Segen oder Fluch?

Betoninstandsetzung unter den Vorgaben des Denkmalschutzes

Immer mehr Betonbauwerke erhalten Denkmal-Status. Erhalt und Instandsetzung erfordern denkmalgerechte bauliche Maßnahmen. Voraussetzung sind detaillierte, auf den Einzelfall abgestimmte Bauwerksuntersuchungen.

Kaum ein Baustoff hat im vergangenen Jahrhundert die Architektur so stark beeinflusst wie Beton. Kein Wunder: Beton ist wirtschaftlich und Beton ermöglicht qualitativ hochwertige, ästhetisch ansprechende Konstruktionen. Alles ist möglich: Brücken, Büro- und Wohngebäude, Kirchen oder Industriehallen – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Während zunächst, wie etwa in der Berliner Colonie Victoriastadt - der weltweit ersten in Beton gegossenen Wohnsiedlung (ca. 1872) - versucht wurde, traditionelle Formen und Materialien zu imitieren, standen die Betonbauwerke späterer Jahre mehr und mehr unter funktionellen Gesichtspunkten. Der flächendeckende Bau von langweiligen Wohnhäusern und monotonen Wohnsiedlungen ohne Qualität und Anspruch, die sich bald auch zu sozialen Brennpunkten entwickeln, kratzen am Image. Neu entwickelte Ausdrucksformen wie der Sichtbeton werden zunächst – nicht zuletzt wegen des Alterungsverhaltens – als unästhetisch empfunden und prägen vor allem in den 60er Jahren den Stilbegriff des Brutalismus.

Betonbauen als Denkmal

Mittlerweile hat jedoch ein Umdenken eingesetzt: Ständige Weiterentwicklungen sowie die fast unendlichen Gestaltungs- und Ausdrucksmöglichkeiten und immer wieder neue innovative Anwendungsweisen machen Beton zu einem fast unentbehrlichen Material
für kreative, moderne Architekturen. Rückwirkend hat dies auch zu einer Neubewertung der frühen Betonbauwerke geführt. Immer mehr Betongebäude dieser Zeit werden wegen ihrer inzwischen erkannten Eigenschaften als schützenswert eingestuft und in den Rang eines Baudenkmals erhoben. Die Erhaltung dieser historisch bedeutsamen Betonbauwerke jedoch wirft neue Fragen auf. Wie ist die Betoninstandsetzung unter den Vorgaben des Denkmalschutzes zu leisten, ohne dass die ursprüngliche Konstruktion und Ausdruckskraft verloren gehen? Das Thema gewinnt an Brisanz, da entsprechende Gebäude in zunehmendem Maße zur Instandsetzung anstehen. Erst Ende des vergangenen Jahres hat die Landesgütegemeinschaft Betoninstandsetzung Berlin und Brandenburg dies zum Anlass einer Weiterbildungsveranstaltung genommen.

Umdenken bei der Instandsetzung

„Anfangs,“ erklärte Corinna Tell von der Unteren Denkmalschutzbehörde im Bezirksamt Neukölln in Berlin, „wurde Beton von den Architekten als altersfreies
Material eingesetzt. Die Entwürfe waren nicht darauf angelegt, Patina anzusetzen.“ Entsprechend steht bei der Instandsetzung die Herstellung der Integrität der Betonstruktur im Vordergrund, die oftmals mit massiven Eingriffen in die Bausubstanz verbunden ist.

Sowohl bei der Auswahl der Reparaturmaterialien als auch bei den Reparaturtechniken spielt der Erhalt der Oberflächenstruktur eines denkmalgeschützten Betonbauwerks zunächst nur eine untergeordnete Rolle. In der Regel werden Alterungsspuren beseitigt und entsprechend den Richtlinien des DAfStb großflächige, meist irreversible Beschichtungen aufgetragen. Das Ergebnis wird den Denkmälern nicht immer gerecht. Um das vom Architekten gewollte Erscheinungsbild trotzdem zu erhalten, werden häufig Brettmuster aufgedrückt, die den schalungsrauen Beton imitieren sollen.

