgängig machen. Diese Prozesse werden sich weiterentwickeln.

Werden wir anders arbeiten? Definitiv. Aber wie werden wir anders arbeiten? Die neue Flexibilität betrifft ja nicht nur den Arbeitsplatz, sondern auch die Arbeitszeit. Nicht nur bei Ihnen in Deutschland, nicht nur bei uns in Großbritannien, sondern überall auf der Welt.

Die zunehmende Vernetzung unserer Arbeitswelt, die Loslösung von festen Arbeitsplätzen und Zeiten wird fortschreiten.


THIS: Und Bentley Systems ist schon da?

Mark Coates: Wie gesagt, unser Unternehmen und unsere Produkte sind schon seit langem auf diese Entwicklung eingestellt. Dass sie jetzt schneller erfolgt, war nicht abzusehen. Aber ja, wir sind schon da.


THIS: Bentley Systems richtet jedes Jahr die Konferenz „Year in Infrastructure“ aus, eine der weltweit größten Veranstaltungen zum Thema Digitales Bauen. Gibt es diese Veranstaltung auch dieses Jahr?

Mark Coates: Ja, Bentley hat die Veranstaltung „Year in Infrastructure“ und Going Digital Awards in Infrastructure 2021 am 1. und 2. Dezember virtuell durchgeführt. CEO Greg Bentley sowie Führungskräfte von Bentley, Siemens und AEC Advisors haben im Rahmen der Year in Infrastructure ihre neuesten Erkenntnisse geteilt.

Bei der Veranstaltung haben wir Fortschritte bei der Digitalisierung in den Bereichen Infrastruktur und Nachhaltigkeit gewürdigt, indem wir die Gewinner der Going Digital Awards in Infrastructure 2021 in den Mittelpunkt gestellt haben. Die Veranstaltung steht Branchenexperten und der allgemeinen Öffentlichkeit offen und ermöglicht Einblicke dazu, wie es den Menschen, die hinter den preisgekrönten Projekten stehen, gelungen ist, in den Bereichen Stadtentwicklung, Energie, Mobilität, Projektabwicklung und Wasserwirtschaft Großartiges zu leisten.


THIS: Seit jeher ist die Würdigung herausragender Projekte Ihrer Kunden aus aller Welt ein wichtiges Element des „Year in Infrastructure“. Hat die COVID 19-Pandemie Auswirkungen darauf?

Mark Coates: Unsere jährliche Preisverleihung würdigt die außergewöhnlichen Arbeiten der Anwender von Bentley-Software, mit denen die Planung, der Bau und der Betrieb zukunftsorientierter Infrastruktur weltweit vorangetrieben werden. In diesem Jahr haben sechzehn unabhängige Jury-Ausschüsse aus fast 300 Nominierungen, die von mehr als 230 Unternehmen aus 45 Ländern eingereicht wurden, 57 Finalisten in 19 Kategorien ausgewählt.


THIS: Wie und wo können Kunden, die bislang noch nicht die Gelegenheit hatten, die „Year in Infrastructure“-Konferenz zu besuchen, sich anmelden?

Mark Coates: Auch nach dem 1. Und 2. Dezember können sich Branchenexperten und die allgemeine Öffentlichkeit virtuell registrieren, um mehr über die aktuellen Erkenntnisse von Führungskräften zu erfahren und herauszufinden, wie die Menschen hinter den preisgekrönten Projekten in den Bereichen Stadtentwicklung, Energie, Mobilität, Projektabwicklung und Wasserwirtschaft erstaunliche Erfolge erzielen konnten. Besuchen Sie "Year in Infrastructure 2021", um sich zu registrieren und die einzelnen Veranstaltungen virtuell auch nachträglich als Watch-on-Demand zu verfolgen.

THIS: Herr Coates, vielen Dank für das Gespräch.
 

Mark Coates – International Director of Public Policy and Advocacy bei Bentley Systems

Mark Coates leitet das strategische Branchenengagement von Bentley Systems und hat die neuesten Branchentrends und deren Auswirkungen auf die erfolgreiche Durchführung von Projekten immer im Blick. Er ist ein ehemaliger Vermessungsingenieur mit einem umfassenden Hintergrund in der globalen Projektabwicklung. Er hat an zahlreichen Infrastrukturprojekten mitgewirkt und Eigentümer und deren Berater bei der Einführung von Technologien beraten, wobei er sich auf die Erzielung besserer Projektergebnisse unter Berücksichtigung von Zeit, Kosten und Qualität konzentrierte.


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