Als Organisation fit bleiben

Worin besteht vorausschauende Managementkunst?

Wo viel Licht ist, fehlt auch der Schatten nicht. Die Wirtschaft hat sich nach der Bankenkrise wieder gefangen, ihr Motor stottert nicht mehr. Der Blick von draußen auf das wirtschaftliche Geschehen stimmt froh. Doch wie stellt sich der Blick aus der Insiderperspektive dar? Wird eine unlängst vom Weiterbildungsspezialisten Coverdale Deutschland durchgeführte Befragung zu Rate gezogen, trübt sich das heitere Bild. Nur 16% der Befragten gaben zu Protokoll, dass sie und andere Führungskräfte den derzeitigen Aufgaben gewachsen sind und optimistisch in die Zukunft blicken. Das gibt zu denken.

Gestresste Führung

Wo drückt der Schuh? Offensichtlich immer mehr an den bekannten, durch andere Erhebungen schon ausgemachten Stellen. Die Mehrheit der Führungskräfte empfindet sich der Studie zufolge von dem hohen
Veränderungs- und Zeitdruck übermäßig gestresst. Und dieses Empfinden schlägt sich in problematischem Führungsverhalten nieder. Soll heißen: Wer schon genervt ist, nervt auch andere. Und daraus wiederum erwächst den Erkenntnissen von Coverdale zufolge eine ebenso beachtliche wie bislang nicht in ihrer ganzen Tragweite zur Kenntnis genommene Gefahr: Der Stress Einzelner greift auf Teams und Bereiche über, bis er schlussendlich wie Mehltau auf der Leistungs- und Innovationskraft des gesamten Unternehmens liegt. Endstation kollektiver Burnout.

Wie stellt sich das Innenleben der Führungskräfte der Befragung zufolge nun in der Nahaufnahme dar? Die befragten rund 100 Manager mit fünf bis zehn Jahren Führungserfahrung wussten in qualitativen Interviews zu Arbeitsumfeld, Führungsstil und Entwicklungspotenzial wenig Erfreuliches zu berichten. 47% der Befragten
geben an, dass Führungskräfte auf den steigenden Leistungsdruck mit Rückzug reagieren. Dazu zählen Demotivation, Depression bis hin zur Kündigung. 18% der Befragten geben an, dass der zunehmende Druck aggressiv macht: Kritik, Hektik und übermäßige Kontrolle bestimmen den Arbeitsstil. 11% sehen, dass Manager die Unternehmensrealität ausblenden und den Unternehmenserfolg durch Ignoranz mindern.

Lediglich der kleinste der Anteil der Befragten (8%) gibt offen an, sich an ihr
jeweiliges Umfeld anzupassen und mit Unterwerfung, Antriebslosigkeit und Gleichgültigkeit auf die täglichen Aufgaben zu reagieren. Mit anderen Worten, sie haben sich innerlich vom Unternehmen verabschiedet, machen Dienst nach Vorschrift machen, schleppen sich als Mitläufer statt als Mitdenker und Mitstreiter durch den Arbeitstag. Das ist wohl das Schlimmste was einem Unternehmen intern passieren kann. Und das Jahrzehnte nach dem ersten Hinweis auf das Phänomen der Inneren Kündigung in einem Zeitungsartikel vom 18. Januar 1982 und einer nachfolgenden Flut von warnenden Auseinandersetzungen mit diesem Phänomen.

Alles in allem verweist die Coverdale-Befragung auf einen bedenklichen hohen Anteil von ausgebrannten, frustrierten, resignierten Führungskräften unter den Kaderleuten, die kaum eigene Gestaltungsmöglichkeiten sehen. Genau das aber wäre ihre eigentliche Aufgabe: die von ihnen geführten größeren oder kleineren Bereiche in Richtung auf eine hohe flexible, vorausschauende Schlagkraft zu entwickeln. Und genau diese Entwicklung wird vielfach institutionell verhindert. Dadurch stoßen immer mehr Führungskräfte an ihre körperlichen und geistigen Grenzen. Oder, in den Worten der Befragung, „nehmen individuelle und institutionelle Burnoutprozesse exponentiell zu.“

Der zu erwartende Einwand, hier sei nur eine recht kleine Zahl von Führungskräften befragt worden, die Befragung sei deshalb wenig aussagekräftig, darf getrost zurückgewiesen werden. Dass hier keine Effekthascherei oder gar Panikmache betrieben wird, das allein belegen die einschlägigen regelmäßig von Gallup veröffentlichten Job Engagement Studien. Einmal ganz abgesehen von den zahllosen weiteren Untersuchungen, die zum Thema vorliegen.

 

Lebenslanges Lernen

In doch recht bemerkenswert deutlichen Worten kommentiert Executive Coach Professorin Dr. Brigitte Witzer, wirtschaftserfahrene Inhaberin der Coaching-Firma evolutionen, Büro für postheroisches Management in Berlin, diesen Zustand in ihrem lesenswerten Buch ‚Risikointelligenz‘: „Kennzahlen gehören…in eine Welt industrieller Fertigung, in eine Welt gut definierter Unternehmen. Die kommen bekanntlich ohne Menschen aus. Was ist aber in einer Welt, in der Kreativität und Innovation, in der Phantasie noch wichtiger werden als Wissen? Hier haben wir es mit Qualitäten zu tun, die sich Kennzahlen schlicht verweigern.“ Und dann setzt die couragierte Frau noch eins drauf: „Lebenslanges Lernen lautet die Devise und ist das einzig taugliche Zukunftsrezept. Doch Lernen scheint an vielen Orten schwierig zu sein und ist dabei doch der zentrale Aspekt von Selbstaktualisierung, von Vitalität und Lebendigkeit – quasi die Ausprägungen eines risikointelligenten Daseins.“

