Zur Berechnung von Mehrkosten
bei verzögertem Zuschlag

Kommentare zur aktuellen Rechtsprechung für die Bauwirtschaft

Zu Beginn unserer Rechtsfälle steht diesmal eine interessante Entscheidung des Bundesgerichtshofes, nach der sich Mehrkosten aufgrund verzögerten Zuschlags und verschobener Bauzeit nicht durch einen bloßen Vergleich der kalkulierten Preise mit den tatsächlich gezahlten Preisen ermitteln lassen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 22. Juli 2010 – VII ZR 213/08 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

Mehrkosten aufgrund verzögerten Zuschlags und verschobener Bauzeit lassen sich nicht durch einen bloßen Vergleich der kalkulierten Preise mit den tatsächlich gezahlten Preisen ermitteln.

Der Bund hatte Tiefbauarbeiten ausgeschrieben; Baubeginn sollte am 1.04.2004 sein. Durch ein vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren verzögerte sich der Zuschlag um drei Monate auf den 14.06.2004. Der Tiefbauunternehmer machte Mehrkosten durch einen Nachtrag in Höhe von 1,2 Mio. Euro geltend, weil sich die Stahlpreise in der Zeit vom 18.03. bis 14.06.2004 erheblich erhöht hätten. Der Bund hatte zunächst den Nachtrag in Höhe von 375.000 Euro anerkannt und dabei die Mehrkosten auf Basis einer Indexveränderung für Baustahl ermittelt. Nach Klageerhebung wegen des streitigen Differenzbetrags forderte der Bund auch den anerkannten Betrag zurück und argumentierte, dass es zu einer wirksamen Einigung über den Nachtrag nicht gekommen sei und dem Unternehmen auch aus anderen Gründen kein Mehrvergütungsanspruch zustehe.

Der BGH erkennt dem Unternehmer grundsätzlich einen vertraglichen Mehrvergütungsanspruch in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Nr. 5 VOB/B zu. Zur Entscheidung über die Höhe verweist er den Rechtsstreit an das vorinstanzliche OLG zurück, weil dieses bei dem klagestattgebenden Urteil die vom BGH aufgestellten Grundsätze zur Berechnung und zur Höhe des Anspruchs auf Mehrvergütung (siehe BGH-Urteil vom 10. September 2009 – Baumarkt und Bauwirtschaft, Heft 12/2009, S. 38) nicht berücksichtigt habe. Anders als es das OLG getan habe, müsse hier unterschieden werden: Einerseits könne eine Preiserhöhung darauf beruhen, dass (bindende) Preisabsprachen mit den Lieferanten oder Nachunternehmern aufgrund des verzögerten Zuschlags hinfällig würden und es allein deshalb zu Preiserhöhungen komme. Dieses Risiko trage der Bieter, der eine Bindefristverlängerung erkläre. Demgegenüber erfasse der Mehrvergütungs-
anspruch in Anlehnung an § 2 Nr. 5 VOB/B lediglich diejenigen Mehrkosten, die ursächlich auf die Verschiebung der Bauzeit selbst zurückzuführen seien. Deshalb sei hier eine Neuberechnung entsprechend der vom BGH aufgestellten Grundsätze zur Mehrpreisberechnung notwendig. Danach folge aus dem verspäteten Zuschlag allein kein Mehrvergütungsanspruch nach § 2 Nr. 5 VOB/B. Führe der verspätete Zuschlag jedoch auch zu einer Verschiebung der Bauzeit, müssten die Ursachen für die Preiserhöhung aufgeklärt und ggf. aufgeteilt werden. Der Unternehmer könne das bei ihm liegende Preisrisiko bis zum Zuschlag nicht auf den Auftraggeber abwälzen, nur weil zur gleichen Bauzeit Verschiebungen eingetreten seien. Der Unternehmer müsse deshalb konkret vortragen, welche Preise er bei Einhaltung der geplanten Bauzeit gehabt hätte. Wenn er keine konkreten Angebote vortragen könne, seien im Zweifel die Marktpreise zum Zeitpunkt des geplanten Baubeginns anzusetzen.

 

Anmerkung

Diese Entscheidung reiht sich in eine ganze Serie von Urteilen des BGH zu den Mehrkosten aufgrund verzögerten Zuschlags bzw. verschobener Bauzeit ein. Ausgangspunkt war die Entscheidung des BGH vom 11.05.2009 (siehe Baumarkt und Bauwirtschaft, Heft 7-8/2009, S. 64).

