Reform des Bauvertragsrechts

Neue Regelungen für alle Vertragstypen

In der Nacht zum 10.03.2017 hat der Bundestag das Reformpaket eines neuen Bauvertragsrechts verabschiedet.

Nach beanstandungsloser Billigung durch den Bundesrat am 31.03.2017 tritt es für alle ab dem 01.01.2018 geschlossenen Verträge in Kraft. Für die zuvor geschlossenen Verträge bleibt es bei der bisherigen Rechtslage. Im Folgenden werden die wesent-lichen Neuregelungen dargestellt.

I. Gesetzliche Regelung von Bauverträgen

Hauptanlass des Reformvorhabens bildete das aus den unterschiedlichen Sparten der Baubranche kritisierte Fehlen eigenständiger Gesetzesregelung für Bauverträge. Bislang unterliegen vertraglich vereinbarte Bauleistungen ausschließlich den Vorschriften des Werkvertragsrechts nach §§ 631 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Damit werden sie rechtlich auf die gleiche Stufe wie zum Beispiel die Leistungen eines Schlüsseldienstes oder eines Werkzeuglackierers gleichgesetzt.

Durch das neue Bauvertragsrecht erhält das BGB eigenständige Kapitel für den Bauvertrag, den Verbrauchervertrag, den Architekten- und Ingenieurvertrag und den Bauträgervertrag. Infolgedessen erfährt der Bauvertrag erstmalig eine gesetzliche Definition. Gesetzlich kodifiziert ist zudem der Begriff des „Nachtrags“, welcher bislang nur im Fachjargon der erfahrenen Baupraktiker angewandt wurde.

II. Kaufrechtliche Anpassungen

Im Zusammenhang mit der Neuregelungen des Bauvertragsrechts wurden auch die kaufrechtlichen Vorschriften angepasst, die vor allem für die Regressansprüche in den  Lieferketten von Baustoffen relevant sind. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 16.06.2011 haben Verkäufer bei Verträgen mit Verbrauchern verschuldensunabhängig auch für die Ausbaukosten einer mangelhaften Ware aufzukommen. Gleiches gilt für die Einbaukosten der nachgebesserten oder neugelieferten Kaufsache.

Diese Rechtsfolge findet nach heutigem Recht keine Anwendung auf Kaufverträge zwischen Unternehmern. Damit bleibt der vom Bauherrn wegen eines unerkennbaren Baustofffehlers erfolgreich auf Nachbesserung in Anspruch genommene Bauunternehmer auf den damit verbundenen Kosten sitzen, wenn sein Lieferant den mit einem unerkannten Mangel behafteten Baustoff von einem Dritten bezogen hat. Das Reformpaket setzt die Entscheidung des EuGH in Gesetzesform um und weitet die vorbeschriebenen Haftungsfolgen auf alle Kaufverträgen aus. Das heißt, auch auf solche im B-2-B-Bereich.

Darüber hinaus erfasst der Erstattungsanspruch nicht nur den Einbau der mangelhaften Kaufsache im klassischen Sinn. Vielmehr erstreckt er sich auch auf den Fall, dass der jeweilige Gegenstand nach seiner Art und dem Verwendungszweck an eine andere Sache angebracht wird. Damit soll sichergestellt werden, dass beispielsweise auch Malerfachbetriebe, die die Farbstoffe nicht „einbauen“, sondern lediglich „anbringen“, von der Durchsetzung der Regressansprüche nicht ausgeschlossen bleiben.

III. Anordnungsrecht des Bestellers

Wesentlicher Kernpunkt der Reform bildet das Anordnungsrecht des Bestellers zur einseitigen Vertragsänderung. Das stellt eine einzigartige Änderung und Neuerung für das BGB dar, zumal Verträge nach bisheriger Rechtslage nur durch einen übereinstimmenden Willen beider Parteien geändert werden können.

