Ein Gesamtsystem, das punktet

Engineering, Vor-Ort-Services und ein mietbares Tunnelsystem

Ein Tunnel wird als Teil einer Umgehungsstraße gebaut, um Gemeinden im schweizerischen Toggenburg zu entlasten. Für die Schalungsspezialisten von Doka ist es die Feuertaufe ihres neuen mietbaren Systems DokaMT in dieser Ausführung.

Und dann steht es am Eingang zur Grube, zwischen Strosse und Kalotte, wie aus einer Star Wars Episode entsprungen: das Tunnelsystem DokaMT – ein vorkonfigurierter Schalwagen, mit Rüttler, Betonverteiler, Verrohrung und Füllstutzen; zimmermannsgerechter Sohlschalung und Nachbehandlungswagen inklusive. Ein ganzer Schalzug also, modular aufgebaut nach dem überwiegend aus Mietteilen bestehenden Baukasten-Prinzip. Was man halt so braucht, um rohe Kräfte vom Berg in Schach zu halten und dem Stollen die Anmutung eines Kunstbaus zu geben, wie man im Schweizerischen sagt.

Das Tunnelprojekt Lochweidli im Kanton St. Gallen, 305 Meter lang, gut 30 Blöcke, überwiegend bergmännisch, dazu zwei Portale an den Ein- und Ausfahrten, ist geologisch gesehen jetzt kein Gotthard oder Brenner. Dennoch war die kurze Trasse, die im Laufe des Jahres fertiggestellt und als Teil einer längeren Ortsumfahrung den Transitverkehr von den Gemeinden zwischen Wattwil und Ebnat-Kappel im Toggenburg fernhalten wird, nicht business as usual. Weil hier Kräfte am Werk waren, menschliche wie maschinelle, die in dieser Konstellation erstmals gewaltet hatten.

Tunnelliebhaber sehen Marktlücke

Es ist ein Lehrstück darüber, wie Menschen ihr Glück darin finden, Bestehendes zu hinterfragen und durch neue Lösungen dazu beitragen, die Welt ein Stück besser zu machen. Die Geschichte in einem Satz: Ein paar Tunnelliebhaber der Doka sehen eine Marktlücke und tüfteln ein System aus, das in Lochweidli in dieser Konstellation seine Feuertaufe hatte. Hier, wo es auf kurze Aufbau- und schnelle Taktzeiten ankam. Auf leichtes Reinigen der Schaloberflächen, gerade unter beengten Verhältnissen. Auf großzügige Durchfahrtsöffnungen für den Baustellenverkehr, auf eine Konstruktion, die flexibel den Querschnitt im Bauwerk abbildete. Nicht zuletzt auf ein System, das just-in-time einsatzbereit ist, weil seine Stahlkomponenten vom Doka-Fertigservice komplett vormontiert angeliefert wurden – schnelle Erfolgserlebnisse in Form von großen Montagefortschritten auf der Baustelle waren also vorprogrammiert.

Klaus Mirna, der das Projekt für Doka vor Ort verantwortete, sagt: „Der Schweizer Markt ist umkämpft. Wer ein Stück vom Kuchen abhaben möchte, darf innovativ sein.“ Für Lochweidli hat Doka deshalb eine Komplettlösung gestaltet, die neben den bewährten und für solche Aufträge unverzichtbaren Standardteilen ein paar Dutzend Komponenten enthielt, die eigens für diesen Tunnel entwickelt wurden.

Das Multitool unter den Schalwagen

Das System DokaMT, was für Mining Tunnel steht, ist vielseitig einsetzbar. Es ist das Multitool unter den Schalwagen und wächst mit den Anforderungen seiner Nutzer. Mirna drückt es so aus: „Ich habe schon einige Steine in meiner Kiste und jetzt habe ich ein Set mit neuen Steinen, die uns genau den Bau dieser Art Tunnel ermöglicht.“ Und dieser Baukasten für Erwachsene kann zu großen Teilen als Komplettpaket gemietet werden.

So fuhr der Schalwagen DokaMT auf den zuvor hergestellten Fundamenten durch den Stollen und machte das, was er am besten kann: betreutes Schalen zum Fixpreis – speziell für überschaubare Projekte, bei denen sich binnen eines Jahres Licht am Ende des Tunnels abzeichnet. Nach rund neun Monaten war dann auch Schicht im Schacht und das System ging mitsamt Zubehör zurück in den Mietpark – bis wieder einer in die Kisten mit den Bausteinen für Erwachsene greift. Die Strabag als bauausführendes Unternehmen freut‘s, weil die Baustelle sich schnell wieder aufgeräumt präsentierte und sie sich die teure Anschaffung gespart hat.

Dass die Schweizer sich von dem innovativen One-Stop-Shop-Modell überzeugen ließen, liegt auch an Menschen wie Robert Riesenberger, der im rund 550 Kilometer entfernten Amstetten im Global Expertise Center Infrastructure (GEC) von Doka tätig ist.

