HEIDELBERGCEMENT

„Wir wollen Beton ständig nützlicher machen“

Interview mit Eckhard Bohlmann (Leiter Entwicklung und Anwendung), Raymund Böing (Leiter Betontechnologie/Transportbeton), und Siegfried Riffel (Projekt­manager Infrastruktur) der HeidelbergCement AG  

tHIS: Herr Bohlmann, unter Ihrer Leitung wurden der Spezialzement „ChronoCem IR“ und das Schnellreparatur-system „Chronocrete“ entwickelt. Wie lange haben die Entwicklungsarbeiten gedauert?

Eckhard Bohlmann: Alles in allem etwa zwei Jahre.

tHIS: Gab es einen konkreten Anstoß, einen besonderen Auslöser für diese Entwicklung?

Eckhard Bohlmann: Eigentlich nicht. Zum einen arbeiten wir ständig hart daran, unsere Produkte Zement und Beton noch nützlicher, noch vielseitiger einsetzbar zu machen. Zum anderen war klar, dass es einen steigenden Bedarf geben wird, aufgrund der ständig wachsenden Beanspruchung des Verkehrsnetzes, etwa durch höheres Verkehrsaufkommen, durch immer zahlreichere und schwerere LKW oder durch erhöhten Flugverkehr. Beton ist der ideale Baustoff, um diesen erhöhten Anforderungen für Verkehrsflächen gerecht zu werden. Üblicher Beton hat jedoch den Nachteil, dass bei Umbaumaßnahmen oder aber bei Sanierungen längere Sperrzeiten notwendig sind, bis die für die Verkehrsfreigabe notwendige Festigkeit erreicht wird.   Die Folgen sind erhebliche Verkehrsbehinderungen – verbunden mit vielen Baustellen und Staus. Es gibt unzählige Verkehrsflächen, die schnell wieder befahrbar, bzw. für die Nutzung verfügbar  sein müssen – Autobahnen, Straßenkreuzungen, Brücken, Schienenwege, Flugbetriebsflächen, aber auch Spezialanwendungen im Ingenieurbau.

tHIS: Mal wieder der Investitionsstau. Dann liefern Sie in der Regel an die öffentliche Hand?

Eckhard Bohlmann: Sie dürfen die privaten Kunden nicht außer acht lassen. Nehmen Sie beispielsweise ein Auslieferungszentrum für einen großen Discounter. Das können Sie nicht für eine Reparatur eine Woche lahm legen. Zeit ist Geld, nicht nur auf Baustellen. In all den genannten Fällen kann der Schnellbeton Chronocrete hier enorm viel Zeit sparen. Im Vergleich dazu spielen die etwas höheren Produktkosten keine nennenswerte Rolle. Darüber hinaus taugt Chronocrete auch hervorragend für die Herstellung von Betonfertigteilen. Die schnelle Aushärtung ermöglicht ein viel schnelleres Ausschalen, im Schichtbetrieb bis zu dreimal täglich. Wenn der Terminplan eng ist, lassen sich so mit der gleichen Anzahl von Schalungen in gleicher Zeit viel mehr Teile produzieren.

tHIS: Wo lagen die besonderen Schwierigkeiten bei der Entwicklung?

Eckhard Bohlmann: Im ersten Schritt war es die Entwicklung eines Zementes, der unter Beibehaltung der bekannten Vorteile zusätzlich die notwendige rasante Festigkeitsentwicklung des Betons ermöglicht. Das begann mit der Auswahl des Hauptrohstoffs, dem Kalkstein, der sich je nach Lagerstätte unterscheidet. Danach mussten wir erst einmal die genaue Zusammensetzung und den Produktionsprozess für ChronoCem austüfteln. Im nächsten Schritt haben wir dann ein auf den Zement abgestimmtes Hochleistungsfließmittel gesucht, das  die Konsistenzeinstellung und die notwendige Verarbeitbarkeit des Schnellbetons ermöglicht. Hier hat sich in umfangreichen Labortests ein Spezialprodukt von Sika als ideales Fließmittel für den Chronocrete  gezeigt.

tHIS: Es gibt verschiedene Versionen von Chronocrete, die unschiedlich lange Aushärt-Zeiten haben. Wieso das?

Siegfried Riffel: Nicht jeder Bauherr hat für seine geplante Instandsetzungsmaßnahme den gleichen zeitlichen und technischen Anspruch, so dass für den individuellen Bedarf flexibel einsetzbare Betone zur Verfügung stehen müssen. Beispielsweise  muss auf einem Flughafen eine Reparatur auf dem Rollfeld oder an den Verkehrswegen in kürzester Zeit erledigt sein. Nehmen Sie beispielsweise den Frankfurter Flughafen. Dort musste in einem engen Zeitfenster von 22 bis 6 Uhr ein Teilstück einer PKW- und Busspur erneuert werden. Ab 22:00 Uhr wurden die zu erneuernden Platten ausgebaut und die Unterlage gerichtet. Parallel dazu wurden noch die Dübel und Anker für die neuen Platten eingebaut. Von 24:00 bis 01:00 Uhr wurde betoniert.  Bereits um 5.20 Uhr war die für die Verkehrsfreigabe erforderliche Druckfestigkeit von 20 N/mm² erreicht, so dass planmäßig um 6:00 Uhr früh der erste Bus mit Passagieren über das reparierte Teilstück rollte.

