„Wir sind Initiator
vieler innovativer Ideen!“

tHIS sprach mit Eckhard Bohlmann, Leiter „Engineering und Innovation“
der HeidelbergCement AG.

tHIS: Herr Bohlmann, was ist in der Entwicklungsarbeit der HeidelbergCement AG die Hauptantriebsfeder?

Eckhard Bohlmann: Bei der strategischen Entwicklungsarbeit ist es notwendig, zunächst die relevanten globalen Trends zu betrachten. Die sogenannten Mega­trends. Im Bauwesen sind hier Urbanisierung, Mobilität, Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit sowie der Klimawandel zu nennen. Diese großen Anforderungen brechen wir auf unser Betätigungsfeld herunter und stellen Überlegungen an, wie ein Baustoff wie Beton im Infrastrukturbau und in allen anderen Bereichen des Bauwesens gezielte Lösungsansätze liefern kann. Das nächste Thema ist dann für uns der Markt. Welche Herausforderungen existieren jetzt? Wie können wir aus konkreten praktischen Anforderungen heraus, effiziente und dauerhafte Produktlösungen entwickeln? Forschung ist für uns eine Investition und kein Kostenfaktor. Es gibt kaum ein anderes Unternehmen, das an dieser Stelle so gut aufgestellt ist, wie HeidelbergCement.


tHIS: Worin besteht die Aufgabe Ihrer Abteilung „Engineering und Innovation“?

Eckhard Bohlmann: Die Abteilung „Engineering und Innovation“ ist in der strategischen Entwicklungsarbeit für den gesamten deutschen Markt zuständig und hier schwerpunktmäßig für die Bereiche Zement und Beton. Wir haben unser Geschäft in verschiedene Segmente aufgeteilt. Eines dieser Segmente ist der Verkehrswegebau, der von einem Produktmanager betreut wird. Dieser Produktmanager ist dafür verantwortlich, dass Ideen aus seinem Segment aufgegriffen und konsequent in Entwicklungsaufträge übersetzt werden. Hierbei wird er unterstützt durch ein Team aus meiner Abteilung „Engineering und Innovation“. Beide Bereiche sind gemeinsam dafür verantwortlich, ein vermarktungsfähiges System zu entwickeln und in der Praxis umzusetzen, z.B. in Form von Pilotprojekten.


tHIS: Arbeiten Sie in dieser finalen Phase gezielt mit Industriepartnern im Markt zusammen?

Eckhard Bohlmann: Ja, in der Phase der Erprobung und Einführung neuer Produkte ist es besonders wichtig, ein Netzwerk kompetenter Partner zu haben. Ich sehe uns an dieser Stelle als Initiator vieler hoch innovativer Ideen. Aber wenn es darum geht, eine neue Bauweise durchzusetzen, benötigt man ein sehr gutes Netzwerk. Nehmen wir z.B. eine unserer jüngeren Entwicklungen, den Bankettbeton.


tHIS: Ein spezieller Beton für die Be­festigung von Banketten?

Eckhard Bohlmann: Ja genau. HeidelbergCement und Heidelberger Beton haben gemeinsam einen speziellen offenporigen Beton für eine wirtschaftliche und nachhaltige Bankettbefestigung entwickelt. In den Niederlanden hat sich der Einsatz von Bankettbeton schon länger bewährt. Daraufhin haben wir untersucht, ob Bankettbeton auch ein passendes Produkt für Deutschland sein könnte. Diese Frage konnten wir klar mit ja beantworten. Da der Einsatz von Bankettbeton im deutschen Markt allerdings noch nicht sehr weit verbreitet ist, geht es zuerst darum, dessen Bekanntheitsgrad in Deutschland zu fördern.


tHIS: Sie müssen die Vorteile zunächst transparent machen?

