Schlauchlining erreicht das Parlament

9. Deutscher Schlauchlinertag 2011 findet im alten Plenarsaal in Bonn statt

Angesichts der Tatsache, dass der 9. Deutsche Schlauchlinertag, den die Technische Akademie Hannover am 5. April 2011 ausrichtet, diesmal im alten Bonner Bundestag stattfindet, kann man sicherlich sagen, dass die Schlauchlining-Technologie nach 40 Einsatzjahren und stetiger Weiterentwicklung zumindest geografisch das Parlament erreicht hat. Die bislang realisierte Präsenz der Schlauchlining-Technologie auf dem Kanalsanierungsmarkt darf ohne Einschränkung als großer Erfolg gewertet werden. Gänzlich ausgereizt, darüber sind sich Macher und Sponsoren des Deutschen Schlauchlinertages 2011 einig, sind die grundsätzlichen Möglichkeiten dieser Technologie aber in der Praxis noch nicht.

Aktuelle Rahmendaten der Kanalsanierung Kanalsanierung, so der Tenor der im Dezember 2010 vorgelegten Resultate der DWA-Umfrage 2009 zum Zustand der Kanalisationsnetze, bleibt eine Daueraufgabe für die Betreiber kommunaler Abwassersysteme; als Herausforderung für die 15 Millionen deutschen Grundstücksbesitzer und ihre Abwasserleitungen steht sie derzeit erst „in den Startlöchern“.

Von den 540 700 km öffentlicher Abwasserleitungen, die zusammen einen Wiederbeschaffungswert von 687 Milliarden Euro darstellen, waren 2009 rund 17 % sofort- bis kurzfristig sanierungsbedürftig: ein technisches, organisatorisches und wirtschaftliches Problem von 93 500 km Länge, das die Kommunen in einer Zeit historischer Rekordverschuldung trifft. Das spielt zwar formal keine Rolle, da sich die Sanierungsinvestitionen über Abwassergebühren jenseits der allgemeinen Haushalte refinanzieren. Jedoch sind in diesen Zeiten auch die Bürger nicht uferlos mit Abgaben und Gebühren belastbar.

Die Maximale Wirtschaftlichkeit bei der Erledigung aller Aufgaben des Abwasserbetriebes wird also zukünftig landauf, landab für sehr lange Zeit die zentrale Devise bleiben. Noch erschwerend hinzu kommt, dass vielerorts mittelfristig der Einstieg in den Ausstieg aus der Mischentwässerung ansteht; allen Neubauten in Sachen Mischkanalisation hat die Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes im vergangenen Jahre erst einmal deutlich einen Riegel vorgeschoben.

Abwassernetze in der „Transformationsphase“

Auch wenn die Umstellung auf Trennsysteme sich noch Jahrzehnte hin ziehen wird, muss dieser Schritt schon heute konzeptionell vorbereitet werden – etwa, indem man sich fragen muss, wie heutige Sanierungsentscheidungen unter dem Aspekt einer langfristigen Systemumstellung zu beurteilen sind. Zusätzliche Ungewissheit bringt die demografische Entwicklung mit sich. Dramatische Bevölkerungsverluste sind in den kommenden Jahrzehnten für viele Regionen und Kommunen absehbar. Hier kann man Abwassernetze zum heutigen Zeitpunkt  gar nicht „richtig“ dimensionieren und planen.

In der Entwicklung der Abwasser-Infrastruktur muss man sich unter diesen Umständen ein Höchstmaß an Flexibilität erhalten. Man wird ganz bewusst in der Einsicht handeln und planen müssen, dass heutige Investitionen nur einen intermediären Zustand herstellen und eher als eine Brücke in eine langfristig ganz andere Zukunft zu verstehen sind. Quasi für die Ewigkeit zu bauen, ist in einer solchen Transformationsphase erkennbar unsinnig, häufigwerden aktuelle Planungen und Bauten wahrscheinlich schon innerhalb der üblichen Abschreibungszeiträume ad absurdum geführt werden.

Sanieren, um Zeit zu gewinnen?

