WAS WILL DER AUFTRAGGEBER EIGENTLICH?

Die funktionale ­Leistungsbeschreibung

Am Beginn eines jeden Beschaffungsvorgangs steht die Entscheidung des Auftraggebers darüber, was er konkret beschaffen will. Gerade diese Festlegung aber
bereitet vielen Auftraggebern Schwierigkeiten.

Die fehlende Kenntnis und Erkundung des Marktes und / oder unzureichender Sachverstand haben oft zur Folge, dass von vornherein Leistungen ausgeschrieben werden, die der Auftraggeber so gar nicht will, oder dass sich im Laufe des Vergabeverfahrens herausstellt, dass der Auftraggeber eine andere als die ausgeschriebene Ausführungsvariante bevorzugt.

Viele Auftraggeber sind sich dieses Problems bewusst und denken darüber nach, in stärkerem Maße auf funktionale Leistungsbeschreibungen zurückzugreifen.

 

Zulässigkeit und Anforderungen

Bei dieser Ausschreibungsform wird kein detailliertes Leistungsverzeichnis erstellt, sondern die Bieter müssen anhand einer Funktionsbeschreibung z. B. des zu erstellenden Gebäudes eine eigenständige Planung als Bestandteil ihres Angebotes vornehmen.

Diese Art der Ausschreibung ist grundsätzlich zulässig (§ 7 Abs. 13-15 VOB/A, sog. Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm). Sie stellt aber eine Ausnahme vom Regelfall der Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis dar (§ 7 Abs. 9 VOB/A). Die funktionale Ausschreibung muss zweckmäßig sein, um die technisch, wirtschaftlich und gestalterisch beste sowie funktionsgerechteste Lösung zu ermitteln. Eine Zweckmäßigkeit in diesem Sinne ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn bauunternehmerisches Wissen lediglich deshalb bemüht werden soll, um einen eigenen Architekten oder Sonderfachmann sparen zu können. Es muss vielmehr das objektiv als berechtigt anzusehende Anliegen des Auftraggebers sein, unternehmerisches Wissen und unternehmerische Erfahrung bei der Planung des Bauvorhabens mit einzusetzen.

 

Vorteile der funktionalen Ausschreibung

Der wohl wesentlichste Vorzug dieser Ausschreibungsvariante besteht in der Unterbreitung eigener Gestaltungs- und Lösungsvorschläge durch die Bieter. Neben der Einbringung des unternehmerischen Know-hows können hier Ideen etwa in gestalterischer oder funktionaler Hinsicht zum Tragen kommen, die die Vorstellungen des Auftraggebers übertreffen.

Ein weiterer Vorteil gegenüber der Ausschreibung mit Leistungsverzeichnis besteht darin, dass die Ausschreibung bereits in einer früheren Projektphase erfolgen kann, da der Auftraggeber keine eigene detaillierte Planung erstellen muss. Schließlich führt die Einbindung des Auftragnehmers in die Planungsphase zu einer erhöhten Kosten- und Terminsicherheit während der Ausführungsphase.

 

Nachteile und Risiken

Die Zweckmäßigkeit einer funktionalen Ausschreibung ist oft zweifelhaft. Soweit dafür eine Zeitersparnis geltend gemacht wird (da für eine Ausschreibung mit Leistungsverzeichnis zunächst eine detaillierte Planung erstellt werden müsste), steht dem der höhere Aufwand entgegen, der bei einer funktionalen Ausschreibung erforderlich ist, um die Angebote zu bewerten. Denn diese enthalten in der Regel sehr verschiedene Lösungsansätze.

Zudem ist eine funktionale Ausschreibung äußerst sorgfältig vorzubereiten, um die erforderliche Eindeutigkeit für alle zu beteiligenden Bieter und somit die Vergleichbarkeit der Angebote zu erreichen. Eine unsorgfältige Vergabe kann zu Ansprüchen aus Verschulden bei Vertragsabschluss führen, mit denen die Bieter gegebenenfalls die Kosten umfänglicher Ausführungsplanung einfordern können.

Somit ist festzuhalten, dass die zunächst bei der Funktionalausschreibung so verlockend erscheinende Zeitersparnis an anderer Stelle, nämlich bei der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen und im Rahmen der Angebotswertung, wieder nivelliert wird.

Weiterhin bringen Angebote auf Grund einer funktionalen Ausschreibung neben einer Fülle von Nachfragen der Vergabestelle bei dem Bieter häufig auch Nachverhandlungen über technische Änderungen und damit verbundene Preisänderungen mit sich (§ 15 Abs. 3 VOB/A). Werden diese ausnahmsweise zulässigen Nachverhandlungen unsachgemäß geführt, kann dies die Nichtigkeit des Vertrages infolge einer sog. De-facto-Vergabe zur Folge haben.

Demnach stehen den Vorteilen der funktionalen Ausschreibung auch besondere Sorgfaltsanforderungen und Risikopotentiale gegenüber.

 

Auswirkungen für die Praxis

Für die Vergabepraxis bietet die funktionale Ausschreibung sehr attraktive Möglichkeiten, insbesondere bei Projekten, die die Abschöpfung unternehmerischer Kreativität und unternehmerischen Wissens nahe legen. Häufig wird eine Mischform (funktionale Ausschreibung für in sich abgeschlossene Teile des Gesamtvorhabens, im übrigen nach Leistungsverzeichnis) in Betracht kommen. In jedem Fall handelt es sich aber um eine Ausschreibungsart, deren Wahl wohl überlegt sein sollte



Autorin:
Rechtsanwältin Andrea Maria Kullack, Frankfurt/Main
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