Den Bauablauf genau dokumentieren!

Baubehinderungen und deren Folgen am Beispiel von Produktivitätsverlusten

Baubehinderungen während der Bauausführung sind bei den meisten Baustellen das Thema schlechthin. Als Bauanwalt drängt sich hier beinahe schon der Verdacht auf, das ein Bauvorhaben ohne Behinderungen kein “normales” Bauvorhaben mehr ist, mindestens aber von einem unkundigen oder naiven Bauunternehmer realisiert wird.

Hinzukommt, dass bei der Anzeige von Behinderungen der Auftraggeber oft wirsch reagiert, ohne sich mit der Behinderung und deren Anforderungen, vor allem mit den rechtlichen Voraussetzungen an eine wirksame Behinderungsanzeige ernsthaft auseinanderzusetzen. Hierbei übersehen Baupraktiker häufig, dass bei einer Vielzahl von angemeldeten Behinderungen die Arbeiten nicht gänzlich eingestellt werden müssen, sondern nur in Teilen, wenn überhaupt. Eine Behinderung, die eine Unterbrechung der Bauausführung nach sich zieht bzw. eine solche unausweichlich macht, ist der seltenere Ausnahmefall.

Die überwiegende Anzahl von Baubehinderungen führt dazu, dass die Arbeiten nicht gänzlich eingestellt werden müssen, sondern eher und lediglich nur einzelne Gewerke oder Bauabschnitte von den hindernden Umständen betroffen sind. Oftmals kann doch weiter gearbeitet werden, allerdings nur mit angezogener Handbremse, das heißt nicht mit der geplanten Produktivität und Effizienz.

Dabei handelt es sich dann um die sogenannten schleichenden Behinderungen,  mit deren Auswirkungen wir uns in diesem Beitrag anhand der damit verbundenen Produktivitätsverlusten befassen wollen, die Auslöser von häufig diffusen Schadensersatzansprüchen der Bauunternehmer sind. Um Produktivitätsverluste als Schaden geltend machen zu können, muss der Bauunternehmer seinem Auftraggeber besonders gut und transparent deutlich machen und nachweisen, welche Erschwernisse durch die Behinderung oder durch die Umstellung des Bauablaufes konkret eintreten können und werden. Der Auftragnehmer muss deshalb so genau und nachvollziehbar wie möglich mitteilen, welche Arbeiten, die aufgrund des Bauablaufes bevorstehen oder anstehen, nicht oder nicht wie geplant ausgeführt werden können.

 

Frage 1: Was sind Produktivitätsverluste?

Auf einer Baustelle kann es aufgrund von zahlreichen verschiedenen Faktoren zu teilweisen Unterbrechungen bzw. Behinderungen oder sonstigen Störungen im ursprünglich vorgesehenen Bauablauf kommen. Effekte und Umstände, die zu einem Produktivitätsverlust führen können, sind im wesentlichen Witterungseinflüsse, veränderte Einarbeitungseffekte, häufiges Umsetzen des Arbeitsplatzes, Änderungen der Abschnittsgrößen, nicht optimale Kolonnenbesetzung, nicht kontinuierlicher Arbeitsfluss oder Zusatz- und Minderleistungen bei Stilllegungen der Baustelle sein. Hieraus ergeben sich oftmals enorme Zeitverschiebungen und Zusatzkosten. Einzelne, Minderleistungen nach sich ziehende Effekte können sich zum Teil verlagern und verstärken, so dass durch eine Kettenbildung der Defizite der Produktivitätsverlust kaum mehr einzelnen Umständen direkt zuzuordnen ist. Solche Störungen im Getriebe des Bauablaufs werden als Produktivitätsverluste bezeichnet. Produktivitätsverluste werden auch als „Produktivitätsminderungen“, „Intensitätsabfälle“, „Minderleistungen im gestörten Bauablauf“ oder „Abfall der Produktivität“ beschrieben. Letzten Endes sind aber all diese Begriffe Synonyme und betreffen die gleiche Problematik (vgl. Keldungs, Festschrift Koeble, S.29). Die Folge solcher Störungen sind vielfach langwierige streitige Auseinandersetzungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Spätestens wenn die Parteien eine außergerichtliche Einigung nicht hinbekommen und dem Unternehmer im Ergebnis keine andere Möglichkeit verbleibt, als den Klageweg einzuschlagen, stellt sich die Frage, o das Gericht den durch die Produktivitätsverluste eingetretenen Schaden als solchen bejaht und wenn ja  wie eine solche Minderleistung nach den gesetzlichen Methoden berechnet wird bzw. ermittelt werden kann.

 

Frage 2: Wie wird der zu ersetzende Schaden berechnet?

Die Berechnung der Schadenshöhe bereitet im Bauprozess oftmals große Schwierigkeiten. Selbst bei sorgfältiger Dokumentation ist es dem Bauunternehmer meistens nicht möglich, den tatsächlich durch die Bauzeitverzögerung entstandenen Schaden nachvollziehbar darzulegen und dann auch zu nachzuweisen. Die Darlegungslast trifft im Streitfall den Auftragnehmer. Das wissen die meisten Auftraggeber und lehnen sich deshalb in vorgerichtlichen Einigungsgesprächen auch oftmals zurück mit dem Hinweis, dann solle der vermeintliche Anspruch doch eingeklagt werden.