Eine durchaus nahe liegende Schlussfolgerung wäre, dass man vorhandene, schadhafte Systeme bevorzugt repariert und renoviert, und damit ihre Restnutzungsdauer so weit streckt, bis der optimale Zeitpunkt für einen grundsätzlichen Umbau erreicht ist oder ein Umbau gesetzlich erzwungen wird. Dabei können grabenlose Reparatur- und Renovationstechniken eine Schlüsselrolle spielen. Dass das Konzept „Sanieren, um  Zeit zu gewinnen“ keine reine Theorie, sondern schon die Praxis ist, zeigen die Resultate der DWA-Umfrage 2009 gleichfalls. Der Anteil der offenen Erneuerung an den Sanierungsmaßnahmen ist mit 35,6 % so gering wie nie zuvor; sie verloren gegenüber der Umfrage 2004 immerhin 4,5 %. Die Relining-Verfahren, zu denen an vorderster Front das Schlauchlining gehört, lagen 2009 bei 17,9 % Anteil – ein Minus von 3,5 % gegenüber 2004. Großer Gewinner der letzten fünf Jahre sind offensichtlich die Reparaturverfahren mit einem Plus von 11,2 % auf nunmehr 36,2 % Anteil an allen Sanierungsmaßnahmen.

In langfristiger Betrachtung aber sind die Reliningverfahren einschließlich Schlauchlining die eigentliche Erfolgstechnologie, da sie von einem 2,5 %-Anteil am Sanierungsmarkt im Jahre 1990 auf das heutige hohe Niveau gestartet sind, während die offene Erneuerung zu dieser Zeit noch bei 62,5 % lag und inzwischen auf fast die Hälfte abgestürzt ist. Die Reparaturverfahren wiederum lagen 1990 auch schon bei rund 30 %, so dass ihr heutiger hoher Marktanteil keine wirklich dramatische Verbesserung darstellt. Noch deutlicher wird der Trend, wenn man geplante Investitionen der befragten Städte und Gemeinden für den Zeitraum von 2009 bis 2013 in den Vergleich einbezieht. Hier planen die befragten Kommunen beim Relining eine Steigerung um 38,3 % gegenüber dem zurückliegenden Fünfjahres-Zeitraum- das sind jährlich ca. 112 Kilometer Kanäle, die zum großen Teil durch Schlauchlining renoviert werden. Die Meterkosten, so wird seitens der Kommunen erwartet, werden dabei um 7 % steigen. Die Erneuerung wird dagegen bis 2013 um weitere 36,5 % gegenüber der Vorperiode zurückgehen, bei einer gleichzeitigen Steigerung der Meterkosten um 12 %. Reparaturen werden um 60 % zunehmen, wobei hier die spezifischen Kosten um 9,2 % fallen.

Schlauchliner-Nutzungsdauer entspricht realistischem Planungshorizont

Diese Zahlen lassen zweifellos den Schluss zu, dass die strategischen Entscheidungen der Netzbetreiber in den kommenden Jahren zum einen auf die jeweils aktuelle Kostenentwicklung zurück zu führen sind, zum anderen auf eine Reduzierung des Planungshorizonts: Gute Voraussetzungen für eine ungebrochene Fortsetzung der Erfolgskarriere des Schlauchlining in den kommenden Jahren. Denn wenn man diese beiden Aspekte miteinander kombiniert, wird eine Entscheidung „Pro Schlauchlining“ immer öfter beinahe zwingend fallen: Warum soll man hohe Kosten für 80 Jahre Nutzungsdauer in Kauf nehmen, wenn eine nachvollziehbare Sichtweite der Planung ohnehin bei einem Zeithorizont von 30 oder 40 Jahren endet? Unter solchen Umständen versprechen die aktuellen Mehrkosten des offenen Neubaus langfristig keine wirkliche Rendite mehr. Dazu passender Weise schätzen die befragten Kommunen die Nutzungsdauer von Schlauchlinern heute mit 46 Jahren ein, was recht gut mit den Nutzungsdauern korrespondiert, die auch Fachverbände wie GSTT oder RSV für das Schlauchlining ansetzen. 50 Jahre gelten in der Fachwelt inzwischen als realistischer Nutzungsdauer-Sollwert für jeden Liner, der ohne Fehler installiert wurde. Praktisch kein anderes Sanierungsverfahren in Deutschland stützt sich auf ein so dichtes Netz von Qualität sichernden Regelwerken und Prozeduren. Die Anstrengungen, die man in den letzten Jahren dafür unternommen hat – unter anderem auf den zurück liegenden acht Deutschen Schlauchlinertagen – tragen spürbar Früchte.

