24. Tagung Leitungsbau in Berlin

Chancen der Digitalisierung nutzen

Bei der Digitalisierung ist das Baugewerbe im Branchenvergleich das Schlusslicht. Das geht aus dem aktuellen Telekom-Digitalisierungsindex hervor. Positiver ausgedrückt: Im Baugewerbe gibt es hier das größte Entwicklungspotenzial.

Grund genug für den Rohrleitungsbauverband e. V. (rbv) und den Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. (HDB), die „24. Tagung Leitungsbau“ in Berlin dem Leitthema „Digitale Welt trifft analoge Gräben“ zu widmen. „Es wird Zeit, sich mit der Begrifflichkeit, den Chancen, Risiken und auch der Zweckmäßigkeit der Digitalisierung zu befassen“, so rbv-Präsident Dipl.-Ing. (FH) Fritz Eckard Lang in seiner Eröffnungsrede vor rund 150 Teilnehmern aus den Reihen der Leitungsbauunternehmen. Arbeitsabläufe und Informationswege werden sich laut Lang verändern. Alle Bereiche der Wertschöpfungskette wie Planung, Ausschreibung und bauliche Umsetzung werde die Digitalisierung neu ausrichten. Der rbv- Präsident machte keinen Hehl daraus, dass dadurch der Effizienz-Druck auf die Bauunternehmen steigen wird: „Da kommt also etwas auf uns zu!“

Was auf die Leitungsbauer zukommt, davon bekamen sie in den Vorträgen der hochkarätigen Referenten aus den unterschiedlichsten Bereichen einen Vorgeschmack: Wie verändern sich die Strukturen von Versorgern und Netzdienstleistern durch die Digitalisierung? Wie sieht die Zukunft der digitalen Netzdienstleister aus, und welche Bedeutung wird das sogenannte Building Information Modeling (BIM, Gebäudedatenmodellierung) für den analogen Leitungsbau haben? Aber auch die Auswirkungen der digitalen Transformation auf die Arbeitswelt und das Arbeitsrecht sowie auf die Unternehmenskultur wurden beleuchtet.

 

„2016 hat den Leitungsbauern weh getan“

Dass es einer Bündelung der Kräfte bedarf, zeigt sich daran, dass die Leitungsbaubranche nicht im gewünschten Maß an der positiven Gesamtentwicklung der deutschen Baubranche im zurückliegenden Jahr hat partizipieren können. Dipl.­Oec. Heinrich Weitz vom HDB sprach in Vertretung des HDB­Hauptgeschäftsführers Michael Knipper von einem „überaus erfolgreichen Baujahr 2016 in allen Sparten“ – mit Ausnahme des Leitungsbaus. rbv­Präsident Lang: „Für uns Leitungsbauer stellt sich die Situation anders dar: In vielen Regionen und Bundesländern gab es schon im Herbst 2016 spürbare Dellen und viele Einschränkungen, welche sich sehr intensiv auf unsere Betriebsergebnisse ausgewirkt haben.“

Umso mehr gelte es nun, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Dass dies jedoch noch nicht in allen Köpfen angekommen ist, machte Weitz deutlich: „Wenn man sich den Bau anschaut, könnte man auch sagen: Digitale Welt trifft analoges Denken.“ Vor diesem Hintergrund sei für das Gelingen der digitalen Transformation auch im Leitungsbau nicht etwa Software zur Abbildung geeigneter Prozesse entscheidend, sondern der „Faktor Mensch“.

 

Tagungsmotto: Digitale Welt trifft analoge Gräben

Schon in seiner Anmoderation hatte rbv­-Hauptgeschäftsführer Dipl.­-Wirtsch.­-Ing. Dieter Hesselmann es auf den Punkt gebracht: „In unserer Welt des Leitungsbaus treffen zwei Extreme hart aufeinander – einerseits verwenden wir Geräte zur Bodenbearbeitung wie vor 200.000 Jahren, andererseits hat jeder von Ihnen ein Smartphone in der Tasche.“ Anders ausgedrückt: Ein Umdenken müsse sich laut Hesselmann vollziehen. Die Digitalisierung dürfe nicht als Bedrohung und Bits und Bites nicht als unnütze Konkurrenten ausgedruckter A0­-Baupläne aufgefasst werden, sondern als Wegbereiter für einen reibungslosen Bauablauf – von der Planung über die Ausführung bis hin zur Bewirtschaftung des fertigen Objektes.