§ 1 Abs. 3 und 4 Vergabe und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/B) beinhalten zwar auch ein Recht des Auftraggebers zur einseitigen Änderung des „Bauentwurfs“ oder der Anordnung zusätzlicher Leistungen. Hierbei handelt es sich aber nicht um gesetzliche Normen, sondern um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Diese werden üblicherweise nur zwischen erfahrenen Unternehmern sowie bei öffentlichen Aufträgen vereinbart. Das neu eingeführte Anordnungsrecht wird künftig aber – mit Ausnahme des Bauträgervertrages – für alle baubezogenen Verträge gelten. Damit sind auch Bauverträge mit Verbrauchern und Architekten- sowie Ingenieurverträge umfasst.

1. Nur zwei Änderungsmöglichkeiten

Allerdings beschränkt sich die einseitige Befugnis des Bestellers auf zwei Änderungsmöglichkeiten: Eine Änderung des vereinbarten Werkerfolgs (nachfolgend: „Erfolgsänderung“), sowie auf eine Änderung, die zur Herbeiführung des Erfolgs notwendig ist (nachfolgend: „erfolgsnotwendige“ Änderung).

Die Erfolgsänderung betrifft beispielhaft das Begehren des Bestellers, anstelle des anfänglich vereinbarten Pultdaches ein Flachdach auszuführen. Einen solchen Änderungswunsch hat der Unternehmer nur dann zu befolgen, wenn ihm die Ausführung zumutbar ist. Die erfolgsnotwendige Änderung hingegen betrifft eine nicht ausdrücklich von den Vertragsgrundlagen erfasste Leistungsposition, die zur Erreichung der Werkfunktionalität jedoch unentbehrlich ist. Hierzu zählt zum Beispiel das in der Planung nicht mitbedachte Treppengeländer.

2. Abwarten einer 30-Tage-Frist

In Abweichung zu § 1 Abs. 3 und 4 VOB/B kann der Besteller nach dem neuen Bauvertragsrecht die jeweilige Änderung erst nach einer Frist von 30 Tagen nach Zugang des Änderungsbegehrens beim Unternehmer einseitig anordnen. Bis dahin haben die Parteien Einvernehmen über die Änderung und die infolge der Änderung zu leistende Mehr- oder Mindervergütung „anzustreben“. Wie das Einvernehmen zu erfolgen hat, ist gesetzlich nicht geregelt und den Parteien überlassen.

3. Planungsverantwortung maßgeblich

Liegt die Planungsverantwortung beim Besteller und wünscht dieser eine „erfolgsnotwendige“ Änderung, so hat der Unternehmer innerhalb der 30-Tage-Frist nur dann ein Nachtragsangebot zu unterbreiten, wenn ihm der Besteller die hierfür benötigte Planung zur Verfügung stellt. Ist hingegen der Unternehmer planungsverantwortlich, so stehen ihm keinerlei Ansprüche auf eine zusätzliche Vergütung zu.

Dies gilt offenbar selbst für Einheitspreisverträge. Mit diesen Verträgen bringen die Parteien zum Ausdruck, dass die Vergütung nur die im Leistungsverzeichnis ausgewiesenen Positionen abdeckt, auch wenn die Planung dem Unternehmer obliegt und dabei einzelne Leistungen planerisch vergessen werden (Stichwort: „Sowieso-Kosten“). In Fällen der Planungsverantwortung des Unternehmers haben die Parteien hinsichtlich erfolgsnotweniger Änderungsbegehren innerhalb der 30-Tage-Frist somit nur über die Änderung als solche Einvernehmen anzustreben. Wirken beide Parteien gemeinsam an einem Plan mit oder erstellt der Unternehmer seine Ausführungsplanung auf Basis der vom Besteller beigestellten Entwurfsplanung, gibt das Bauvertragsrecht keine konkrete Auskunft darüber, ob und gegebenenfalls inwieweit dem Unternehmer Ansprüche auf eine zusätzliche Vergütung für eine erfolgsnotwendigen Änderung zustehen.