Qualitätsprodukt mit höchster Anwendungsbreite

Längst ist der Schlauchliner nicht nur ein untadeliges Qualitätsprodukt, sondern wird zudem auf hohem Niveau in einer verfahrens- und werkstofftechnischen Bandbreite angeboten, die praktisch keine Wünsche der Sanierungspraxis offen lässt. Hinzu kommen die nicht oder nur indirekt ökonomischen Vorzüge dieser „grabenlos-Technologie ´“ par excellence. Ganz vorne weg die beispiellos hohe Baugeschwindigkeit und die minimierten Eingriffe in den Straßenverkehr, die durch Schlauchlining hervor gerufen werden. Nur wenige Schlauchlining-Maßnahmen dauern länger als einen Arbeitstag und selbst an diesem Tag müssen so gut wie nie Straßen gesperrt werden. Dies freut nicht nur den ADAC, sondern auch den Umweltschutz, denn Schlauchlining ist nicht zuletzt deswegen eine extrem CO2-arme Technologie. Der Schadstoffausstoß Monate langer, offener Kanalbaustellen aufgrund der entstehenden Verkehrsbehinderungen ist gar nicht hoch genug ein zu schätzen: ein Posten, der beim Schlauchlining schlicht “unter den Tisch“ fällt. Auch der Bauvorgang selbst ist bei der Sanierung mit Schlauchlining praktisch CO2-frei. Ökologisch auf der Habenseite des Schlauchlining steht auch der Verzicht auf Maßnahmen der Grundwasserabsenkung, die im offenen Leitungsgrabenbau an der Tagesordnung sind. Sie stellen nicht nur einen Eingriff in den Wasserhaushalt dar, sondern schlagen auch kostenseitig massiv zu Buche.

Sind Reparaturverfahren die„eigentliche“ Konkurrenz?

Zieht man aus den aktuellen Entwicklungen ein Fazit aus der Perspektive der Schlauchlining-Industrie, so sind zwei Dinge zu konstatieren: Die beobachtbare, nunmehr seit zwei Jahrzehnten – auch ohne Wahrnehmung und Unterstützung seitens der Politik – anhaltende Verlagerung von Sanierungsmarktanteilen vom Neubau zur Renovation ist natürlich höchst erfreulich. Die Herausforderung der kommenden Jahre könnte aber darin liegen, dass man in dieser Frage nicht von den partiellen Reparaturverfahren „rechts überholt“ wird. Wenn Potential, das die Erneuerung verliert, an der Renovation vorbei gleich in den Reparaturbereich durchgereicht wird, ist dies zwar ein Erfolg für grabenlose Technologie im Allgemeinen, gleichwohl aber nicht im Sinne des Schlauchlining im Besonderen.Sich hier abzugrenzen und zu positiv zu positionieren, ist eine Zukunftsaufgabe der Branche. All solche Aspekte finden Eingang in die komplexen Planungsüberlegungen großer und kleiner Kommunen in Deutschland im Umgang mit ihren Abwassersystemen und Ihren Gebührenzahlern. Wie dies genau geschieht, welche Entscheidungen in der Praxis tatsächlich getroffen werden und welche Erfahrungen bislang gemacht werden, das macht einen Großteil der Vorträge und Diskussionsrunden auf dem 9. Deutschen Schlauchlinertag in Bonn am 5.April 2011 aus. Neben viel Konzeptionellem gibt es im Foyer des ehemaligen Plenarsaals natürlich auch in diesem Jahr „Technologie satt“, denn natürlich werden auch 2011 alle namhaften Schlauchlining-Systemanbieter und -anwender präsent sein – etliche davon in ihrer seit Jahren tragenden Rolle als Sponsoren dieser unverzichtbaren Fachveranstaltung.n

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