Gesamtschuldnerhaftung zwischen Bauunternehmer und Objektüberwacher

Klärung möglicher Regressansprüche im Innenverhältnis

Dieses Thema ist nicht nur für Bauherren und Auftraggeber von großer Bedeutung, sondern muss auch von den bauausführenden Firmen als Leser von baumarkt+bauwirtschaft beachtet und für die tägliche Praxis verinnerlicht werden. Anlässlich einiger aktueller Entscheidungen der Oberlandesgerichte soll dieser Beitrag deshalb einen Überblick über die gesamtschuldnerische Haftung von Bauunternehmern und bauüberwachenden Architekten gegenüber dem Bauherrn geben und die möglichen Regressansprüche im Innenverhältnis dieser beiden Gesamtschuldner klären.

Frage 1: Wie entsteht eine gesamtschuldnerische Haftung zwischen Bauunternehmer und Objektüberwacher gegenüber dem Bauherrn?

Ein Gesamtschuldverhältnis ist gegeben, wenn die Verpflichtung der Schuldner (Schuld) nach der maßgeblichen Interessenlage des Gläubigers grundsätzlich inhaltsgleich ist. Das ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die Schuld demselben Zweck dient. Grundsätzlich entsteht ein Gesamtschuldverhältnis, wenn die geschuldeten Leistungen den gleichen Inhalt haben und dem Gläubiger die Schuldner in der Weise haften, dass er sich mit der Leistung eines von ihnen zufrieden geben muss.

Bei der Errichtung eines Bauwerks schuldet der Bauunternehmer die mangelfreie Herstellung des von ihm versprochenen Werks, respektive der beauftragten Bauleistungen für das Gebäude. Der mit der Überwachung der Bauleistungen beauftragte Architekt schuldet demgegenüber nicht die Herstellung des Bauwerks selbst als körperliche Sache, sondern die mangelfreie Umsetzung der Planung und die plangerechte Vollendung der Bauarbeiten. Bauunternehmer und überwachender Architekt wären somit wegen Nichtidentität ihrer jeweiligen Schuld eigentlich keine Gesamtschuldner. Sie sind es dennoch. Bei Leistungsstörungen befinden sie sich in einer rechtlichen Zweckgemeinschaft, weil ihre jeweilige Schuld demselben Zweck dient, nämlich der Herstellung eines mangelfreien Bauwerks. Haften Architekten und Bauunternehmer für den gleichen Mangel, sind sie Gesamtschuldner (BGH BauR 2009, 1458).

Frage 2: Wie sieht die gesamtschuldnerische Haftung aus?

Die gesamtschuldnerische Haftung besteht nach der Rechtsprechung des BGH (IBR 2007, 571; zuletzt OLG Frankfurt, IBR 2011, 94) auch und sogar dann, wenn der objektüberwachende Architekt auf Schadensersatz in Geld haftet, der Bauunternehmer dagegen zur Nachbesserung verpflichtet (und berechtigt) war, somit die beiden Haftungstatbestände rechtlich gar nicht auf derselben Anspruchsgrundlage beruhen.

Einem gesamtschuldnerisch mit dem Unternehmer haftenden Architekten ist in der Regel der Einwand versagt, der Bauherr hätte sich durch einen rechtzeitigen Zugriff beim Unternehmer befriedigen können und müssen. Der Architekt kann gegenüber dem Bauherrn nicht geltend machen, der mithaftende Unternehmer sei in seinen Rechtsbeziehungen zum Bauherrn begünstigt. Somit kann der Bauherr aufgrund des Gesamtschuldverhältnisses auch den objektüberwachenden Architekten auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, selbst wenn er gegenüber dem Bauunternehmer noch einen Mängelbeseitigungsanspruch hat.

Infolgedessen kann auch der objektüberwachende Architekt bei einer Inanspruchnahme durch den Bauherrn nicht einwenden, dass der Bauherr sich doch zunächst an den Bauunternehmer halten solle und von diesem die Mängelbeseitigung verlangen müsse, bevor er sich dann an ihn – den Objektüberwacher – halten dürfe.

Bessert der Unternehmer jedoch vor der möglichen Inanspruchnahme des Architekten nach, ist der Mangel behoben und damit ein vom Architekten zu ersetzender Schaden beseitigt. Ein Schadensersatzanspruch gegen den Architekten besteht dann selbstredend nicht mehr. Leistet andererseits der Architekt Schadensersatz in Geld, hat der Bauherr die zur Beseitigung des Mangels erforderlichen Mittel erhalten, er kann nicht noch daneben oder später die Beseitigung des Mangels vom Unternehmer verlangen.

