Sanierungs-Pilotprojekt: 130 Jahre altes Bauwerk

Innovatives Wickelrohrverfahren saniert Eiprofil in Münchener Altstadt

Der Mischwassersammler Thierschstraße im Münchener Altstadtbezirk Lehel gehört zu den größten und ältesten Abwasserkanälen der Bayerischen Landeshauptstadt. Nun wurde das 1880 gebaute Mauerwerk-Eiprofil zum Schauplatz eines Piloteinsatzes in Sachen Kanalsanierung: Experten der KMG LinerTec GmbH, Glebitzsch, renovierten den von Alterung gezeichneten Kanal per Wickelrohr-Lining mit dem in Japan entwickelten SPR Verfahren. Das erfolgreiche, in mancherlei Hinsicht innovative Projekt fand inzwischen auch Anerkennung von höherer Warte: Am 8.Dezember 2010 wurde es in Dortmund mit dem GSTT Award 2010 ausgezeichnet.

Nur einen Steinwurf von der Isar entfernt, führt die Thierschstraße durchs Lehel, einen Altstadtbezirk von München. Sie  ist nicht nur eine der Hauptadern des Autoverkehrs in der Kernstadt; hier entlang führt auch eine Straßenbahntrasse, die von zwei  Linien genutzt wird. Und auch unterirdisch ist – buchstäblich – einiges im Fluss. Seit ca. 1880 leitet ein gemauertes Eiprofil 1000/1500 einen großen Teil der Altstadtabwässer und -niederschläge ab. Außerdem fließen wichtige Datenströme der Münchener City durch ein Glasfaserkabel, das vor einigen Jahren in diesem Bauwerk installiert wurde.

Der Sammler Thierschstraße gehört zum historischen Ur-Bestand der Münchener Stadtentwässerung, die heute ein 2350 km langes Netz betreibt (darunter über 50 % begehbare Kanalbauwerke!). 130 Jahre Dauerbetrieb haben Spuren in dem Mauerwerk hinterlassen und es zu einem prioritären Sanierungsfall gemacht. Dessen Lösung ist allerdings angesichts der sensiblen, vor allem hoch verkehrsbelasteten Örtlichkeit, mit erheblichen Problemen verbunden. Eine offene Erneuerung war ausgeschlossen, da sie einen Aufbruch des kompletten unterirdischen Profils der Straße erfordert hätte. Also wurde seitens der Münchener Stadtentwässerung nach grabenlosen Sanierungslösungen gesucht. Das Ziel: Eine auf Jahrzehnte nachhaltige Sanierungswirkung bei minimalen Erdarbeiten und Verkehrsbehinderungen im Zuge des Bauprozesses. Nach Abwägung diverser technischer Alternativen entschied man sich schließlich für eine hoch innovative Verfahrenstechnik aus Japan, die dort schon manchen spektakulären Erfolg verbuchen konnte.

Wickelrohrverfahren vom Weltmarktführer

Das in der Thierschstraße im Herbst 2010 eingesetzte SPR System gehört zur Technologiefamilie der Wickelrohr-Sanierungsverfahren. Der japanische Sekisui-Konzern, der das SPR Verfahren in seinen Labors in Kyoto entwickelt hat, ist unumstrittener Weltmarktführer im Bereich der Wickelrohrtechnologie, seit Sekisui das australische Unternehmen Rib Loc samt dessen Wickelrohrverfahren im Jahre 2008 übernommen hat. SPR ist ein Verfahren zur Sanierung groß dimensionierter Abwasserbauwerke; das System besteht einerseits aus einem in situ hergestellten Wickelrohr aus stahlverstärktem PVC-Profilband und andererseits aus einer statisch tragfähigen Ringraumverfüllung zwischen Wickelrohr und Altkanal. Während die meisten herkömmlichen Wickelrohrsysteme bislang das Reliningrohr vom Schachtbauwerk aus in den Kanal hinein wickelten, basiert SPR dem gegenüber auf einer verfahrenstechnischen Innovation: Hier wandert die Wickelmaschine selbst kontinuierlich durch den Kanal und hinterlässt dabei das fertig gewickelte Rohr. Das hat einen  gravierenden Vorteil, der den Einsatzbereich des Verfahrens entscheidend erweitert. Beim „klassischen“ Vorauswickeln des Rohres von einer stationären Maschine aus ist eine Rotationsbewegung des Neurohrs im Bauwerk systembedingt unvermeidlich. Somit lassen sich mit dieser Technik nur Kreisprofile wickeln. Nun besteht aber der Bestand an begehbaren Kanälen zu einem erheblichen Teil aus Sonderprofilen aller Art, beginnend bei Eiprofilen wie unter der Thierschstraße über Maul- und Drachenprofile bis hin zu Kastenprofilen. Der Kreis ist im Großprofil förmlich die seltene Ausnahme; in den historischen Mauerwerksnetzen kommt der Kreisquerschnitt praktisch nie vor.