Im vorliegenden Fall ist hervorzuheben, dass – nach Ansicht des BGH – der Mehrvergütungsanspruch nur „in Anlehnung an“ § 2 Nr. 5 VOB/B erfolgen und der Unternehmer insoweit kein Preisrisiko tragen soll. Insoweit erfolgt keine kalkulative Ermittlung der Mehrkosten. Der Mehrkostenanspruch des Unternehmers ergibt sich vielmehr aus der Differenz zwischen den hypothetischen Ist-Kosten für die Sollbauzeit und den tatsächlichen Ist-Kosten für die tatsächliche Bauzeit.


Isolierte Sicherheitsklage gemäß § 648a BGB ohne Vorleistungsrisiko?

Das Landgericht Hamburg hat mit Urteil vom 16. Juli 2010 – 325 O 469/09 - (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

1. Dem Auftragnehmer steht gemäß § 648a BGB ein Wahlrecht zu, ob er den Vertrag fortsetzt und sich auf sein Leistungsverweigerungsrecht beruft und gegebenenfalls zugleich
die ausstehende Sicherheit einklagt ODER den Vertrag kündigt.

2. Kündigt er den Vertrag, beendet er die Vorleistungspflicht mit der Folge, dass er keinen Anspruch auf eine § 648a-Sicherheit hat.

3. Etwas anderes gilt nur, wenn der Auftraggeber auch noch nach der Kündigung Mängelbeseitigung fordert. In diesem Fall kann der Auftragnehmer für die geforderten Leistungen eine
§ 648a-Sicherheit verlangen.


Der Auftraggeber (AG) beauftragte den Auftragnehmer (AN) mit der Ausführung von Mess- und Steuerungstechnikleistungen. Während der Bauausführung verlangte der AN vom AG eine „§ 648a-Bürgschaft“. Etwa zeitgleich rügte der AG beim AN diverse Mängel. Nach erfolgloser Fristsetzung beendete der AN den Vertrag und stellte die Schlussrechnung. Den nach seiner Meinung ihm noch zustehenden Werklohn machte er mit einer Zahlungsklage beim LG geltend. Parallel dazu klagte er die bereits ursprünglich geforderte „§ 648a-Sicherheit“ ein.

Nach Ansicht des LG ohne Erfolg. Denn § 648a BGB (n.F.) gebe dem Unternehmer für den Fall, dass der Besteller die geforderte Sicherheit nicht stelle, ein Wahlrecht. Der Unternehmer könne den Vertrag fortsetzen und sich – solange die Sicherheit nicht erbracht sei – auf sein Leistungsverweigerungsrecht berufen, zugleich könne der Unternehmer auf Stellung einer Sicherheit klagen ODER er könne den Vertrag kündigen mit der Folge, dass sein Anspruch auf die Sicherheit nicht mehr bestehe. Denn nach seinem Sinn und Zweck solle § 648a BGB dem Unternehmer einen Ausgleich dafür gewähren, dass er nach der gesetzlichen Konzeption des Werkvertragsrechts gegenüber dem Besteller vorleistungspflichtig und – bedingt durch die Vorleistungspflicht – mit dem Risiko belastet sei, dass der Besteller in Zahlungsschwierigkeiten gerate oder insolvent werde. Dieses Risiko ende grundsätzlich mit der Kündigung des Vertrags, weil durch die Kündigung die vertragliche Verpflichtung des Unternehmers ende, weitere Werkleistungen zu erbringen. Eine Vorleistungspflicht bestehe dann insoweit nicht mehr. Von diesem Grundsatz bestehe nur die Ausnahme, dass der Besteller nach der Beendigung des Vertrags Mängelbeseitigung fordere. Insoweit bleibe der Unternehmer dann vorleistungspflichtig mit der Folge, dass er für die geforderten Mängelbeseitigungsarbeiten eine Sicherheit gemäß § 648a BGB fordern könne. Wenn keine Mängelbeseitigungspflicht mehr bestehe, komme auch keine Sicherheit gemäß
§ 648a BGB in Betracht. Im vorliegenden Falle habe der AN von dem ihm zustehenden Wahlrecht Gebrauch gemacht und den Vertrag beendet. Somit bestehe keine Vorleistungspflicht mehr und damit kein Anspruch auf eine Sicherheit nach § 648a BGB. Der AG habe den AN zwar zur Mängelbeseitigung aufgefordert, der AN habe sich jedoch auf sein Leistungsverweigerungsrecht berufen und – nachdem sich der AG endgültig geweigert habe, eine Sicherheit zu leisten – durch die Werklohnklage eine künftige Mängelbeseitigung abgelehnt.