Vor diesem Hintergrund wird etwa seit den 90er
Jahren aus dem Kreis der Denkmalpflege der Ruf nach einem sensibleren Umgang mit denkmalgeschützten Sichtbetonfassaden laut. Durch eine partielle Instandsetzung soll so wenig wie möglich in die Substanz eingegriffen und vorhandene Oberflächen so weit wie möglich erhalten werden.

Schadensbilder

Grundsätzlich unterscheiden sich die Schadensbilder bei denkmalgeschützten Betonbauwerken nicht von denen anderer Betonbauten: Witterungseinflüsse, Immissionen, Kiesnester oder poröse Oberflächen und mechanische Belastungen nagen hier wie dort an der Substanz. Abplatzungen, Risse oder korrodierende Bewehrungsstähle weisen auf eine deutliche Schädigung der Substanz mit langfristig tiefgreifenden Folgen hin, wenn nicht umgehend darauf reagiert wird. Hier wie dort gelten auch die gleichen Regelwerke (DAfStb Richtlinie und DIN EN 1504). „Sie sind das,“ betont Diplom-Ingenieur Dirk
Dalichow, Geschäftsführer der BARG Betontechnik und -instandsetzungs GmbH in Berlin, „woran wir uns grundsätzlich halten müssen, um ein mangelfreies Werk abzuliefern.“

Entsprechend unterscheidet sich eine denkmalgerechte Instandsetzung nicht von einer normalen Betoninstandsetzung. „Zunächst ermitteln wir den Ist-Zustand und legen den Soll-Zustand fest,“ beschreibt Dr.-Ing. Andrei Walther vom Ingenieurbüro BauConsulting.com, dessen Schwerpunkt die gutachterliche sowie planerische Begleitung von Bestands-Baumaßnahmen bei der Sanierung und der Instandsetzung ist, die Vorgehensweise. „Anhand des Soll-Ist-Vergleichs erstellen wir schließlich ein Instandsetzungskonzept mit anschließender Instandsetzungsplanung.“

Feststellung des Ist-Zustandes

Auch wenn im Denkmalschutz teilweise unkonventionelle Denkansätze gefragt sind, die eingesetzten Hilfsmittel zur Feststellung des Ist-Zustandes sind eher konventionell:

Rissbreitenmessung

Betondeckungsmessung

Betondruckfestigkeitsmessung

Messung des Feuchtegehaltes

Nivellement

Karbonatisierungsmessung

Prüfung des Untergrundes

Bohrmehlentnahme zur Chloridbestimmung

Recherche zum Bauwerk

Zur Ist-Zustandsermittlung wird außerdem detailliert zum Bauwerk recherchiert. Folgende Kriterien werden herangezogen:

Baujahr (Hinweise zu typischen Konstruktionen etc.)

bisherige Umbauten und Sanierungen

außergewöhnliche Einwirkungen (Krieg, Erdbeben etc.)

Nutzung bzw. geänderte Nutzung

Statisches System (Beurteilung der Standsicherheit einschl. der Tragfähigkeit bei der Sanierung)

„Oberstes Gebot bei der Ist-Zustand-Ermittlung,“ so Dr. Walther, „ist eine detaillierte Kartierung der Schäden, erst visuell vom Gelände, später vom Fassadengerüst aus.“ Hinzu kommen Baustoffprüfungen sowie Substanzuntersuchungen (Prüfung der Carbonatisierungstiefe, Prüfung der Wassereindringtiefe, zerstörungsfreie Prüfung der Betondeckung, Messung von Durchmesser/Restquerschnitt der Bewehrungsstähle). Zerstörende Substanzuntersuchungen wie eine Bohrkernentnahme müssen im Vorfeld mit der
Denkmalschutzbehörde abgestimmt werden.