Für Umstände, die allein für die Entstehung des Schadens von Bedeutung sind, gilt aber zugunsten der Bauunternehmer wie auch allen anderen Anspruchstellern die zivilprozessuale Beweiserleichterungsregel des § 287 der Zivilprozessordnung (ZPO).

In § 287 Abs. 1 ZPO heißt es:

„Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.“

Durch § 287 Absatz 1 ZPO soll verhindert werden, dass eine Klage allein deshalb abgewiesen wird, weil der Kläger den ihm entstandenen Schaden nicht genau beziffern kann. In solchen Fallkonstellationen tritt an die Stelle des Vollbeweises der Schadenshöhe für die Schadensberechnung eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Schadensschätzung.

Dabei wird ausdrücklich in Kauf genommen, dass die richterliche Schätzung unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt (BGH NJW 64, 589; BAG NJW 63, 926). Das Gericht kann (und muss) bei besonderen Schwierigkeiten des Schadensnachweises sogar zur Schätzung eines bloßen Mindestschadens greifen (BGH NJW 2005, 3348; 1994, 663; 1992, 2753).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Voraussetzungen einer Schätzung, dass der Haftungsgrund unstreitig oder bewiesen ist, ein Schadenseintritt zumindest wahrscheinlich ist und greifbare Anhaltspunkte für eine richterliche Schadensschätzung vorhanden sind (BGHUrteil vom 20.02.1986 – VII ZR 286/84; Urteil vom 14.01.1993 – VII ZR 185/91; Kniffka, IBR-Online-Kommentar Bauvertragsrecht 2010, Rn. 731). Das sind hohe Hürden, die es zu bewältigen gilt.

Die Frage ob dabei der Haftungsgrund unstreitig oder bewiesen ist, kann das Gericht im Wege der freien Beweiswürdigung entscheiden. Sollte das Gericht im Prozess sich zu dieser freien Beweiswürdigung  durchgerungen haben, so gilt der Schadenseintritt als zumindest wahrscheinlich. Damit sind aber noch nicht alle Hürden beseitigt.

In der Praxis ist es nämlich oftmals fraglich, wann genau „greifbare Anhaltspunkte“ für eine richterliche Schadensschätzung vorhanden sind. Jedenfalls ist die Schätzung unzulässig, wenn sie mangels greifbarer, vom Kläger vorzutragender Anhaltspunkte „völlig in der Luft hängen“ würde (BGH NJW 1984, 2216; BGH NJW 1987, 909, 910). Die Schätzungen dürfen sich also nicht von dem Einzelfall entfernen. Sie müssen sich vielmehr auf die konkreten und einzelfallbezogenen Bauumstände beziehen. Ihre Ergebnisse müssen auch einer einzelfallbezogenen Plausibilitätskontrolle unterzogen werden. Unzulässig sind deshalb Schadensschätzungen, die allein auf abstrakten Hypothesen beruhen, die zudem durch die Umstände des Einzelfalls widerlegt sind (BGH Urteil vom 21.03.2002 – VII ZR 224/00; Urteil vom20.02.1986 – VII ZR 286/84).

Der Bundesgerichtshof hat keine Einwendungen gegen zuverlässige, baubetriebswirtschaftliche und baubetriebswissenschaftliche Methoden der Schadensschätzung. Vielmehr ist der Rückgriff auf solche Schätzungsmethoden schon deshalb zulässig, weil die genaue Abbildung des gestörten Bauablaufs in aller Regel trotz ausreichender Dokumentation nicht mehr möglich ist (Kniffka, IBR-Online-Kommentar Bauvertragsrecht 2010, Rn. 733).

Sollte es dem Bauunternehmer als Anspruchssteller folglich nicht gelingen, den ihm entstandenen Schaden genau zu beziffern, so bietet § 287 ZPO ihm vorgerichtlich die Argumentationsmöglichkeit gegenüber dem Auftraggeber, dass im Prozess dem Gericht die Möglichkeit bleibt, den Schaden zu schätzen, und somit eventuelle Lücken in der Schadensberechnung zu schließen. Dies jedoch nur, sofern der Anspruchssteller eine ausreichende Schätzungsgrundlage vorgetragen hat. Damit aber können renitenten Auftraggebern oftmals die Zähne gezogen werden, um einen Prozess in letzter Minute zu vermeiden, in dem dem Unternehmer über diese gerichtliche Schadensschätzungsmöglichkeit im Einzelfall geholfen werden kann.

Frage 3: Was muss der Bauunternehmer bei der Dokumentation der Bauablaufstörungen beachten? Was muss er vor Gericht vortragen?