BIM wird im Leitungsbau Einzug halten

Heinrich Weitz machte sich dafür stark, die Digitalisierung voranzutreiben und hierbei das Building Information Modeling zu nutzen, da es verbindliche Grundlagen für die Zusammenarbeit über alle Phasen und Gewerke hinweg schaffe. BIM verfolgt die Idee, dass sämtliche Prozesse entlang der Wertschöpfungskette per Datenaustausch untereinander verbunden werden und alle am Bau Beteiligten elektronisch miteinander kommunizieren. „BIM ist keine Software, sondern eine Methode der optimierten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden mit Hilfe von Software“, erläuterte Prof. Dipl.­ Ing. Thomas Wegener, Vorstandsmitglied des Instituts für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e. V. Alle relevanten Daten würden dabei digital modelliert, kombiniert und erfasst. Aus dem bisherigen Nacheinander von Architektur, Tragwerksplanung und technischer Gebäudeausrüstung während der Planung wird ein paralleles und damit zeitsparendes Vorgehen. Jedes Bauwerk wird damit zukünftig zwei Mal entstehen: zunächst digital und dann tatsächlich. Wegener ist sich sicher: „BIM birgt ein enormes Potenzial in der Wertschöpfung.“ Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass „BIM zunächst einmal in der Implementierungsphase Geld kostet“, sich aber in der Anwendung rentiere. Der wirtschaftliche Erfolg werde sich zunächst einmal bei großen Bauprojekten erweisen. Im Zuge der Digitalisierung des Baus werde laut Wegener aber auch der Leitungsbau eingebunden werden: „Die Zeit für BIM im erdverlegten Leitungsbau wird beginnen.“ Daran führe kein Weg vorbei. Nicht zuletzt, da Auftraggeber zunehmend Druck auf den Leitungsbau ausüben würden, der Bestandteil großer Projekte sei – „und da wird sich der Leitungsbauer zwangsläufig an BIM beteiligen müssen“.

 

Bau muss am Image arbeiten

Allerdings sind zur Nutzung des Building Information Modelings der Aufbau von Know­-how und die Schulung von Fachkräften in den Unternehmen notwendig. Damit kam ein sensibler Punkt zur Sprache: der ohnehin schon herrschende Fachkräftemangel, der nach Überzeugung der Experten in den kommenden Jahren noch deutlich zunehmen wird: „Wir müssen die Baubranche daher wieder attraktiver für Arbeitskräfte machen“, so Weitz. Auch hier spielt die Digitalisierung der Baubranche in die Karten: Sie macht den Bau interessanter für junge Menschen. 

 

Plädoyer für das Erdgas

Die Entwicklung des Gasmarktes vor dem Hintergrund der Energiewende beleuchtete der Vorstandsvorsitzende des DVGW Prof. Dr. rer. nat. Gerald Linke. Er war zur „Rettung des Erdgases angetreten“. Denn die von der Bundesregierung angestrebte Dekarbonisierung, also die Umstellung der Energiewirtschaft in Richtung eines niedrigen Umsatzes von Kohlenstoff, würde seiner Überzeugung nach nicht weniger als das Aus für Erdgas als fossilem Energieträger bedeuten. Für die Leitungsbauer wiederum bedeute dies, in Zukunft keine Gasleitung mehr bauen zu dürfen. „Ein fataler Irrweg“, so Linke. Er sieht gar die Energiewende in Gefahr, die teurer werde als prognostiziert. Das Dilemma der Gaswirtschaft sei die Kategorisierung in erneuerbare und nicht erneuerbare Energie. Besser sei es, von sauberen Energieträgern zu sprechen, zu denen Gas zweifelsfrei gehöre. 

Stefan Kapferer sieht die Diskussion über die Energieversorgung der Zukunft in eine falsche Richtung laufen. Der Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie­ und Wasserwirtschaft e. V. plädierte für eine differenzierte Betrachtung: Sowohl die Strom­ als auch die Gasnutzung habe vor dem Hintergrund der Energiewende ihre Berechtigung: „Im Mobilitätssektor sehen wir mehr die Stromnutzung, aber im Wärmesektor setzen die Investoren auch weiterhin auf Gas.“ Die Gasinfrastruktur werde weiterhin gebraucht – nicht zuletzt unter geostrategischen Gesichtspunkten.  

Vorteile der Digitalisierung erkannt, Strategie fehlt

Vielen Vorträgen gemein war die Forderung nach einer Bündelung aller Kräfte zur Bewältigung der Herausforderungen. Die Digitalisierung der Baubranche ist nur eine davon, wenn auch eine gewichtige. Und die zitierte Telekom­-Studie ist nicht die erste Warnung an die Branche: Auch die Unternehmensberatung Roland Berger hatte im Sommer 2016 bereits angemahnt, dass Baufirmen in Deutschland ohne konsequente Digitalisierung ihre Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel setzen würden. Zu Gute könne man den Unternehmen der Bauwirtschaft halten, dass sie die Vorteile der Digitalisierung erkannt haben; an einer stringenten Digitalisierungsstrategie fehle es aber häufig. Hier gibt es deutlichen Aufholbedarf, denn sonst drohe vor allem den kleinen und mittelständisch positionierten Unternehmen der Bauwirtschaft, den Anschluss an die Entwicklung zu verlieren. So warnt die Studie abschließend vor einer Zwei­klassenbildung: „Die einen werden die Vorteile der Digitalisierung für Kundenbeziehungen, Produktivität sowie das eigene Geschäftsmodell nutzen. Andere werden versuchen, wie bisher weiterzuarbeiten. Für diese digitalen Nachzügler wird es zunehmend schwierig, Kontakt zu Kunden aufrechtzuerhalten.  So fiel dann auch das Tagungsfazit des rbv­-Präsidenten Fritz Eckard Lang eindeutig aus: „Sehen Sie die Digitalisierung als Chance an! Und bitte nicht ausweichen mit dem Satz: Dafür ist mein Unternehmen zu klein. Mehr Produktivität ist möglich. Und die Digitalisierung ist der Hebel dazu.“

 

rbv

www.rohrleitungsbauverband.de

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