Festlegung des Soll-Zustandes

Auf Basis des ermittelten Ist-Zustandes wird anschließend im Dialog zwischen Bauherrn, Planer und dem Denkmalamt und auf Basis der einschlägigen Regelwerke (DAfStb Richtlinie und DIN EN 1504) der Soll-Zustand festgelegt. Dabei erfolgt die Unterscheidung, ob eine auf lokale Schäden konzentrierte – also substanzschonende - Instandsetzung durchgeführt werden soll, oder ob eine großflächige Maßnahme angesagt ist. Dies erfolgt unter Berücksichtigung der Art und Dauer der Nutzung sowie der Beachtung der finanziellen Gegebenheiten. Es ist oftmals eine Gratwanderung, weil technische Erfordernisse und die Anforderungen der Denkmalpflege in Einklang gebracht werden müssen.

Sichtbare Restaurierung?

Speziell bei der Restaurierung von Abplatzungen und Ausbrüchen an Betonwerkstein-Bauteilen sei, so Dr. Walther, mit der Denkmalschutzbehörde zu klären, ob nach der Charta von Venedig, Art.12 (1964) verfahren werden soll. Darin heißt es: „Die Elemente, welche dazu bestimmt sind, fehlende Teile zu ersetzen, müssen sich dem Ganzen harmonisch eingliedern, aber dennoch vom Originalbestand unterscheidbar sein, damit die Restaurierung den Wert des Denkmals als Kunst- und Geschichtsdokument nicht verfälscht.“

Dabei, so Dr. Walther, gelte es zu diskutieren, ob diese Forderung durch den Einsatz von Original-Baustoffen erfüllt werden soll. „In der Regel aber hat sich die Baustoffkunde weiterentwickelt, so dass zu überlegen ist, ob eine Reprofilierung von Schadstellen nicht besser mit speziell auf das Bauwerk abgestimmten modernen Instandsetzungsmörteln oder Betonen, die sich in Farbe und Struktur optisch an den Bestand angleichen, ausgeführt wird.“

Dies Auffassung wird durch die Charta von Athen (1931), Artikel 4, gestützt: „Die Experten hörten über die Verwendung moderner Werkstoffe zur Konsolidierung antiker Denkmäler. Sie billigten die vorsichtige Verwendung all dieser der modernen Technik zur Verfügung stehenden Mittel, insbesondere, die von Stahlbeton. Sie erklärten im Einzelnen, dass diese Konsolidierungen, so weit möglich, verdeckt vorgenommen werden sollten, so dass das
äußere Erscheinungsbild und der Charakter des restaurierten Denkmals erhalten bleiben.“ Man müsse eben jeweils den richtigen Weg finden, sagt Corinna Tell dazu. Die Betonsanierung in der Denkmalpflege ist eine Einzelfallentscheidung.

Instandsetzung RIAS-Gebäude, Berlin

Im Idealfall werden zur Vermeidung fortschreitender Schädigungen zusätzliche Schutzmaßnahmen vereinbart. Dr. Walther lobte hier die Instandsetzung der Fassade des RIAS-Gebäudes in Berlin, die durch das Ingenieurbüro für Bauwesen, Dipl.-Ing. Hartmut Heintz, Sachverständiger für Schäden an Gebäuden geplant und auch überwacht wurde, wo Schäden an den Betonwerksteinen der Fensterrahmen behoben wurden.

„Hier wurden die Aufsichtsflächen der Fenster-Sohlbänke und Gesimse zusätzlich mit einer rissüberbrückenden Beschichtung ausgestattet. An den Unterkanten der Fensterstürze wurden nach Absprache mit der Denkmalbehörde Tropfkanten angebracht, die im Originalzustand nicht vorhanden waren.“ Diplom-Ingenieur Dirk Dalichow, der als Geschäftsführer der BARG Betontechnik und -instandsetzungs GmbH für die regelkonforme Durchführung der Maßnahme verantwortlich war, bestätigt: „Eine rundherum befriedigende Instandsetzung, was aus unserer Sicht als ausführendes Unternehmen im Bereich Denkmalschutz leider nicht
immer der Fall ist.“

