TIEF UNTER DER ELBE

Dükerbau bei schwierigsten Bedingungen

Der Pipelinebau stellt an Bauherren, Planer und Bauausführende besonders hohe
Anforderungen, vor allem in einer ökologisch hochsensiblen Umwelt. Ein beredtes Beispiel dafür ist der neue Elbedüker Hetlingen vor den Toren des Hamburger Hafens und Herzstück eines modernisierten Gasversorgungsnetzes für Norddeutschland und Skandinavien. Er war für alle Beteiligten alles andere als ein Routinejob.

Der neue Düker mit einer Gesamtlänge von 1540 m ersetzt ein etwa 40 Jahre altes Bauwerk, das vor allem bedingt durch die notwendige Elbevertiefung den heutigen Anforderungen der Schifffahrt nicht mehr genügt. Er verläuft 42 m unter dem Wasserspiegel und ist wichtiger Bestandteil eines zukunftsorientierten Leitungsnetzes der Gasuine, die bereits ein mehr als 15 000 km langes Erdgastransportnetz in den Niederlanden und in Norddeutschland betreibt und zu den größten Erdgasnetzwerken in Europa zählt. Allein in Deutschland sind es inzwischen 3 200 km mit steigender Tendenz. Große Bedeutung hat der neue Elbedüker für eine sinnvolle Vernetzung und leistet einen wichtigen Beitrag zur sicheren Erdgasversorgung von Hamburg, Schleswig-Holstein und Skandinavien. Darüber hinaus ermöglicht er eine wichtige Verbindung zum skandinavischen Telekommunikationsmarkt. Im Inneren des Kanals befinden sich zwei Druckrohrgasleitungen sowie Leerrohre für die Glasfaserkabel.

Das vom Bauherrn beauftragte Planungsbüro Moll, das auch verantwortlich war für die Bauoberleitung, hatte für die Umsetzung dieser anspruchsvollen Bauleistung in äußerst knapp bemessener Bauzeit in allen Phasen der baulichen Umsetzung nicht alltägliche Aufgaben zu lösen, als da sind:

– die unterschiedlichen geologischen Verhältnisse in der Vortriebstrasse

– die Baustellenerschließung

– eine umweltverträgliche, reibungslose Logistik für Transport und

Lagerung des Baumaterials

– die hohen Anforderungen an die Betongroßrohre

– der Rohrvortrieb in großer Tiefe

Nicht unproblematisch gestaltete sich anfangs auch der Part der Bauausführung. Denn: die Fluktuation in der Bauwirtschaft ging selbst an der Großbaustelle Hetlingen nicht spurlos vorbei. Zum Vergabezeitpunkt bestand die ARGE zunächst aus drei Unternehmen, übrig blieb jedoch kurze Zeit später allein die A. Hak Drillcon BV, die sämtlichemit dem Vortrieb verbundene Aktivitäten verantwortlich übernommen und sich in kurzer Zeit auf diese neue Situation einzustellen hatte.

Besondere Anforderungen eines Langstrecken-Vortriebs an das Rohrmaterial

380 Vortriebsrohre DN 2400/3000, sämtliche mit einer Länge von 4 m und einem Gewicht von je 25 t sowie zwölf Dehnerstationen waren für die Kanalstrecke erforderlich. Solche Hochleistungs-Großrohre sind in der Herstellung kein „ Produkt von der Stange“, zumal die Anforderungen für eine Verlegung in außergewöhnlicher Tiefe und bei unterschiedlichen Bodenverhältnissen besonders anspruchsvoll waren. Als Spezialist für die Herstellung großformatiger Infrastrukturkanäle wurde die Berding Beton GmbH ausgewählt.

Folgende wesentliche Kriterien für den Langstreckenvortrieb hatte der Rohrproduzent zu berücksichtigen:

–  absolute Dichtheit während und nach dem Vortrieb im Bereich der Rohrfügungen sowie bei den Rohrwandungen, und das bei einem Außendruck bis 5 bar. Hinzu kommen mögliche Belastungen durch mechanische Einwirkungen von Gesteinsbrocken auf die Rohraußenwand, aber auch außergewöhnliche Kurvenradien bei der Durchörterung von Sonderfällen.

In enger Zusammenarbeit mit dem Planungsbüro und  den Bauausführenden gelang es, für  die Randbedingungen des Vortriebs eine maßgeschneiderte Lösung zu entwickeln. Um dem außergewöhnlich hohen Dichtheitsanspruch gerecht zu werden, wurde im Betonlabor von Berding eine projektspezifische Betonrezeptur entwickelt mit folgenden wesentlichen Eigenschaften:

– minimale Wassereindringtiefe < 10 mm. Sie hat einen großen Einfluss auf eine gute Schmierung sowie die damit einhergehenden und besonders für den Langstreckenvortrieb geringeren Vortriebskräfte.

