POLITIK UND ÖFFENTLICHKEIT VERSCHLIESSEN SICH DEM ERNST DER LAGE

Verkehr unterfinanziert

Die Appelle der Wirtschaft und der Experten verhallen ungehört: die Regierungen in Bund und Ländern, sowie die breite Öffentlichkeit, ignorieren die fatalen Konsequenzen einer Unterfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Das Land fährt auf Verschleiß.

Die Sperrung der Autobahnbrücke über den Rhein bei Leverkusen für schwere LKW war ein deutliches Warnsignal. Michael Groschek, der Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen, zeigte sich nach der Besichtigung der Brücke „ein klein wenig entsetzt“. Das war wohl die Untertreibung des Jahres. Als ihm dann dämmerte, dass auch sein Bundesland eine Mitverantwortung trägt, schimpfte er wie ein Rohrspatz: „Man hat den Steuerzahler beschissen und den Staat ausgenommen wie eine Weihnachtsgans“ und meinte damit den „Pfusch am Bau“ bei den Brückenbauten der 60er und 70er Jahre. Damals war unter anderen der Sozialdemokrat Georg Leber Bundesverkehrsminister. Aus den populistischen und sozialistischen Tönen des NRW-Ministers meint man zu vernehmen, dass die Schuld wohl bei den Bauunternehmen der damaligen Zeit sucht. Heutige Brückenbauingenieure geben gerne zu, dass die Technologie der Spannbetonbrücken damals noch in den Kinderschuhen steckte. Aber seitdem hat man dazu gelernt. Und bei guter Wartung in den letzten Jahren hätte es nicht zur spektakulären Sperrung der Leverkusener Brücke kommen müssen. Außerdem ist dies nicht die erste Brücke, die schwere LKW abweisen muss.

Tausende Brücken in schlechtem Zustand

Der Bund muss sich laut „Frankfurter Allgemeine“ um 39.000 der 120.000 Brücken in Deutschland kümmern. In einer wenig beachteten Gemeinsamen Erklärung des BDI und wichtiger Verbände von Oktober 2012 heißt es, dass „rund 47 % der Brückenflächen auf Autobahnen und Bundesstraßen im Zustand nur noch mit ausreichend oder schlechter bewertet werden. Die Studie fährt fort: „Allein für die nötigste Instandhaltung und Ertüchtigung maroder Brücken müssten in den kommenden fünf Jahren rund sieben Milliarden Euro investiert werden“. Das wird der Bundesfinanzminister kaum genehmigen.

Peter Ramsauer einsamer Rufer in der Wüste

Dem Bundesverkehrsminister kann man nicht zum Vorwurf machen, das Problem nicht erkannt zu haben. Das gehört in seinem Ressort zum kleinen Einmaleins. Eine gute Verkehrsinfrastruktur sei das „Rückgrat unserer Gesellschaft“, sagte er im November auf einer Veranstaltung, bei der es um mehr Akzeptanz für neue Verkehrsprojekte ging. „Für Erhalt und Ausbau unserer Verkehrsnetze brauchen wir die Akzeptanz der Gesellschaft“, fuhr er fort. So sollen die Bürger an der Vorbereitung des neun Bundesverkehrswegeplans 2015 beteiligt werden, ein Novum in der Bundesrepublik. Aber davon abgesehen muss der Staat seine Aufgabe erfüllen, für eine gute Verkehrsinfrastruktur zu sorgen. Sie müsste eine ebenso hohe Priorität haben wie die Haushaltskonsolidierung und die Energiewende. „Man darf sich nicht kaputtsparen“, so Ramsauer. Was aber hat der Bund gemacht? Er hat das Haushaltsdefizit gedrückt, indem er die Investitionen für die Straße und Schiene zurückfuhr. Die Finanzminister Eichel, Steinbrück und Schäuble haben alle gesündigt. Zitieren wir nochmals aus der Gemeinsamen Erklärung: „Seit vielen Jahren sind die Verkehrswege dramatisch unterfinanziert. Die Investitionsquote im Bundeshaushalt ist von 1998 bis 2012 von 13 auf 9,6 Prozent gesunken. Unser Land zehrt von der Substanz“.

Vier Milliarden Euro fehlen

Mit Ausnahme der Jahre 2009 und 2010, wo die beiden Konjunkturprogramme wirkten, habe der Bund weiniger als 10 Mrd. Euro jährlich in die Verkehrswege investiert; der Bedarf liege aber bei 14 Mrd. pro Jahr. Mittelfristig, so Ramsauer, fehlen 4 Mrd. Euro jährlich. Das ist ein dicker Brocken. Wie kommt die Summe zustande? Für Straßen gibt der Bund 5 Mrd. aus, Ramsauer braucht aber 7,5 Mrd. Die Schiene erhält 4,2 Mrd., eine Milliarde weniger als nötig. Außerdem fehlen für die Wasserwege eine halbe Milliarde. Laut Ministerium sind besonders die Schleusen in einem schlechten Unterhaltungszustand: jede dritte Schleuse ist in einem nicht ausreichenden Zustand (Note 4 und schlechter). Die Deutsche Bahn hat auch keine gute Infrastrukturbilanz vorzuweisen. Laut Eisenbahn-Bundesamt weist jede vierte Eisenbahnbrücke „unmittelbare Sicherheitsmängel“ auf. Das Bundesverkehrsministerium stellt der DB zu diesem Zweck jährlich 500 Mio. zur Verfügung. Aber die Bahn hat davon in den Jahren 2009-2011 nur 400 Mio. abgerufen, ein skandalöser Vorgang. Der wahrscheinliche Grund ist, dass die Bahn im Vorfeld des abgeblasenen Börsengangs die eigenen Ingenieurplanungskapazitäten abgebaut hatte.

CDU macht Infrastruktur zum Wahlkampfthema

Eine erfreuliche Überraschung kommt von der CDU. Sie will im Bundestagswahlkampf im Herbst für ein milliardenschweres Investitionsprogramm im Straßennetz werben. Das ist mutig, denn die Bürger sind eher „straßenmüde“. Auf jeden Fall ist man weit entfernt von den Zeiten von Rot-Grün, als Kanzler Schröder die dämliche Devise „Bildung statt Beton“ ausgegeben hatte.

Autor:
Marcel Linden, Bonn
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