4. Textform erforderlich

Nach Ablauf der 30-Tage-Frist kann der Besteller einseitig die Anordnung treffen, die für den Unternehmer rechtlich bindend ist. Allerdings hat die Anordnung in Textform (d. h. z. B. per E-Mail oder Fax) zu erfolgen, sonst ist sie nichtig. In bestimmten Konstellationen kann die Berufung einer der Vertragsparteien auf die Nichtigkeit der Anordnung rechtsmissbräuchlich sein. Dies wird die Rechtsprechung einzelfallbezogen beurteilen und entscheiden müssen.

5. Vergütungsfolgen

Das neue Bauvertragsrecht enthält auch konkrete Vergütungsregelungen zu den Fällen einseitig angeordneter Änderungen.Erzielen die Parteien keine Vergütungsvereinbarung und ordnet der Besteller die Änderung einseitig an, bemisst sich die Höhe des Vergütungsanspruchs nach den tatsächlich erforderlichen Kosten. Hinzu kommen angemessene Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten (AGK) sowie Wagnis und Gewinn (WuG). Zur Vergütungsberechnung kann der Unternehmer auf die Ansätze einer vereinbarungsgemäß hinterlegten Urkalkulation zurückgreifen. Es wird vermutet, dass die Preisgrundlagen der Urkalkulation den tatsächlich erforderlichen Ist-Kosten entsprechen. Das neue Bauvertragsrecht weicht von der bisher bei VOB/B-Bauverträgen praktizierten Preisfortschreibungsregel der Korbion’schen Formel „Guter Preis bleibt guter Preis und schlechter Preis bleibt schlechter Preis“ ab. Unklar ist, welche Konsequenzen das gesetzlich geregelte Nachtragsberechnungsmodell für die Fälle hat, in denen die VOB/B nicht in privilegierter Form „als Ganzes“ im Sinne von § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB vereinbart wird. Unklar ist auch, ob und inwieweit der Unternehmer eine infolge der 30-Tage-Frist-Regelung entstandene Bauzeitverlängerung abrechnen kann und ob sich hierdurch die Vertragsfristen automatisch ändern.

Eine Privilegierung des Unternehmers ist in seinem Recht zu sehen, bei der Abrechnung von Abschlagszahlungen 80 Prozent seines Angebotes anzusetzen, welches er dem Besteller im Rahmen der 30-Tage-Frist für die begehrte Änderungsleistung unterbreitet hat. Macht er hiervon Gebrauch, wird die Vergütung auf Basis der Ist-Kosten (siehe oben) erst nach der Abnahme des Werkes fällig. Ist das Nachtragsangebot überteuert, sind die zu viel geleisteten Abschläge automatisch ab Zahlungseingang beim Unternehmer in gesetzlicher Höhe zu verzinsen.

IV. Prozessrechtliche Neuerungen

Nach einer einseitigen Anordnung des Bestellers können beide Parteien auf Grundlage des neuen Bauvertragsrechts „schnellen Rechtsschutz“ in Form einer einstweiligen Verfügung beantragen. Die Besonderheit dieser Neuregelung ist darin begründet, dass die Parteien nach Beginn der Bauarbeiten prozessrechtlich keinen „Verfügungsgrund“, das heißt keine bestimmte Eilbedürftigkeit, darlegen und glaubhaft machen müssen.

Praktische Anwendungsfälle eines solchen Eilverfahrens wird der Unzumutbarkeitseinwand des Unternehmers bezüglich einer begehrten Erfolgsänderung des Bestellers sein. Zum anderen wird die einstweilige Verfügung in Fällen gescheiterter Nachtragsverhandlungen das einzige Verteidigungsmittel des Bestellers bleiben, um eine Abschlagszahlung des Unternehmers in Höhe von 80 Prozent eines überteuerten Nachtragsangebots abzuwenden. Einzelheiten über den Verfahrensablauf und dessen Voraussetzungen sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht ganz eindeutig und auch nicht konkret prognostizierbar, zumal es sich um eine komplett neue – bislang nicht allgemein zulässige – Prozessmöglichkeit handelt.