– hohe mechanische Abriebfestigkeit wegen möglicher abrasiver Außenwirkungen am Rohrmantel sowie günstige Bedingungen für den Gasrohreinzug nach Beendigung des Vortriebs.

– hohe Betonfestigkeiten, um möglichst hohe Vortriebskraftreserven vorzuhalten sowie unvorhergesehenen statischen Belastungen erfolgreich begegnen zu können, und zwar unter Beachtung einer maximalen Festigkeit von 90 N/mm2 und damit einer ungewollten Rissbildungsneigung z.B. beim Transport.

–  wohl überlegte Rohrfügungen, die weit über die normativen Vorgaben hinausreichen. Wesentliche Punkte für die Realisierung dieser wichtigen Aufgabe waren u.a.:

– ein redundantes äußeres Dichtungssystem mit zwei hochwertigen in Betonkammern fixierten Keilgleitdichtungen

– geplante Injektionsmöglichkeiten im Versagensfall

– minimierte Toleranzen im gesamten Spitzendbereich liegen dank neuem Fertigungs-Know-how unter der normativen Vorgabe  DIN EN 1916.

– Zusatzmaßnahmen des Rohrherstellers z.B. durch besondere Ausführung der Bewehrung im Muffen- und Spitzendbereich, um Sonderbelastungen besser abfangen zu können sowie eine Dichtheit auch bei außergewöhnlichen Belastungen zu gewährleisten.

Logistische Meisterleistung trotz hoher Umweltauflagen

Auch der Vortrieb war bereits im Frühstadium der Baustelleneinrichtung sowie der Bauarbeiten nach einem ausgeklügelten Konzept vorbereitet und dieses gemeinsam mit allen am Bau Beteiligten aber auch mit mit den Gemeinden und ihren Bürgervertretungen einvernehmlich diskutiert worden, um einen reibungslosen, kontinuierlichen Bauablauf zu ermöglichen. Die Logistik spielte darin eine besondere Rolle. Die pünktliche Anlieferung und Lagerung der 392 Großrohre musste unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten sowie für einen 24-Stunden-Betrieb gewährleistet sein, und das selbst bei starken Frequenzänderungen der täglichen Vortriebsleistung von 0 m bis 200 m/Woche.

Es galt, die Zufahrtsmöglichkeiten zur Baustelle aufgrund einer ohnehin hochbelasteten Landstraße, die durch mehrere enge Ortschaften führt, ohne eine starke Belastung der Anwohner mit Schwerlastfahrzeugen zu bewerkstelligen. Es war daher nachvollziehbar, dass die Planfeststellungsbehörde eine einzig mögliche und unter ökologischen Aspekten sinnvolle Alternative vorschlug, nämlich den Wasserweg zu benutzen. Sie stieß durchweg auf offene Ohren und war logistisch auch uneingeschränkt realisierbar. Die Rohre aus dem Werk Schermbeck sowie zahlreiche weitere transportintensive Produkte wurden auf dem nahe gelegenen Rhein über die Elbe und einen in Baustellennähe befindlichen Tonnenhafen des Wasserwirtschaftsamtes Wedel transportiert. Kaum vorstellbar, wenn während der Bauzeit rund um die Uhr ca. 300 Schwertransporter die Autobahnen, Bundes- und Landstraßen in doppelter Richtung hätten belasten müssen. So betrug die Transportzeit vom Rheinhafen Nähe Schermbeck bis zum Tonnenhafen Wedel ohne Unterbrechung vier Tage.

Für ein schlüssiges Logistikkonzept wurde von dem für den Transport verantwortlichen Rohrhersteller und seinen Logistik-Dienstleistern in enger Zusammenarbeit mit allen Projektbeteiligten eine  Ablauf-Checkliste entwickelt, die auf der Anwendung neuester Simulationstechnik basiert, in der alle möglichen min/max-Einflussparameter Berücksichtigung gefunden hatten. Aufgrund dieser Ergebnisse wurde eine lückenlose Logistikkette aufgebaut, die alle Lagerflächen samt Reserven beinhaltete, Transportkapazitäten auf Wasser und Straße vorhielt, Informationsketten vorsah und Notfallpläne beinhaltete. Das Reultat innovativer, professioneller Logistikplanung zahlte sich aus:

 – Während des gesamten Vortriebs kam es zu keinem Stillstand wegen fehlender Rohre.

– Es wurden keine Vortriebsrohre beschädigt, obwohl die Gesamtkette aus nicht weniger als acht „Transportbrüchen“ bestand, d.h. jedes Rohr  musste vom Werk Schermbeck bis zum Einbringen in den Startschacht achtmal versetzt werden.