Rohrwickeln mit wandernder Maschine

Mit der wandernden Maschine des SPRTM Verfahrens lässt sich dieses Problem überwinden: Es wird jeweils ein Wickelrahmen gefertigt, der – mit einem definierten Untermaß – den Proportionen des jeweiligen Sonderprofils entspricht. Dieser Rahmen wird als zentrales Element der Wickelmaschine über den Schacht abgelassen und im Kanal montiert. Auf dem gleichen Wege führt man der Wickelmaschine den PVC-Stahl-Profilstreifen zu, der von
ihr zu einem Rohrprofil mit den Abmessungen des Wickelrahmens verarbeitet wird. Ein Nut-und-Feder-System sorgt dafür, dass sich der Endlos-Profilstreifen mit sich selbst kraftschlüssig zum Rohr verbindet. Während das Stahl-verstärkte PVC-Rohr Dauerbeständigkeit gegen das Abwasser gewährleistet, ist sie nicht das im statischen Sinne tragende Element.Die rechnerisch nachzuweisende Statik des neuen Kanals wird maßgeblich durch die Verfüllung des Ringraumes mit einem speziellen Flüssigbeton sicher gestellt. Deshalb kommt bei der Bemessung des SPRTM Systems einem klar definierten Mindest-Ringraum zwischen Bauwerkswand und SPRTM Liner eine entscheidende Bedeutung zu. Es geht hier also keineswegs darum, möglichst „close fit“ zu wickeln. Im Gegenteil: Ein ausgeklügeltes System von im Kanal installierten Aussteifungsrahmen und -balken sorgt dafür, dass der anwachsende Liner auf ganzer Länge exakt mit den notwendigen Wandabständen im Kanal zentriert wird. In das vorhandene Eiprofil 1000/1500 wurde gemäß den statischen Vorgaben ein SPR Wickelrohr mit den Massen 900/1365 eingebaut.

Die insgesamt 153 m lange Sanierungsstrecke zwischen dem Mariannenplatz und der Einmündung in die Maximilianstraße wurde dazu in vier Abschnitte zwischen 22,5 und 45,2 m Länge aufgeteilt, von denen einer zudem einen Bogen enthielt. Für diese Strecke wurden ab dem 05.10.2010 insgesamt 6865 laufende Meter Profilstreifen verarbeitet, die auf Trommeln oberirdisch gelagert und über den Startschacht und durch das anwachsende Wickelrohr der Wickelmaschine zugeführt wurden. War eine Trommel aufgebraucht, wurde die Verbindung zum nächsten Profilstreifen durch kraftschlüssiges Verschweißen in einer mobilen Heizelement-Stumpfschweiss-Anlage hergestellt; dazu wurde im Bereich der Schweißverbindung die Stahlarmierung aus dem Profil entfernt. So kann die kontinuierliche Verarbeitung eines durchgehenden Profilstreifens sicher gestellt werden. Die reine Wickelgeschwindigkeit betrug bei diesem Profil rund 300 Profilmeter pro Stunde.

Ringraum-Verfüllung

Zu den anspruchsvollsten  Arbeitsschritten des SPR Lining gehört neben dem Einbau des Liners selbst die Verfüllung des Ringraums mit dem Flüssigbeton. Eine definierte und zugleich homogene Qualität des Flüssigbetons in Hinsicht auf seine Fließfähigkeit, sein Härtungsverhalten und seine Endhärte ist Voraussetzung des erfolgreichen statischen Nachweises für das Gesamtsystem. Nach Abschluss des Wickelvorgangs wird der Ringraum zwischen Altrohr und Liner sowohl im Bereich der Schachteinbindungen als auch an den Anschlüssen abgedichtet; so schafft man die Voraussetzung für die hohlraum- und verlustfreie  Verfüllung mit dem hoch fließfähigen Material.