Frage 3: In welchem Umfang haften die Gesamtschuldner im Außenverhältnis gegenüber dem Bauherrn?

Für beiderseits zu verantwortende Mängel haften Bauunternehmer und Architekt im Außenverhältnis dem Bauherrn gegenüber jeder für sich vollumfänglich. Der Bauherr kann die Leistung zwar nur einmal fordern, sich aber aussuchen, welchen der beiden (Gesamt-) Schuldner er in Anspruch nimmt.

Fordert der Bauherr Mängelbeseitigung, muss er sich an den Bauunternehmer halten, denn nur dieser kann den Mangel nachbessern bzw. ist zur Beseitigung des Baumangels verpflichtet. Die versäumte oder fehlerhafte Überwachung der Bauausführung durch den Architekten kann nicht nachgeholt werden. Bei einer Mängelbeseitigung durch den Unternehmer wird der andere Gesamtschuldner begünstigt. Er kann jedoch, wie dargelegt, im Innenverhältnis haften, was Bauunternehmer oft vergessen oder übersehen.

Frage 4: Welche Ausgleichsansprüche bestehen zwischen den Gesamtschuldnern im Innenverhältnis?

Wenn einer der beiden in Anspruch genommenen Gesamtschuldner den Bauherrn als Gläubiger befriedigt hat, kommt der Ausgleichsanspruch gegenüber dem anderen Gesamtschuldner zum Tragen, da der die Schuld erfüllende Schuldner nicht allein auf den Kosten sitzen bleiben muss, wenn der andere Schuldner auch für den Mangel bzw. Schaden haftet (§ 426 BGB). Gemäß § 426 Abs. 1 BGB sind Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Teilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist.

Streitig ist die Frage, in welcher Höhe eine Mithaftung des bauüberwachenden Architekten gegenüber dem Bauunternehmer im Innenverhältnis bzw. Innenausgleich besteht. Die obergerichtliche Rechtsprechung verkennt dabei, dass es im Rahmen des Ausgleichsanspruchs nicht um das vertragliche Verhältnis zwischen Architekt und Bauherr bzw. Bauunternehmer und Bauherr, sondern um die (Bewertung der) Mitverschuldensanteile zwischen Bauunternehmer und Architekt bezüglich der eingetretenen Baumängel im Innenverhältnis geht.

Das Argument für die Verneinung eines Innenregresses zugunsten des Bauunternehmers, der Architekt sei dem Bauherrn, nicht aber dem Bauunternehmer, gegenüber zur Bauüberwachung verpflichtet, begründet nur, warum sich der Bauherr das Verschulden des bauaufsichtsführenden Architekten nicht anrechnen lassen muss (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 3. Auflage, 6. Teil, Rn. 66) und verfängt deshalb nicht.

Die Beurteilung der Verschuldensanteile im Gesamtschuldnerausgleich richtet sich immer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere inwieweit der Schaden unter Berücksichtigung des jeweiligen Aufgabenbereichs vorwiegend vom Unternehmer verursacht bzw. verschuldet worden ist und ob sich die fehlerhafte Objektüberwachung als gravierend herausgestellt hat. Hierbei ist zu beachten, dass den Bauüberwacher bei besonders gefährlichen, technisch anspruchsvollen und schadensgeneigten Arbeiten gesteigerte Überwachungspflichten treffen. Kommt er diesen nicht nach, trifft ihn der Vorwurf einer groben Pflichtverletzung. Eine Ableitung der internen Haftungsquote des Objektüberwachers aus der Erheblichkeit der Pflichtverletzung ist angezeigt, auch wenn es nach der älteren Auffassung des BGH (BGHZ 43, 235) nur in besonderen Einzelfällen zu einer solchen Mithaftung im Innenverhältnis kommen könne, da auch der Bauunternehmer als Fachunternehmen gleichermaßen erhöhte Sorgfaltspflichten habe. Ob der BGH jedoch diese Rechtsprechung aus dem Jahre 1965 aufhebt oder überdenkt, muss abgewartet werden. Kniffka hat hierzu bereits mehrfach entsprechende Tendenzen aufgezeigt. Auch die obergerichtliche Rechtsprechung geht in diese Richtung.

So kann der objektüberwachende Architekt dem Bauunternehmer gegenüber ausgleichspflichtig sein, wenn er beispielsweise durch einen eigenen Planungsfehler die eigentliche Schadensursache gesetzt und diesen Fehler auch bei der Überwachung der darauf beruhenden Bauausführung nicht beseitigt hat und/oder wenn die Pflichtverletzung des Architekten besonders schwerwiegend ist, was bei Aufsichtsfehlern, die einen besonders fehlerträchtigen Bauabschnitt betreffen, der Fall sein kann (OLG Stuttgart, IBR 2011, 150). In diesem Fall entfällt eine Mithaftung des Objektüberwachers nicht, selbst wenn der Bauunternehmer grob fahrlässig ein mangelhaftes Werk hergestellt hat. Es ist also ein Trugschluss zu glauben, dass Bauaufsichtsfehler nicht so wie Ausführungsfehler ins Gewicht fallen, wenn es um den gesamtschuldnerischen Innenausgleich geht.