Einzelfall-Lösungen

Normalerweise, so Dalichow, sei die Vielzahl der Beteiligten mit jeweils unterschiedlichen, teilweise auch entgegengesetzten Interessen bei der Instandsetzung von denkmalgeschützten Betonbauwerken problematisch. „Den Bauherren, die eine dauerhafte Instandsetzung erwarten und unserer Verpflichtung, ein mangelfreies Werk abzuliefern, steht der Denkmalschutz mit seinem Interesse gegenüber, den alten Zustand möglichst unverändert wiederherzustellen.“

Nicht immer sei es daher möglich, eine denkmalgerechte
Instandsetzung nach den Regeln der Technik durchzuführen. „Die anerkannten Regelwerke werden den Denkmälern nicht immer gerecht. Bestandsschutz und Einzelfalllösungen können technische Bestimmungen aushebeln,“ bestätigt Corinna Tell. Dr. Andrei Walther geht sogar noch einen Schritt darüber hinaus: „Der Sachkundige Planer kann bzw. sollte unter gewissen Voraussetzungen von den Regelwerken abweichen.“ Dies sei, so Dalichow, jedoch ein hohes juristisches Problem für die ausführenden Unternehmen. „Die Abweichungen müssen daher unbedingt kommuniziert und dem Bauherrn ausführlich erläutert werden. Der Bauherr muss in jedem Fall schriftlich zustimmen.“

Die Entscheidung über die Art der Instandsetzung und die Abwägung der Frage, ob eine auf lokale Schäden konzentrierte Instandsetzung ausgeführt werden kann, oder ob eine konventionelle, großflächige und ggf. irreversible Maßnahme nötig ist, also die Beurteilung des Einzelfalls, ist grundsätzlich Aufgabe eines hierfür qualifizierten Architekten oder Bauingenieurs. Entsprechend qualifizierte sachkundige Architekten und Bauingenieure können bei der Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken abgefragt werden.

Fazit

Bei Erhalt und Instandsetzung denkmalgeschützter Betonbauwerke hat sich mittlerweile die Forderung der Denkmalpflege nach einem sensiblen Umgang mit der historischen Substanz durchgesetzt. Um das architektonische und optische Erscheinungsbild der Oberflächen möglichst zu erhalten, werden Eingriffe in die Bausubstanz so minimal wie möglich ausgeführt. Dabei muss jedes Objekt gesondert betrachtet und über die Art der Instandsetzung jeweils im Einzelfall entschieden werden.

Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken e. V.
www.betonerhaltung.com

Typische Schadensbilder:
Kirche in Lahntal / Sarnau

Denkmalgeschützte Kirche in Lahntal / Sarnau bei Marburg aus den 60er Jahren: Die poröse Oberflächenstruktur vor der Instandsetzung weist auf Verarbeitungsfehler hin. Um das vom Architekten gewollte Erscheinungsbild zu erhalten, wurden Brettmuster aufgedrückt, die nach der Instandsetzung den schalungsrauen Beton imitieren sollen.

Instandsetzung des Stadtbad Reydt


Beispiel für einen ungewöhnlichen Denkansatz: „Jedes Objekt ist gesondert zu betrachten,“ sagt Fachmann Dr.-Ing. Andrei Walther, der die Maßnahme geplant und überwacht hat. „Wie etwas instandgesetzt wird, ist immer auch eine Einzelfallentscheidung. Es gibt kein Patentrezept.“

Instandsetzung RIAS-Gebäude

Das Rias-Gebäude in Berlin gilt als Beispiel einer rundherum gelungenen Instandsetzung. Die Aufsichtsflächen der Fenster-Sohlbänke und Gesimse wurden zusätzlich mit einer rissüberbrückenden Beschichtung ausgestattet. An den Unterkanten der Fensterstürze wurden nach Absprache mit der Denkmalbehörde Tropfkanten angebracht, die im Originalzustand nicht vorhanden waren.

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