– Entsprechende Handlings-Geschirre, mehrere Anschlagpunkte am Vortriebsrohr, abgestimmt auf die gesamte Logistikkette, sowie ein entsprechendes Ladungs-Sicherungs­equipment waren weitere wichtige Faktoren.

– Die vereinbarte Kommunikationskette zwischen allen Beteiligten im 24-Stunden- und 7-Tage-Rhythmus war der Schlüssel dafür, dass auch schwierige Situationen gemeistert werden konnten.

Helene – ein Schwergewicht auf Rekordjagd

Alle  hier erläuterten Maßnahmen nach Plan ermöglichten es, die Vortriebsarbeiten zügig zu beginnen. Die A.Hak Drillcon als ausführendes Unternehmen setzte bei der Auswahl eines leistungsfähigen, robusten Gerätes auf eine für den Elbedüker modifizierte Microtunneling-Vortriebsmaschine AVND von Herrenknecht. Ihr Name kommt nicht von ungefähr. Weil es bereits seit eh und je eine lieb gewordene Tradition ist, im Bergbau eingesetzte Maschinen auf einen weiblichen Namen zu taufen, erhielt diese den Namen Helene, sinnigerweise als Abkürzung für „Hetlinger Erdgas-Leitung unter der Elbe für neue Energie“.

Mit der Anlieferung des 60 t schweren Gerätes begann die entscheidende Projektphase – der Vortrieb des bis zu 35 m tiefen und 12 m unter dem Elbegrund verlaufenden Infrastrukturkanals mit 3,1 m Außendurchmesser. Schon bevor der Startschuss gefallen war, wusste man: Diese Bauaufgabe ist für alle Beteiligten eine besonders hohe bautechnische Hausnummer: Sie zählt zu den weltweit längsten Rohrvortrieben mit hohem Schwierigkeitsgrad, allein schon aus geologischen Gründen, weil hier die unterschiedlichsten Bodenschichten aufeinander treffen – sandige Kiesböden mit Steinen, Geschiebemergel-Schichten mit größeren Findlingen bis hin zu Tonschichten. Nicht alltäglich auch die hohen Wasserdrücke von bis zu vier bar, die eine hohe Belastbarkeit von Mensch, Maschine und nicht zuletzt dem Rohrmaterial voraussetzten.

Premiere für ein ganzheitliches Kommunikationskonzept

Zur Baugrunderkundung wurde erstmalig ein neues, von Experten der TU Clausthal-Zellerfeld entwickeltes Geo-Scan-Verfahren getestet, mit dem frühzeitig Gesteins- und Bodeninformationen erkannt werden. Um die Vortriebsmaschine exakt an den geplanten Zielort zu steuern, konnte der Bauherr Gasuine auf ein umfassendes Paket an Navigations-, Vermessungs- und Überwachungstechnik zurückgreifen. Dadurch ließen sich alle Stützdrücke permanent überwachen und gleichzeitig mit der schwankenden Tide der Elbe abgleichen. Für den Bau des Elbedükers kam erstmalig in Deutschland ein ganzheitliches Kommunikationssystem mit mehreren Modulen wie Video-Überwachung, Brandalarmierung oder Baustellen-Zugangskontrolle über Funk zum Einsatz.

Die Bauzeit für die Vortriebsstrecke war knapp bemessen und sollte nach dem Start der Vortriebsmaschine am 14. Juni bereits Mitte Dezember 2014 beendet sein. Das war nur durch einen 24-Stunden-Rhythmus möglich. Ein gut aufeinander eingespieltes Team der A.Hak Drillcon mit tatkräftiger Unterstützung erfahrender Techniker und Maschinenfahrer von Herrenknecht kam zügig voran und erreichte oft Spitzenweiten von 40 m/Tag.

Wenn das kein gutes Omen ist: Deutlich vor der geplanten Bauzeit konnte Helene nach 112 Arbeitstagen bereits am 4. Dezember 2014 auf der Elbinsel Lühesand wieder das Licht der Welt erblicken; genau an dem Tag, der der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin von Tunnelbauern und Bergleuten, gewidmet ist.

Ein großes Lob zollten in diesem Zusammenhang die Bauherren auch den Hetlinger Bürgerinnen und Bürgern für die konstruktive und sachorientierte Zusammenarbeit während der ge­samten Planungs- und Bauzeit, denn „Großprojekte scheitern heute oftmals in einer frühen Phase, weil sie kommunikativ in eine Sackgasse geraten. Wir haben hier in Hetlingen zu einer Form des Dialogs gefunden, der sich pragmatisch-positiv am Machbaren orientiert – ein vorbildliches Modell“.⇥■

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