Im Zuge der Reform sind bei allen Land- und Oberlandesgerichten spezielle „Baurechtskammer“ für Streitigkeiten über die Planung, Durchführung oder Überwachung von Bauleistungen einzuführen. Durch Rechtsverordnung können die Länder die Zuständigkeit mehrerer Landgerichtsbezirke einem Landgericht übertragen. Für Streitigkeiten über das Anordnungsrecht und die Höhe der Vergütung sind stets streitwertunabhängig die Landgerichte in erster Instanz tätig.

V. Der Architekten- und Ingenieurvertrag

Das neue Bauvertragsrecht enthält auch eine Vielzahl nicht unwesentlicher Regelungen zum Architekten- und Ingenieursvertrag.

1. Projektfindungsphase

Neu im Architekten- und Ingenieurvertragsrecht ist zunächst die den üblichen Leistungsbildern der HOAI vorgeschaltete „Projektfindungsphase“. Hier werden die Planungs- und/oder Überwachungsziele, die  bei Vertragsschluss nicht feststehen vom Architekten/Ingenieur herausgearbeitet. Die Projektfindungsphase schließt mit einem Sonderkündigungsrecht des Bestellers. Wird fristgerecht gekündigt, müssen nur die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen vergütet werden.

2. Honoraransprüche bei einseitigen Anordnungen

Ebenfalls neu ist das einseitige Anordnungsrecht des Bestellers entsprechend der Regelungen zum Bauvertrag. Das Honorar der angeordneten Änderungen bemisst sich nach den Preisparametern der HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure), soweit die jeweiligen Leistungen in den Anwendungsbereich der HOAI fallen. Im Übrigen kann die Vergütung frei vereinbart werden. Fehlt eine Vergütungsvereinbarung, können die vom Anwendungsbereich der HOAI nicht erfassten Änderungsleistungen auf Basis der tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge für Allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn abgerechnet werden. Anders als beim Bauvertrag besteht beim Architekten- und Ingenieursvertrag aber keine Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung.

3. Teilabnahme

Für den Architekten/Ingenieur von Vorteil ist das Recht zur Teilabnahme. Diese kann nach der Abnahme der letzten Leistung des bauausführenden Unternehmers beansprucht werden.

4. Gesamtschuldnerische Haftung

Die gesamtschuldnerische Haftung des Architekten/Ingenieurs wegen eines Überwachungsfehlers wird dahingehend eingeschränkt, dass der Architekten/Ingenieur zur Verweigerung der gegen ihn gerichteten Schadensersatzansprüche berechtigt ist. Dies gilt solange, wie der Besteller dem auch haftenden Bauunternehmer noch nicht erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat.

VI. Sonstige Änderungen im Überblick

Das allgemeine Abschlagszahlungsrecht richtet sich künftig nach dem Wert der Vertragsleistungen, abzüglich eines angemessenen Betrags bei Mängeln. Die Kündigung des Bauvertrags „aus wichtigem Grund“ wird gesetzlich geregelt. Die fiktive Abnahmewirkung kann mit der schlichten Behauptung eines einzigen Mangels verhindert werden. Vergleichbar mit der VOB/B wird die Vergütung neben der Abnahme erst nach Vorlage einer prüffähigen Schlussrechnung fällig.

Mit dem neu geregelten Verbraucherbauvertrag genießt der Verbraucher gewisse Formerfordernisse, ein Widerrufsrecht sowie Ansprüche auf eine Baubeschreibung und Aushändigung bestimmter Unterlagen. Neu geregelt ist schließlich der Bauträgervertrag. Er stellt unter anderem klar, dass sich die Ansprüche des Bestellers hinsichtlich der Übertragung des Eigentums an dem Grundstück oder auf Übertragung oder Bestellung des Erbbaurechts nach den Vorschriften über den Kaufvertrag richten.

VII. Fazit

Insgesamt geht mit dem neuen Bauvertragsrecht eine Vielzahl von Neuregelungen einher. Es bleibt abzuwarten, wie die Praxis diese – zum Teil nicht eindeutigen – Regelungsmodalitäten umsetzt.

CMS Hasche Sigle

www.cms-hs.de

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