Auf einem Werksgelände wiederum mögen die Ansprüche etwas geringer sein. Da hat man vielleicht ein ganzes Wochenende Zeit, um Instandsetzungsarbeiten durchzuführen. Dafür können dann individuell konzipierte Frühfeste Betone mit einer etwas langsameren Festigkeitsentwicklung aus unserem Chronocrete Q-Portfolio eingesetzt werden.

tHIS: Die schnellere Aushärtung erfordert ja auch eine schnellere Verarbeitung. Gab es da schon mal Probleme?

Eckhard Bohlmann: Nein. Das System ist erstaunlich robust und verarbeitungsfreundlich. Für die Herstellung und Verarbeitung unseres Schnellbetons mit ChronoCem IR haben wir detaillierte Leitfäden erstellt. Diese geben dem Betonhersteller im Transportbetonwerk und dem Verarbeiter auf der Baustelle wichtige Hinweise im Umgang mit dem Schnellbeton.

Natürlich ist die Verarbeitungszeit vor Ort kürzer und erfordert deshalb geschultes und qualifiziertes Einbaupersonal. Für einen schnellen, reibungslosen Einbau ist es beispielsweise wichtig,  für alle Geräte – insbesondere Rüttelflaschen, Rüttelbohle und ggf. Rotorglätter – Ersatzgeräte vorzuhalten.

tHIS: Ist ChronoCem IR bis auf die schnelle Aushärtung ein ganz normaler Zement?

Raymund Böing: ChronoCem IR ist ein Portlandzement nach DIN EN 197-1. Er unterliegt der werkseigenen Produktionskontrolle entsprechend den Konformitätskriterien der DIN EN 197-1 und wird durch den Verein Deutscher Zementwerke e.V. (VDZ) fremdüberwacht. Die Verwendung von Schnellbeton für die Reparatur und bauliche Erhaltung von Verkehrsflächen ist derzeit ja nur im „Merkblatt für die Bauliche Erhaltung von Verkehrsflächen aus Beton“ M BEB – Ausgabe 2009 geregelt. Dort wird nur zwischen einem werksgemischten Trockengemisch (Compound) und einem baustellengemischten Schnellbeton unterschieden. Künftig wird der Schnellbeton in den zurzeit in der Bearbeitung befindlichen Regelwerken ZTV BEB-StB und TL BEB-StB und TP BEB-StB neu geregelt, so dass auch andere Schnellbetonsysteme wie Chronocrete möglich sind.

Siegfried Riffel: Die wichtigsten Kriterien für die Verkehrsfreigabe nach dem M BEB sind Druck-und Biegezugfestigkeit des Betons in der Reparaturstelle. Schon wenige Stunden nach dem Einbau können am Schnellbeton die erforderlichen Fugenschnitte ausgeführt werden. Je nach Witterung und Nachbehandlung des Betons wird nach etwa 5 Stunden eine für die Verkehrsfreigabe erforderliche Druckfestigkeit von mindestens 20 N/mm² und eine Biegezugfestigkeit von 3 N/mm² erreicht, so dass die Verkehrsfläche wieder in Betrieb genommen werden kann. Nach einem Tag liegen wir bei über 70 N/mm². Chronocrete erfüllt alle Anforderungen und Vorgaben nach den technischen Regelwerken des Verkehrswegebaus. Aufgrund der hohen Endfestigkeit und Dichtheit  bietet  er sogar Vorteile in Bezug auf eine höhere Belastbarkeit und Dauerhaftigkeit. Chronocrete kann jederzeit als Transportbeton genauso problemlos hergestellt und eingesetzt werden wie ein ganz normaler Straßenbeton. Transportzeiten von 30 bis 45 Minuten sind in der Regel unproblematisch.

tHIS: Welche Entwicklungen können wir im Bereich Schnellbeton künftig noch erwarten?

Raymund Böing: Nachteil des Chronocrete  mit ChronoCem IR ist die relativ geringe Flexibilität bei den Ausgangsstoffen des Betons.  Aktuell arbeiten wir zusammen mit der BASF an der praktischen Erprobung von weiteren Chronocrete-Systemen, wie Chronocrete Q  für den Verkehrswegebau und Chronocrete X für den Hochbau. Beide Systeme werden bezüglich ihrer Festigkeitsentwicklung in verschiedenen Leistungsklassen angeboten. Unterscheidungskriterium ist der Zeitpunkt des Erreichens einer Druckfestigkeit von mindestens 20 N/mm². Die bisherigen Erprobungen verliefen äußerst erfolgreich. Die Verwendbarkeit regionaler Ausgangsstoffe erhöht die Schnelligkeit, mit der wir auf Anfragen reagieren können.

HeidelbergCement AG
www.heidelbergcement.de

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