Eckhard Bohlmann: Hierfür gilt es zunächst, die folgenden Fragen zu klären: Wo liegen die Nachteile der traditionellen Bauweise in Deutschland und wo liegen die Vorteile des neuen Produkts Bankettbeton? Mitunter wird es in dieser frühen Phase einer Produkteinführung notwendig, die Möglichkeiten eines maschinellen Einbaus mit einem Maschinenbauer genau zu prüfen. Der nächste Schritt besteht darin, ein Bauunternehmen zu finden, das dieses neue Geschäftsfeld bearbeiten möchte. Somit werden entscheidende Allianzen  geschmiedet. Als nächstes wird ein Pilotprojekt geplant und ausgeführt. Ab einer bestimmten Größenordnung entsteht ein Schneeballeffekt. Bankettbeton ist so ein Gesamtpaket, bei dem all diese Maßnahmen zum Tragen kamen, weil es hier um eine neue Bauweise ging. Ähnliche Strukturen kamen bei der Markteinführung von Whitetopping zum Tragen.


tHIS: Whitetopping zur Sanierung geschädigter Fahrbahnen?

Eckhard Bohlmann: Ja, ein Verfahren wie Whitetopping entsteht schlussendlich auch aus einer kombinierten Betrachtung der Baustoffe Asphalt und Beton. Es handelt sich hierbei um eine Bauweise für die Instandsetzung bzw. für die Ertüchtigung von geschädigten oder unterdimensionierten Fahrbahndecken aus Asphalt oder Beton. Die Whitetopping-Bauweise bietet die Möglichkeit, neuwertige Fahrbahndecken herzustellen, ohne den vorhandenen Fahrbahnaufbau komplett zu erneuern. Der wesentliche Vorteil von Whitetopping besteht darin, dass die vorhandenen Flächen weiterhin genutzt werden können. Es ist nicht notwendig, den gesamten Aufbau auszubauen, sondern es wird nur ein Teil des vorhandenen Schichtaufbaus ausgebaut und das verbleibende System wird durch ein Whitetopping verstärkt. Somit gelingt es im Endeffekt, eine dauerhaftere Fläche neu herzustellen, die wieder über lange Jahre nutzbar ist.


tHIS: Durch den Einsatz von ChronoCem IR und Chronocrete erzielt man eine schnelle Verkehrsfreigabe?

Eckhard Bohlmann: Unsere Überlegungen bei der  Entwicklung von ChronoCem IR und Chronocrete zielten im Wesentlichen darauf ab, überzeugende Baustofflösungen zu schaffen, um Verkehrsflächen schnell wieder herzustellen. Start- und Landebahnen von Flughäfen zum Beispiel sind hoch sensible Flächen. Diese können nicht langfristig stillgelegt werden. Autobahnen,  Logistikflächen, Zufahrten, Straßenbahngleistrassen, Kreuzungsbereiche sind relevante Verkehrsflächen, die schnell instandgesetzt werden müssen. Wenn die dynamischen Lasten, die wir auf unsere Verkehrsflächen aufbringen, zunehmend höher werden, dann ist es ganz klar, dass wir Baustoffe benötigen, die diese Lasten auch tragen können. Wir benötigen Baustoffe, mit denen eine dauerhafte Verkehrssicherheit gegeben ist. Also ein Schnellbeton-Baustoffsystem mit ChronoCem IR, das wir in den letzten Jahren systematisch weiter entwickelt haben.


tHIS: Beschäftigt sich HeidelbergCement auch mit dem Thema einer Durchgehend Bewehrten Betonfahrbahn?