Noch ein Argument, die Coverdale-Befragung nicht als zu wenig repräsentativ indigniert zur Seite zu schieben. Worin müsste, sollte – muss – vorausschauende Managementkunst im Blick die Befragung und Witzers gallebitteren Kommentar also bestehen? Wohl doch zuerst und vor allem darin, dieser Entwicklung den Riegel vorzuschieben und mittelbar und unmittelbar gezielt in die psycho-mentale Gesundung der Belegschaften zu investieren. Was für Coverdale konkret heißt, geeignete Personalentwicklungsstrategien konsequenter zu betreiben. Dabei, so der Rat, sollten flexible Arbeitszeitmodelle, Sabbaticals und andere nicht-monetäre Anreize eine entscheidende Rolle spielen. Ein beherzigenswerter Rat, hat doch erst unlängst die Talentmanagement-Studie  der Universität Bern unmissverständlich darauf aufmerksam gemacht: Die heiß umkämpften High Potentials, die betrieblichen Hoffnungsträger der Zukunft für die Führungspositionen, entscheiden sich für Unternehmen, die mehr als nur ein gutes Gehalt bieten.

Insbesondere den nicht-monetären Anreizen sollte für den Geschäftsführer der Unternehmensberatung Coverdale Deutschland, Thomas Weegen, aus diesem Wissen heraus erheblich mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt gewidmet werden.  Ganz besonders gefragt in diesem Zusammenhang ist aus seiner Sicht und Erfahrung „der Mut und die Weitsicht von Unternehmern wie Vorgesetzten, wache, selbständig denkende und mitdenkende Geister nicht nur um sich herum zu dulden, sondern diese vorwärts drängenden Köpfe auch noch nach Kräften zu fördern“ auch wenn sie “nicht immer bequemen sind!“

Dabei rät Weegen, „sich nicht übermäßig von dem Schlagwort ‚Fördern heißt Fordern‘ leiten zu lassen.“ So wichtig es sei, junge, verheißungsvolle Kräfte zu fordern, sie auch an „heikle Sachen heranzulassen“, so falsch sei es aber auch, das zu tun, was an der Tagesordnung sei, diese Kräfte manchmal geradezu maßlos zu überfordern und sie so zu verschleißen. Ohne Zeit zur Besinnung, zur Reflexion und Regeneration, sei eine wirkliche Entwicklung nicht möglich. Weegen: „Ich denke, die Fehler, die hier gemacht wurden und werden, die spiegeln sich auch in unserer kleinen Befragung.“

Die Kultur macht’s

Betriebliche Meinungsfreiheit, die Kultur des offenen Wortes, die Möglichkeit zu zwanglosem, hierarchie- und fachlich übergreifendem Meinungsaustausch an einem dafür immer verfügbaren Ort, das, sagt Weegen, „ist für alle Beteiligten nicht nur ein unschätzbarer geistiger Jungbrunnen, sondern auch ein wesentlicher Entspannungsfaktor.“ Wirklich den Mund aufmachen zu können, Gehör zu finden, mit einer abweichenden Meinung nicht automatisch als besserwisserisch, naseweis oder ganz und gar vorgesetztenkritisch empfunden zu werden, „sorgt ganz erheblich mit dafür, den Stress in Grenzen zu halten.“ Und nicht nur das. Was für Weegen im Blick auf die laufend notwendige Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen in diesem Zusammenhang „ja auch nicht vergessen werden darf“, ist, dass „diese betriebliche Meinungsfreiheit mehr für die reibungslose persönliche wie gesamtbetriebliche Anpassungsfähigkeit sorgt als
alles andere.“ Anpassungsfähigkeit, das ist das Stichwort, das noch einmal auf die Talentstudie der Universität Bern verweist.

Schließlich und endlich hat die betriebliche Anpassungsfähigkeit auch einiges mit Nachfolgeplanung zu tun. Nachfolgeplanung und Talent Management gehören zusammen. Und je besser das Arbeitgeber-Image ist, desto mehr Talente werden sich bewerben. Doch die Bildung einer attraktiven Arbeitgeber-Marke muss hart erarbeitet werden. Geschickte Werbemaßnahmen wie sie heute beispielsweise mit betrieblichen Präsentationen an Universitäten und Hochschulen zur Selbstverständlichkeit geworden sind, reichen dafür nicht mehr aus. Bedeutsamer und zugkräftiger ist der Ruf, der einem Unternehmen vorauseilt und der es wie eine unsichtbare Hülle umgibt. Und ein wesentlicher Baustein dieses Rufes ist die Mundpropaganda, ist das, was Menschen anderen Menschen über ein Unternehmen erzählen. Ob die von Coverdale befragten Führungskräfte in diesem Sinne positive Meinungsmultiplikatoren sind, das darf wohl auch mit einem Seitenblick auf Witzers sarkastische Äußerungen bezweifelt werden. Hier kommt nun der schöne Satz „Alles ist mit Allem vernetzt“ ins Blickfeld. Das Wort von der vernetzten Welt und wie stark dieser Vernetzung Rechnung getragen werden muss, beides fehlt in kaum einem wegweisenden Vortrag eines Firmenlenkers. Dafür aber im betrieblichen Alltag der eigentlich zwangsläufige Gedanke daran, dass das so eloquent Vorgetragene auch auf den im Hause gepflogenen Führungsstil und dessen Wirkungsgefüge zutrifft. Aber wie das so ist mit den Wegweisern, sie gehen nun mal nicht mit.


Dipl.-Betriebswirt Hartmut Volk

Redaktionsbüro Wirtschaft &
Wissenschaft, Bad Harzburg

E-Mail: hartmut.volk@t-online.de

Alles ist mit Allem vernetzt

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