 

Anmerkung

Es gilt der Grundsatz, dass eine Sicherheit nach § 648a BGB (n.F.) nur dann gefordert werden kann, solange noch ein Vorleistungsrisiko besteht. Dies ist auch dann der Fall, wenn der AG den Vertrag zwar kündigt, aber danach noch Mängelbeseitigung verlangt.

 

Zur Risikoverteilung bei Ablehnung eines Angebots zur Mängelbeseitigung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Beschluss vom 22. Juli 2010 – VII ZR 117/08 - (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

1. Ein Verzug mit der Annahme einer Beseitigung von Mängeln der Werkleistung ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Auftraggeber irrtümlich der Auffassung ist, die von ihm zurückgewiesene Nachbesserung führe nicht zu einer mangelfreien Leistung.

2. Im Annahmeverzug kann der Auftraggeber in der Regel nicht ein Mehrfaches an Mängelbeseitigungskosten zurückhalten, sondern nur den einfachen Betrag.


Der Auftragnehmer (AN), der 1987 auf dem Grundstück des Auftraggebers (AG) ein Verwaltungsgebäude mit Produktionshalle errichtet hatte, forderte restlichen Werklohn. Der AG berief sich auf Mängel, wegen derer er ein Zurückbehaltungsrecht geltend machte. Das vorinstanzliche OLG hatte den AG zur Zahlung von 173.800 Euro (339.900 DM) Zug um Zug gegen Nachbesserung festgestellter Mängel verurteilt. Es hatte ein Zurückbehaltungsrecht des AG bejaht, eine endgültige Ablehnung des Nachbesserungsangebots nicht festgestellt. Der AG hätte Nachbesserung begehrt, um die nach seiner Auffassung untaugliche Konstruktion zu beseitigen, indem eine vorhandene Pultdachkonstruktion in ein Satteldach geändert werden sollte. Darauf hätte er zwar keinen Anspruch, weil eine Sanierung auch ohne Änderung der Baugeometrie möglich gewesen sei. Dies habe sich aber erst aufgrund der Begutachtung durch den Sachverständigen ergeben. Bei dieser Sachlage sei kein Raum für die Feststellung des Annahmeverzugs des AG. Daher könne er dem AN dessen Nachbesserungsverpflichtung weiterhin im Wege des Zurückbehaltungsrechts entgegenhalten. Dies gelte auch im Hinblick darauf, dass sich der Nachbesserungsaufwand infolge der langen Verfahrensdauer (18 Jahre!), die der AG nicht zu vertreten habe, von 15.000 DM auf zwischenzeitlich 115.000 DM verteuert habe. Das Zurückbehaltungsrecht des AG belaufe sich auf den dreifachen Betrag der voraussichtlichen Sanierungskosten, d. h. 345.000 DM.

Diesen Ausführungen des OLG widerspricht der BGH kategorisch. Auf Grundlage des Vortrags des AN befinde sich der AG im Annahmeverzug der Nachbesserung. Der AN habe die geschuldete Leistung mehrfach in ausreichender Weise angeboten, der AG habe die Nachbesserung aber nicht zugelassen. Der Umstand, dass der AG seinerzeit geglaubt habe, die angebotene Nachbesserung sei unzureichend, beseitige nicht seinen Annahmeverzug. Ob der AG die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse seines Annahmeverzugs erkannt habe, sei unerheblich, da der Gläubigerverzug nach § 293 BGB ein Verschulden des Gläubigers gerade nicht voraussetze. Er werde daher auch durch einen Irrtum des AG, der das Nachbesserungsangebot für nicht ordnungsgemäß hielt und es daher zurückwies, nicht berührt. Das Risiko der Fehlbeurteilung trage der Gläubiger. Im Annahmeverzug könne außerdem der AG – nach ständiger Rechtsprechung des BGH – regelmäßig nicht ein Mehrfaches an Mängelbeseitigungskosten zurückhalten, sondern nur den einfachen Betrag. Ob insoweit auf die zum Zeitpunkt der Begründung des Annahmeverzugs erforderlichen Mängelbeseitigungskosten von 15.000 DM oder die zwischenzeitlich während des Annahmeverzugs auf 115.000 DM angestiegenen Kosten abzustellen sei, bedürfe einer erneuten Prüfung. Der Annahme des OLG, die Erhöhung der Mängelbeseitigungskosten auf 115.000 DM fielen im vollem Umfang dem AN zur Last, weil ein Annahmeverzug des AG nicht vorliege, sei durch die Entscheidung des BGH-Senats nun der Boden entzogen.

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