Eckhard Bohlmann: Ja, sehr intensiv sogar. Beim konventionellen Betonstraßenbau erfolgt der Einbau des Betons mit dem Fertiger und der Herstellung einer verdübelten bzw. verankerten Scheinfuge. Alternativ hierzu gibt es schon seit geraumer Zeit die Idee einer Durchgehend Bewehrten Fahrbahn. Diese Bauweise ist an sich nicht neu, wurde aber immer wieder verworfen, weil man zu dem Ergebnis kam, dass das Verfahren nicht funktioniert. Wir haben das System einer Durchgehend Bewehrten Betonfahrbahn mit vielen Partnern wieder ins Gespräch gebracht und dabei die Ergebnisse und Erkenntnisse der Versuchsstrecke auf der BAB A5 bei Darmstadt aus 2004 wieder neu aufgegriffen und eine eigene Versuchsstrecke projektiert, die rund 1,4 km lange Werksstraße unserer beiden Werke in Geseke. Für dieses Projekt haben wir auch die BASt und die Ruhr-Universität Bochum mit ins Boot geholt.


tHIS: Worin liegen die wesentlichen Herausforderungen dieser Bauweise?

Eckhard Bohlmann: Bei dieser Bauweise werden hohe Anforderungen an die Gleichmäßigkeit und Ebenheit der Unterlage gestellt. Des Weiteren muss die Bewehrung planmäßig in einem engen Toleranzbereich verlegt werden, so dass sich die gesteuerten Risse in den entsprechenden Breiten und Abständen in der Decke einstellen. Des Weiteren ist beim Einbau des Betons, in Bezug auf die Rissbildung und -verteilung, eine hohe Gleichmäßigkeit notwendig. All dies sind die Herausforderungen, die wir bei dieser Bauweise ganz gezielt angehen müssen. Darüber hinaus müssen wir über die Oberflächenausbildung bzw. -texturierung nachdenken. Hier gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens kann ich den Aufbau mit einer dünnen Asphaltschicht überbauen, also ein Blacktopping machen. Die andere Möglichkeit besteht darin, die Oberfläche mechanisch z.B. durch Schleifen zu bearbeiten. Dies führte uns zu dem Thema Grinding, d.h. in die Betonoberfläche mit einer mit Diamantscheiben besetzten Schleifwelle definierte Rillen zu schneiden. Dieses neue Verfahren ist sehr vielversprechend, denn somit gelingt es, die Ebenheit und Griffigkeit der Oberfläche relativ gut und dauerhaft herzustellen, was auch noch zu einer deutlich höheren Lärmminderung im Verhältnis zu der heute üblichen Waschbetonbauweise führt. Und auch der wirtschaftliche Vergleich kann sich sehen lassen. Für die Herstellung einer Waschbetonoberfläche muss die Decke aufwändig im zweischichtigen Einbau aus Unterbeton und Oberbeton hergestellt werden, wobei noch final der Oberflächenmörtel mechanisch entfernt werden muss. Die Grindingtextur kann sowohl auf einer ein- oder zweischichtig hergestellten Beton­decke schnell und witterungsunabhängig ausgeführt werden. Bei einem wirtschaftlichen Vergleich beider Bauweisen sprechen wir somit in etwa von den gleichen Kosten.


tHIS: Neben der technischen Effizienz wird auch die Nachhaltigkeit von Baustoffen zunehmend relevanter.

Eckhard Bohlmann: Umwelt und Ressourcen sind für HeidelbergCement sehr wichtige Themen. Ich persönlich differenziere sehr deutlich zwischen einem nachhaltigen Baustoff und einem nachhaltigen Bauwerk. Für mich gibt es in erster Linie nachhaltige Bauwerke oder nachhaltige Bauteile. Nehmen wir das Thema UHPC. Der Zementanteil im UHPC ist auf den Kubikmeter gerechnet extrem hoch und man könnte UHPC als nicht so umweltfreundlich wie üblichen Beton betrachten. Aber durch die mögliche Reduzierung der Dicken und Mengen wird gleichwohl ein sehr nachhaltiges Bauwerk errichtet. Auch Baustoffsysteme, die einen hohen Zeitgewinn ermöglichen, wie Chronocrete, sind sehr nachhaltig, da wir eine Baulösung zur Verfügung stellen, die störende Beeinträchtigungen von Betriebsabläufen ganz entscheidend minimiert. Also zum Beispiel weniger Stauzeiten. All dies befreit uns natürlich nicht von der Pflicht, über jedes Produkt aus ökologischer Sicht immer wieder aufs Neue nachzudenken.

tHIS: Worauf zielen solche ökologischen Entwicklungen ab?

