„Frühlicht in Beton“

Grabstätten können viel erzählen …

In Hollywood ist es schick, sich mit Handy, MP3-Player oder Spielkonsole beerdigen zu lassen, meldet das Nachrichtenportal Newsvine. Doch Deutsche denken anders. Sie mögen anonyme Bestattungen, Friedwälder - auf alle Fälle jedoch kein Konsumgedöns und Brimborium. Man sucht sich einen Baum, unter dem später die Urne ruhen soll.

Denn den Hinterbliebenen will man keine jahrzehntelange Grabpflege aufbürden. Doch es gibt noch eine andere Alternative: Aufgegebene alte Grabstätten. Da findet man reihenweiseMeisterwerke baulicher Brillanz. Ein würdevoller Hafen, wenn einst die Stunde schlägt ...

 

Von Max Taut

Eines der prägnantesten Grabmale steht auf dem Südwestkirchhof Berlin-Stahnsdorf. 50 m² groß, Platz für sieben Gräber. Architekt Max Taut entwarf es 1922. Beauftragt von der Familie Wissinger, die mit internationalem Saatguthandel in Berlin zu Reichtum gelangt war. Zwei parallele Reihen von je vier mannshohen Betonstelen, nach unten sich verjüngend, die Fußpunkte als spitze Betonformen modelliert. Untereinander in Längs- und Querrichtung durch filigrane Bögen verbunden. Sparsam verziert. Eine expressionistische Raumstruktur. Eindrucksvoll zeigt sie, was Beton zu leisten vermag. Leider wurde die vom Maler und Bildhauer Otto Freundlich modellierte Grabplatte als entartete Kunst gedeutet, musste 1924 entfernt werden und blieb verschwunden.

 

Literarisches

Christoph Fischer beschreibt die Wissinger-Grabstätte in seinem Buch „Frühlicht in Beton“ (Gebr. Mann Verlag Berlin).“...ein Bau von gedachtem Raum, von nur Konstruktion, die sozusagen zweckfrei, nur selbst und nur Gestalt ist und gleichzeitig einen durch und durch sakralen Raum schafft ... mit dem modernen Werkstoff Stahlbeton als hochmoderne Rahmenkonstruktion in einer frühen Vollendung ... in der die technischen Möglichkeiten (Schlankheit) ebenso ausgereizt werden wie die künstlerischen“. In sechs Jahrzehnten setzten Witterung, Korrosion, Moos und Baumwurzeln dem Bauwerk heftig zu. Wissinger`s Nachkommen hatten es bereits 1980 aufgegeben, erzählt Fischer in seinem Buch.

 

Denk mal!

Aus Anlass der bevorstehenden 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin kommt das Grabmahl Mitte der 80er Jahre auf die Liste historischer Denkmäler, für deren Erhalt der Senat von West-Berlin sich einsetzt und um Spenden bittet. Westberliner und -westdeutsche Bauunternehmen, Betonhersteller, Schalungs-, Beton- und Betonschutzspezialisten retten das Bauwerk vor dem Verfall und restaurieren es in Absprache mit dem Institut für Denkmalpflege der DDR sowie dem kirchlichen Bauamt. Im Oktober 1988 zeigt es sich endlich wieder in seiner zurückhaltenden  Pracht. Während eines Orkans kommt es 2002 zu Schaden, muss erneut repariert und rekonstruiert werden. Schüler der Max-Taut-Schule Berlin- Lichtenberg leisteten Hervorragendes und erneuern in einem Lehrprojekt die zerschlagenen Bögen.

 

Der Südwestkirchhof

206 Hektar groß ist der Südwestkirchhof, der zweitgrößte Friedhof Deutschlands. Werner von Siemens, Heinrich Zille, Friedrich Wilhelm Murnau, Gustav Langenscheidt und andere Berühmtheiten liegen hier begraben. Im Schatten von Buchen, Eichen und Platanen zeugen zig tausend Grabsteine und Monumente vom Abschied nehmen, aber auch von stolzem Handwerk, Tradition und hoher Baukunst.

Olaf Ihlefeldt vom Förderverein Südwestkirchhof Stahnsdorf e.V.: „ Führungen, Konzerte und die lange Nacht auf dem Südwestkirchhof tragen unter Wahrung der Würde des Ortes dazu bei, neue Freunde oder Grabpaten zu gewinnen. Eine Möglichkeit, den Erhalt der wertvollen Baudenkmale zu unterstützen ist nämlich die Übernahme von Grabpatenschaften. Die Paten kommen für Pflege oder Restaurierung und Sicherung des Grabmals oder Grabsteins auf und dürfen als Gegenleistung sich oder die Angehörigen hier beisetzen lassen“.

Die Grabstätte Boedefeld ist ein Beispiel dafür, wie sich die Natur als Baumeister in die Gestaltung des Friedhofs einmischt und ihn zu einem einzigartigen Ort macht. Viele der schmalen Wege auf dem 206 Hektar großen Areal sind zugewuchert und nur noch schwer zu begehen. Sträucher und wilde Hecken verdecken die Grabsteine, Efeu rankt über Statuen. Wie im Dschungelbuch wachsen Bäume aus Mauerspalten und sprengen mit ihren Wurzeln die alten Steine.

Jan Westphal,

Velen
E-Mail: jan@westphal-velen.de

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