Frage 5: In welchem prozessualen Verhältnis stehen die Gesamtschuldner zueinander und gegenüber dem Bauherrn?

Der Bauherr kann die Gesamtschuldner einzeln oder zusammen in Anspruch nehmen. Die Rechtshängigkeit der Klage nur gegen einen Gesamtschuldner gibt dem anderen Gesamtschuldner keine Verteidigungsmöglichkeit. Auch die rechtskräftige Abweisung der Klage gegen einenGesamtschuldner nützt dem gleichzeitig oder in einem zweiten Prozess als Gesamtschuldner in Anspruch genommenen weiteren Beklagten bzw. Gesamtschuldner nichts.

Andererseits bindet die Zahlung des Urteilsbetrags durch den anderen Gesamtschuldner einen Gesamtschuldner nicht an das erstinstanzliche Urteil, in dem er zusammen mit dem anderen als Gesamtschuldner zur Zahlung verurteilt worden ist. Er kann trotz Zahlung durch den anderen Gesamtschuldner ein Berufungsverfahren zur weiteren Verteidigung durchführen. Dieses Verfahren soll eine spätere Inanspruchnahme durch den verurteilten Gesamtschuldner im Rahmen des Innenregresses verhindern.

Frage 6: Welche Bindungen hat das Gläubigerurteil gegenüber dem Innenausgleich?

In diesem Zusammenhang wird immer wieder übersehen, dass sich die Gesamtschuldner wechselseitig den Streit verkünden müssen, um die Interventionswirkung eines entsprechenden Urteils vollumfänglich herbeiführen zu können.

Einem Vergleich zwischen einem der Gesamtschuldner und dem Bauherrn kommt regelmäßig eine sogenannte beschränkte Gesamtwirkung zu. So kann ein Vergleich des Bauherrn mit dem ausführenden Bauunternehmer über den Erlass von Mängelansprüchen wegen Ausführungsfehlern zum Anspruchsverlust gegenüber dem als Gesamtschuldner mithaftenden objektüberwachenden Architekten führen, auch wenn dieser am Vergleich nicht beteiligt war. Eine Gesamtwirkung des Vergleichs oder eines Teilverzichts zu Gunsten des nicht beteiligten Gesamtschuldners ist insbesondere dann anzunehmen, wenn dieser im Falle seiner Inanspruchnahme durch den Gläubiger den anderen Gesamtschuldner in voller Höhe in Regress nehmen könnte, wodurch der Vergleich seinen Sinn verlöre.

Der sich vergleichende Gesamtschuldner wäre zwar dem Gläubiger gegenüber nicht weiter verpflichtet, dieser könnte jedoch seine Ansprüche gegenüber dem anderen Gesamtschuldner weiter verfolgen und dieser wiederum den sich vergleichenden Gesamtschuldner in Regress nehmen.

Ansonsten hat ein Vergleich zwischen Bauherr und einem Gesamtschuldner keinerlei Wirkungen gegenüber dem anderen Gesamtschuldner, der sich durch seine Nichtbeteiligung an dem Vergleich gerade eigene Verteidigungsmöglichkeiten gegenüber dem Bauherrn sichern will.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass ein auf Ausgleich in Anspruch genommener Gesamtschuldner (hier im Regelfall der objektüberwachende Architekt) dem anderen nicht entgegenhalten kann, der ausgleichsberechtigte andere Gesamtschuldner (hier der Bauunternehmer) hätte mit Erfolg die Einrede der Verjährung gegenüber dem Bauherrn erheben und damit selbst einer Inanspruchnahme entgehen können (BGH IBR 2010, 79). Dies wird darauf gestützt, dass die Verjährung des gegen den zum Ausgleich verpflichteten Gesamtschuldner gerichteten Gläubigeranspruchs nicht zum Nachteil des ausgleichsberechtigten Gesamtschuldners wirken darf und soll. Allenfalls wenn sich das Verhalten des Gläubigers als rechtsmissbräuchlich darstellt, könnte eine Wirkung für den Anspruch gegen den anderen Gesamtschuldner bejaht werden. Allein das Verstreichenlassen der Verjährungsfrist genügt nicht.

Mögliche Regressansprüche im Innenverhältnis beider Gesamtschuldner klären!

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