Die für die Schätzung des Gerichts maßgeblichen und zuvor erwähnten „greifbaren Anhaltspunkte“ müssen vom Anspruchssteller im Prozess konkret vorgetragen werden. Selbst bei einer Großbaustelle hält der Bundesgerichtshof eine abstrakte Schadensberechnung für unzulässig. Vielmehr setzte er in seiner Leitentscheidung vom 20.02.1986 fest, dass auch die Verhältnisse auf Großbaustellen es nicht von vornherein unmöglich machen, einen Behinderungsschaden und damit auch einen Produktivitätsverlust konkret darzulegen. Im Rahmen der dort ohnehin üblichen Dokumentation des Bauablaufs in Form von Tagesberichten und dergleichen könnten die Behinderungen und die sich hieraus ergebenden Folgen wie etwa „Leerarbeit“ und „Leerkosten“ ohne weiteres dokumentiert werden.

Etwaige hierdurch entstehende Mehrkosten seien als Teil des Schadens vom Schädiger zu ersetzen. Gerade auf Großbaustellen komme hinzu, dass dort häufig noch andere Einsatzmöglichkeiten für Personal und Gerät bestünden, weshalb nicht jede Behinderung zwangsläufig zu entsprechenden Produktivitätseinbußen führen müsse (BGH NJW 1986, 1684, 1685).

Der Bundesgerichtshof verlangt vom Anspruchsteller also selbst bei Großbaustellen eine möglichst genaue Dokumentation des Bauablaufs. Das dies dann erst Recht für kleinere Bauvorhaben gilt, liegt auf der Hand.

Soweit die Behinderung darin besteht, dass bestimmte Arbeiten nicht oder nicht in der vorgesehenen Zeit durchgeführt werden können, ist sie nach allgemeinen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast zu beurteilen. Der Auftragnehmer hat deshalb darzulegen und Beweis dafür zu erbringen, wie lange die konkrete Behinderung andauerte. Dagegen sind weitere Folgen der konkreten Behinderung nach § 287 ZPO zu beurteilen, soweit sie nicht mehr zum Haftungsgrund gehören, sondern dem durch die Behinderung erlittenen Schaden zuzuordnen sind (BGH BauR 2005, 85, Urteil vom 20.04.2005 – VIII ZR 110/04).

Es unterliegt deshalb der einschätzenden Bewertung durch den Tatrichter, inwieweit eine konkrete Behinderung von bestimmter Dauer zu einer Verlängerung der gesamten Bauzeit geführt hat

Zudem ist zu beachten, dass es für den Ersatz von Behinderungsschäden grundsätzlich nicht ausreicht, wenn der Unternehmer lediglich eine oder mehrere Pflichtverletzungen – z. B. Planlieferverzüge – vorträgt. Er muss darüber hinaus darlegen und beweisen, welche Behinderung mit welcher Dauer und mit welchem Umfang daraus verursacht wurde. Handelt es sich um mehrere Pflichtverletzungen, so muss er dies jeweils für den Einzelfall vortragen.

Für eine Klage aus § 6 Nr. 6 VOB/B ist in der Regel eine konkrete, bauablaufbezogene Darstellung der jeweiligen Behinderung unumgänglich. Dem Auftragnehmer ist im Behinderungsfalle die Erstellung einer aussagekräftigen Dokumentation zumutbar.

Für die sog. haftungsbegründende Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Behinderungsschaden muss der Auftragnehmer vollen Beweis gemäß § 286 ZPO führen. Für die sog. haftungsausfüllende Kausalität (z. B. Folgen der Behinderung im Bauablauf, Höhe des Schadens) besteht die Möglichkeit der Schätzung gemäß § 287 ZPO. Sollten sich dennoch Lücken im Vortrag des Anspruchsstellers ergeben, so ist entscheidend, ob die vorgetragenen Fakten dem Gericht eine hinreichende Grundlage für die Schätzung des Mindestschadens bieten.

Die Anforderungen einer möglichst genauen Dokumentation des Bauablaufs finden jedoch auch ihre Grenzen. So dürfen zum Beispiel die zur Beschaffung der Informationen nötigen Kosten nicht diejenigen des geltend gemachten Anspruches übersteigen (BGH a.a.O), ferner muss auch berücksichtigt werden, wie lange der Sachverhalt zurückliegt.

 

Frage 4: Was ist in der Praxis

zu beachten?

Sollte es zu Produktivitätsverlusten kommen, so ist eine möglichst exakte Dokumentation der Bauablaufstörungen ratsam. Je genauer und überzeugungskräftiger die Dokumentationen, desto höher – bis an die Grenze eines maximal möglichen Schadens – auch der anzusetzende Schaden. Nur allgemein wissenschaftliche Erkenntnisse können jedoch als Schätzungsgrundlage nicht herangezogen werden. Dabei sollte der Bauunternehmer alle erdenklichen Fakten zusammentragen und substantiiert vortragen. Letztendlich hilft eine möglichst genaue Dokumentation nicht nur dem Gericht für die häufig erforderliche Schadensschätzung, sondern ist auch für Bauunternehmer unausweichlich, um überhaupt solche Schadensersatzansprüche durchsetzen zu können.

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