„Markant blaues Maul“ für den Poetenweg

Sanierung des 2. Nördlichen Hauptsammlers in Leipzig mit GFK-Sonderprofilen

Der „2. Nördliche Hauptsammler“ im Leipziger Stadtteil Gohlis ist einer der größten und wichtigsten Mischwasserkanäle der sächsischen Metropole. Nach 103 Betriebsjahren wurde er als akuter Sanierungsfall im Sommer und Herbst 2010 durch Relining mit GFK-Maulprofilen (Amitech Germany) renoviert. Dabei war nicht erst die eigentliche Baumaßnahme sehr anspruchsvoll, sondern bereits die Organisation der Wasserhaltung in diesem ständig hoch ausgelasteten Bauwerk.

Im Betriebssystem des Leipziger Abwassernetzes spielt der „2. Nördliche Hauptsammler“ seit 1907 eine zentrale Rolle. Das Bauwerk wurde damals als Maulprofil 1800/2600 errichtet und besteht aus einem mit Klinkern ausgekleideten Stampfbetonsockel, auf dem eine gegossene Betonhaube sitzt. Der historische Kanal führt unter dem Stadtteil Gohlis hindurch, einem der von je her exklusivsten Leipziger Wohnstandorte. Dabei folgt er zwischen der Lumumba-Straße und der Platnerstraße auf rund 650 m Länge dem Verlauf des Poetenwegs. In diesem Bereich spielt der groß dimensionierte Kanal neben seiner Transportfunktion eine tragende Rolle als temporäres Rückstauvolumen im Leipziger Konzept der Kanalnetz-Steuerung. Gerade hier im Poetenweg aber ergaben Untersuchungen durch das Ingenieurbüro ingutis (Leipzig) in den Jahren 2004 und 2006 dringlichen Sanierungsbedarf.

Funktionsfähigkeit gefährdet

Strukturelle Mängel und vor allem Alterungsprozesse des unbewehrten Betons, allem voran biogene Schwefelsäurekorrosion im Gasraum des Kanals, hatten die Substanz des 100 Jahre alten Materials bis zu 8 cm tief schwer angegriffen. In 3-5 cm Tiefe war der verbliebene Zement bereits vollständig in Gips umgewandelt. Korrosion, flächige Abplatzungen, punktuelle Ausbrüche und Risse stellten die Lebensdauer und nachhaltige Funktionsfähigkeit des Hauptsammlers ebenso in Frage wie seine Dichtheit. Da der Kanal phasenweise bis über Scheitel im Grundwasserhorizont liegt, waren permanente Fremdwasser-Eintritte eine Konsequenz des maroden Bauwerkszustandes. Als Fazit prognostizierten die Gutachter dem Betonprofil ein rasches Fortschreiten der Schadensbilder sowie die Gefahr eines kurzfristigen „Gebrauchsversagens“ und stuften das Bauwerk in die Zustandsklassen 0 und 1 nach ATV-M 149, Teil 3 ein.

Hoch problematisch war dieser Zustand des Sammlers für die Verkehrssicherheit im Poetenweg, der als bekannter Innenstadt-„Schleichweg“ erheblich durch Berufsverkehr belastet ist. Als Konsequenz des ingutis-Gutachtens war der Poetenweg 2006 bereits umgehend für Schwerverkehr mit mehr als 30 t Fahrzeug-Gesamtgewicht gesperrt worden – eine Restriktion, die im Übrigen auch während der Sanierung durch das ausführende Bauunternehmen beachtet werden musste.


Offene Arbeiten ausgeschlossen

Das im Auftrag der Kommunalen Wasserwerke Leipzig erstellte Sanierungskonzept des Ingenieurbüros Mann, Leipzig, setzte, nach sorgfältiger Prüfung alternativer Optionen auf ein Relining mit maßgefertigten GFK-Kurzrohren. Ein offener Neubau kam in dieser in jeglicher Hinsicht sensiblen Ortslage nicht in Frage. Die Ausschreibung des Projektes beinhaltete neben dem Relining selbst auch die Erneuerung bzw. den Umbau von Schachtbauwerken im Zuge der Sanierungsstrecke, insbesondere eines Zusammenführungsbauwerkes am Übergang von der Lumumba-Straße zum Poetenweg. Im Verlauf des Poetenweges galt es mehrere Revisionsschächte als GFK-Tangentialschacht-Konstruktion an den Maulprofil-Liner anzubinden.


GFK-Profile in 3D eingemessen

Den Zuschlag für die Durchführung des spektakulären Vorhabens erhielt die Bietergemeinschaft der Heinrich Lauber GmbH, Coswig, und der Insituform Rohrsanierungstechniken GmbH. Das erfolgreiche Angebot setzte auf die Installation von GFK-Profilen des Systems Amiren von Amitech Germany. Deren Abmessungen wurden nach vorangehender digitaler 3D-Einmessung der realen Bauwerksnennweiten bestimmt. Bei der Vermessung stellte sich heraus, dass die offizielle Bauwerkshöhe 2600/1800 mm bis zu 6 cm und seine Breite um bis zu 17 cm schwankte; eine minimale Höhe von 1,70 m und eine minimale Breite von 2,56 m wurden der Bemessung der in Wickeltechnik hergestellten Relining-Rohre zugrunde gelegt.