Ein Mockup zum Eingrooven

Riesenberger, so etwas wie der geistige Ziehvater des DokaMT, hat zusammen mit seinem Team die vergangenen zweieinhalb Jahre viel Zeit auf die neue Systemlösung verwendet. Tausende Arbeitsstunden sind in das Projekt geflossen. Am Hauptsitz in Österreich entstand ein Mockup, halb so lang wie der später ausgeführte Schalwagen, jedoch voll funktionstüchtig. Die Ingenieure haben an jeder Stellschraube gedreht, haben sämtliche Bauteile analysiert, bis sie miteinander harmonierten; bis klar war, dass der Aufbau des Systems Hand und Fuß hat. „Und so entstand aus einer Ansammlung von Trägern und Streben ein modular aufgesetzter Baukasten, mit dem sich jedes gewünschte Gebilde formen und an verschiedenste Querschnitte anpassen lässt“, fasst Riesenberger zusammen, nicht ohne hinzuzufügen: „Sofern statisch vertretbar.“

Weitblick statt Tunnelblick

Vielleicht war es hilfreich, nicht den Tunnelblick aufzusetzen und eine Spur größer zu denken. Alles und jeden einzubeziehen, der früher oder später mit dem attraktiven Mietsystem zu tun haben wird. Neben bestehenden und potenziellen Kunden natürlich auch die, die tagtäglich damit arbeiten: Klaus Mirna und Martin Stefan von der Doka Schweiz, in deren Dunstkreis das Tunnelprojekt fiel; Stefan Beer, Riesenbergers Kollege beim GEC, der die Vorgeschichte aus dem Effeff kennt und mithalf, den Funken auf der Baustelle überspringen zu lassen; Richtmeister Stefan Brugger, der den Schalwagen vor Ort einrichtete und ihn wieder vom „Gleis“ nahm.

Das Schönste für alle Beteiligten, so heißt es im GEC, war es, die Schalungslösung nicht nur im CAD wachsen zu sehen, sondern leibhaftig, unter realen Bedingungen. Wie Büromenschen, eher an Tablet und Stift gewohnt, die Ärmel hochkrempelten und anpackten. Wenn du mit einem Drehmomentschlüssel 450 Newtonmeter anziehst, bis der Oberarm schmerzt, erzählt Riesenberger, dann schweiße das zusammen, dann sei das gelebtes Teambuilding.

Feuertaufe bestanden

Der Aufwand hat sich gelohnt. Die Baustellencrew war recht zufrieden mit dem Ergebnis.  Die Doka-Ingenieure, ganz Tüftler und Forscher, stecken bereits in neuen Kreativprozessen. Immer auf der Suche nach weiteren Anwendungen, für die ein Baukasten Sinn ergeben könnte. Es wird also wieder was passieren, es gibt noch viel zu erfinden. „Als Kind habe ich gern mit Bausteinen gespielt und das hat sich ins Erwachsenenalter fortgesetzt“, sagt Projektleiter Riesenberger. „Jetzt sind die Teile halt ein bisschen größer geworden.“ Ein bisschen viel größer, wie festzuhalten bleibt.

Deutsche Doka Schalungstechnik GmbH

www.doka.de

Bautafel

Projekt: Tunnel Lochweidli

Standort: Wattwil, Kanton St. Gallen, Schweiz

Bauweise: bergmännisch und offen

Gesamtlänge Tunnel: rund 305 m

Länge Schalwagen: 10 m

Auftraggeber: Tiefbauamt Kanton St. Gallen

Bauausführung: ARGE Weidli (STRABAG/Heitkamp)

Dauer Schalungseinsatz: Herbst 2020 bis Mai 2021

Dienstleistungen: Planung, Fertigservice, Montage, Richtmeister, Demontage  

Schalungssysteme: Tunnelsystem DokaMT, Trägerschalung Top 50

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 09/2011

Komplexer Tunnelquerschnitt vollhydraulisch geschalt

Gotthard Basis Tunnel, Abschnitt Erstfeld

Mit einer Länge von 57 km ist der zweiröhrige Gotthard-Basistunnel in der Schweiz nicht nur der längste Eisenbahntunnel der Welt. Auf Grund der schwierigen geologischen Rahmenbedingungen ist er...

mehr

Doka gewinnt Auftrag für Fehmarnbelt-Tunnel

Die Feste Fehmarnbeltquerung ist ein wichtiger Beitrag zur Verkehrswende in Europa. Der knapp 18 km lange Tunnel führt von Rødbyhavn auf Lolland in Dänemark nach Puttgarden auf Fehmarn in...

mehr
Ausgabe 04/2023

UniKit: Dokas Baukasten für schwere Lasten

Schalung und Traggerüst aus einer Hand

Auf der bauma 2022 wurde er erstmals ausgestellt: Der Ingenieurbaukasten UniKit für schwere Lasten von Doka. Das Exponat mit den gelben Joch- und den blauen Längsträgern sowie den Lasttürmen war...

mehr
Ausgabe 05/2013 SINNTALBRÜCKE BAD BRÜCKENAU

Schalwagen TU verleiht Brückenkappe Eleganz

4,00 m lange Schalwagen TU von Doka, gekoppelt zu jeweils 28,00 m langen Umsetzeinheiten, sorgen für einen sicheren und zügigen Baufortschritt durch schnelles Vorziehen in einem Arbeitsgang. Hinter...

mehr
Ausgabe 03/2011

Tunnelschalung – drei Takte pro Woche

Schneller Baufortschritt und perfekte Betonoberfläche

Knapp 54 Millionen Euro investiert die österreichische Autobahnen- und Schnellstrassen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft Asfinag in dieses wichtige Infrastrukturprojekt. Ebenfalls beteiligt sind das...

mehr