WIE VERBINDLICH IST EIN UNVERBINDLICHER KOSTENVORANSCHLAG?

Auslegungssache!

Die Vertragsparteien eines Bauvertrags legen normalerweise fest, nach welchen Einheitspreisen, zu welchem Pauschalpreis oder nach welchen Stundensätzen die Baumaßnahme abzurechnen ist. Bei kleineren Baumaßnahmen kommt es aber vor, dass klare Abreden fehlen. Dies führt dann zu späteren Meinungsverschiedenheiten, wie der nachstehende Fall zeigt.

Rechtsanwalt Dr. Olaf Hofmann, Lehrbeauftragter für Baurecht,
München

Auf Wunsch des Auftraggebers erstellt der Auftragnehmer eine handschriftliche Kostenaufstellung, zum einen für die Abfuhr von Erdmassen, die an einem Steilhang hinter dem Wohnhaus des Auftraggebers abgerutscht sind und zum anderen für den Bau einer Stützmauer in unterschiedlichen Ausführungsvarianten. Auf der Basis dieser Kostenaufstellung wird der Vertrag geschlossen.

Weil der Hang weiter abrutscht, führt der Auftragnehmer auf Anforderung des Auftraggebers Notmaßnahmen durch und dimensioniert die Stützmauer gegenüber der ursprünglichen Kostenaufstellung deutlich höher und länger.

Der Auftraggeber zahlt auf die Schlussrechnung des Auftragnehmers in Höhe von 28.004,61 € lediglich 15.000 €. Er begründet dies damit, dass ein Festpreis bzw. ein Pauschalpreis vereinbart worden sei.

Aber selbst wenn man die Berechnung des Auftragnehmers als „Kostenvoranschlag“ werte, stehe diesem keine Mehrvergütung zu, weil er versäumt habe, die Überschreitung dieses Anschlags „unverzüglich anzuzeigen“ (§ 650 Abs. 2 BGB).

Hat der Auftraggeber Recht?

Das OLG Saarbrücken hat diese Frage mit Urteil vom 19.11.2014 – AZ: 2 U 172/13 – verneint und hierzu im Einzelnen ausgeführt:

1. Auslegung des Vertrags

Weil hier eine klare Preisvereinbarungen fehlt, muss man den Vertrag auslegen, also aufgrund der vorliegenden Vereinbarungen als erstes prüfen, ob hier vielleicht – wie der Auftraggeber behauptet – ein Festpreis oder Pauschalpreis mit einer verbindlichen Preisobergrenze vereinbart wurde. Die Beweislastregeln, die häufig einen Prozess entscheiden, wurden hier vom Bundesgerichtshof zu Gunsten des Auftraggebers gelöst. Behauptet der Auftraggeber nämlich, dass eine Festpreisvereinbarung oder Pauschalpreisvereinbarung getroffen wurde, so ist es Sache des Auftragnehmers zu beweisen, dass eine solche Vereinbarung nicht zustande gekommen ist. Gelingt ihm dieser Beweis nicht, ist die Behauptung des Auftraggebers als richtig zu unterstellen.

Allerdings genügt es nicht, dass der Auftraggeber hierzu eine „Behauptung ins Blaue hinein“ aufstellt. Vielmehr muss er  im Einzelnen darlegen, wann, wo und in welcher Höhe eine solche Vereinbarung getroffen wurde. Fehlt es an einer derartigen „substantiierten Darlegung“ des Auftraggebers, kann man vom Auftragnehmer auch nicht eine solche Beweisführung abverlangen. Im entschiedenen Fall konnte der Auftraggeber diesbezüglich keine konkreten Aussagen machen, so dass dem Auftragnehmer die genannte Beweisführung erspart blieb.

2. Kostenvoranschlag

Die hier dem Gericht vorliegenden Unterlagen sprachen dafür, dass vom Auftragnehmer lediglich ein„Kostenvoranschlag“ (§ 650 BGB) gemacht wurde. Hierunter versteht man eine „ unverbindliche Berechnung der voraussichtlich anfallenden Kosten auf der Grundlage einer fachmännisch gutachterlichen Äußerung des Unternehmers“ im Rahmen der Vertragsanbahnung. Hierfür übernimmt der Auftragnehmer keine Gewähr. Übersteigen daher die tatsächlichen Kosten die Höhe des Kostenanschlags, so sind diese vom Auftraggeber grundsätzlich zu bezahlen.