Desgleichen war zu berücksichtigen, dass der 2. Nördliche Hauptsammler keineswegs geradlinig verläuft, sondern dem Poetenweg in großen Bögen folgt. Um diesen Bedingungen gerecht zu werden, produzierte man für die Krümmungsbereiche 1,0 m lange Maulprofil-Rohre der Außenabmessung 2290/1500 mm. In den Geraden wurden längere Rohre eingebaut. Diese wurden für den Einbau „just in time“ am Einbau-Startschacht angeliefert, der in unmittelbarer Nähe des spektakulärsten Anliegers am Poetenweg geöffnet wurde: Das Gohliser Schlösschen, ein barockes Gebäude- und Park-Ensemble, gab eine durchaus pittoreske Kulisse für dieses Projekt ab (allerdings in harter Konkurrenz mit zahlreichen Gründerzeit-Villen und dem sehenswerten Gebäude der Leipzig Media School).


Aufwendige Wasserhaltung

Die Blicke der Autofahrer, die während der Bauzeit eine Einbahnstraßenregelung im Poetenweg hinnehmen mussten, wurden jedoch eher von dem gewaltigen Stahlrohr der Wasserhaltung angezogen, das dem Straßenverlauf oberirdisch folgte und die Funktion des Sammlers übernahm. Der Bypass war in Heber-Technik mit einer Stahldruckleitung DN 1200 realisiert worden und konnte bis zu 1300 l/s fördern. Er war den betrieblichen Anforderungen während des Projektes durchwegs gewachsen – mit einer einzigen Ausnahme, die den gesamten Baubetrieb zeitweilig lahm legte: Am 28. September tobte ein Jahrhundert-Unwetter über Sachsen, in dessen Verlauf nicht nur die Kanäle in Leipzig bis zum Anschlag gefüllt, sondern alle befestigten Oberflächen eine Handbreit hoch überflutet waren. Der Kanal mit dem teilweise verlegten GFK-Liner wurde geräumt und den Wassermassen überlassen. Nach Normalisierung des Abflusses konnte allerdings problemlos weiter gearbeitet werden.

Spezialshuttle transportiert Rohre

Der eigentliche Einbau durch die Fachleute lief jeweils so ab, dass eines der 400 kg/m bzw. 1,2 t/Rohr wiegenden GFK-Maulprofilrohre von einem Fahrzeugkran in die Startbaugrube hinab gelassen und dort von einem Rohrshuttle, einer Insituform-Spezialkonstruktion, aufgenommen wurde. Dieser bemannte Shuttle fuhr das Rohr bis ans Ende des bereits verlegten Relining-Strangs, wo es an diesen mittels einer Steckmuffen-Verbindung angekoppelt wurde. Im Zuge des Baufortschritts wurden zum einen die vorab eingemessenen Anschlüsse punktgenau wieder aufgefräst und der Ringraum mit einem eingeschobenen GFK-Rohr überbrückt, so dass die laufende Entwässerung der Grundstücke in den Sammler aufrecht erhalten werden konnte.

Später wurden die Anschlüsse bündig abgeschnitten und mit GFK-Laminat eingebunden. Des Weiteren wurde der Ringraum synchron zum Verlege-Fortschritt mit Dämmer verfüllt. In einem dem Vereinigungsbauwerk Lumumba-Straße vorgelagerten Kastenprofil 2500/2300 mm wurden, abweichend vom übrigen Projekt, nicht Maulprofile, sondern Amiren-Eiprofile 2100/1400 mm eingebaut. Die tangential angeordneten Revisionsschächte im Verlauf des Poetenwegs wurden nachträglich ebenfalls durch GFK-Schächte ersetzt. Begonnen am 16.08.2010 konnte das Relining im eigentlichen Sinne Anfang November erfolgreich abgeschlossen werden. Damit ist das Thema Poetenweg allerdings noch keineswegs erledigt, denn zum Auftragsumfang gehört neben der Sanierung des Sammlers auch die Sanierung der Hausanschlüsse, soweit erforderlich.

Diese werden angesichts der Sensibilität von Bausubstanz und Anlieger, so weit als möglich grabenlos durchgeführt. Die vorrangige Option ist hierbei ein Schlauchlining, bei dem ein mit Reaktionskunstharz getränkter Gewebeschlauch formschlüssig in die Leitung eingelassen und dort schließlich mit thermischer Unterstützung zu einem neuen Rohr ausgehärtet wird. Ob dabei jeweils von einem (gegebenenfalls auf dem Grundstück zu bauenden) Revisionsschacht aus gearbeitet wird oder aus dem Sammler heraus in Richtung Gebäude, wird dabei im Einzelfall nach den Gegebenheiten auf dem Grundstück bzw. nach der aktuellen hydraulischen Situation im Sammler entschieden. Geplant ist jedenfalls, dass der 2. Nördliche Hauptsammler in Gohlis ab Ende März „fit für weitere 100 Jahre“ wieder in uneingeschränkten Betrieb gehen kann.n

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