Eckhard Bohlmann: Wir arbeiten intensiv an der Herstellung von Zementen mit einem höheren Hüttensandanteil. Das ist eine Gesamtanstrengung der zementproduzierenden Industrie und nicht nur ein Thema für HeidelbergCement. Im Heidelberger Technology Center beschäftigt man sich sehr intensiv mit der Herstellung neuer Bindemittelsysteme. Wir werden dem Markt demnächst ein komplett neues Bindemittelsystem zur Verfügung stellen, das nicht mehr auf  sonst üblichem Portlandzementklinker basiert. Dieses benötigt nicht mehr die bekannten hohen Brenntemperaturen und die prozessbedingte CO2-Emission kann signifikant gesenkt werden.


tHIS: Beim Umweltschutz ist ein Produkt wie TioCem® durch seine photokatalytische Wirkung sehr überzeugend.

Eckhard Bohlmann: Wir stellen im Bauwesen eine große Vielzahl unterschiedlichster Flächen her. Hier müssen wir uns immer intensiver mit einer multifunktionalen Nutzung solcher Flächen beschäftigen. Das heißt also, wie kann ich eine Fläche auch über ihre primär definierte Funktion hinaus sinnvoll nutzen. Das fängt an bei Themen wie Photokatalyse und geht hin bis in die Integration von Photovoltaik oder dahin, den Reflexionsgrad von Straßenoberflächen exakt zu definieren, um das Stadtklima positiv zu beeinflussen. Diese Ideen werden auch im Projekt „Straße der Zukunft“ aufgegriffen. Hier knüpft auch TioCem an. TioCem ist ein Zement, der ein spezielles Titandioxid enthält. Dieses verwendete Titandioxid ist ein Photokatalysator. Unter Einwirkung von Tageslicht werden gesundheitsschädliche Stickstoffoxide (NOX) in ungiftiges Nitrat  (NO3) überführt. Durch die stickstoffoxidreduzierende Wirkung ist der Einsatz von TioCem in Form von Betonpflastersteinen oder in Verbindung mit der Whitetopping-Bauweise und anderen Verkehrsflächenbefestigungen sehr sinnvoll. Zusammen mit unserem Tochterunternehmen Italcementi wurden sowohl für den Zement, als auch für die Endprodukte strenge Standards definiert. TX Active® steht für die dauerhafte, photokatalytische Funktionalität des Endproduktes. Ich bin von der ökologischen Leistungsfähigkeit von TioCem überzeugt. TioCem wird sich langfristig durchsetzen.

tHIS: Wie wichtig ist es, ein Komplettanbieter verschiedenster, aufeinander aufbauender Systeme zu sein?

Eckhard Bohlmann: Das ist sehr wichtig. Wenn ich verschiedene Systemergänzungen aus einem Baustoffsystem heraus generiere, kann auch das Basisprodukt im Markt besser platziert werden. Unser Schnellbeton ist, verglichen mit der eigentlichen Zement- und Betonproduktion, eher ein Nischenprodukt. Aber diese Nische komplettiert das Basisangebot. Somit wird Beton im Verkehrswegebau für unsere Kunden noch interessanter, da ich eine große Vielzahl von Sonderlösungen anbiete, die exakt auf alle Anwendungsbedürfnisse zugeschnitten sind. Dabei wollen wir die im Unternehmen vorhandene Wertschöpfungskette  vertikal integriert bestmöglich nutzen. Im Idealfall erreichen wir dadurch nicht nur eine Addition der Kompetenzen, sondern durch die Kombination der Kapazitäten stellen wir dem Markt echte Mehrwertlösungen zur Verfügung, die mehr sind als die Summe der einzelnen Produkte. Dann ist eins und eins mehr als zwei.

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