Vorbereitende Arbeiten

Vor Beginn des eigentlichen Wickelrohreinbaus waren unter der Thierschstraße umfangreiche Vorarbeiten erforderlich. So sorgten Abmauerungen in den jeweils vorgelagerten Schachtbauwerken dafür, dass die Sanierungsabschnitte durch Abschiebern und Umleitung in einen anderen Netzabschnitt nahezu  trocken gelegt werden konnten. Grundsätzlich kann das SPR Verfahren zwar unter Trockenwetterabfluss im laufenden Kanalbetrieb eingesetzt werden. Bei starken Niederschlägen muss der Kanal allerdings verlassen werden, nachdem man die Wickelmaschine mechanisch gegen Abschwemmen gesichert hat. Ein spezielles Problem stellten im Sammler Thierschstraße die massiven Grundwassereinbrüche dar, bedingt durch die Lage des Bauwerks im Grundwasserhorizont der Isar. Zuerst mussten die dadurch im Laufe der Jahrzehnte entstandenen Sinterablagerungen bis auf den Mauerwerkskern entfernt werden, um das tatsächliche Profil frei zu legen. Anschließend wurde mit Injektionsverfahren daran gearbeitet, den Grundwasserzufluss auf ein verträgliches Maß zu reduzieren. Ein mühseliges und Zeit raubendes Unterfangen, denn wenn zwei undichte Stellen erfolgreich abgedichtet waren, trat häufig an dritter Stelle eine neue Leckage in Erscheinung. Zusätzlich zu diesen Vorarbeiten waren noch zwei an der Kanalwand befestigte Datenkabel umzulegen und unmittelbar im Scheitelpunkt des Bauwerks neu zu befestigen. Außerdem mussten einragende Hindernisse so weit abgefräst werden, dass sie dem Wickelrohr nicht im Wege standen. Die Vorflut der angeschlossenen Grundstücke wurde derart gewährleistet, dass man den Liner an den zuvor exakt eingemessenen Anschlusspunkten während der Installation sofort auffräste und die Anschlüsse durch ein eingeschobenes PVC-Rohr in den Liner einführte.

Nacharbeiten

Im Zuge der Thierschstraße münden auf 153 m Sanierungsstrecke 22 Zuläufe ein. Diese mussten nach dem Relining fachgerecht an den neuen Kanal angebunden werden. Das geschah durch Einbau eines Glasfaser-Gewebehütchens, das jeweils bis über die erste Muffe im Anschluss reichte und auf dem PVC-Liner mit einem PVC-U-Kleber befestigt wurde. Mittels einer eingeklebten Glasfasermatte wurden auch die Einbindungen des Wickelrohr-Liners in die Schachtbauwerke sowie an die Belüftungsöffnungen im Scheitel des Bauwerks hergestellt.

Mit dem erfolgreichen Abschluss dieses Projektes, das während der Bauphase von vielen europäischen Abwasserexperten besucht wurde, hat KMG LinerTec unter Beweis gestellt, dass es mit SPR über eine hoch attraktive Alternative zu etablierten Kanal-Renovierungsverfahren verfügt. Für KMG LinerTec, eine deutsche Tochter des japanischen Sekisui-Konzerns, bedeutet dies eine nochmalige Erweiterung seines ohnehin breiten Leistungsportfolios für den zunehmend wichtigen Markt der Sanierung von Sonderprofilen in begehbaren Dimensionen.

Ehrung mit dem GSTT Award 2010

Inzwischen hat das SPR-Projekt „Thierschstraße“ die volle Aufmerksamkeit der Fachwelt: Am 8.12. 2010 bekamen Dipl.-Ing. Josef Heuberger (Leiter Kanalbau der Stadtentwässerung München) und Dipl.-Ing. Klaus-D. Schmager (KMG Liner TEC) auf den DWA- Sanierungstagen in Dortmund den GSTT Award 2010 verliehen. Diesen Preis hat die Deutsche Gesellschaft für grabenloses Bauen und Instandhalten von Leitungen e.V. (GSTT) für herausragende grabenlose Kanalsanierungsprojekte im deutschen Raum ausgelobt. Ausgezeichnet wurde das Vorhaben unter anderem für die erstmalige Ausführung des SPR-Wickelrohr-Lining in einem Eiprofil und für die Bewältigung von Bögen in einem Eiprofil. Anerkennenswert erschienen der GSTT auch die Problemlösung in einer hoch sensiblen Verkehrs- und Wohnlage sowie verschiedene verfahrenstechnische Details, und nicht zuletzt auch der Umstand, dass mit diesem Projekt seit langer Zeit erstmals wieder der Werkstoff PVC in der Münchener Stadtentwässerung zum Einsatz kommt.n

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