Allerdings …

Völlig unverbindlich ist der Kostenvoranschlag nicht. Ansonsten wäre es ja auch sinnlos, dass ein solcher vor Vertragsabschluss erstellt wird. Der § 650 BGB führt hierzu aus: „Ist dem Vertrag ein Kostenanschlag zu Grunde gelegt worden, ohne dass der Unternehmer die Gewähr für die Richtigkeit des Anschlags übernommen hat und ergibt sich, dass das Werk nicht ohne eine wesentliche Überschreitung des Anschlags ausführbar ist, so steht dem Unternehmer, wenn der Besteller den Vertrag aus diesem Grund kündigt, nur der in § 645 Abs.1 BGB bestimmte Anspruch zu.

Dies bedeutet für den genannten Fall:

2.1 Wo liegt die „Wesentlichkeitsgrenze“?

Solange der Kostenanschlag nur „unwesentlich“ überschritten wird, ist dies problemlos. Die „Wesentlichkeitsgrenze“ wird nach der Rechtsprechung bei 10-15 % gesehen. Handelt es sich um sehr schwierig zu kalkulierende Leistungen (Beispiel: Es ist ein alter Putz abzuschlagen, über dessen Festigkeit bei der fachlichen Prüfung Zweifel bestehen) wird man auch einen etwas höheren Prozentsatz als noch zulässig ansehen müssen.

2.2 Das besondere Kündigungsrecht des Auftraggebers

Wird der Kostenanschlag „wesentlich“ überschritten, kann der Auftraggeber den Vertrag sofort kündigen. Gemäß § 645 Abs. 1 BGB kann dann der Unternehmer „einen der geleisteten Arbeit entsprechen Teil der Vergütung und Ersatz der in der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen“ verlangen.

Für den Unternehmer entstehen also auch in diesem Fall keine Verluste.

2.3 Die Anzeigepflicht des Auftragnehmers

Allerdings hat der Auftragnehmer dem Auftraggeber unverzüglich Anzeige zu erstatten, wenn eine „wesentliche Überschreitung des Anschlags“ zu erwarten ist

(§ 650 Abs. 2 BGB). Versäumt er dies schuldhaft, so ist er dem Auftraggeber zum Schadensersatz verpflichtet.

Im vorliegenden Fall hatte der Unternehmer versäumt, dem Auftraggeber die Mehrkosten unverzüglich anzuzeigen, obwohl es zu einer wesentlichen Überschreitung des Anschlags gekommen ist Somit hat sich der Auftragnehmer grundsätzlich auch schadensersatzpflichtig gemacht.

2.4 Ist der Unternehmer zum Schadensersatz

verpflichtet?

Ein Schadensersatzanspruch des Auftraggebers setzt allerdings auch einen Schaden des Auftraggebers voraus, den das Gericht hier verneinte. Aus folgenden Gründen:

– Hätte der Auftraggeber hier von seinem sofortigen Kündigungsrecht nach § 650 Abs. 1 BGB Gebrauch gemacht, so hätte dies nichts daran geändert, dass die Arbeiten hätten fortgeführt, also die zusätzlichen Erdmassen hätten beseitigt und die Stützmauer hätte verstärkt werden müssen. Waren also die Preise des Unternehmers nicht überhöht, hätte der Auftraggeber auch keinen Schadensersatzanspruch, den er geltend machen könnte.

– Hier hat der Auftraggeber nicht gekündigt. Weil er eine angemessene Gegenleistung bekommen hat, fehlt es auch in diesem Fall ein geltend zu machender Schaden.

3. Praxishinweis

Dieser Konflikt zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer wäre vermeidbar gewesen, wenn sich die Vertragsparteien bei Vertragsschluss eindeutig festgelegt also schriftlich klargestellt hätten, ob hier etwa ein unverbindlicher Kostenvoranschlag oder ein Pauschalpreis vorliegt.⇥■

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